Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Suchtkrankenhilfe
kennen neuer Lebenschancen nimmt die Angst vor der unbekann- ten Zukunft ab. Die Selbstachtung kehrt langsam zurück, das Denken wird realistischer. Es verschwindet der Wunsch, auszuweichen. Natür- liche Entspannung und Schlaf stel- len sich wieder ein.
In der Readaptionszeit werden neue Interessen wach, Ideale ent- stehen neu, es kommt zu einem richtigen Verhältnis zu echten Wer- ten. Ferner nimmt die Fähigkeit der emotionalen Kontrolle zu, der Kranke ist in der Lage, die ersten Schritte für eine wirtschaftliche Stabilisierung zu unternehmen. Das Gesamtverhalten ändert sich deut- lich. Mit der Nüchternheit kehrt Zu- friedenheit ein, Ausflüchte werden als solche erkannt, es wächst die Fähigkeit, sich und andere zu ak- zeptieren. Damit eröffnet sich ein klarer und sinnvoller Weg, zu le- ben, ein Weg, der für das neue Le- ben mehr und bessere Möglichkei- ten bietet.
Die Alkoholkrankheit ist eine chro- nische Erkrankung. Auch jahrelan- ge „Trockenheit" schließt den Rückfall nicht aus. Das ist der Grund, weshalb für den Alkohol- kranken die Arbeit an sich selbst ein ständiges Anliegen sein muß.
Die Selbsthilfegruppen sind für ihn unentbehrlich.
Effizienz nachweisbar
Wenn man Aufwand und statistisch erfaßbare Effizienz unserer Sucht- krankenhilfe gegenüberstellt, so ist klar ersichtlich, daß hier eine Mög- lichkeit geschaffen wurde, mit weit geringerem Kostenaufwand als all- gemein üblich eine wirksame Hilfe für alkoholkranke Patienten zu lei- sten. Durch unsere Betreuung wur- den in zweieinhalb Jahren 69 Alko- holiker „trocken", davon 53 ohne Klinikaufenthalt. Fünf sind „trok- ken" seit zweieinhalb Jahren, 34 seit ein bis zwei Jahren und 30 in 1975. Berücksichtigt man nun die ersparten Kosten für Fachkliniken und den weit geringeren Ausfall der Produktivität, so ergeben sich erhebliche Beträge, denen ein nur
geringer personeller Aufwand ge- genübersteht.
Eine kritische Bemerkung sei er- laubt, die vor unbedachter Nachah- mung unseres Modells warnen soll.
Wenn ich ausgeführt habe, daß die wesentliche Arbeit am Alkohol- kranken ein Alkoholiker selbst lei- sten sollte, so tut sich damit eine große Gefahr auf, wenn der ausge- wählte Alkoholiker nicht die nötige Qualifikation mitbringt. Die Tatsa- che allein, trockener Alkoholiker zu sein, ist keine ausreichende Qualifikation dafür, in einer Sucht- krankenhilfe alkoholkranke Patien- ten zu betreuen. Die eigene Er- krankung muß geistig-seelisch ver- arbeitet sein, so daß eine entspre- chende Stabilität gewährleistet ist.
Dazu bedarf es neben einer ent- sprechenden Intelligenz und dem Wissen um die Krankheit Alkohol einer besonderen, im Verlauf der eigenen Erkrankung gereiften Grundhaltung und eigener Kreati- vität. Diese Arbeit kann nicht als Job angesehen werden, sie erfor- dert immer wieder neue Einsatz- freudigkeit ohne Rücksicht auf Dienststunden.
Die Einbeziehung einer Suchtkran- kenhilfe in den werksärztlichen Dienst erweist sich in vieler Hin- sicht als sinnvoll. Der Kontakt wird für den Patienten leichter, die Be- handlung erfolgt unauffällig, die somatischen Erscheinungen wer- den medizinisch gleichzeitig erfaßt.
Der Arbeitseinsatz kann geregelt werden, das Verständnis der Um- gebung vor allem am Arbeitsplatz wird gefördert. Durch gute Zusam- menarbeit mit Betrieb und Werk- schutz kann vermieden werden, daß strafrechtliche Maßnahmen zum ungeeigneten Zeitpunkt die therapeutischen Bemühungen zu- nichte machen.
Während wir bis vor drei Jahren der Krankheit Alkohol ziemlich rat- los gegenüberstanden und sich un- sere Bemühungen im wesentlichen in der Beantragung von „Entzie- hungskuren" erschöpften, sind wir heute in der Lage, in Form einer sinnvollen Behandlungskette echte
Hilfe anzubieten, und zwar zum Nutzen aller. Dabei wird nochmals herausgestellt, daß diese Hilfe sich nur als „Hilfe zur Selbsthilfe" ver- stehen kann.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Siegfried Sparrer Facharzt für innere Krankheiten und Werksarzt
Ärztliche Abteilung der Firma Bayer AG
5090 Leverkusen
Aus dem Bundestag Betriebsärzte für die öffentliche Verwaltung
Die Grundsätze des „Arbeitssicher- heitsgesetzes", das für die Betriebe und Verwaltungen die Bestellung von Betriebsärzten und Sicher- heitsfachkräften vorschreibt, sollen auch im öffentlichen Dienst voll be- achtet werden. Wie der Parlamen- tarische Staatssekretär des Bun- desarbeitsministeriums, Hermann Buschfort, auf Anfrage des SPD- Abgeordneten Dr. Hermann Schmitt-Vockenhausen mitteilte, haben sich Bund, Länder und Ge- meinden bemüht, entsprechende Durchführungsregelungen aufzu- stellen. Der Bund habe bereits eine
„Richtlinie für den betriebsärztli- chen und sicherheitstechnischen Dienst in den Verwaltungen und Betrieben des Bundes" erarbeitet.
Die Minister und Senatoren für Ar- beit und Soziales der Länder hät- ten „Grundsätze zur Durchführung des Arbeitssicherheitsgesetzes in der öffentlichen Verwaltung" als Grundlage für die praktische Durchführung des Gesetzes in den Landesverwaltungen empfohlen.
Für die gemeindlichen Unfallversi- cherungsträger sei eine Musterun- fallverhütungsvorschrift „Betriebs- ärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssi- cherheit" aufgestellt worden. Die materiellen Inhalte dieser drei Re- gelungen seien aufeinander abge- stimmt und in wesentlichen Punk- ten gleich.
1948 Heft 29 vom 15. Juli 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT