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Archiv "Medizinische Geräte — Prothesen ärztlichen Handelns?" (08.05.1980)

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Medizinische Geräte —

Prothesen ärztlichen Handelns?

Karsten Vilmar

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Patienten wie Ärzte verschanzen sich oftmals hinter medizintech- nischen Gerätschaften und ver- meiden das eigentlich in erster Linie notwendige Gespräch.

Sollte diese Flucht in die Technik eine Flucht vor der Verantwor- tung sein? Dabei ist doch die sorgfältige Erörterung der Vor- geschichte der früheren Krank- heiten und Beschwerden und all der Dinge, die zum Arztbesuch geführt haben, kurz die sorgfälti- ge Erhebung der Anamnese, nicht nur Grundlage des für effi- ziente Diagnostik und Therapie nötigen Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt, son- dern auch die entscheidende Voraussetzung für eine gezielte kostensparende Diagnostik und Therapie.

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Medizin und Technik sind schon seit dem Altertum miteinander verbun- den — ebenso wie Medizin und Seel- sorge, wenn sich auch die Medizin ursprünglich aus der Tempelmedi- zin entwickelte, so hat sie sich kei- neswegs nur auf seelischen Bei- stand im Sinne des Zuspruchs, des Gesprächs, der menschlichen An- teilnahme beschränkt, sondern ist schon früh auch mit Eingriffen am Mitmenschen tätig geworden. Tatsa- che ist jedenfalls, daß schon im alten Ägypten Schädeltrepanationen vor- genommen wurden, offenbar auch mit Erfolg, mindestens jedoch dem Erfolg, daß die "Patienten" die Zeit unmittelbar nach der Operation überlebten. Das jedenfalls muß aus Schädelfunden geschlossen wer- den, bei denen die Ränder der Tre- panationsöffnungen deutliche repa- ratorische Vorgänge erkennen und somit auf eine mindestens mehrwö- chige Überlebenszeit schließen las- sen. Ob derartige Eingriffe auch als kausale Behandlungsmaßnahmen in unserem Sinne betrachtet werden können, kann dahingestellt bleiben.

Sicher ist aber, daß derartige Ein- griffe nicht mit den bloßen Fingern durchgeführt werden konnten, son- dern wie auch immer geartete Mes- ser, Meißel, Bohrer und Hebel erfor- derlich gewesen sein müssen. Weil aber der Hebel noch heute in jedem Physikbuch als einfachste „Maschi- ne" bezeichnet wird, war damit schon im alten Ägypten gleichsam die „Maschinen-Medizin" geboren.

Darstellungen von der Arbeit der Ärzte berichtet. Man kann den Wan- del und den über lange Zeiträume nur langsamen Fortschritt des Wis- sens verfolgen. Im wesentlichen un- verändert ist aber schon seit frühen Zeiten die auch heute noch für Ärzte geltende Verpflichtung, Leben zu er- halten und Leiden zu lindern.

Dazu wurde eine allmählich wach- sende Zahl von Instrumenten —tech- nischem Gerät also — benötigt. Skal- pelle, Sägen, Zangen unterschied- lichster Ausführungen waren erfor- derlich, um Abszesse zu öffnen, Fremdkörper zu entfernen, Zähne zu ziehen, Blasensteine zu entfernen oder zu zertrümmern oder aber auch den Star zur Wiederherstellung der Sehfähigkeit zu stechen.

Der in früheren Jahrhunderten durch kriegerische Auseinanderset- zungen, aber auch durch Unfälle we- gen der fast zwangsläufigen Infek- tionen häufige Verlust von Gliedma- ßen ließ die Ärzte auf Ersatz sinnen.

Prothesen wurden entwickelt als Folge ärztlichen Handelns, um auf diese Weise wieder eine Gehfähig- keit zu erreichen. Aber auch die obe- ren Extremitäten wurden prothe- tisch versorgt, wie durch die eiserne Faust des Götz von Berlichingen be- legt ist.

Gemeinsamer Arztberuf fehlte noch

Mit dem Beginn der Industrialisie- Aus späteren Jahrhunderten wird in rung machten auch Wissenschaft zahlreichen Schriften und bildlichen und Technik rasch zunehmende und

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Aufsätze ·Notizen

Prothesen ärztlichen Handelns?

allmählich geradezu sprunghafte Fortschritte. Die Arbeitsweise der Ärzte war davon zunächst noch nicht direkt betroffen. Das konnte auch allein deshalb nicht sein, weil es mindestens in Deutschland zu- nächst einen gemeinsamen Arztbe- ruf in unserem heutigen Sinne noch nicht gab. Heileingriffe wurden viel- mehr von Wundärzten, Augenärzten, Geburtshelfern, Zahnärzten und Tierärzten oder anderen mit gleich- bedeutenden Titeln bezeichneten oder seitens des Staates oder einer Gemeinde als solche anerkannten und mit amtlichen Funktionen be- trauten Personen ausgeführt. Bader, Zahnreißer, Steinschneider und eine bunte Reihe von Wunderheilern üb- ten ihr Gewerbe auch im Umherzie- hen aus. Die eigentlichen Ärzte selbst beschränkten sich im wesent- lichen auf Untersuchung und Bera- tung und nahmen keine Operatio- nen vor. ln Deutschland wurden die langjährigen Auseinandersetzungen um die Einheit des ärztlichen Beru- fes erst durch die Gewerbeordnung von 1869 beendet, die eine Approba- tion zur Ausübung der Heilkunde aufgrund eines Befähigungsnach- weises verlangte. Erst durch diesen Rechtsakt wurden zum Beispiel die Chirurgen Ärzte.

Diese Ärzte waren in aller Regel frei- beruflich tätig. Ärztliche Behand- lung erfolgte zumeist im häuslichen Bereich des Patienten, denn Kran- kenhäuser in unserem heutigen Sin- ne gab es kaum; sie entwickelten sich erst aus den Armen- und Sie- chenhäusern.

Die Industrialisierung führte zu einer rasch zunehmenden Konzentration der Produktion in sich schnell ver- größernden Fabriken, damit einher ging eine Konzentration der Bevöl- kerung in Ballungsgebieten bei gleichzeitiger Auflösung überkom- mener Wohn- und Familienstruk- turen. Die daraus resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen blieben auf die ärztliche Berufsaus- übung nicht ohne Folgen. Die So- zialversicherung wurde geschaffen.

Die Wissenschaft ermöglichte Ein- griffe, die nun nicht mehr zu Hause

durchgeführt werden konnten, son- dern für die ein Krankenhaus nötig war. ln diesen Krankenhäusern ar- beiteten zunächst nur freiberuflich tätige Ärzte. Zu ihrer Unterstützung, aber auch zur Sammlung eigener Er- fahrungen kamen bald angestellte Ärzte hinzu. Mit derweiteren wissen- schaftlichen Entwicklung waren in der Medizin Fortschritte in der Medi- zintechnik verbunden, die wiederum tiefgreifende Veränderungen der ärztlichen Arbeitsweise nach sich zogen, die schon deutlich nach dem Ersten Weltkrieg spürbar wurden, nach dem Zweiten Weltkrieg aber dann rasch zunahmen. Die mit die- sem Krieg verbundenen Umwälzun- gen in allen Bereichen unseres Le- bens, aber auch die gerade in dieser Zeit sprunghaft erweiterten Möglich- keiten der Technik und damit auch der Medizintechnik beschleunigten diese Veränderungen zusätzlich. Die mit der Entwicklung der Technik enorm erweiterten Möglichkeiten der Medizin haben aber nicht nur Veränderungen bei der Behandlung einzelner Patienten bewirkt und den Arzt gerade durch die Eröffnung vie- ler neuer Möglichkeiten in Diagno- stik und Therapie vor früher unge- ahnte Probleme gestellt. Sie haben vielmehr auch die Arbeit der Ärzte in der Gesamtheit in erheblichem Um- fang strukturell beeinflußt, und zwar nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ. Die enorme Wissensaus- weitung führte zur Entwicklung ärzt- licher Spezialdisziplinen. Der 43.

Deutsche Ärztetag beschloß deshalb 1924 in Bremen die erste Fach- arztordnung. Seitdem hat sich wie- derholt die Notwendigkeit ergeben, weitere Spezialdisziplinen zu schaf- fen, so daß auch die zuletzt 1977 vom 80. Deutschen Ärztetag grund- legend überarbeitete und erweiterte Weiterbildungsordnung inzwischen schon wieder ergänzungsbedürftig geworden ist.

Einsatz moderner Technik

Der Einsatz moderner Technik machte einen zeitlich immer ausge- dehnteren Einsatz einzelner Ärzte oder ganzer Ärztegruppen erforder-

1250 Heft 19 vom 8. Mai 1980

DEUTSCHES ARZTEBLATT

lieh. Die komplizierten technischen Apparaturen bewirkten ständig um- fangreichere Investitionen und da- her die Konzentration in b.estimmten Schwerpunktbereichen. Der Arzt muß dort jetzt in vielen Bereichen ständig komplizierteste Technik

"Rund um die Uhr" überwachen

oder bedienen, um den Patienten wirksam helfen zu können. Dement- sprechend stieg die Zahl der Ärzte, verglichen mit der Bevölkerungs- zahl, überproportional stark an.

Wurden vor fünfzig Jahren -1930- im damaligen Reichsgebiet nur rund 50 000 Ärzte gezählt, so stieg diese Zahl bis 1980 auf rund 153 000 an.

Noch im Jahre 1930 übten rund 37 000 Ärzte - das waren seinerzeit 75 Prozent aller Ärzte- ihren Beruf in freier Praxis aus. Seitdem ist zwar die Zahl der freipraktizierenden Ärz- te auf heute rund 58 000 gestiegen, ihr Anteil an der Gesamtärzteschaft hat sich aber auf etwa 43 Prozent verringert. Denn 1930 arbeiteten nur rund 10 000 Ärzte im Krankenhaus, heute dagegen rund 63 000 oder gut 47 Prozent aller berufstätigen Ärzte.

Noch deutlicher als die Entwicklung der Arztzahlen signalisiert der steile Anstieg der Durchschnittswerte der Neubaukosten für ein Krankenhaus- bett, die durch die technische Ent- wicklung eingeleiteten Verände- rungen.

..,.. Wurde der Durchschnittspreis beim Krankenhausneubau pro Bett 1948 noch mit 15 000 DM kalkuliert, war er bereits 20 Jahre später auf 98 000 DM angestiegen und betrug wiederum zehn Jahre später im Querschnitt aller Leistungsgruppen 150 000 DM. Inzwischen sind weitere Steigerungen auf heute im Schnitt 250 000 DM erfolgt- bis zu dem Ex- trembeispiel des Klinikums Aachen mit weit über einer Million DM pro Bett. Die Investitionskosten für tech- nische Gebäudeausrüstung und me- dizintechnisches Gerät betragen da- bei heute bereits rund 50 Prozent der Baukosten. 1978 betrug nach Schätzungen der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft (DKG), Düssel- dorf, das Anlagevermögen aller Krankenhäuser in der Bundesrepu-

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blik Deutschland 108 Milliarden DM.

Das Anlagevolumen allein für medi- zintechnische Geräte dürfte davon rund 15 Milliarden DM betragen.

Um die wirtschaftliche Bedeutung des Krankenhauswesens in der Bun- desrepublik richtig einordnen zu können, seien einige weitere Ver- gleiche genannt: Der Durchschnitts- umsatz aller Krankenhäuser betrug 1978 33 Milliarden DM. Er lag damit um nur rund fünf Milliarden DM un- ter den im Bundeshaushalt 1979 für die Verteidigung vorgesehenen Aus- gaben. Der Jahresumsatz zum Bei- spiel der Deutschen Bundespost be- trug im gleichen Jahr nur rund 32

Milliarden DM, der der Bundesbahn nur etwa 22 Milliarden DM. Er lag damit rund 11 Milliarden DM unter dem Umsatz aller Krankenhäuser.

Dazu kommt das bei den Ärzten in freier Praxis für medizintechnische Geräte investierte Anlagevolumen, das sich auf rund 10 Milliarden DM (einschließlich der Zahnarztpraxen) belaufen dürfte. Allein für diagnosti- sche Geräte im ärztlichen Bereich dürften davon fast fünf Milliarden DM investiert sein.

Derartig gigantische Investitionen in Krankenhaus und Praxis haben nicht in jedem Fall zu einer entspre- chenden Verbesserung in Diagno- stik und Therapie geführt, denn sie sind nicht immer allein aufgrund wissenschaftlich gesicherter Er- kenntnisse und ausgereifter techni- scher Entwicklungen getätigt wor- den, sondern auch Folge der allge- meinen Wissenschafts- und Tech- nikgläubigkeit.

Vielen Menschen und damit auch vielen Politikern erscheint in der Me- dizin alles „machbar" zu sein, wenn man nur perfekte Technik einsetzt und entsprechende Finanzmittel be- schafft. Erfolge in Grenzsituationen werden verallgemeinert, schicksals- mäßige Abläufe nicht mehr toleriert.

Es wird vergessen, daß mit den fast ins Unermeßliche erweiterten Mög- lichkeiten nicht nur die Heilungs- chancen gestiegen sind, sondern auch die Risiken, die vernünftiger- weise zu den Risiken der Grund- krankheiten ohne die heutigen Be-

handlungsmöglichkeiten in Relation gesetzt und gegen sie abgewogen werden müßten.

Wie bei der Reparatur eines Autos soll alles vorhersehbar sein und in kürzester Zeit klappen. Tritt wider Erwarten etwas Unvorhergesehenes ein, wird diesem Ereignis oft nur die Bedeutung eines „Betriebsunfalles"

beigemessen, für dessen Folgen selbstverständlich jemand aufkom- men muß, sei es der Arzt, die Pflege- person, das Krankenhaus, die Kran- kenkasse oder eine andere Versi- cherung, der Staat oder die Gesell- schaft.

Im Gegensatz zu anderen techni- schen Bereichen, zum Beispiel in der Industrie, wird in der Medizin eine Begrenzung der technischen Möglichkeiten, technisches Versa- gen oder eine Art Montagsproduk- tion nicht toleriert. Tritt der er- wünschte Behandlungserfolg nicht ein, wird dies allzu leicht als Kunst- fehler gewertet. Man hat schließlich ein Recht auf Gesundheit.

Recht auf Gesundheit?

Diese Vorstellung des Rechtes auf Gesundheit hat aber wiederum dazu geführt, daß in nicht geringem Um- fang medizinisch überflüssige Un- tersuchungen oft mit hohem appara- tivem Aufwand durchgeführt wer- den. Sei es weil der Patient einen totalen Check-up seines Gesund- heitszustandes wünscht, sei es aber auch weil der Arzt eine Reihe von Untersuchungen lediglich veranlaßt, um den Normalbefund zu dokumen- tieren, weil er sich nur auf diese Wei- se gegen möglicherweise an ihn ge- stellte spätere Ansprüche schützen kann, falls der vom Patienten ge- wünschte Therapieerfolg nicht ein- tritt. Die Rechtsprechung unserer Gerichte trägt darüber hinaus in nicht unerheblichem Umfang zur Ausweitung einer derartigen Defen- sivmedizin bei. Totales Sicherheits- streben aller Beteiligten ist die nahe- zu unausweichliche Folge, weil in der Medizin das statistische Unfallri- siko nicht als individuelles Risiko ak- zeptiert wird: ein Risiko, das man

zum Beispiel als Fußgänger oder Au- tofahrer im Straßenverkehr oder bei der Benutzung von Flugzeugen und Schiffen ohne weitere Diskussion zu tragen bereit ist.

Maßgeblich wird diese Einstellung mit dadurch geprägt, daß Leistun- gen im Gesundheitswesen vermeint- lich „kostenlos" erbracht werden können. Durch das in der gesetzli- chen Krankenversicherung übliche Sachleistungssystem, aber auch durch die Hundert-Prozent-Dek- kungstarife der privaten Krankenver- sicherung ist der direkte Bezug zwi- schen den im Einzelfall ausgelösten Kosten und dem eigenen Kranken- kassen- oder Krankenversiche- rungsbeitrag nicht mehr erkennbar.

Der sofort spürbare Zusammenhang zwischen geforderter Leistung und dadurch bewirkten Kosten scheint aber Voraussetzung dafür zu sein, daß man sich auf das Notwendige beschränkt und nicht Utopisches fordert.

Es ist bezeichnend, daß die öffentli- che Diskussion um die Herstellung eines sogenannten Sicherheitsau- tos, in dem die Insassen nahezu je- den Unfall überleben, völlig ver- stummt ist, obwohl es technisch durchaus möglich wäre, ein derarti- ges Kraftfahrzeug zu konstruieren.

Die dafür aufzuwendenden Kosten wären aber so hoch, daß nur noch ganz wenige Menschen auf der Welt in der Lage wären, sich ein solches Auto zu kaufen, die übrigen aber entweder auf das Autofahren oder die Utopie vom Sicherheitsauto ver- zichten müßten. Ein Blick auf die Straßen unserer Groß-Städte macht für jedermann die Entscheidung der Mehrheit in dieser Frage deutlich er- kennbar.

Eine ganz andere Erwartung herrscht aber immer noch gegen- über der Medizin vor. Weil der Ent- wicklungsstand der medizinischen Wissenschaft der Entwicklung in technischen Bereichen vergleichbar ist und es dort menschlichem Erfin- dungsgeist gelungen ist, Erdbewoh- ner mit Raketen auf den Mond zu

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Aufsätze ·Notizen

Prothesen ärztlichen Handelns?

transportieren und sicher wieder zur Erde zurückzubringen, glaubt man daraus auf die Möglichkeiten der Medizin bei der Behandlung einzel- ner Patienten schließen zu können.

~ Doch ebenso wenig wie man in der Raumfahrt einen Linienverkehr zum Mond für jedermann von jedem Ort aus und womöglich zu jedem Zeitpunkt einrichten kann, ist es in der Medizin möglich, für jeden Men- schen an jedem Ort für jede denkba- re Gesundheitsstörung und zu je- dem Zeitpunkt das ganze Arsenal der Möglichkeiten moderner Medi- zin bereitzuhalten. Und das Ganze noch zum "Nulltarif"!

Dennoch trägt auch die Medizin selbst dazu bei, immer größere Er- wartungshaltung zu erzeugen, wenn zum Beispiel über die Vorteile neuer apparativer Verfahren in Diagnostik und Therapie berichtet wird, die da- mit verbundenen Nachteile, Risiken und Gefahren aber nur am Rande erwähnt werden- oder vielleicht so- gar überhaupt noch nicht bekannt sind.

Da Veröffentlichungen in wissen- schaftlichen Zeitschriften aber auch dann schon das Interesse der Mas- senmedien finden, wenn eine Me- thode noch keineswegs ausgereift ist und in der oft sensationell aufge- machten Berichterstattung dennoch in der Öffentlichkeit der Eindruck er- weckt wird, als handele es sich um eine bereits bewährte Standardme- thode, werden Anreize zur Anwen- dung dieser Methode auch in Berei- chen gesetzt, die nicht über die nöti- gen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen können.

Gleiche Wirkungen können ausge- löst werden, wenn sich in der Recht- sprechung bei Schadensfällen die Gerichte auf Ausführungen von Gut- achtern aus Hochschulkliniken stüt- zen, in denen Forderungen aufge- stellt werden, die wohl an Universi- tätskliniken und Groß-Krankenhäu- sern erfüllbar und dort vielleicht auch notwendig sind, die aber in der Masse der kleinen und mittleren Krankenhäuser wegen des Fehlens aller personellen, organisatori-

sehen, apparativen und häufig auch fachlichen und finanziellen Voraus- setzungen nicht realisiert werden können.

Dennoch wird so das Karussell auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten in Be- wegung gesetzt. Aus Prestigeden- ken glauben keineswegs nur Ärzte, sondern auch Krankenhausverwal- tungen und Gremien der Kranken- hausträger wie Landräte, Kuratorien oder gesundheitspolitische Be- schlußgremien in Städten und Ge- meinden an "ihrem Krankenhaus"

dem Patienten Hochleistungsmedi- zin anbieten zu müssen. Da es inzwi- schen aber zur Binsenweisheit ge- worden ist, daß die Ausweitung von Stellenplänen mit hohen Personal- folgekosten verbunden ist, glaubt man auf diesem Sektor sparen zu müssen und das Problem durch die Beschaffung von neuen medizin- technischen Klein- und Großgeräten lösen zu können.

~ So folgt dann der Anschaffung der katholischen Kobaltbombe die Aufstellung der evangelischen, der freigemeinnützigen und der kommu- nalen, wobei die Reihenfolge belie- big austauschbar ist. Es muß auch

·keinesfalls bei der Beschaffung der

Kobaltbombe bleiben. Denn die Be- schaffung von Computertomogra- phen, Hämodialyse-Einrichtungen, Herz-Lungen-Maschinen und ande- rem hochwertigen Operationssaal- Inventar, die Einrichtung von lnten- sivüberwachungs- und Endosko- pieeinheiten sowie die Bereitstel- lung von Notarztwagen und Ret- tungshubschraubern kann ähnliche Befriedigung verschaffen.

Für die breite Öffentlichkeit wird so der Eindruck erweckt, als bemühe man sich ganz besonders um die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit. Damit wird die Hoff- nung genährt, als könne in diesem Krankenhaus jetzt überhaupt nichts mehr passieren. Eine Hoffnung, die sich wegen des Verlustes früher all- gemein anerkannter Werte aus der dem Menschen innewohnenden Le- bensangst nur allzu bereitwillig an das Vorhandensein großartiger ap- parativer Ausstattung klammert. Me-

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

dizintechnische Geräte werden so zu Stützkrücken der Hoffnung der Bevölkerung. Sie werden aber auch gleichzeitig zu Prothesen des Han- deins aller für derartige Entwicklun- gen Verantwortlichen. Auf dem Um- weg über die Beschaffung oder Be- nutzung medizinisch technischer Geräte wird so der Anschein er- weckt, als könne man damit Ge- sundheit und Leben kaufen oder verkaufen.

Flucht in die Technik

Patienten wie Ärzte verschanzen sich oftmals hinter medizintechni- schen Gerätschaften und vermeiden das eigentlich in erster Linie not- wendige Gespräch. Sollte diese Flucht in die Technik eine Flucht vor der Verantwortung sein? Dabei ist doch die sorgfältige Erörterung der Vorgeschichte der früheren Krank- heiten und Beschwerden undallder Dinge, die zum Arztbesuch geführt haben, kurz die sorgfältige Erhe- bung der Anamnese, nicht nur Grundlage des für effiziente Diagno- stik und Therapie nötigen Vertrau- ensverhältnisses zwischen Patient und Arzt, sondern auch die entschei- dende Voraussetzung für eine ge- zielte kostensparende Diagnostik und Therapie. Ohne ein Gespräch bleibt doch nur die Möglichkeit, na- hezu alle gängigen Untersuchungen bei dem Patienten durchzuführen oder durchführen zu lassen und ihn ohne größere Überlegung durch die -wie es im Klinikjargon häufig heißt

- "diagnostische Mühle zu drehen".

Selbstverständlich können auch mit einer derartigen SchrotschuB-Dia- gnostik Treffer erzielt werden. Es muß dabei aber eine Vielzahl völlig überflüssigerweise erhobener Be- funde in Kauf genommen werden.

Damit stellt sich aber auch die Fra- ge, ob für Krankenkassen wie Ärzte

dieser "Kauf" nicht zu teuer bezahlt

wird. Für die Krankenkassen liegen dabei die Zusammenhänge klar auf der Hand. Für die Ärzte steht aber mehr auf dem Spiel als nur das Aus- lösen unnötiger Untersuchungen und damit Kosten und die daraus möglicherweise folgenden Regreß-

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ansprüche. Durch die Überbetonung apparativer Diagnostik, die Flucht in die Technik und die Vernachlässi- gung des ärztlichen Gesprächs wer- den den Arztberuf prägende Funk- tionen, von Beratung bis zur Seel- sorge reichende Tätigkeiten - das gesamte Spektrum menschlicher Zuwendung - auf das Spiel gesetzt.

Der Arzt verliert damit aber seine Rolle als Bezugsperson des Kran- ken. Sollte der Ruf nach mehr Hu- manität in der Versorgung unserer Kranken hier eine seiner Wurzeln haben?

Ist nicht auch die rasche Zunahme einer Vielzahl beratender Berufe, von der Diätberaterin zur Beschäfti- gungstherapeutin, vom Psychothe- rapeuten bis hin zu dem in der Zu- kunft vielleicht noch notwendigen Thanatologen Folge derartiger Ent-

wicklung und Verhaltensweisen?

Um Mißverständnissen vorzubeu- gen: Es soll damit nicht etwa be- hauptet werden, daß all diese Be- rufsbilder völlig überflüssig wären, ebenso wenig wie einer simplen

"Maschinenstürmerei" das Wort ge- redet werden soll. Es muß aber un- ser gemeinsames Anliegen sein, die Dinge wieder in die richtigen Rela- tionen zu bringen, den Menschen nicht zum Objekt der Technik, den Patienten nicht zum willenlosen Werkstück einer seelenlosen Fließ- bandmedizin werden zu lassen. Die sich daraus ergebenden psychi- schen Folgen könnten für den ein- zelnen ebenso wie für die Gesamt- heit verheerend sein.

Prestigedenken forciert Investitionen

Anschaffung oder Wiederbeschaf- fung medizinisch technischer Gerä- te können aber auch dem Spiel- betrieb entspringen oder der gera- dezu kindlichen Freude, jeweils auch dann das neueste Modell zu besitzen, wenn es in der Funktion keinerlei Fortschritte oder anderwei- tige Vorteile bietet. Weil heute der Verwaltungsfachmann überfordert ist, wenn er entscheiden soll, ob ei- ne Anschaffung notwendig ist oder

nicht, welches Gerät oder welcher Apparat gekauft werden muß und der Medizin-Ingenieur als kompe- tenter Gesprächspartner in den mei- sten Krankenhäusern fehlt, ist häu- fig das Resultat, daß das in der An- schaffung preisgünstigste Angebot den Zuschlag erhält, was aber weder über die Notwendigkeit der Anschaf- fung überhaupt noch über den Dau- ernutzungswert des beschafften Ge- genstandes etwas aussagt. Bei einer Reihe derartiger "Eitelkeitsbeschaf- fungen" kann man auf den ketzeri- schen Gedanken kommen, ob nicht die Beschaffung einer elektrischen Eisenbahn fast den gleichen Zweck erfüllt und darüber hinaus noch den Vorteil gehabt hätte, wesentlich billi- ger zu sein und wesentlich weniger Gefährdungsmöglichkeiten zu eröff- nen.

Bei der Anschaffung medizintechni- scher Geräte werden nämlich gera- de die beiden Punkte "Kosten" und

"Gefahren" in ihrer Bedeutung und

in ihren Auswirkungen völlig ver- kannt.

Sosehr es sich herumgesprochen hat, daß die Neuschaffung von Per- sonaistellen mit erheblichen Folge- kosten verbunden ist, so wenig wird an die Folgekosten bei der Beschaf- fung medizintechnischer Geräte ge- dacht. Man glaubt vielmehr, daß mit der Bezahlung des Anschaffungs- preises alles geregelt sei; und das sogar noch auf höchst angenehme Weise, wenn sich für diese Kosten

ein edler Spender gefunden hat. Da-

bei können die Betriebsfolgekosten weitaus drückender werden als die einmalig aufzubringenden Ansehat- tu ngskosten.

..,.. Als Erfahrungssatz hat sich her- ausgebildet, daß in den ersten drei Jahren nach der Investition die Be- triebsfolgekosten ebenso hoch wie die Investitionskosten selbst sind. Die Folgekosten können aber noch weitaus höher· liegen, wenn erst nach der Beschaffung eines medi- zintechnischen Gerätes im Kranken- haus die dafür nötige Infrastruktur geschaffen werden muß, ohne die das Gerät überhaupt nicht sinnvoll genutzt werden kann.

Die mit der Schaffung der nötigen Infrastruktur und mit den Folgeko- sten verbundenen Probleme sind oft unlösbar. Das führt dazu, daß man- ches teure Gerät, für dessen Be- schaffung mit beredten Worten ge- worben wurde und dessen Bedeu- tung für eine wirksame Versorgung der Patienten nicht hoch genug ein- geschätzt werden konnte, weil ohne das Gerät eine effiziente Versorgung der Patienten nach dem heutigen Stand der Wissenschaft überhaupt nicht mehr möglich sei, nach seiner Installation und dem Verrauschen der Anfangsbegeisterung mehr oder weniger ungenutzt herumsteht, wenn es nicht gar im Keller eines Krankenhauses verrostet oder auf dem Dachboden verstaubt. Es gibt

Fälle, in denen medizintechnische

Geräte, deren Fehlen angeblich zum Zusammenbruch der ärztlichen Ver- sorgung der Patienten führen muß- te, nach der Beschaffung nicht ein- mal aus den Kisten ausgepackt wur- den und daher jetzt schon seit nahe- zu einem Jahrzehnt gutverpackt dar- auf warten, vielleicht eines Tages dem Deutschen Museum in Mün- chen als Ausstellungsstück "ange- dient" zu werden.

Mit den in deutschen Krankenhäu- sern auf Dachböden oder in Kellern ungenutzt herumstehenden Gerät- schaften soll man - wie boshafte Zungen behaupten - ganze Kran- kenhäuser einrichten können. Weil aber dies wohl nie geschehen wird, andererseits aber angeblich alles im Leben einen Sinn haben soll, könnte man den Sinn derartiger Nutzlosig- keit darin erblicken, daß mit diesen Geräten jedenfalls kein Schaden an- gerichtet werden kann.

Ebenso wie die Kostenproblematik werden nämlich vielfach die Gefah- ren und Schädigungsmöglichkei- ten medizintechnischer Geräte ver- kannt. Dabei kann es sich um die Explosion von Narkosegasen oder Desinfektionsmitteln in Operations- sälen bei der Anwendung der Hoch- frequenzchirurgie handeln, um da- bei auftretende Verbrennungen bei Patienten oder Personal, um Ver- brennungen durch die Hochfre- quenzchirurgie selbst oder durch

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Aufsätze • Notizen

Prothesen ärztlichen Handelns?

die Benutzung von Röntgengeräten, um elektrische Unfälle bei der Be- nutzung elektromedizinischer Gerä- te zur Diagnostik, Überwachung oder zur Therapie, aber auch bei der Anwendung elektrisch leitender Ge- fäßkatheter, um nur wenige Beispie- le zu nennen. In diesem Zusammen- hang dürfen auch Schädigungs- möglichkeiten durch fehlerhafte Be- schaffenheit oder Anwendung von Gefäß- oder Gelenkendoprothesen, Knochenzementen und Osteosyn- thesematerialien, aber auch von En- doskopen verschiedener Art, Narko- se- und Beatmungsgeräten mit den besonders dazugehörenden Schläu- chen typischen Infektionsgefahren vergessen werden. Schädigungs- möglichkeiten sind also vorwiegend in drei Bereichen gegeben: den technischen, den medizinischen und den hygienischen.

Hilfen und Risiken

Mit dem außerordentlich stark ge- stiegenen Einsatz medizintechni- scher Geräte in Krankenhaus und Praxis kann zweifellos in vielen Fäl- len Patienten geholfen werden, in denen früher Hilfe unmöglich war.

Andererseits resultieren aus diesem Großeinsatz medizinisch-techni- scher Geräte aber auch spezielle Ri- siken. Um den großen Nutzen medi- zintechnischer Geräte nicht durch unnötige Risiken und vermeidbare Schäden zu mindern, gilt es alle An- strengungen darauf zu richten, Risi- ken künftig zu vermeiden.

Ein wichtiger Schritt dahin ist die Analyse der Unfallursachen auf den verschiedenen Gebieten. Dabei zeigt sich, daß die Unfallursache keines- wegs immer nur bei dem medizin- technischem Gerät, seiner Konstruk- tion und Installation zu suchen ist, sondern weitaus häufiger, nämlich in fast drei Viertel der Fälle, den mit diesen Gerätschaften umgehenden Menschen zur Last gelegt werden muß; sei es, daß Wartung und In- standhaltung nicht sachgemäß er- folgten oder daß bei der Anwendung des Gerätes Fehler gemacht wur- den. Diese Fehler wurden sicher nicht mutwillig und wohl auch kaum

fahrlässig gemacht, sie dürften viel- mehr darauf beruhen, daß die eige- nen Kenntnisse beim Umgang mit technischem Gerät überschätzt, Ri- siken oder Gefährdungen durch das technische Gerät nicht für möglich gehalten wurden und auch keine ge- nügende Einweisung und Anleitung für den Umgang mit dem techni- schen Gerät erfolgte. Und genau an dieser Stelle werden die Bemühun- gen um mehr Sicherheit im Umgang mit technischem Gerät ansetzen müssen.

Es ist sicher von vornherein klar, daß es mit dem Ruf nach dem Gesetzge- ber dabei nicht getan ist. Durch die neuen Bestimmungen im Gerätesi- cherheitsgesetz können zwar wichti- ge Voraussetzungen für die Funk- tionssicherheit von Geräten ge- schaffen werden, indem Herstellung und Bauartprüfung, Endabnahme und Zulassung geregelt werden und auch endlich eine in verständlicher deutscher Sprache abgefaßte Ge- brauchsanleitung Vorschrift wird.

Aber die gesetzlichen Regelungen werden kaum nennenswerte Verän- derung bewirken können, wenn es nicht gelingt, künftig den bestim- mungsgemäßen Gebrauch von Ge- räten sicherzustellen, also auf den Bereich einzuwirken, in dem sich bislang am allerhäufigsten Ursachen für Unfälle gefunden haben.

Es ist intensive Ausbildung und Fort- bildung all derer nötig, die mit kom- pliziertem technischen Gerät umge- hen. Darüber hinaus muß aber be- dacht werden, daß in Anbetracht der heute üblichen komplizierten Tech- nik kaum noch ein im Krankenhaus und in der Praxis tätiger Arzt neben dem ja auch nicht mehr in allen Ein- zelheiten überschaubaren medizini- schen Fachwissen noch zusätzlich die nötigen physikalisch-techni- schen Kenntnisse haben kann, um Konstruktion und Funktion und vor allem auch die aus der Anwendung resultierenden Gefahren in allen Einzelheiten kennen und beurteilen kann. Ebenso wie in der Medizin der Wissensumfang zur Spezialisierung zwang, ist also auch auf diesem Ge- biet eine Spezialisierung nötig.

Denn es kann heute niemand mehr

als Polyhistor das gesamte Wissen der Zeit in einem Kopf vereinen. Die- ser Kapazitätsmangel des menschli- chen Gehirns läßt sich nur durch Kooperation ausgleichen; im vorlie- genden Fall durch Kooperation mit Bio-Ingenieuren und Krankenhaus- technikern.

Rolle der Techniker und Ärzte Was in vielen anderen Bereichen seit langem üblich ist, muß auch im Krankenhaus selbstverständlich werden. Ebenso wie von keinem Ka- pitän verlangt wird, daß er alle Kon- struktionsmerkmale und techni- schen Details seines Schiffes in al- len Einzelheiten kennt, sondern sich in diesen Dingen auf die Werft oder den Ingenieur verläßt und sich selbst auf die Handhabung der Funktion des Ganzen konzentriert, ebenso wie von keinem Piloten die Kenntnis aller Konstruktionsfeinheiten des Flugzeuges verlangt wird, er aber sämtliche fliegerischen Manöver be- herrschen muß, ist auch die Zusam- menarbeit zwischen Bio-Ingenieur und Arzt in bezug auf technisches Gerät zu. gestalten.

Für die Gesamtanwendung am Pa- tienten muß selbstverständlich der Arzt die Entscheidung treffen und die Verantwortung übernehmen.

Das kann und will ihm auch kein Bio-Ingenieur oder Techniker ab- nehmen, der seine Aufgabe vielmehr darin sieht, durch zweckmäßige Konstruktionen medizintechnischer Geräte ein gutes Funktionieren zu gewährleisten, denkbare Gefahren möglichst von vornherein auszu- schalten oder in den Fällen, wo dies nicht möglich ist, die Benutzer dar- über zu informieren, damit nicht durch falsche Handhabung in Un- kenntnis aller Gefahren Schädigun- gen für den Patienten entstehen können.

Krankenhaus-Ingenieuren kommt aber auch bei der Beschaffung me- dizintechnischen Gerätes eine große Bedeutung zu. Bei der Vielzahl von Angeboten an Geräten, die ohne er- kennbare äußere Unterschiede, aber auch trotz großer äußerer Unter-

1254 Heft 19 vom 8. Mai 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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schiede gleiche Funktionen zu erfül- len versprechen, ist heute sowohl der Arzt wie der Verwaltungsleiter überfordert, wenn er beurteilen soll, ob die in den Werbeprospekten ge- schilderten Vorzüge tatsächlich ge- geben sind, welche Nachteile gege- benenfalls zwischen den Zeilen zu erkennen sind, ob bestehende ge- setzliche Bestimmungen, VDE-Be- stimmungen oder DIN-Normen ein- gehalten sind, ob überhaupt und ge- gebenenfalls welche Reparaturmög- lichkeiten bestehen, wie zuverlässig und fachlich kompetent der Kunden- dienst ist, um nur einige wenige we- sentliche Gesichtspunkte zu nen- nen. Nur durch ein intensives Ge- spräch über Vor- und Nachteile für den beabsichtigten Zweck zwischen Arzt, Krankenhaus-Techniker und Verwaltungsleiter dürfte die richtige Entscheidung zu finden sein, bei der auch die Beurteilung der Lebens- dauer und der Nutzungsgrad des Gerätes mit einfließen muß.

~ Wie wichtig die Beurteilung der Lebensdauer eines Gerätes ist, wird deutlich, wenn man sich noch ein- mal das Anlagevolumen aller medi- zintechnischer Geräte allein im Krankenhaus vor Augen führt, das mit rund 15 Milliarden DM angege- ben wird. Da medizintechnische Ge- räte nicht unendlich haltbar sind, ist bei einer Lebensdauer von zehn Jah- ren jährlich ein Finanzvolum~n von 1,5 Milliarden DM nötig, nur um den gegenwärtigen Stand der Geräte- technik zu erhalten. Diese Summe vergrößert sich auf drei Milliarden DM jährlich, wenn d·ie Lebensdauer nur fünf Jahre beträgt. Diese Sum- men verdoppeln sich leicht, wenn man das Investitionsvolumen der freien Praxis für medizintechnische Geräte von rund 10 Milliarden DM dazu rechnet.

Da außerdem zu erwarten ist, daß auch in der Gerätetechnik heute noch kein abgeschlossener Wis- sensstand besteht, werden darüber hinaus weitere Summen für die Be- schaffung neuer Geräte nötig sein, deren Preise sich aber auch wegen der infolge der Ölkrise steigenden Rohstoff- und Energiepreise in den kommenden Jahren noch stark er-

höhen dürften, so daß es auf lange Sicht kaum mehr möglich sein wird, all das zu finanzieren, was wün- schenswert, aber nicht notwendig, technisch zwar möglich, aber auch mit einfacheren Mitteln erreichbar ist.

Gerade in Anbetracht der künftig nur begrenzt zur Verfügung stehen- den oder zur Verfügung gestellten Finanzmittel im Gesundheitswesen ist daher eine sorgfältige Entschei- dung unter Abwägung aller Vor- und Nachteile und unter Hinzuziehung des gesamten zur Verfügung ste- henden Sachverstandes nötig. Nur so wird mit begrenzten Mitteln mög- lichst vielen Menschen möglichst wirksam geholfen werden können.

Die Schwierigkeit der anstehenden Entscheidungen verlangt neben fachlich qualifizierten Ärzten auch Ingenieure und Verwaltungsfachleu- te, die mit ärztlichen, medizintechni- schen und krankenhausspezifischen Problemen vertraut sind. Ebensowe- nig wie eine effiziente Krankenhaus- verwaltung heute durch Personen erfolgen kann, die zwar in der allge- meinen Verwaltung Erfahrungen ha-

ben, denen aber krankenhausspezi-

fische Managementkenntnisse feh- len, können die in der Krankenhaus- technik anstehenden Entscheidun- gen von Personen getroffen werden, die lediglich in der allgemeinen Technik bewandert sind. Es muß da- her der früher im öffentlichen Dienst bei der Besetzung von Verwaltungs- leiterpasten häufig gemachte Feh- ler, jemanden dahin zu befördern, weil er sich Verdienste in einer ande- ren städtischen Behörde- wie dem Friedhofsamt oder dem Schlachthof - erworben hatte, vermieden wer- den.

Auch ein Krankenhaus-Ingenieur wird die für seine Arbeit nötigen Kenntnisse kaum in einem Hafen- bauamt oder einem Elektrizitätswerk erwerben können. Es sind vielmehr biomedizinische und krankenhaus- technische Kenntnisse und Erfah- rungen nötig, um in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit allen Beteilig- ten Konzepte zu erarbeiten und Lö- sungen zu finden, die für das Leben

und die Gesundheit vieler Menschen von entscheidender Bedeutung sein können.

Grenzen der Technik

Bei allem Vertrauen in die Wissen- schaft, die Kreativität in der For- schung und den ja im Wort In- genieur steckenden lateinischen Begriff "natürliche Begabung", .. schöpferischer Geist" darf aller- dings nicht vergessen werden, daß es auch bei noch so guter Koopera- tion und noch so großem wissen- schaftlichem Fortschritt keinen An- laß zur Hybris, zum Übermut gibt, sondern daß es gerade bei dem Be- mühen um Gesundheit und Leben des Menschen Grenzen gibt.

So darf keinesfalls all das gemacht werden, was wissenschaftlich oder technisch möglich, vielleicht auch besonders interessant oder was noch nicht erforscht und deshalb mit unwägbaren Risiken verbunden ist. Die ethisch-moralische Begren- zung gibt bei solchen Überlegungen Art und Ausmaß der Gefährdungs- und Schädigungsmöglichkeit für den Patienten, die Abgrenzung des für ihn aufgrundseiner Erkrankung bestehenden Risikos und die Ab- grenzung der möglicherweise aus neuen Verfahren für den Patienten zu erwartenden Vorteile an. So gilt auch für den Bio-Ingenieur das allen ärztlichen Maßnahmen seit Alters zugrundeliegende Gebot des Nil

nocere.

Für das Gebiet der Arzneimittelfor- schung hat die World Medical Asso- ciation (WMA) in der Deklaration von Helsinki 1964 Verhaltensregeln fest- gelegt, die in der Deklaration von Tokio 1975 nochmals überarbeitet wurden. Es ist zu überlegen, ob nicht analog zu den für die Arznei- mittelforschung geltenden ethisch- moralischen Richtlinien ähnliche Entscheidungshilfen für die Weiter- entwicklung, Erforschung und Er- probung von medizintechnischem Gerät erarbeitet werden sollten. Kritisch ist auch der Einsatz bewähr- ter Technik zu beurteilen, wenn es

(8)

Aufsätze • Notizen

Unterschiedliche Altersstrukturen Betrachtet man die strukturelle Ent- wicklung der freipraktizierenden Ärzte (zugelassene Ärzte nach § 24 Zulassungsordnung Ärzte) in den letzten Jahren, so sind zwei unter- schiedliche Trendverläufe unüber- sehbar:

Während die Gruppe der Allgemein- ärzte und Praktiker zwischen 1975 und 1978 nahezu stagnierte (+ 1,1 Prozent), verzeichneten die übrigen Arztsparten einen kräftigen 18pro- zentigen Zuwachs. Lag noch 1975 der Anteil beider Arztgruppen an der Gesamtzahl der nach § 24 ZOÄ zu- gelassenen Ärzte etwa gleich hoch bei 50 Prozent, so erreichte bereits drei Jahre später die Gruppe der

„Spezialisten" über 54 Prozent. Eine kontinuierliche Gewichtsverlage- rung zugunsten der Spezialdiszipli- nen charakterisiert somit die unmit- telbare Vergangenheit (Tabelle 1).

Die sich aus diesen Zahlen abzeich- nenden divergierenden Tendenzen sind zum einen das Ergebnis höchst unterschiedlicher Altersstrukturen.

So sind beispielsweise 40 Prozent der Allgemeinärzte/Praktiker älter als 59 Jahre, älter als 50 Jahre sind insgesamt 66 Prozent. Demgegen-

über entfallen bei den übrigen Ärz- ten nur 19 Prozent beziehungsweise 47 Prozent auf die jeweiligen Alters- gruppen. Naturgemäß bewirkte die spürbar ungünstigere Altersstruktur im Bereich „Allgemeinmedizin" eine höhere Ausscheidungsquote und läßt einen altersbedingten Schrump- fungsfaktor als einen wesentlichen Grund für die Stagnationstendenz bei Allgemeinärzten/Praktikern er- kennbar werden. Die Altersstruktu- ren der beiden Arztgruppen werden auch in den kommenden Jahren kei- neswegseinewünschenswerte Nivel- lierung der Wachstumsdifferenzen bewirken, sondern eher nochzu einer Verschärfung des Mißverhältnisses zwischen beiden Sektoren beitragen, da im Bereich der „Allgemeinmedi- zin" eine wesentlich höhere Aus- scheidungsquote als bei den Fach- ärzten zu erwarten ist (Tabelle 2).

Gewicht der Neuzulassungen Allein mit altersspezifischen Einflüs- sen ist die unterschiedliche Entwick- lung der beiden Arztgrüppen jedoch nicht zu erklären. Vergleicht man nämlich einmal die Zahl der Neuzu- lassungen der letzten Jahre, so zeigt der ärztliche „Nachwuchs" eine er-

Prothesen ärztlichen Handelns?

nicht mehr darum geht, Leben zu erhalten, sondern die apparativen Maßnahmen nur noch dazu führen, das Sterben zu verlängern. Für die- sen Fall sind keine allgemeinver- bindlichen Regeln und schon gar nicht gesetzliche Bestimmungen möglich. Hier müssen außerordent- lich schwere, jedem Einzelfall ange- messene gewissenhafte Entschei- dungen getroffen werden, die nicht allzu selten Gewissensentscheidun- gen sein können.

Trotz aller wissenschaftlichen und technischen Fortschritte und der na- hezu unbegrenzten Möglichkeiten darf jedoch niemals vergessen wer- den, daß der Mensch weiterhin den Naturgesetzen unterliegt und daß zum menschlichen Leben Alterungs- vorgänge und schließlich auch das Sterben gehören.

Wenn sich alle Beteiligten ein- schließlich des Bio-lngenieurs und des Krankenhaustechnikers über diese den Menschen trotz allen Fort- schritts gesetzten natürlichen Gren- zen bewußt sind, kann ihre Zusam- menarbeit vielen Menschen Schmerz und Leiden lindern und da- zu beitragen, Krankheiten zu über- winden und ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. So kann die Gefahr vermieden werden, daß Medizin- technik zum Selbstzweck wird, zur Prothese, also zum Ersatz ärztlichen Handelns. Denn bei sinnvoller Nut- zung aller Möglichkeiten von Wis- senschaft und Technik kann auch bei Anerkenntnis der den Menschen gesetzten natürlichen Grenzen die Zusammenarbeit bei der Nutzung der uns gegebenen Möglichkeiten für viele segensreich werden.

Festvortrag auf der Fachtagung Krankenhaus- technik „Medizintechnische Geräte im Kran- kenhaus" in der Medizinischen Hochschule Hannover (am 19. März 1980)

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Karsten Vilmar

Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages Haedenkampstraße 1

5000 Köln 41 (Lindenthai)

THEMEN DER ZEIT

Entwicklung der Allgemeinmedizin

Analyse und Vorausschau anhand des Arztzahlenwachstums

Bernd Liebert

Die zahlenmäßige Entwicklung der Kassenärzte in der Bundesrepublik Deutschland zeigt in den letzten Jahren zwei deutlich unterschiedli- che Wachstumstendenzen: Auf der einen Seite expandiert die Gruppe der Fachärzte erheblich, während die Zahl der Ärzte im allgemeinme- dizinischen Bereich nahezu stagniert. Innerhalb des allgemeinmedizi- nischen Sektors wiederum gewinnen die Praktiker von Jahr zu Jahr an Gewicht, und die Gruppe der voll weitergebildeten Gebietsärzte für Allgemeinmedizin verliert zunehmend an Bedeutung. Der folgende Beitrag untersucht die unterschiedlichen Trendverläufe und die vor- aussichtlichen Folgen für den Bereich der Allgemeinmedizin.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 19 vom 8.

Mai 1980 1257

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