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Archiv "US-Gesundheitsreform: Obama erfüllt sein wichtigstes Wahlversprechen" (02.04.2010)

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A 586 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 13

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2. April 2010

US-GESUNDHEITSREFORM

Obama erfüllt sein wichtigstes Wahlversprechen

Von einer allgemeinen Versicherungspflicht sollen künftig circa 32 Millionen nicht krankenversicherte Amerikaner profitieren. Außerdem dürfen

Versicherer niemanden mehr wegen einer Vorerkrankung ablehnen.

war in einem politischen Sys- tem, in dem stets große Vorbe- halte gegen „big government“

bestanden, gegen einen zu star- ken, zu invasiven und vor allem durch Steuererhöhungen zu gie- rigen Staat enorm und schien auch diesmal kaum überwind- bar. Die Tatsache, dass wirklich jeder republikanische Abgeord- nete gegen das Gesetzespaket stimmte, zeigt die Polarisierung des politischen Amerika. Auch die emotionalen Ausbrüche, die die monatelange Debatte be- gleiteten und die in dem Zwi- schenruf „Sie lügen!“ eines Republikaners während Oba- mas Ansprache zur Lage der Nation einen unhöflich-un- rühmlichen Höhepunkt erreich- ten, belegen die tiefe Spaltung des Landes.

Kosten: 940 Milliarden innerhalb von zehn Jahren

Die wichtigsten Eckpunkte der Gesundheitsreform: Die Zahl der Amerikaner, die über keiner- lei Krankenversicherungsschutz verfügen, wird drastisch ge- senkt, wahrscheinlich um mehr als 32 Millionen. Außen vor bleiben werden vor allem illega- le, nichtregistrierte Einwande- rer und jene, die lieber eine Strafe zahlen, als sich versi- chern zu lassen. Kleine Unter- nehmer, wie zum Beispiel Handwerksbetriebe, denen bis- lang die Mittel fehlen, um für ihre Angestellten Krankenversi- cherungsbeiträge zu bezahlen, werden Steuervorteile erhalten.

Eine Bestimmung dürfte bei vielen Amerikanern große Er-

H

istorisch. Dieses Attribut markiert Barack Obamas Weg als Politiker jetzt zum zweiten Mal. Nach seinem Wahlsieg am 4. November 2008 wird dem 21. März 2010 die Bedeutung einer epochalen Wegmarke zugesprochen. An jenem Sonntagabend stimmte das Repräsentantenhaus nach langer und teilweise erbitterter Debatte dem Entwurf des Prä- sidenten für eine Gesundheits- reform zu, einem Paket, das in seiner Essenz vor allem die Etablierung einer allgemeinen Krankenversicherung bedeutet.

Historisch ist das Unterneh- men aber auch wegen seines langen Entstehungsprozesses.

Der große Reformer des US- amerikanischen Staats- und Regierungssystems, Franklin Delano Roosevelt (Präsident von 1933 bis 1945) hatte be- reits 1939 den Kongress er- sucht, die gerade eingeführte staatliche Altersversorgung um eine Krankenversicherung für sozial Schwache zu erweitern.

Seither hat sich jeder amerika- nische Präsident mit mehr oder weniger ausgeprägtem sozia- lem Anliegen an diesem Vorha- ben die Zähne ausgebissen. In bester Erinnerung ist hier Bill Clinton, der zu Beginn seiner Amtszeit voller Elan seine Frau Hillary, die heutige Au- ßenministerin der USA, zu sei- ner persönlichen Beauftragten in Sachen Gesundheitsreform machte. Ohne Erfolg.

Der Widerstand gegen eine Reform, die zu einer allgemei- nen Versicherungspflicht führt,

Foto: action press

Historischer Akt: US-Präsident Barak Obama unterzeichnet am 23. März das Gesetz zur Gesundheitsreform. Er hat geschafft, woran viele seiner Vorgänger gescheitert sind.

P O L I T I K

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2. April 2010 A 587 leichterung hervorrufen, die chro-

nisch krank sind oder ein chronisch krankes Kind haben. Denn künftig dürfen Versicherungen Menschen mit solchen „pre-existing condi - tions“ nicht länger ablehnen. Au- ßerdem ist es möglich, Kinder bis zum Alter von 26 Jahren bei den El- tern mitzuversichern.

Die Kehrseite der Medaille sind die Kosten: Innerhalb der nächs- ten zehn Jahre dürfte die Gesund- heitsreform mit circa 940 Milliar- den Dollar zu Buche schlagen, für die vor allem die bessergestellten Amerikaner aufkommen sollen.

„Sozialismus!“ nennen es die Repu- blikaner. Dabei versucht die konser- vative Bewegung der „Tea parties“, die historische Analogie zu den Gründervätern zu instrumentalisie- ren. Diese leisteten von 1773 an (dem Jahr der Boston Tea Party) zu- nehmend gewaltsam Widerstand gegen die als ungerecht empfunde- nen Besteuerungen durch das engli- sche Parlament. Bei den vor allem vom rechtslastigen Fernsehsender Fox ausgiebig präsentierten Protes- ten dieser Bewegung fällt auf, dass ethnische Minderheiten fast völlig fehlen und eine oft ältere weiße Mittel- und Oberschicht dominiert.

Die Kosten, die auf das wohlhaben- dere Amerika zukommen, belaufen sich nach gegenwärtigen Berech- nungen auf 450 Dollar jährlich für Personen mit einem Jahreseinkom- men von mehr als 250 000 Dollar, auf 2 500 Dollar jährlich für Perso- nen, deren Einkommen bei mehr als einer halben Million Dollar liegt und auf 7 200 Dollar für Personen mit einem Einkommen von einer Million Dollar.

Amerikas große Krankenversi- cherer haben das Gesetzesvorhaben bis zum Schluss energisch be- kämpft und werden sicherlich ver- suchen, eine reibungslose Umset- zung zu verhindern. Einige Bundes- staaten wie Texas erwägen Verfas- sungsklagen.

Unterstützung hat Obamas Plan indes durch die Seniorenvereini- gung AARP (American Association of Retired Persons), durch Pharma- und Klinikunternehmen sowie zu- nehmend durch Ärzteverbände er- fahren, wenn sich auch die Ameri-

can Medical Association ein wenig zögerlich erst in der Woche vor der Abstimmung hinter die Reformplä- ne stellte. Die Ärzte können künftig zwar mehr Patienten erwarten, noch ist aber unklar, wie gravierend die Kürzungen für Leistungen des staat- lichen Medicare-Programms ausfal- len werden.

Widerstand der Reformgegner ist ungebrochen

Die Krankenhäuser tragen über zehn Jahre verteilt mit circa 155 Millio- nen US-Dollar zur Umsetzung der Reform bei, indem sie niedrigere Er- stattungsbeträge für ältere Patienten akzeptieren. Der Beitrag der Pharma- industrie wird sich aufgrund von Gebühren und niedrigeren Preisen für Patienten in staatlichen Program- men zwar auf etwa 85 Milliarden Dollar belaufen. Allerdings erwartet man, dass dies dadurch mehr als aus- geglichen wird, dass Millionen bis- lang Nichtversicherte endlich zum Arzt gehen und dieser entsprechend Medikamente verordnet. Auch fällt die Erstattungsobergrenze für ver- schreibungspflichtige Medikamente der Medicare-Empfänger weg. Die Generikahersteller sind hingegen we- niger beglückt über das Gesetz, denn die zwölfjährige Vermarktungsex-

klusivität für teure biologische Wirk- stoffe bleibt unangetastet.

Obama hat das Gesetz zur Ge- sundheitsreform in einem Kraftakt durchgedrückt, doch der Wider- stand wird anhalten. Zunächst ein- mal hat der Präsident an Ansehen gewonnen, denn er hat sein wich- tigstes Wahlversprechen erfüllt. Bei den Republikanern kommen erste Zweifel auf, ob man die Kongress- wahlen im November wirklich zu einer Protestveranstaltung gegen ei- nen Präsidenten wird umfunktionie- ren können, der das geschafft hat, woran seine Vorgänger Franklin D.

Roosevelt, Harry S. Truman, John F.

Kennedy, Lyndon B. Johnson und Bill Clinton gescheitert sind. Oba- ma hat dazu im langen Kampf um die Gesundheitsreform das gezeigt, was bei Amerikas Wählern stets Eindruck macht: Leadership – Füh- rungskraft. An jenem Sonntag im März wurde auch das politische Vermächtnis eines Mannes erfüllt, der mehr als vier Jahrzehnte für eine allgemeine Krankenversicherung gestritten, diese „historische“ Stun- de allerdings nicht mehr erlebt hat:

Edward Kennedy. Der demokrati- sche Senator von Massachusetts starb am 25. August 2009. ■

Ronald D. Gerste

„Victory for Obama“. Enthusiastisch wie diese Schlagzeile der Zeitung USA Today von Mon- tag, dem 22. März, berichteten viele amerika- nische Medien über die Gesundheitsreform.

Die Washington Post stellte die Dramatik der letzten Wochen heraus. Noch vor zwei Mona- ten hatte die Wahl eines republikanischen Reformgegners auf Edward Kennedys alten Senatssitz in Massachusetts wie ein Menete- kel für die Demokraten gewirkt: „61 Tage von Beinahe-Niederlage zum Sieg“.

Die New York Times stellte mit gebührender Distanz fest: „Reform des Gesundheitswesens wird das Gesetz im Lande“, zeigte aber im Leitartikel (das Blatt hatte Obamas Bemühun- gen vehement unterstützt) ein redaktionelles Aufatmen: „Gesundheitsreform, endlich“.

Die den Republikanern nahestehende Wa- shington Times spöttelte: „Gesunde Steuerer-

höhungen, nicht nur für Reiche.“ Und in einer Unterzeile werden Zweifel genährt: „Die histo- rische Reform stößt auf skeptische Wähler.“

Auch der Blick in die Zukunft zeigt, dass die Krankenversicherung weiter ein Thema blei- ben wird: „Wahlen im Herbst werden Gesund- heitsreform auf die Waage stellen“ (Washing- ton Post).

In Regionen mit einem hohen Anteil Nichtver- sicherter wurde die Verbesserung der Situati- on in den Vordergrund gestellt wie von der Zeitung Modesto Bee im Zentrum des soge- nannten Golden State: „Für Millionen in Kali- fornien werden die Änderungen im Gesund- heitswesen schnell spürbar werden“.

Weit über den Tag hinaus gingen die Überle- gungen des öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsenders PBS: „Wie wird die Geschich- te über die Gesundheitsreform urteilen?“.

PRESSESTIMMEN

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