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Archiv "Vom „Fach“ und „Facharzt“ für Psychotherapie: Schlußwort" (18.11.1976)

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Aufsätze • Notizen

„Fach" Psychntherapie

rapie') fehlen, oder darauf, daß Pa- tientenbehandlung ja sehr oft auch das Ziel hat, eine Verschlimmerung zu verhindern und den status quo erträglich zu gestaltere Zweifel an der Effizienz von Methoden müssen mit sachlichen und statisti- schen Argumenten unterstützt wer- den, sollen sie Anlaß zu Kritik sein.

Ähnlich deplaziert sind Mitteilun- gen über einzelne Fehldiagnosen, die mehr zu sorgfältigerem Diagno- stizieren auffordern als die Ergeb- nisse von Therapiemethoden in Frage stellen.

Zur Gebührenordnung

Hier versucht Weinberger 1975 dar- zustellen, daß der Honoraran- spruch der Psychotherapeuten ver- gleichsweise mit Nerven- und All- gemeinärzten zu hoch sei, während er 1974 in dieser Zeitschrift von den selben Gebühren behauptete, daß sie nicht die Hälfte der Un- kosten deckten 9)! „Dabei liegen die Psychotherapeuten", wie Bräuti- gam") berichtet, „mit ihrer perso- nengebundenen und zeitintensiven Tätigkeit beim Fehlen jeder Sach- leistungen nach den Feststellungen der Kassenverbände in ihrem mo- natlichen Einkommen erheblich un- ter dem Durchschnitt der deut- schen Ärzte, auch der Nervenärz- te." Während Nervenärzte in Frei-

D. Beck und L. Lambelet, Resultate der psychoanalytisch orientierten Kurzthera- pie bei 30 psychosomatisch Kranken.

Psyche 26:265-285 (1972); D. Beck, Die Kurzpsychotherapie. Huber, Bern 1974 (mit weiteren Hinweisen) und D. H. Ma- lan, Psychoanalytische Kurztherapie, Hu- ber/Klett, Bern/Stuttgart 1967.

3) Prophylaxe und Psychohygine vor- nehmlich der christlichen Religion zu überlassen, hieße diese mißzuverstehen, Sein Reich ist nicht von dieser Welt!

9) F. Weinberger, Achillesferse Psychia- trie, DA 71:1716-1717 (1974): „Man fes- selt den niedergelassenen Nervenärzten und Psychotherapeuten mit grotesken Restriktionen (Gutachterverfahren, Aus- schluß der Leistungsübertragung an an- dere Fach- und Assistenzkräfte) und mit Honorarsätzen, die gerade die Hälfte (!) der Unkosten aufwiegen, die Hände und macht ihnen dann zum Vorwurf, daß sie nicht weit genug reichten."

10)W. Bräutigam, Psychiatrische und Psy- chotherapeutische Versorgung psy- chisch Kranker, Nervenarzt 46:600-602 (1975).

11)M. Pohlen (1972), R. Degkwitz (1973).

burg (Breisgau) bei einer ver- gleichsweise hohen „Psychothera- peutendichte" befürchten, daß es bald zu wenig Arbeit für alle gäbe, bemängelt offensichtlich Kisker im Norden unserer Republik, daß ab- sichtlich wenig Psychotherapeuten ausgebildet würden, um bessere Preise zu erzielen").

Nach dem hier Vorgebrachten kommt die Frage nach dem Motiv eines solchen „Diskussionsbeitra- ges". Wohin zielt die irreführende Behauptung, daß Psychotherapie und Psychosomatik schon längst und immer integraler Bestandteil der Medizin und besonders der Psychiatrie gewesen sei (das Ge- genteil beklagen so führende Psychiater wie J. E. Meyer, F.

Specht und H. Lauter im Nerven- arzt 46:603 [1975])? Sie zielt nicht auf den Erwerb einer neuen oder zusätzlichen Fachkompetenz, eher wohl auf die zitierten Ziffern 758/759 der Gebührenordnung BMÄ, die dann aber noch wie die übrigen psychiatrischen Leistun- gen ohne Gutachterverfahren der Assistenzkraft überantwortbar sein sollten, wie es Weinberger 1974 forderte).

Die Integration von Psychothera- pie, Psychoanalyse und Psycho- somatik in die Medizin und beson- ders in die Psychiatrie ist ein von vielen gewünschtes Ziel"), das aber nur möglich wird, wenn das zu Integrierende klar und im Ver- ständnis der Medizin greifbar ist, wozu die Konstituierung eines Facharztes nur hilfreich sein kann.

„Seele und Gehirn" werden da- durch genausowenig zerrissen wie etwa durch den Facharzt für Neu- rologie; die Fachkompetenz wird zwar enger, aber effektiver und so für die gesamte übrige Medizin von höherem Nutzen; weshalb soll das für die Psychotherapie nicht gel- ten? Diese soll, wie Schrenk sich einmal ausdrückte, wie eine Schicht im Kuchen der Medizin verteilt sein, in jedem Stück geson- dert vorhanden und nicht wie ein paar zufällig verstreute Rosinen. Si- cher kann auch innerhalb von fünf bis sechs Minuten ein Arzt psy-

chotherapeutisch wirksam werden (Balint), das heißt aber nicht, daß dafür keine fachlich geschulte Kompetenz erforderlich wäre. Folgt hier der Arzt mehr „seinem Her- zen" (Weinberger) oder betreibt er als „hilfsbereiter Mensch" eine aus

„persönlicher Kapazität" gespeiste

„seelische Betreuung und Füh- rung" (Bresser) (so könnte ein allgemeines Postulat ethischer Grundhaltung für ärztliches Han- deln lauten), so wird aus der „Dro- ge Arzt" (Balint) ein wissenschaft- lich und fachlich ungeprüftes Prä- parat, bestenfalls ein unschädli- ches Placebo.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Florian Strasser Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Kaiser-Joseph-Straße 239 7800 Freiburg im Breisgau

Schlußwort

Immerhin ist Strasser „ Fach"-Re- präsentant, seine Gegendarstel- lung nicht nur in der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft

„mit den Kollegen" (nicht unbe- dingt mit Ärzten) „abgesprochen", sondern tendenziell, teils auch sub- stantiell im Enquete-„Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland" ent- halten, der seit November 1975 als

„Unterrichtung durch die Bundes- regierung" der Öffentlichkeit vor- liegt'). I>

1) In diesem „Bericht zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomati- schen Versorgung der Bevölkerung"

sind auf zwei Bände verteilt (im folgen- den mit I bzw. II markiert), auf über 1600 Seiten, auf über drei Kilogramm Papier die Arbeitsergebnisse von rund einhundertfünfzig Sachverständigen, großenteils psychiatrischer, psycho- therapeutisch/psychosomatischer Promi- nenz ausgebreitet, von Fach- und

„Fach"-Verbänden „grundsätzlich be- grüßt", von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde (Christiani) etwa als „wertvollste Ana- lyse", „Meilenstein", als „fruchtbares Ergebnis" — das freilich nicht nur an Umfang alle bisherigen sozialistischen Betreuungspläne übertrifft.

(2)

„Fach" Psychotherapie

„Fach"- (wie „sach"-)verständig, wo Kränkung, Ängstigung, Restau- ration, unsachliche Polemik und hungrige Motive sind, wo aber Be- geisterung und Neuerung und Emanzipation — Dialektik nicht zu- letzt.

Nochmals zu den Kernpunkten der Auseinandersetzung, zur Wissen- schaftlichkeit der Psychotherapie zuerst. Zuerst dazu die Stimmen, auf die Strasser sich beruft und die großenteils auch ihm gleich im Rösselsprung zur Wissenschaft- lichkeit gelangen — sofern sie nicht wie Popper, den Strasser auch aufruft, ausdrücklich die Unwissenschaftlichkeit der Psycho- analyse deduzieren.

Dührssen mit einer „später gege- benen Antwort" zur „psychosoma- tischen Medizin": „Hier vereinen sich Psychoanalytiker, Psychiater (Philosophen), klinische Psycholo- gen, Endokrinologen, Pharmakolo- gen und Kliniker der verschieden- sten Fachdisziplinen (wo keiner et- was rechtes weiß, wird vielfach gern das „Team" bemüht — der Verf.) in ihren Bemühungen, gesi- cherte Forschungsergebnisse zu erarbeiten. Der Begriff psychoso- matische Medizin ist dabei ein we- nig umstritten..." 2)

Thomae und Kaechele: „... Die Geschichte der Psychoanalyse selbst läßt bis in die jüngsten Aus- einandersetzungen unter Psycho- analytikern hinein erkennen, wie offen und ungesichert ihr wissen- schaftliches Selbstverständnis ist... Die Praxis spiegelt die Un- vollkommenheit der Theorie..."

Perrez: „... konnte gezeigt wer- den, daß die psychoanalytische Theorie einerseits eine Fülle von Ansätzen in Richtung wissenschaft- licher Erklärung enthält, die aber andererseits auf weite Strecken den formalen wissenschaftlichen Kriterien nicht entsprechen kön- nen." Und als Bilanz ein Zitat: „Not all sciences are born like Minerva, fully armed; some sciences have to go through a process of growth.

Psychoanalysis is in the stage of

adolescence but there is no reason to suppose that it will not grow up and out of its troubles."

Und Habermas, der aus Zuneigung der Psychoanalyse statt naturwis- senschaftlichen Gebarens „Selbst- reflexion als Wissenschaft" emp- fiehlt, attestiert ihr freundlichst

„szientisches Selbstmißverständ- nis".

Bleibt Strassers „speziellem theo- retischen Konzept" nur noch aus den vereinzelt wohl auch Richtiges enthaltenden Enquete-Erhebungen

2) Ähnlich umstritten fast alle „Fach"-be- griffe einschließlich Platons „Psycho- therapie" und selbst Freuds „Psychoana- lyse", um deren rechtmäßigen Besitz nicht nur in Deutschland mehrere Schulen lebhaft streiten, im wesentli- chen „in den Bemühungen vereint", möglichst weitfassende, möglichst wis- senschaftlich klingende Begriffe mit ih- ren Dogmen zu besetzen. Aus multipro- fessionellen Mutmaßungen gewoben auch jene „Psychohygiene", die als un- wissenschaftlich 1937 bereits vom Hy- gienekomitee des Völkerbundes verwor- fen, bei vielfacher Verwendbarkeit viel- fach wieder (bei Strasser wie in der

Enquete) verwendet wird.

3) Ratio hätte auch dem Punkt „Irrationa- les" angestanden, Grundanliegen und Crux der Psychoanalyse immer schon.

Weder ist Irrationales gleich „Subjekti- ves und Emotionales", noch deckt es sich mit der „Beobachtungsvariablen", noch wird es durch „Reflektieren z. B.

in Balint-Gruppen" zuverlässig rational.

Eher wird Irrationalem dabei nach Wyss Ratio unterschoben. Vor allem aber beinhaltete das erwähnte Zitat Eriksons nicht, wie es Strasser hinzu- stellen sucht, „Irrationales in der direk- ten Beobachtung" als legales For- schungsgebiet oder Vorkehrung gegen- über „Wahrnehmungs- und Fehlermög- lichkeiten". Vielmehr spricht Erikson von der „irrationalen Beteiligung des Beobachters", (wie auch des Mittei- lungsempfängers) quasi als „bedeuten- den Teil ihrer Fachkompetenz" und Wissenschaftlichkeit — für eine Bewe- gung, die ausgezogen ist, das Irrationa- le ans Licht der Wissenschaft zu heben, eigentlich der Offenbarungseid.

4) Daß gerade sie den Menschen übersieht und am Symptom und psychologischen Konstrukt kuriert, der Vorwurf hat die Psychoanalyse selbst schon und mit gu- ten Grund erreicht (Bresser, Wyss und andere). In jeder ärztlichen Be- handlung wollen Mensch und Krank- heitssymptom, Ganzheit und Detail — die Akzente von Fall zu Fall verschie- den — gemeinsam gesehen und auf einander rückbezogen werden. Mensch und Krankheitssymptom, psychischen und somatischen Aspekt in ihnen ge- geneinander auszuspielen, mag psycho- somatischer Konflikt- und Profilie- rungsstrategie entsprechen, bleibt aber (so frei spricht manchmal Degkwitz)

— „unsinnig".

hinzuzufügen (II, S. 930), „... daß fast alle vorgeschlagenen Bezie- hungen zwischen Patientenkatego- rien bzw. nosologischen Einheiten und Behandlungsverfahren kontro- vers sind. Liest man entsprechende Literatur über die Schulen hinweg, so ergibt sich in der Tat auf die- sem Gebiet keine Frage ..., die in irgendeinem Sinn nicht kontrovers wäre..." — wie es im Forumbei- trag vom „Fach" Psychotherapie bereits geheißen hat.

„Die Widersprüche, die Weinber- ger ... sieht", sehen also, auch wenn Strasser nichts sieht, andere, selbst „Fachvertreter", auch. Daß diese Widersprüche, Selbstmißver- ständnisse vor einer „Disziplinie- rung der Psychotherapie zum me- dizinischen Fachgebiet" halbwegs ausgeräumt sein sollten, das frei- lich sehen sie meist nicht, und Strasser sieht in der Forderung gar einen „offenen Widerspruch" 3). Es scheint, es hoffen manche, daß ein Facharzttitel in ihren Köpfen Ord- nung schafft, wo es ihnen selbst bislang mißlang. Freilich scheint es noch mehr, als läge ihnen am meisten daran, Unordnung in Köp- fen „fachärztlich" zu fixieren, um

„troubles" in der Medizin zu ma- chen.

„Ansätze in Richtung wissenschaft- licher Erklärung" (Perrez) stehen außer Frage. Im Augenblick nur, in dem sie — wie „fachüblich" — ihre Beschränkung auf Ansätze verges- send als („Kunst und) Wissen- schaft" und gar mit Ganzheitsan- spruch") auftreten, sind sie schon nicht mehr, und zwar nicht einmal mehr ansatzweise Wissenschaft, sondern ihr Trugbild, Pseudowis- senschaft vom Menschen und sei- ne Reduktion zum psychologischen Homunculus; entsprechend ihre Wiedergabe und Aneignung dann keine Ausbildung mehr, sondern eine Indoktrination, und ihre An- wendung keine Therapie mehr, sondern ein Mysterium.

Gleichgültig ob von natur- oder gei- steswissenschaftlichen, idealisti- schen oder materialistischen An- sätzen, von Verstehen oder Erken-

3044 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Tabelle 1

Statistische Daten

Gruppe Anzahl

der Patienten

Mittel- Streuung werte der

Kranken- haus- aufenthalte Neurotiker im Jahrfünft

vor der PSA

Neurotiker vor der Anamnese im Jahrfünft vor 1958

Neurotiker auf der Warteliste im Jahrfünft nach 1958

125 26,09 26,87

125 5,9 14,16

100 25,55 30,40

100 23,91 28,65

100 10,04 18,20

100 11,7 19,45 Neurotiker im Jahrfünft

nach der PSA

AOK-Versicherte im Jahrfünft vor 1958

AOK-Versicherte im Jahrfünft nach 1959

Aufsätze • Notizen

„Fach" Psychotherapie

nen, von ärztlichem oder nichtärzt- lichem Boden abhebend, ergeben die privat-philosophischen Amplifi- kationen') solcher an sich wertvol- len Ansätze, selbst wenn sie aus wissenschaftlichsten Mündern kommen, pseudowissenschaftliche Erbärmlichkeit, wie etwa jene Paw- lows, „... daß man diese Seele in die Hände nehmen, sie im Labora- torium greifen, daß man an Hunden die Gesetze ihrer Tätigkeit aufklä- ren kann".

Um Degkwitz (in der von Stras- ser erwähnten Arbeit) zu zitieren (Zitate freilich haben Unvollstän- digkeit an sich), müssen wir uns

„stets im klaren darüber sein, daß alles mittelbare Verstehen mit allen unseren dafür zur Verfügung ste- henden Bezugssystemen oder an- ders ausgedrückt mit aller Wissen- schaft den Menschen nie erreichen werden. Eine umfassende Erkennt- nis dessen, was der Mensch ist, ist nur Übermenschen möglich..." — dem Autor Strasser, der Bundesre- gierung 6) und einigen von ihr lan- cierten „Sach"-verständigen viel- leicht.

Nun zur Wirksamkeit:

Die „lange Reihe katamnestischer Arbeiten" Bergins kann im Anhang

5) Eine von ihnen, Freuds Psychoanalyse, hat nach Habermas „die Psychologie erst zur Wissenschaft gemacht". Seit- dem sagen Tiefen- und andere Psycho- logen, die Ärzte, Psychiater einge- schlossen, verstünden von der Seele nichts. Neuerdings freilich gefallen sich Psychiater, es Psychologen gleichzutun.

Praktische Ärzte beziehungsweise Ärzte für Allgemeinmedizin — („... müssen in der Lage sein ... unter Umständen selbst, wenigstens in gewissem Umfan- ge, psychotherapeutisch tätig zu wer- den ...") sind — sagt die Enquete (I, S.

6) — „für die ihnen auf dem Gebiet der Versorgung psychisch Kranker und Be- hinderter zukommenden Aufgaben nicht ausreichend befähigt."

6) „Wenn Regierungen sich ja mit den An- gelegenheiten der Gelehrten zu befas- sen gut befinden, so würde es ihrer weisen Fürsorge für die Wissen- schaft ... weit gemäßer sein, die Frei- heit einer solchen Kritik zu begünsti- gen, als den lächerlichen Despotismus der Schulen zu unterstützen, welche über öffentliche Gefahr ein lautes Ge- schrei erheben, wenn man ihre Spinne- weben zerreißt ..." (Immanuel Kant, Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft).

des Enquete-Berichts (11, S. 934) nachgelesen werden. Sie scheint selbst jene Sachverständigen so überzeugt zu haben, daß der Hauptteil (I, S. 142 sowie 294) mehr auf den „katamnestisch belegten Erfolg" eines (einzigen) Instituts, des „Zentralinstituts für psychoge- ne Erkrankungen der AOK Berlin"

bzw. auf eine einzige aus dem Jahr 1965 stammende Arbeit von Dührs- sen und Jorswieck Bezug nimmt.

In ihr, quasi der solidesten Erfolgs- statistik, die das „Fach" rundum vorzuweisen hat, haben die Auto- ren von großen Erfolgen berichtet:

Bei 125 „Neurotikern" hatten sie die Zahl der Krankenhausaufent- halte über die Zeitdauer eines Jahrfünfts vor und nach Psycho- analyse verfolgt und miteinander verglichen, hatten diese Zahlen je- nen einer unbehandelten Kontroll- gruppe gegenübergestellt und hat- ten schließlich die Werte beider Gruppen mit den Krankenhausauf- enthalten einer nach dem 'Zufalls- prinzip ausgewählten „Durch- schnittsgruppe" aller AOK-Versi- cherten verglichen. Sie kamen da- bei zu den in Tabelle 1 dargestell- ten Ergebnissen.

Erstaunlich die Erfolgszahlen. Er- staunlich auch, wie einfach sie ge-

wonnen worden sind. Ist doch nach Strasser „die Erfolgsbeurteilung in der Psychotherapie sicher eine be- sonders schwierige und nicht opti- mal gelöste Aufgabe". Nun zeigt sich, daß das Ei des Columbus hier seit über zehn Jahren bereits ent- deckt ist. Der Computer jeder Krankenversicherung müßte den Psychotherapieerfolg nach Dührs- senschen und Enquete-Kriterien jederzeit im Handumdrehen über- prüfen können. — Seit über zehn Jahren aber sind die Zahlen, die (angeblich) den Erfolg der Psycho- analyse zeigen und die tatsächlich das Selbstverständnis der Medizin umwerfen könnten, Zahlen, von de- nen wesentlich nun ein Facharzt- anspruch abgeleitet wird, unüber- prüft geblieben — weil AOK-Stati- stiken a priori Zweifeln enthoben sind (?).

Immerhin stehen Untersuchungen im Raum, die vergleichbar ange- legt, ein ganz anderes Bild entwer- fen. Eine zitiert (von Strasser be- müht) Malan: „Täuber und Powers (1953) berichten von einem Experi- ment, bei dem 325 Jungen aus un- günstigem sozialen Milieu (under- privileged) in einem Zeitraum von durchschnittlich vier Jahren indivi- duelle Führung und Beratung er- hielten in der Hoffnung, dadurch

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10,7 21,3 17,3 26,7 24,0

3,3 20,0 16,7 36,8 23,2 Tabelle 2 Ergebnisse der Psychotherapie bei Psychoneurotikern

Ergebnisse Abschätzung 0/0 der zudeckend 90 der aufdeckend

behandelten Kran- behandelten Kran- ken (Stokvis) ken (Carp) Sozial sehr gut angepaßt

Sozial gut angepaßt Sozial genügend angepaßt Sozial zweifelhaft angepaßt Kein Erfolg oder verschlimmert

dem Straffälligwerden vorzubeugen.

Die Berater waren Psychoanalyti- ker und Therapeuten; sie arbeite- ten zeitweilig unter der Leitung ei- nes Kontroll-Psychoanalytikers.

Diesen Jungen wurde eine Kontroll- gruppe von 325 Jungen zugeord- net, die keine Beratung erhielten.

Bei Abschluß des Experiments wa- ren die Berater der Meinung, daß bei zwei Dritteln (siehe unten — der Verf.) der behandelten Jungen eine günstige Beeinflussung er- reicht worden war. Das abschlie- ßende Ergebnis des Experiments war, daß 96 Jungen in der Ver- suchsgruppe insgesamt 265 mal wegen Straftaten vor Gericht stan- den, gegenüber 92 Jungen der Kontrollgruppe, die insgesamt 218mal straffällig geworden wa-

ren."

Einige Unebenheiten in Dührssens katamnestischen Ergebnissen scheinen sogar im Enquete-Bericht auf, der vereinzelt ja wohl auch Richtiges enthält (II, S. 832, Gut- achten Göllner): „Die hier gegebe- ne Aufstellung ... (auf die Aufstel- lungen Dührssens stützt sich gleich- wohl die Enquete-Empfehlung ei- nes weitgespannten, milliardenteu- ren psychotherapeutisch/psycho- somatischen Versorgungsnetzes — der Verf.) stellt ein Kuriosum dar:

In der optisch zunächst ins Auge fallenden Tabelle werden null Pro- zent ungebesserter Fälle angege- ben (von 845), während im Text quasi nebenbei (in einer Klammer!) von zwanzig Prozent ungebesser- ten gesprochen wird. Deutlicher kann sich die Absicht, Positives zu demonstrieren, kaum noch äu-

ßern..."

Als (angebliche) Bilanz der Ergeb- nisse verschiedener Autoren, unter anderem von Stokvis (siehe un- ten) kommt freilich dann auch Göll-

ner zu einer Erfolgsversion: „Ein Drittel der Fälle wird als wesentlich gebessert (oder gehellt) klassifi- ziert, ein weiteres Drittel als gebes- sert und schließlich das letzte als nicht gebessert", eine vielfach be- liebte Aufteilung (vgl. Malan), hin- ter der bereits Widok, wieder ein Kronzeuge Strassers, „Mechanis- men im Sinn eines unbewußten Symmetriebedürfnisses" vermutete.

Widok fand vielleicht sogar, was es mit Strassers „vergleichsweise umfassend erbrachtem Erfolgs- nachweis" auf sich hat: „... W.

Stekel [der laut Freund „so ver- wahrloste" — der Verf.] beispiels- weise hatte praktisch nur Erfolge [andere offensichtlich auch — der Verf.], der späte Freud aber wurde zunehmend pessimistischer ..."

7) Was die entsprechenden Untersuchun- gen für die analytische Gruppentherapie betrifft, so sind sie sicher vergleichbar

— wenn das „Odium der Subjektivität"

(Dührssen) Tertium comparationis ist.

Ähnlich unausgewiesen freilich auch vieles, was Psychiater, auch einige „so führende", etwa unter dem Motto „So- zialpsychiatrie" für nützlich und not- wendig erklären, etwa im Enquete-Be-

richt.

8) Von seiten der Krankenversicherung hat Lehming jüngst das von mir nicht be- zweifelte, einwandfreie Honorarverhal- ten freipraktizierender Psychotherapeu- ten belegt — „oral-ausbeuterischer Ge- genübertragung" zum Trotz, die ihnen nicht nur von Kisker, sondern „fachin- tern" zum Beispiel von Dührssen (wie mir von Strasser) unterschoben wird.

Strittig allerdings, ob und um wieviel höher „fachpsychotherapeutische" Be- handlungszeit, die selbst nach Strasser

„keine höheren Wahrheiten" ergibt, be- wertet werden soll. — Das 1974 gestreif- te Honorar-Unkostenproblem bezog sich (ich dachte eindeutig) auf freipraktizie- rende Nervenärzte und Psychotherapeu- ten, weniger auf solche, die von den Unkosten berührt zu werden, kaum Ge- fahr gelaufen sind. Nach Übertragung gewisser Leistungen in der psychiatri- schen Versorgung auf „Nichtärzte" wird links, entsprechend im Enquete-Bericht am lautesten gerufen. Daß dies, soweit notwendig, unter ärztlicher Verantwor- tung geschehe, dafür plädierte ich. Der Rest ist Strassers Unterstellung.

Auf die Gefahr hin, daß ihnen Strasser noch posthum die Kom- petenz abspricht: Auch andere wurden es, Stokvis etwa, der die Ergebnisse der Psychotherapie, wie er sie sah, in Tabelle 2 wieder- gab.

Die Tabelle, nach der Strasser zu- mindest „vergleichbare Untersu- chungen" für die „kleine Psycho- therapie" nicht mehr vermissen muß'), könnte fast zeigen, daß die Zahl der „sehr guten" Erfolge mit vergleichsweise kurz - billig - an- spruchslosen, „zudeckenden" Ver- fahren (zum Beispiel Autogenem Training) fast dreimal so hoch wa- ren wie die der „großen", psycho- analytischen.

Wie es aber um die Stichhaltigkeit der Statistiken auch bestellt sein mag, „des Kaisers neue Kleider"

probierten nicht alle. Stokvis schließt: „ Im großen und gan- zen ergibt sich, daß die Erfolge der Psychotherapie nicht erfreulich groß sind. Es hat wenig Zweck (es hat natürlich weitreichend-politi- schen Zweck; komplette Weltan- schauungen, die Manipulierbarkeit des Menschen hängen daran! — der Verf.), die Erfolge zu verschö- nern; in vielen Fällen sind die Re- sultate bedauernswert klein und nicht selten sogar nihil ..."

Da nicht die Beweispflicht verkeh- ren, „Mitteilungen über einzelne Fehldiagnosen" nicht „deplaciert"

nennen? Köhnlechner und Guru Maharishi Mahesh Yogi und andere Experten für psychosomatische Er- krankungen mögen es vermerken:

„Zweifel an der Effizienz von Me- thoden müssen mit fachlichen und statistischen Argumenten unter- stützt werden" — anderenfalls jetzt amtliche Gebührenordnungszif- fern 8) und demnächst nach Stras- 3046 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Aufsätze • Notizen

„Fach" Psychotherapie

ser und Kollegen und Enquete noch Facharzt-(Gebietarzt-)Titel fäl- lig sind!

Psychoanalyse, die „als Theorie akzeptabel wäre, wenn sie zeigen könnte, daß sie hinreichend wahr ist, als Technik, wenn sie zeigen könnte, daß sie wirksam genug ist"

(Bunge nach Perrez), hat weder das eine noch das andere glaub- haft bislang gezeigt 9). Die „Selbst- verständlichkeiten menschlicher Beziehungen in Frage stellen" und

„andere Wahrheiten" erfinden, das freilich konnte sie. Sie kann

„Selbstverständlichkeiten im mit- menschlichen Umgang des Arzt- Patienten-Verhältnisses" — „unre- flektiert" heißen und in Lernzielka- talogen (vgl. Bresser sowie Beck- mann, Bräutigam und Siegrist) so- wie „danach aufgebauten" „Lehr- büchern der medizinischen Psycho- logie" bereits bestimmen, was Reflektieren ist und was und wie jetzt reflektiert zu werden hat.

Mit „unbefragter Realität des Hochschulunterrichts, die durch eine Ideologie des Wissens und des Leistungsanspruchs geprägt war", ist da Schluß, mit der „so traumverlorenen und selbstverges- senen Institution" der Medizin des- gleichen. „Derzeitiger Stand wis- senschaftlicher Erkenntnis" für den

„Basisarzt" sind jetzt die „Dialektik der Erkenntnisperspektiven", der Krankheits-„Konflikt"-Charakter, die „Gleichwertigkeit von Orgas- men" und selbstverständlich die

„Hilflosigkeit der Intelligenz, ge- sellschaftliche Veränderungen — sei es durch Reform oder Revo- lution — durchzusetzen" — „Tat- sache, daß Patienten ohne diese Reflexion nicht mehr gesund wer- den" — sagt der Vorsitzende der Allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP), sagen seine Koautoren, Enke, Enke- Ferchland, Malzahn, Pohlmeier, Speierer und von Troschke.

Psychoanalyse, bourgeoise genug, um weiter östlich verboten zu sein, ist hier dennoch und vielleicht ge- rade deshalb zum „Schuhlöffel für Systemveränderer" geworden

(Bachmann). Dialektik"), „Wissen- schaft" wie Marx' und Engels' So- zialismus und als „Neuerung" fast so alt wie er, hat sie mit ihm manchmal konkurrierend oft auch

— von „einem" ihrer Vertreter kann keine Rede sein — parallel gewirkt: Parallel Konflikttheorien, die das menschliche Zusammenle- ben auf Besitz- bzw. Sexual-„Moti- ve", Egoismen reduzieren, Motive von Macht und Geltung, besonders eigene, gern übergehend. Parallel die Relativierung der Wertkategori- en von „Gut" und „Böse". Nicht nur — „der Kommunismus konnte uns allen suggerieren, daß diese

9) Allerdings behaupten jetzt auch Sach- verständige, behauptet die Elite derzei- tiger deutscher Psychiatrie (Enquete I, S. 64): „Umfangreiche katamnestische Untersuchungen bestätigten die Wirk- samkeit analytischer Behandlungsme- thoden ..." und behaupten zur Begrün- dung und Entwicklung eines „psychoso- zialen" „Versorgungssystems" auf rund sechzehnhundert Seiten ähnliche, „an- dere (Un-)wahrheiten" weiter.

10) „Die praktisch unbegrenzte Manipulier- barkeit der Dialektik ist bereits Goethe aufgefallen. In einem von Eckermann aufgezeichneten Gespräch, das am 18.

Oktober 1827 zwischen dem Weimarer Dichterfürsten und Hegel stattgefunden hat, kamen die beiden auf das Wesen der Dialektik zu sprechen. „Es ist im Grunde weiter nichts", sagte Hegel,

„als der geregelte, methodisch ausge- bildete Widerspruchsgeist, der jedem Menschen innewohnt, und welche Gabe sich groß erweiset in der Unterschei- dung des Wahren vom Falschen." —

„Wenn nur", fiel Goethe ein, „solch gei- stigen Künste und Gewandtheiten nicht häufig gemißbraucht und dazu verwen- det würden, um das Falsche wahr und das Wahre falsch erscheinen zu ma- chen!" „Dergleichen geschieht wohl", erwiderte Hegel, „aber nur von Leuten, die geistig krank sind"

(Topitsch).

11) Das sind die Enquete-Reform-Schwer- punkte:

1. Die psychiatrischen Begriffe werden sozio-psychologisch ausgewalzt, verne- belt, so alle Wechselfälle menschlichen Lebens und dieses Leben selbst umfaßt.

2. Für die umfaßten und fiktiv ver- mehrten „psychisch Kranken" (vgl. „Je- der Dritte ist ein Chinese", DÄ 18, 1214, 1976) werden „bedarfsgerecht" fiktive

„Fachkräfte" kreiert, ihnen mit „speziel- len Wahrnehmungstrainings" die „for- malen wissenschaftlichen Kriterien", mit ihnen aber auch die Möglichkeit der ge- genseitigen Beurteilung wie der thera- peutischen Verantwortung genommen.

3. Die umfaßte Bevölkerung und die neuen, um Verantwortung und Urteilsmöglichkeit gebrachten „psy- chosozialen" Betreuer werden — ir- gendwo müssen Verantwortung, Koordi- nation und Urteil sein — an ein mon- ströses, integriert-institutionalisiert- sozialisiertes Versorgungs- und Ver- bundsystem geschlossen.

Begriffe altmodisch und lächerlich seien. Aber wenn man uns die Be- griffe von Gut und Böse nimmt, was bleibt uns dann noch ... das Niveau von Tieren" (Solscheni- zyn). Parallel mit der Relativierung und Ausdehnung des psychiatri- schen Krankheitsbegriffes 10) die Relativierung und Aushöhlung der menschlichen Verantwortung. In Freuds Fiktion und Kernsatz, der Mensch sei „nicht einmal Herr im eigenen Haus, sondern auf kärgli- che Nachrichten angewiesen . . von dem, was unbewußt in seinem Seelenleben vorgeht", haben Sachverständige, Funktio- näre, Schwätzer längst die Handha- be erkannt, sich an seiner Statt in seinem Haus als seine Herren zu benehmen.

Hier hat Freud Hegel fast vollen- det: „Die Menschen (die Anders- denkenden — der Verf.) benahmen sich gegen die Psychoanalyse als Masse genau wie der Neurotiker, den man wegen seiner Beschwer- den in Behandlung genommen hat- te ... Die Situation hatte gleichzei- tig etwas Schreckhaftes und Tröst- liches, das erstere, weil es keine Kleinigkeit war, das ganze Men- schengeschlecht zum Patienten zu haben, das andere, weil sich alles so abspielte, wie es nach den Vor- aussetzungen der Psychoanalyse geschehen mußte." Von daher be- ziehen deutsche (Enquete-)Psychia- ter und die deutsche Bundesregie- rung und ihr Plan") einer „psychia- trischen und psychotherapeutisch/

psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung" die konkrete

„wissenschaftliche" Rechtfertigung ebenso, wie sowjetische Psychiater und die Sowjetregierung sie zu fin- den vermögen.

Akademisch-trocken im Enquete- Anhang die „Informationsreise nach Moskau und Leningrad" (II, S.

1002). Was deutsche Psychiater derzeit empfehlen, „sektorisierte Krankenversorgung", „(außerklini- sche) Ambulatorien", „gesetzlich umrissene", fragwürdige Facharzt- titel, dort freilich finden sie's. Und von einem Serbskj-Institut ver- merkte der Berichterstatter D. von

(6)

„Fach" Psychotherapie

Zerssen, daß es dem Gesund- heitsministerium untersteht — sonst nichts. — Empfehlungen ei- ner Enquete, die arrangiert von re- gierenden Genossen, gemacht von psychiatrischen und „Fach"-Ge- nossen, ein „roter Salat mit grünen Garnierblättern", wie Adenauer solches nannte, ein Stück von Or- wells 1984 programmiert hat.

„Das psychosoziale Spinnen- netz" (DÄ 3, 97, 1976) ist uto- pisch und unbezahlbar zwar, aber so utopisch und unbezahlbar nicht, als daß es „nicht zu realisieren"

wäre (Hippius). Manches, was

„furchtbar" psychiatrischen Gehir- nen entsprungen war, ist Wirklich- keit geworden. Nach Reichsärzte- führerart empfahlen die sachver- ständigen Genossen ihren regie- renden Genossen, „unverzüglich ...

die Verwirklichung der Empfehlun- gen, welche von der Sachverstän- digenkommission vorgelegt wor- den sind, zu verfolgen" (I, S. 30) 12).

Neun Sachverständige von rund einhundertundfünfzig (!) haben in einem Sondervotum von den Emp- fehlungen Distanz gesucht, haben

„Unklarheiten" und „Einseitigkei- ten" der Kommissionsarbeit und ihre Tendenz „im Sinne zunehmen- der Institutionalisierung" kritisiert, haben vom persönlichen Vertrauen als „Fundament jeglicher Thera- pie" gesprochen und sogar die IQ- tegration der Psychotherapie in die Gesamtmedizin als „unabdingbar"

anerkannt - um gleichzeitig das eklatante Gegenteil der Enquete- aussagen eine „konsequente Fortentwicklung" eigener Reform- vorstellungen zu heißen").

Im Berufsverband deutscher Ner- venärzte wurde der Bericht sogar vor seinem Erscheinen schon als

„Grundlage der Bundesgesetzge- bung" akzeptiert (Janke), der Psy- chotherapiefacharzt nunmehr als einer „für psychoanalytische The- rapie") (warum nicht gleich für dialektische oder marxistische The- rapie?) gehandelt. Die Leiter öf- fentlicher psychiatrischer Kranken- häuser haben mitgeteilt, daß sich ihre Ansichten „in wesentlichen

Reformzielen mit den Empfehlun- gen der Enquete", besonders mit den Empfehlungen von Ambulan- zen „decken""). Die wissenschaftli- che Psychiatrie hat die Ungeheuer- lichkeit dieser Enquete, die Irre- führung von Öffentlichkeit und Par- lament „grundsätzlich begrüßt."

Nun, der Deutsche Ärztetag hat 1974 bereits klargemacht, daß sich die Ärzteschaft auch von Psychia- tern nicht zum Narren halten läßt.

Die Systemveränderung — psycho- rabulistisch so verpackt, verschö- nert, daß sie hier fast schon ins

„Blaue Papier" eingedrungen, „Ge- sundheits- und sozialpolitische Vorstellung der deutschen Ärzte- schaft" geworden wäre — hat bis dato nicht geklappt"). Nun muß die Bevölkerung befinden, ob sie das Land von Sozialisten und Psychospezialisten, Fach- und

„Fach"-Vertretern in ein rotes Ir- renhaus verwandeln, sich aber für psychisch krank erklären und ent- sprechend dann behandeln lassen will.

Zum zweiten Mal in einem Jahr- hundert und in einer Zeit, in der sie

12) Am 24. Juni 1976 hat nun eine Bun- destagsmehrheit, gestützt auf die En- quete-Empfehlungen, „Zugzwang" vor- gebend mit dem „Krankenversicherungs- Weiterentwicklungsgesetz" (KVGG) die generelle institutionell-ambulatorische Öffnung der psychiatrischen Kranken- häuser beschlossen; das freiheitlich-so- ziale Gesundheitswesen damit an der

„Achillesferse Psychiatrie" getroffen, die sozialistische Medizin eröffnet — falls auch im Deutschen Bundesrat Enquete-Frechheit siegt.

13) Gilt nur mehr bedingt: Am 3. Juli 1976 haben auf dem 5. Gesundheitspoliti- schen Kongreß der Christlich-Sozialen Union Psychiater, unter ihnen einige der angesprochenen, eindeutig für die persönlichkeitsbezogene, persönlich verantwortete Krankenversorgung auf dem Boden überprüfbarer Wissenschaft Stellung bezogen, haben ein eindeutig freiheitliches, an Würde und Wohlbe- finden des Menschen orientiertes Schwerpunktprogramm zur Verbesse- rung der psychiatrischen Krankenver- sorgung erwirkt.

14) „ ... und es schien ihm nun selbst, als hätte er nichts an. ,Ich muß aber noch aushalten', dachte er, die ganze Pro- zession hindurch!' Und dann hielt er sich noch stolzer und die Kammerher- ren gingen und trugen (dank Strassers ,speziellen Wahrnehmungstrainings? — der Verf.) die Schleppe, die gar nicht da war ..." (H. Ch. Andersen).

besser denn je helfen und heilen kann, ist die deutsche Psychiatrie in den Strudel politischen Schwin- dels gestürzt. Wesentlich beteiligt und auch hierin ihr Bestandteil die Psychotherapie. Theoretische und praktische Beschäftigung mit ihr braucht es dennoch und gerade deshalb umso mehr. Vor Bluff schützt Kenntnis am besten.

Kenntnisse von den Möglichkeiten und Grenzen der Psychotherapie können auch dem Menschen die- nen. Wie soziologische erschließen sie keine höheren oder prinzipiell anderen Wahrheiten und beinhal- ten neue „Weltstücke" (Roessler und Viefhues nicht. Aber sie kön- nen uns als Psychiater, Ärzte, zu- erst wohl als erwachsene Men- schen (als „Drogen" oder „Ku- chenschicht" kaum) in unserer Menschlichkeit bestärken. Und das wiegt die Bemühung, die sie ko- sten, auf.

Es bleibt Freuds Verdienst, in einer Zeit vielfach bedrohter Menschlich- keit neu oder wieder ein Stück weit durchgesetzt zu haben, was wirkt und was viele brauchen, anhalten- de, antriebsfreundliche, aufmerk- sam-einfühlende und das Erleben der Kindheit einbeziehende Zuwen- dung und noch etwas — es liegt in Seiner Vergebung, wo nicht, viel- leicht im psychologisch-mensch- lichen Verstehen: Entlastung von den Wertkategorien, von der Strenge der Ratio und von der Verantwortung, die uns oft drücken, an denen wir oft genug scheitern und die wir dennoch nicht preisge- ben können, weil wir Menschen sind.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med.

Friedrich Weinberger Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Maximilianstraße 6 1360 Starnberg

3048 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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