Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
Gesundheitsstatistik als politische Waffe
das Verhältnis auf 92 : 100 absinkt (Liberia).
Eine Quantifizierung der unter- schiedlichen systematischen Feh- ler wird wohl nur mit Hilfe einer internationalen Vergleichsstudie möglich sein, bei der eine Auswahl von Krankengeschichten typischer Säuglingssterbefälle von Ärzten nach den geltenden Regeln si- gniert und gezählt werden (analog der WHO-Studie über Todesfälle durch Herz- und Kreislauferkran- kungen (29, 42, 78, 85, 86).
Finanzielle Motive beeinflussen u. U. ebenfalls das Meldeverhalten.
In der Bundesrepublik erhält die Entbindende für eine Fehlgeburt ei- nen Zuschuß von maximal 45 DM.
Beim Tod eines (u. U. sofort nach der Geburt verstorbenen) Säug- lings dagegen je nach Versiche- rungsart einen Familienangehöri- genzuschuß in Höhe von bis zu 1500 DM. Die Motivation, das Kind vom Arzt als lebendgeboren reg- strieren zu lassen, dürfte damit er- heblich ansteigen (pers. Mitteilung von Massenbach).
Die Wirksamkeit von Prämien auf das Verhalten der Schwangeren wird teilweise bewußt genutzt. Di- rekt durch ein Bonus-System: Un- terstützungen werden nur bei re- gelmäßigem Besuch der Schwan- gerschaftsberatung gezahlt (DDR).
Indirekt durch ein Malus-System:
Hohe Selbstbeteiligungsraten im Falle einer Erkrankung, vor allem eines Krankenhausaufenthaltes bei Nichtinanspruchnahme der Vorsor- gemöglichkeiten (Schweden, USA).
III. Zusammenfassung
Die von der „Arbeitsgemeinschaft"
aufgestellten Behauptungen, es sei durch internationalen Vergleich der Mütter-, und Säuglingssterbe- ziffern statistisch bewiesen, daß die ärztliche Versorgung in der Bundesrepublik sehr schlecht sei, müssen nach Überprüfung des von ihr in der Broschüre „Verraten und Verkauft?" vorgelegten Datenmate- rials zurückgewiesen werden.
Es ist unzulässig, aus zahlenmäßi- gen Unterschieden in amtlichen Statistiken so weitreichende und einseitige auf die ärztliche Versor- gung bezogene Schlüsse zu zie- hen. Die systematischen Fehler der zum „Beweis" herangezogenen Statistiken fallen auch bei flüchti- ger Betrachtung sofort ins Auge (ungleiche Definitionen, struktur- verschiedene Bezugsgrößen, un- einheitliche Organisation der Daten- erfassung und -auswertung, un- durchschaubare Motivationen).
Ebensowenig können die Wirkun- gen historischer sozio-ökonomi- scher, demographischer, hygieni- scher, klimatischer und sonstiger nationaler Gegebenheiten unter- schlagen werden.
Das bedeutet nicht, daß die Ver- hältnisse in der Bundesrepublik im- mer optimal seien. Der Einzelnach- weis der direkt gestationsbeding- ten Todesursachen an der Mütter- sterblichkeit z. B. weist einen Teil an Toxikosen, Blutungen in der Schwangerschaft und Entbindungs- komplikationen auf, der sich bei in- tensiverer Belehrung und Betreu- ung (Mütterpaß) verringern läßt.
Das gleiche gilt für den hohen An- teil untergewichtiger und unreifer Kinder an der Säuglingssterblich- keit.
Das Gesamtergebnis ist um so be- dauerlicher, als es durch die relativ rasch zu erkennenden Argumenta- tionsmängel den Gegnern einer ver- nünftigen Reform des Gesundheits- wesens in der Bundesrepublik es leicht macht, wahrscheinlich vor- handene Lücken zu bagatellisieren, obwohl Verbesserungen notwendig und möglich wären.
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Horst Fassl Abteilung für
Medizinische Statistik und
Dokumentation der Medizinischen Hochschule Lübeck
Ratzeburger Allee 160 2400 Lübeck
AUS DEM BUNDESTAG
Berechnungsusancen der Krankenhäuser
Die Krankenhausverwaltungen be- rechnen nicht erst seit Inkrafttreten der sogenannten Bundespflege- satzverordnung sowohl für den Aufnahme- als auch Entlassungs- tag jeweils den vollen Pflegesatz,
als ob das Krankenhaus volle 24 Stunden belegt gewesen wäre. In der Fragestunde des Bundestages erklärte Staatssekretär Professor Dr. med. Hans Georg Wolters, Bun- desministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, daß der Gesetzge- ber von dieser Berechnungsvor- schrift nicht abgehen wolle, da in aller Regel die Entlassung nach längerem Krankenhausaufenthalt eine Neubelegung des Zimmers noch am selben Tag ausschließe.
Die Wiederherrichtung des Zim- mers verursache Kosten, und das Personal werde unverändert „vor- gehalten". Eine „spitze Berech- nung" der vom einzelnen Patienten tatsächlich verursachten Kosten würde nach Angaben des Staatsse- kretärs einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand erfordern. HC
2400 Betriebsärzte
Insgesamt waren in der Bundes- republik Deutschland am Stichtag 1. April 1975 2400 Betriebsärzte haupt- und nebenberuflich tätig.
Das sind 340 mehr als ein Jahr zu- vor. Diese Angaben machte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesarbeitsministeriums, Hermann Buschfort, auf Grund ei- ner Anfrage des SPD-MdB Martin Wendt. Der sprunghafte Anstieg der Zahl der Betriebsärzte sei die erste positive Auswirkung des am 1. Dezember 1974 in Kraft getrete- nen Arbeitssicherheitsgesetzes.
Viele Betriebe hätten die Ausfüh- rungsbestimmungen zum Gesetz abgewartet, die von den Trägern der gesetzlichen Unfallversiche- rungen in Form von Unfallverhü- tungsvorschriften „Betriebsärzte"
erst im Laufe des Jahres 1975 be- schlossen worden seien. HC