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Archiv "US-Gesundheitsreform: Triumph mit Beigeschmack" (23.07.2012)

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A 1472 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 29–30

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23. Juli 2012

US-GESUNDHEITSREFORM

Triumph mit Beigeschmack

Das unerwartete Ja des Supreme Court zur Gesundheitsreform stärkt US-Präsident Barack Obama den Rücken. Doch das Gericht knüpft an das Urteil Bedingungen.

D

as Urteil des Supreme Court war in Washington mit Hoch- spannung erwartet worden. Der Richterspruch am 28. Juni war dann so komplex, dass der US-Fernseh- sender CNN zunächst eine Falsch- meldung produzierte. CNN verkün- dete am Morgen der Entscheidung, die Pflicht zur Krankenversicherung sei vom höchsten Gericht der USA für verfassungswidrig erklärt wor- den. Es dauerte mehrere Minuten, bis der Nachrichtensender seinen Fehler korrigierte und sich Obamas Niederlage in einen Triumph wan-

delte. Was war passiert? Die neun Richter wiesen in ihrem Urteil tat- sächlich die zentrale Argumentati- onslinie der Obama-Regierung zu- rück. Diese hatte argumentiert, die Pflicht zur Krankenversicherung sei durch das Recht der Regierung ge- deckt, den Wirtschaftsverkehr zwi- schen den Bundesstaaten zu regeln.

Allerdings verkündete der Vorsit- zende Richter nur wenig später, dass die Versicherungspflicht dennoch rechtmäßig sei – wenn man sie als Steuer definiere. Damit war die Kla- ge der 26 republikanisch geführten

Bundesstaaten gescheitert.

Mit seiner speziellen Definition der Versiche- rungspflicht lässt das Ge- richt den Reformkritikern Raum, Obamas prestige- trächtiges Gesetz weiter zu attackieren. Der in Europa weit verbreitete Solidargedanke ist in den USA aus historischen und kulturellen Gründen nicht allzu präsent. Obama hatte sich deshalb stets dagegen gewehrt, im Zusammen-

hang mit der Reform das Wort Steu- er zu erwähnen. Nun sieht er sich genau damit konfrontiert – und das ausgerechnet in einem Wahljahr (Kasten).

Hebel für Reformgegner Großen Einfluss auf die Stabilität des Gesetzes könnte eine weitere Entscheidung des Supreme Court haben: Die Richter urteilten, dass die Regierung in Washington die Bundesstaaten nicht dazu zwingen kann, das Programm Medicaid aus- zuweiten. So war es jedoch in der Reform vorgesehen. Durch die Ausweitung des regional organi- sierten Versicherungsprogramms für sozial Schwache sollte ab 2014 gut die Hälfte der knapp 32 Millio- nen nicht versicherten US-Bürger in das Versorgungsnetz aufgenom- men werden. Die Obama-Regie- rung hatte vorgesehen, Bundesstaa- ten, die sich gegen die Ausweitung des Programms stellen, sämtliche Finanzmittel zum Unterhalt des lau- fenden Programms zu streichen.

Dieser Möglichkeit ist die Regie- rung nun beraubt.

Erleichterung nach der Entscheidung:

US-Präsident Barack Obama äußert sich zum Urteil des Supreme Court.

Fotos: dapd

Die Mitglieder des Supreme Court:

Von ihrem Urteils- spruch hing auch das weitere politische Schicksal Obamas ab.

P O L I T I K

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23. Juli 2012 Bereits jetzt haben einige repu-

blikanisch geführte Bundesstaaten angekündigt, sich zu weigern, mehr Menschen unter dem Medicaid- Programm Versicherungsschutz zu gewährleisten, berichtet die „New York Times“. Dazu gehören die Südstaaten Texas, Florida, South Carolina und Louisiana. Die Aus- weitung überschreite ihre Budget- grenzen. Dabei übernimmt nach Angaben der Obama-Regierung Washington die Kosten der Auswei- tung in den ersten zwei Jahren ganz, danach zu mindestens 90 Prozent.

Dem politischen Kuhhandel sind damit Tür und Tor geöffnet. Die Bundesstaaten könnten Obama et- wa vorschlagen, Medicaid nur dann auszuweiten, wenn sie den Dienst privatisieren dürfen. Oder aber, sie versichern nur eine geringere An- zahl, indem sie die Bemessungs- grenze für die Aufnahme in das So- zialprogramm hochsetzen.

Ziel der Reform gefährdet So oder so: Mit der Androhung, sich gegen die Ausweitung zu stellen, läuft die Reform Gefahr, dass einer ihrer großen Bestandteile doch noch unterwandert wird. Bleiben die Bun- desstaaten bei ihrer ablehnenden Haltung, wären Millionen Amerika- ner weiter ohne Krankenversiche- rungsschutz. Dass auch die sozial schwächeren US-Bürger ihre Poli- cen über die neuen Gesundheitsbör- sen beziehen, die ab 2014 in jedem Bundesland existieren sollen, ist bis- her nicht vorgesehen. Über diese neu konstruierten Märkte sollen diejeni-

gen Amerikaner ihre Ver- sicherungen erwerben, die bislang freiwillig nicht krankenversichert sind oder keine Versiche- rung über ihren Arbeitge- ber erhalten.

Ungeachtet des Ur- teils wird die Regierung Obama weiter Überzeu- gungsarbeit leisten müs- sen. Die US-Bevölke- rung verharrt auch zwei Jahre nach der Reform bei ihren gegensätzli- chen Standpunkten. Das renommierte Meinungs- forschungsinstitut Gal- lup veröffentlichte nach der Ur - teilsverkündung aktuelle Umfrage- ergebnisse. Demnach lehnen 46 Prozent der Amerikaner die Ent- scheidung des Supreme Court ab, die gleiche Prozentzahl begrüßt das Urteil. „Obwohl Präsident Obama und seine Unterstützer vorausge- sagt haben, dass die Amerikaner dem Gesetz positiver gegenüberste- hen würden, nachdem es verab- schiedet ist und sie Zeit hätten, es zu verstehen, ist dieser Fall nicht eingetreten“, schreibt das Institut in einer Analyse. Die US-Bürger scheinen dem Gesetz gegenüber noch negativer eingestellt zu sein

als in der Vergangenheit, folgert Gallup. Lediglich mit Blick auf Zusatzleistungen, wie zum Beispiel kostenlose Vorsorgeangebote, gebe es eine breite Akzeptanz.

Romney will anderes Gesetz Juristisch ist der Kampf um die Ge- sundheitsreform entschieden, poli- tisch noch nicht. Obama-Herausfor- derer Mitt Romney hat angekün- digt, die Gesundheitsreform wieder rückgängig zu machen, sollte er im Spätherbst zum Präsidenten der USA gewählt werden. Er werde

„gleich am ersten Tag“ seiner Präsi- dentschaft handeln. Der Republika- ner will Obamas Reform durch ein anderes Gesetz ersetzen. Wie dieses aussehen soll, dazu legte Romney noch keine detaillierten Pläne vor.

Eine verpflichtende Krankenversi- cherung würde eine Reform unter Romney jedoch in keinem Fall ent- halten – obwohl er als Gouverneur für Massachusetts eine eben solche selbst eingeführt hatte.

Der Tag der Entscheidung des Supreme Court wird in die Ge- schichtsbücher eingehen. Doch die Zukunft der Gesundheitsversorgung in den USA steht und fällt mit einem anderen Datum: der Präsident- schaftswahl am 6. November.

Nora Schmitt-Sausen

Trotz der juristischen Niederlage nutzen die Kon- servativen das Urteil des Supreme Court im Wahlkampf für ihre Zwecke. Die Auslegung des Gerichts, die verpflichtende Krankenversiche- rung sei als Steuer zu werten, findet bereits jetzt Eingang in Kampagnenslogans der Republika- ner. Sie attackieren Obama mit dem Vorwurf, er habe die US-Bürger getäuscht, als er behauptet habe, die Gesundheitsreform führe nicht zu Steuererhöhungen. Obama kritisiert seinerseits Romney. Dessen Ablehnung des Gesetzes be- zeichnet er als politisch unglaubwürdig. Schließ- lich habe Romney vor sechs Jahren in Massa- chusetts selbst dafür gekämpft, dass die Be- wohner des Ostküstenstaates einen universellen Versicherungsschutz erhielten. Romney bezeich- net die Reform in Massachusetts als „individuel- le Lösung“. Sie sei nicht für die gesamten USA anwendbar.

Die Entscheidung des Supreme Court mobili- siert die Basis beider politischer Lager. Die demo- kratische Partei verkündete wenige Tage nach der Urteilsverkündung einen Rekord bei der Spenden- bereitschaft ihrer Anhänger. 65 000 Amerikaner hätten nach dem Urteilsspruch zusammen 2,3 Millionen Dollar in die Wahlkampfkasse der De- mokraten gegeben. Das Lager der Reformgegner toppte diese Zahl noch. Die republikanische Par- tei gab bekannt, dass innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Urteil mehr als vier Millionen Dollar gespendet worden seien. Anders stellt sich die Situation bei den Wechselwählern dar: Für sie ist die Gesundheitsreform nicht wahlentschei- dend. In einer Zeit, in der die USA weiterhin mit einer schwachen Konjunktur und schlechten Ar- beitsmarktzahlen kämpfen, zählt für sie vor allem die Wirtschaftspolitik. Viele wünschen sich ein En- de der Debatte um die Reform.

THEMA IM PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLKAMPF

Demonstrationen von Befürwortern und Gegnern der Gesundheitsreform sind an der Tagesordnung.

P O L I T I K

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