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Archiv "US-Gesundheitsreform: Achterbahnfahrt für Obamacare" (25.04.2014)

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A 726 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 17

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25. April 2014

US-GESUNDHEITSREFORM

Achterbahnfahrt für Obamacare

Mehr als sieben Millionen Amerikaner haben sich in den vergangenen sechs Monaten krankenversichert. Die Zahl zeigt: Obamacare greift.

Dennoch fremdelt das Land weiter mit der Reform.

D

ie sieben Millionen Anträge zu erreichen, war ein Kraft- akt für die Regierung von US-Prä- sident Barack Obama. Denn die Startphase für den Erwerb der neu- en, privaten Versicherungen war eins: ein Desaster. Von Anfang Ok- tober bis Ende März sollten Ameri- kas Bürger mit Hilfe eines zentra- len Online-Portals der Regierung (HealthCare.gov) sowie über eini- ge regionale Gesundheitsbörsen Krankenversicherungen beziehen können. Doch nur wenige Tage nach dem Start versagte die Tech- nik der Hauptseite. Das Portal ging in die Knie und war wochenlang nicht erreichbar. Die Regierung machte den „großen Patientenan- sturm“ verantwortlich, weniger unkritische Stimmen schlicht gra- vierende technische Fehler. Dass sich der Erfolg dennoch einstellte, ist einer intensiven Schlussoffen - sive des Regierungslagers zu ver- danken. Präsident Barack Obama nutzte seine Kampagnenerfahrung aus zwei gewonnenen Wahlkämp-

fen, um unversicherten Amerika- nern den Weg zur Krankenversi- cherung zu weisen.

Die Policen, die ausgewählte Versicherer über die Börsen anbie- ten, müssen Mindeststandards er- füllen und sind vergleichsweise er- schwinglich. Wer in den USA von nun an nicht krankenversichert ist, dem droht bei der Steuererklärung 2014 eine Steuerstrafe in Höhe von bis zu einem Prozent des zu ver- steuernden Einkommens. Erst ab Herbst ist der Bezug von Versiche- rungen über die staatlich regulierten Börsen wieder möglich.

Turbulente Umsetzung

Das gute Resultat der ersten Ein- schreibefrist für Krankenversiche- rungen kann nicht darüber hinweg- täuschen, dass die Gesundheitsre- form im Land weiterhin einen schweren Stand hat. Der gesamte Implementierungsprozess war tur- bulent und führte Anfang April zu Konsequenzen. Gesundheitsminis- terin Kathleen Sebelius trat von ih-

rem Amt zurück. Nicht nur das Etablieren der zentralen Online- Börse war mit Problemen bespickt, auch verzögerte sich das Inkrafttre- ten einzelner Elemente von Obama- care.

Die Folge: Die Jahrhundertre- form gibt den Republikanern immer wieder neuen Stoff zu zündeln. Das Gesetz bringe „Chaos in Amerikas Familien, Kleinunternehmen und die US-Wirtschaft“, urteilt John A.

Boehner, Sprecher des republika- nisch dominierten Repräsentanten- hauses. Er kündigte an, dass seine Partei in ihren Versuchen, das Ge- setz zu Fall zu bringen, nicht nach- lassen werde. Es ist eine Ansage mit Konsequenzen. Im Herbst wird in den USA gewählt. Das Repräsen- tantenhaus und Teile des Senats werden neu besetzt. Obamacare wird – einmal mehr – zum Wahl- kampfthema werden.

Die Demokraten blicken nicht nur wegen der zu erwartenden Atta- cken der Republikaner sorgenvoll auf den Herbst. Ihr Problem: Auch Beratungsbedarf:

Bürgerinnen und Bürger informieren sich Ende März in Allentown, Pennsyl-

vania, über die neuen Versiche- rungsbedingungen

im Rahmen von Obamacare.

Fotos: picture alliance

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25. April 2014 A 727 weite Teile der Bevölkerung stehen

Obamacare nach wie vor kritisch gegenüber. Inzwischen lehnen so- gar mehr Amerikaner das Gesetz ab als es befürworten. Obamas Pro - gnosen, die Bürger würden das Ge- setz zu schätzen lernen, je länger es in Kraft sei, haben sich noch nicht bewahrheitet.

Aus der Sicht vieler Amerikaner ist das Einschalten der Regierung in das Gesundheitssystem ein Ein- schnitt, den sie ablehnen. Aus dem Leben des Einzelnen solle sich der Staat so weit wie möglich heraus- halten, erst recht aus einem derart persönlichen Bereich wie dem eige- nen Körper. Als vor einigen Mona- ten bekannt wurde, dass bereits ver- sicherte Amerikaner durch die Re- form ihre aktuellen Policen verlie- ren werden, weil diese nicht mehr die Standards erfüllen, die durch Obamacare im Gesamtmarkt ge- setzt werden, hagelte es Kritik.

Obama hatte im mehrjährigen Kampf um die Reform stets beteu- ert, dass sich für bereits versicherte Amerikaner durch die Reform nichts ändern werde.

Obama verteidigt die Reform Dennoch: Die Reform hat im ame- rikanischen Gesundheitssystem be- reits einiges bewirkt. Zu den mehr als sieben Millionen Bürgern, die in den vergangenen sechs Monaten ei- ne private Versicherung erworben haben, kommen noch einmal drei Millionen, die durch die Reform unter das Dach von Medicaid, der Krankenversicherung für sozial Schwache, schlüpfen konnten. Die – freiwillige – Ausweitung des re- gional organisierten Sozialpro- gramms ist ein weiterer Bestandteil von Obamacare. Nach Angaben der Regierung konnten zudem mehr als drei Millionen junge Amerikaner versichert werden, weil sie durch die Reform bis zu einem Alter von 26 Jahren über ihre Eltern mitversi- chert werden dürfen.

Das renommierte Meinungsfor- schungsinstitut Gallup gab Anfang April bekannt, dass die Zahl der Nichtversicherten auf den niedrigs- ten Stand seit Ende 2008 gesunken ist. Besonders im ersten Quartal 2014, zur Kernzeit der Einschrei-

bephase, sei die Zahl derjenigen ohne Krankenversicherung signifi- kant gesunken. Offizielle Progno- sen gehen davon aus, dass über die staatlich regulierten Gesundheits- börsen im Jahr 2015 bis zu 13 Mil- lionen Bürger versorgt sein wer- den, 2016 soll die Zahl bei 22 Mil- lionen liegen.

Dass alle Amerikaner ab sofort versichert sein müssen, ist die ele- mentarste Veränderung, die Oba- mas Gesundheitsreform mitbringt, aber bei weitem nicht die einzige.

Das mehr als 1 000 Seiten starke Gesetz versucht auf breiter Ebene, die schlimmsten Auswüchse des amerikanischen Gesundheitssys- tems zu beseitigen. Zu den per Ge- setz verordneten Mindeststandards gehören beispielsweise die Versor- gung bei psychischen Erkrankun- gen sowie eine ganze Reihe Vorsor- geleistungen. Menschen mit Vorer- krankungen müssen von den Versi- cherern nun angenommen werden – bislang durften chronisch Kranke abgelehnt werden.

Auch ist es unter Obamacare nicht mehr möglich, dass Versiche- rer einem Patienten ein Kündi- gungsschreiben zustellen, weil sei- ne Versorgungskosten in die Höhe geschnellt sind. Eine Art Vollschutz wie in Europa hatten in den USA im Zeitalter vor Obamacare nur Senioren und sozial Schwache, die über die beiden Staatsprogram- me Medicare und Medicaid abgesi- chert waren. Für alle anderen gin- gen Krankheit und Privatinsolvenz oft Hand in Hand. Die Zeiten, in denen im Falle einer Krankheit der Untergang droht, sollen mit Oba- macare vorbei sein. „Grundrechte für Patienten“, nennt der demokra-

tische Präsident die Veränderun- gen. Und er ist sich sicher: „Dieses Gesetz hilft bereits jetzt Millionen Amerikanern, und in den kommen- den Jahren wird es weiteren Millio- nen helfen.“

Unabhängige Stimmen sind bei der Bewertung des bisher Erreich- ten zurückhaltender. Die Regierung konnte bislang nicht sagen, wie vie- le der nun durch Obamacare versi- cherten Bürger tatsächlich unversi- chert waren und wie viele von ih- nen Policen neu erwerben mussten, weil sie im Zuge der neuen Stan- dards ihre alte Krankenversiche- rung verloren hatten. Auch hätten bis zu 20 Prozent der Bürger die Versicherungsbeiträge für ihre neu- en Policen bislang noch nicht be- zahlt, berichtete die „New York Times“. Unklar ist auch, wie die Qualität der Versorgung unter den neuen Obamacare-Plänen sein wird.

Bei einigen Policen ist die Wahlfrei- heit von Behandlern und Kliniken stark eingeschränkt, oder die festge- legten Eigenanteile sind sehr hoch.

Mindestens zwei große Proble- me sind auch nach der Reform au- ßen vor. Weiterhin sind Millionen im Lande nicht versichert. In den USA leben elf Millionen illegale Einwanderer. Sie haben keinen Zu- gang zur Gesundheitsversorgung.

Mindestens fünf Millionen Ameri- kaner leben in Bundesstaaten, die sich gegen die Ausweitung von Me- dicaid gestellt haben, und der Zu- gang zu der zentralen Gesundheits- börse bleibt ihnen wegen fehlender Vor aussetzungen verwehrt.

Medizin ist extrem teuer Das zweite elementare Problem: die individuellen Gesundheitskosten.

Medizin ist in den USA teuer. Arzt- und Krankenhausrechnungen sind nach wie vor abstrus hoch. Für am- bulante Behandlungen gehen sie schnell in eine Höhe von mehreren Tausend Dollar. Wer einige Zeit im Krankenhaus verbringen muss, sieht sich auch bei kleinen Eingrif- fen mit Rechnungen jenseits der 10 000 Dollar konfrontiert. Diese Hochpreismedizin lässt sich selbst durch die neuen Obamacare-Versi- cherungen nicht abdecken.

Nora Schmitt-Sausen Rücktritt nach

Pannenserie: Ge- sundheitsministerin Kathleen Sebelius (r.) muss Mitte April ihr Amt niederlegen, weil es monatelang technische Proble- me auf den Web - seiten der neuen Versicherungsange- bote gab. Präsident Barack Obama und Nachfolgerin Sylvia Mathews Burwell applaudieren ihr demonstrativ.

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