MEDIZIN
Schlußwort
Der Leserbrief von Asmann und Funke wird nur dann erklärlich, wenn man davon ausgeht, daß seine Verfasser das „Memorandum: Gene- tisches Screening" nicht aufmerksam genug gelesen und/oder mißverstan- den haben. Das Memorandum spricht sich ja gerade dafür aus, auch Ärzte und Nicht-Ärzte ohne vollstän- dige humangenetische Ausbildung in Teilbereiche der genetischen Bera- tung, definiert als „individuelles Be- ratungs-, Untersuchungs- und Infor- mationsangebot" einzubeziehen. Die genetischen Untersuchungen selbst können, anders als Assmann und Funke es formulieren, natürlich nicht dem Gespräch überlassen werden — das macht schon sprachlich keinen Sinn. Von humangenetischem Aktio- nismus und Partikularinteressen kann allein wegen der offenbarten Notwendigkeit zur Kooperation mit anderen nicht die Rede sein. Nir- gendwo im Memorandum, weder un- ter den Punkten 4 und 8 noch an an- derer Stelle, wird gefordert, daß die
„Indikationsstellung zur Durchfüh- rung von genetischer Diagnostik" auf formal ausgewiesene Humangeneti- ker beschränkt werden solle. Eine solche Forderung wäre nachgerade absurd; eine derartige Restriktion ist niemals praktiziert worden und wird von niemandem verlangt. So wurden und werden auch in Zukunft zum Beispiel die „Indikationen" für eine vorgeburtliche Diagnostik von Gynä- kologen oder für die Abklärung eines Stoffwechseldefektes bei einem Neu- geborenen von Pädiatern gestellt.
Assmann und Funke scheinen zu befürchten, daß mit dem Memoran- dum jegliche molekulargenetische Diagnostik ausschließlich an den Facharzt für Humangenetik oder an die entsprechende Fachkunde ge- bunden werden soll. Es war nicht Ab- sicht des Memorandums, eine derar- tige Anbindung überhaupt zu erör- tern; sie erscheint auch nur insoweit sinnvoll, als Genetische Beratung und Individual- oder Erbprognose Ziel der Untersuchung sind, beides schon immer genuine Aufgaben der Humangenetik, für die außerhalb dieses Faches nur ausnahmsweise Fachkunde zu finden ist. Eine Ab-
DISKUSSION
grenzung „rein diagnostischer" Un- tersuchungen erscheint uns nicht möglich, aber wir wären interessiert, hierzu Vorschläge zu erhalten.
Ein weiteres Mißverständnis von Assmann und Funke liegt offenbar darin, daß die das Memorandum vor- bereitende Arbeitsgruppe mit dem Arbeitskreis „Biomedizinische Ethik und Technologiefolgenabschätzung"
identifiziert wird. Die Arbeitsgruppe ist vom Vorstand der Bundesärzte- kammer speziell für die Bearbeitung des Themas „Genetisches Screening"
berufen worden. Der Vorstand der Bundesärztekammer, dem übrigens kein einziger Humangenetiker ange- hört, hat den Textvorschlag der Ar- beitsgruppe sorgfältig geprüft, disku- tiert und ergänzt. Er dürfte einen et- waigen Vorwurf, sich auch nur indi- rekt für Partikularinteressen einer bestimmten Fachrichtung einzuset- zen, vermutlich weit von sich weisen.
Es dürfte nun aber kaum bestrit- ten werden, daß in der genetischen Beratung und Diagnostik tätige Ärz- te — ebenso wie Kinderärzte, Interni- sten oder Ärzte für Laboratoriums- medizin auf ihren Gebieten — fach- lich kompetent sein müssen. Die zu- künftige Gebietsbezeichnung „Hu- mangenetik" soll die Qualifikation für das gesamte Fachgebiet sichern.
Aber fachliche Kompetenz in Teilbe- reichen der Humangenetik werden natürlich auch andere Ärzte erwer- ben können (und müssen, wie As- mann und Funke zurecht bemerken).
In welcher Form eine derartige Fach- kunde nachgewiesen werden soll, muß die Weiterbildungsordnung re- geln, die als solche im Memorandum jedoch gar nicht zur Debatte stand.
Um eventuellen weiteren Mißver- ständnissen vorzubeugen, hier jedoch einige Gedanken zu diesem Thema:
Eine gute Analogie zu der fach- übergreifenden Bedeutung der medi- zinischen Genetik liefert die psycho- somatische Medizin. Psychosomati- sche Störungen können sich nämlich
—ebenso wie die genetisch bedingten
—an so gut wie allen Organsystemen manifestieren, und Kenntnisse über Ursachen und Therapie psychosoma- tischer Erkrankungen sind daher in allen medizinischen Fachgebieten vonnöten. Wenn diese Kenntnisse vorhanden sind, ist es sinnvoll, eine
psychosomatische „Grundversor- gung" auch den niedergelassenen Arzten jedweden Gebietes anzuver- trauen. Eine solche Regelung würde weder mit einer Gebietsbezeichnung
„Psychosomatische Medizin" noch mit einer Zusatzbezeichnung „Psy- chotherapie" in Konflikt geraten müssen. In ähnlicher Weise könnte jeder niedergelassene Arzt ein Grundverständnis in medizinisch-ge- netischen Problemstellungen erwer- ben und entsprechend praktisch-dia- gnostisch und beraterisch tätig wer- den; sobald er in seiner Kompetenz im Einzelfalle überfordert wäre, könnte er an den Arzt für Humange- netik überweisen. Die Analogie zwi- schen der Humangenetik und der psychologischen Medizin läßt sich noch weiter treiben, wenn man be- denkt, daß im letzteren Bereich Psy- chologen im Delegationsverfahren an der ärztlichen Versorgung beteiligt werden können und dies ganz ent- sprechend zum Beispiel für Biologen mit entsprechender Ausbildung in Humangenetik gelten könnte.
Erfreulich ist es jedoch letzten Endes, daß eine breite Zustimmung der Ärzteschaft zur Notwendigkeit einer umfassenden vorherigen Bera- tung aller Menschen, die sich einer prädiktiven genetischen Diagnostik unterziehen wollen, erwartet werden kann. Wir sollten nun, wie schon im Memorandum gefordert, gemeinsam daran gehen, die Umsetzung von Be- ratung und Diagnostik zu strukturie- ren und dabei, im Interesse unserer Patienten, die bestmögliche Qualität sichern.
Prof. Dr. med.
J. Schmidtke, Hannover Frau Prof. Dr. med.
T. Schröder-Kurth, Heidelberg Prof. Dr. med. W. Vogel, Ulm PD Dr. med. G. Wolff, Freiburg Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer Herbert-Lewin-Straße 1 W-5000 Köln 41
A1-1680 (58) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 22, 4. Juni 1993