A-96 (28) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 3, 17. Januar 1997
T H E M E N D E R Z E I T BERICHTE
Auf verschiedenen Ebenen ha- ben sich für die Betriebsärzte 1996 die Rahmenbedingungen geändert.
Das Ergebnis aber kann sich se- hen lassen und wird den berufli- chen Alltag verändern, neue Her- ausforderungen mit sich bringen, aber auch erhebliche Entwicklungs- chancen:
lAm 21. August 1996 trat das
„Arbeitsschutzgesetz“ (ArbSchG) in Kraft.
lAm 7. August 1996 wurde das Unfallversicherungs-Einordnungsge- setz (UVEG) beschlossen. Mit sei- nem Inkrafttreten (am 1. Januar 1997) bildet es das SGB VII und er- setzt die entsprechenden Passagen der alten Reichsversicherungsord- nung (RVO).
lBundestag und Bundesrat ha- ben die „Verordnung zur Umsetzung von EG-Einzelrichtlinien zur EG- Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz“ ge- billigt; sie trat am 20. Dezember 1996 in Kraft.
Diese Maßnahmen werden die Arbeitsbedingungen der Betriebsärz- te und die an sie gestellten Anfor- derungen in den nächsten Monaten und Jahren verändern, obwohl das
„Arbeitssicherheitsgesetz“ inhaltlich kaum revidiert wurde.
Wichtigste Regelung des Arbeits- schutzgesetzes ist § 5, in welchem eine systematische „Beurteilung der Ar- beitsbedingungen“ (dem Arbeit- geber) vorgeschrieben wird, ein- schließlich der Dokumentation der Ergebnisse. Der Betriebsarzt wird hier als fachkundiger Berater intensiv gefordert und teilweise auch die Be- urteilung selbst übernehmen müssen.
Im Zusammenhang hiermit stehen die vier Artikel der aufgrund § 19 ArbSchG erlassenen Verordnung, die sich befassen mit „persönlicher Schutzausrüstung bei der Arbeit“,
„manueller Handhabung von La- sten“, „Bildschirmarbeit“ und „Ar- beitsstätten“, in denen auch teilweise systematische Beurteilungen vorge- schrieben sind. Das Gesetz sieht aller- dings für die Ausführenden keine Regelung vor; es spricht lediglich von
„Sachkundigen“, was nicht immer Ärzte sein müssen.
BG: Zusätzliche Aufgabe
Durch die Neuregelung des Rechtes der gesetzlichen Unfallversi- cherung im SGB VII haben die ge- setzlichen Unfallversicherungen eine zusätzliche Aufgabe erhalten: Neben
Verhüten von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten gehört jetzt auch die Verhütung arbeitsbedingter Ge- sundheitsgefahren zu deren Aufga- ben. Der Präventionsauftrag der Un- fallversicherungen ist wesentlich in den Bereich der medizinischen Allge- meinprävention verschoben worden.
Es bleibt zu hoffen, daß auch bald me- dizinisch fachkundige Mitarbeiter der Unfallversicherungen als kompetente Gesprächspartner die Betriebsärzte unterstützen.
Diese Neuerungen waren auch Thema der Herbsttagung des Verban- des Deutscher Betriebs- und Werks- ärzte e.V. in Koblenz und bei der Fachtagung „Dienstleistungen für das 21. Jahrhundert“. Bei beiden Anläs- sen wurde deutlich, daß der Betrieb sich gegenüber dem Betriebsarzt als
„Kunde“ einer hochspezialisierten Dienstleistung sieht. Formales Ab- wickeln vorgeschriebener Einzel- leistungen wird zunehmend nicht mehr als Erbringung der eigentlich geschuldeten Leistung betrachtet. Be- triebe haben immer weniger Ver- ständnis dafür, wenn sich betriebsärzt- liche Tätigkeit in Vorsorgeuntersu- chungen erschöpft. Heute fordern die Unternehmen eine umfassende Bera- tung in allen Fragen an der Schnitt- stelle Gesundheit – Arbeit. Hier ist rasche Anpassung der Betriebsärzte gefordert, denn sie sind als Gesund- heitsberater der Betriebe keineswegs unersetzlich. Vorsorgeuntersuchun- gen werden immer nur Ärzten vorbe- halten sein. Es gibt aber auch andere Berufsgruppen, die sich das zutrauen, was § 3 ASiG darüber hinaus als ange- stammte Aufgabe der Betriebsärzte bezeichnet. Eine Reservierung dieser Aufgaben für Betriebsärzte nimmt das Gesetz nicht vor.
Der Betriebsarzt der Zukunft wird ein umfassend und auch tech- nisch-organisatorisch kompetenter Gesundheitsberater im Betrieb sein.
Wer diesen Weg gehen kann oder schon gegangen ist, wird in den neuen Rahmenbedingungen des Arbeits- schutzes große Chancen finden und seine Position festigen können.
Dr. med. Mathias Dietrich Facharzt für Arbeitsmedizin Haseler Weg 17
26125 Oldenburg
Geänderte Anforderungen an Betriebsärzte
Hier hat das BSG die Therapiefreiheit der Ärzte und die Selbstbestimmung der Patienten mit ihren Sorgen vor Nebenwirkungen des Zahnfüllstoffs über die von den Kassen und Schul- medizinern hervorgehobene Wirt- schaftlichkeit des Amalgams gestellt und die Kassen verpflichtet, auch Kunststoffüllungen zu bezahlen.
Bei der Richtertagung in Kassel forderte Seidler die Mediziner auf, ih- re jahrhundertealten „Standeskämp- fe“ zu beenden. Ohnehin seien viele Methoden gar nicht alternativ, son- dern alte Grundlagen, „die im vergan- genen Jahrhundert aus unserer Medi- zin herausgebrochen worden sind“.
So erlernte die Schulmedizin die ihr abhanden gekommene ganzheitliche
Sicht im Zuge neuer Erkenntnisse über psychisch bedingte Krankheiten (Psychosomatik) mühsam neu.
Auch müsse die Schulmedizin ihren Anspruch aufgeben, alle Wir- kungsmechanismen naturwissenschaft- lich nachweisen zu wollen. Was durch Statistik und „systematische Empirie“
nachgewiesenermaßen helfe, müsse auch anerkannt werden, forderte Seid- ler. Denn für die Patienten gelte oh- nehin die schlichte und alte Formel:
„Wer heilt, hat recht.“ Wer bezahlt, wird allerdings in immer wieder neuen Fällen das Kasseler Bundessozialge- richt entscheiden müssen. Das Thema soll im kommenden Jahr einer der Ent- scheidungsschwerpunkte des hohen Gerichts werden. Martin Wortmann