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HANNS SACHS
BUBI CALIGULA
BUBI CALIGULA
VON
HANNS SACHS
Z'weite
Auflage
3.
—
17.Tausend
'932
INTERNATIONALER
PSYCHOANALYTISCHER VERLAG
WIEN
ALLP RECHTE,
INSBESONDERE DIE DER PBERSETZUNG, VORBEHALTEN
PRINTED
INGERMANY
DRUCK DER SPAMERSCHEN
BUCH DRUCSER
E
I IN
LEIPZIG
ERSTES KAPITEL
DAS KAISERHAUS
Die Kaiser des juliseh -claudisehen Hauses sind von den Zeilgenossen und von den Späteren fast stets in Ver- zerrung gesehen worden, etwa wie die Figuren eines Deckengemäldes im
Gewölbe
einer Kuppel: einRücken
und ein ausgestreckterArm
scheinen im Begriffe, in wilderBewegung himmelan
zu fahren, und erst allmäh-lich stellt sich heraus,
daß
auch die übrigen Körperteile vorhanden sind. Sowurden
die Zügellosigkeiten und Misse- taten, die Greuel und derWahnsinn
dieser ersten Kaiserimmer
wieder geschildert und beurteilt, aber ihr natür- lichesWesen und
der ursprünglicheWuchs
ihres Cha-rakters nur wenig beachtet.
Und
doch liegen hier dieseelischen Voraussetzungen, aus denen sich jene Vcr- irrungen entwickelten.
Diese
Männer
mußten als die ersten lernen,was
esbedeutet, über und damit auch außerhalb ihrer gesamten Mitwelt zu stehen.
Aber
bis zudem
Augenblick, der ihnen diese Erfahrung brachte,waren
sie vollblütigeRömer
mit allen Merkzeichen ihres Volkes, das die un- nahbare Hoheit seiner Weitherrschaft mitgemeinem Wucher
auf die natürlichste Weise verband. Siewaren
echt römisch in der schrankenlosen
Hingabe
an ihre Be- gierden lind Leidenschaften und ebenso römisch in der trockenen und kaltblütigen Berechnung für das zur Er- reichung ihrer Ziele führende Handeln. Dieser Gegedrsatz, bei Cäsar durch seine Genialität aufs äußerste ge-
steigert,
wäre
indem
klugen und durchaus ungenialen Augustus fastzum
Ausgleichgekommen. Aber
auch dererste Kaiser stand bis zu seinem
Ende
unter derWir-
kung jener einzigen seiner jugendtaten, bei der er. derstets zweckbewußte Jüngling, bedenkenlos und ohne
Ab- wägen
der Folgendem
Ausbruch einer Leidenschaft nach- gegeben hatte.An
dieser Tat scheiterte allem Gelingenzum
Trotz sein Lebenspian, weil der vonihm
begründeten Erbherrschaft der Erbe fehlte.Wer
täglich einDuuend Menschen
odermehr
inden
Tod
schickt, verliert vermutlich die Fähigkeit, warten zu±
können. Die Zeit, die er den anderen gewalttätig weg-
^
nimmt, beginnt sich ihm zu versagen, und er gerät in eine jagende Hast, die alles
Wünschbare
heute haben will, weil die Unsicherheit desMorgen
allzu deutlichgeworden
ist.
Nur
so läßt sich die übereilte Eheschließung des Augustus (er hieß damals noch Octavlanus) erklären: er verliebte sich in Livia, die Frau des Tiberius Claudius Nero,und zwang
ihrenMann,
sich von ihr zu trennenund
sieihm
zu überlassen—
obgleich sie schwanger war.Freilich sah er damals
dem
Herrscher mit der halb seg-nenden, halb ruhig befehlenden Geste des erhobenen
Armes,
wie ihn die Statuen seiner Kaiserzeit abbilden, noch nicht im mindesten ähnlich— am
allerwenigstenim UrteU
seiner Mitbürger. Er leitete die blutigste Pro-skription, die sogar die in Bürgerkriegen abgehärtete Stadt entsetzte, und hatte,
wenn
ein politischerGegner
um Gnade
bat. -nur eine stereotype Antwort: „Esmuß
gestorben sein."
Rom
erwartete von ihm das Ärgsteund
fand es doch durch seine Eheschließung übertroffen.Man
darf nicht vergessen, daß trotz des freien oder frivolen
Tones
einer Oberschicht Staat, Gesellschaftund
Religion noch fest aufdem Boden
der vaterrechtlichen Familie standen—
ja, daß eine andereGrundlage
noch gar nicht vorstcUbar erschien.Einem Mann
die Frauwegnehmen,
das ging noch an, aber die aus einer anderenEhe Schwangere
den eigenen Ahncnbildernund
Hausgöitei'n zuzuführen—
daswar
der Gipfel des FrevelslDaß
Tiberius Claudius vielleicht nur rechtlich der Vater des ungeborenen Kindes war, machte die Sache nicht bes- ser
—
und nicht reinlicher.Livias Vater hatte sich getötet,
um
nicht in dieHände
des Octavianus zu fallen. Sie selbst
und
ihr Gatte samt einem früher geborenen Sohnewaren
jahrelang auf der Flucht vordem
Sieger gewesen; erst vor kurzem hatteMarcus
Antonius, der Kollege des Octavian im Triumvi-rat, die
Aussöhnung
vermitteltund
esdem Ehepaar
er- möglicht, in das reizendeHaus
in vornehmster Gegend, aufdem
Palatin (es steht heute noch), zurückzukehren.Eine alte Feindschaft, der
Mißbrauch
einerAussöhnung
zur Erpressung—
daswaren
die Voraussetzungen der Ehe, aus der der erste legitime Herrscher des römischen Weltreiches hervorgehen sollte.Soll
man
es unbegreiflich oder selbstverständlich nen- nen, aber dieEhe war und
blieb glücklich, schattenlos glücklich biszum
Ende,und
diese beiden klugenMen-
schen scheinen nicht ein einziges
Mal
gegeneinander in-trigiert zu haben.
Nur
Kinder—
von einem totgeborenen abgesehen—
blieben ihnen versagt. Die Frage der Erb-folge
wurde immer
dringenderund
der alternde Augustus wollte sie nach seiner Art beantworten,indem
er die Schwierigkeiten voneinander ablösteund
sie einzeln,Schritt für Schritt, zu überwinden suchte. Dabei geriet
er wieder auf die
Erzwingung
einer Scheidungund
Ehe- schließung, diesmal in kühler Berechnungund
deshalb mit noch schlimmeren Folgen.Der
ältere seiner Stiefsöhne—
eben jener, der die Eltern auf der Flucht begleitet hatteund
als vierjährigerKnabe
nach der zweiten Heirat derMutter im Hause
des Vaters zurückgeblieben war,
um
wenige Jahre später,als der Vater starb, der Mutter in das
Haus
des Augustus zu folgen—
, dieser Stiefsohn,wie
sein Vater TiberLus ClaudiusNero
genannt,mußte
sich von seiner Gattin trennen,um
die Tochter des Augustus zu heiraten.Julia stammte aus einer früheren Ehe; ihre Mutter hieß Scribonia
und war
von Augustus als römischemGe- mütsmenschen am
selben Tag, andem
sie die Tochter geboren hatte, mit der Scheidung überrascht worden.Die
Tochter blieb das einzigeKind
des Augustus, dersie als Vierzehnjährige seinem Neffen Marcellus ver- mählte
und
dann, als dieser noch als Jüngling starb, seinem Freunde, Helferund
zeitweiligen MitregentenMarcus
VipsaniusAgrippa
zur Frau gab.Mit
diesem klugenund
energischenMann,
einem Altersgenossen ihres Vaters, der seine Stellung zunächstdem Throne
nicht der Zugehörigkeit zu einer der herrschenden Familien, sondern seinen staatsmännischenund
militärischen Lei^stungen verdankte, scheint sie in Eintracht gelebt zu haben; jedenfalls hatte sie von
ihm
fünf Kinder, zwei Söhne, zwei Töchterund
einen nachgeborenen Sohn.Tiberius hatte eine Tochter
Agrippasf
(natürlich aus einer früherenEhe
mit einer „reichen Bürgerlichen") geheiratet, dieihm
einenSohn
schenkte.Von dem Glück
einer
Ehe
erfahren Außenstehende bekanntlich nichts, solange es dauert.Aber
nach der Scheidung, alsman
Vipsania (so hieß die Tochter der
VipsamusAgrippa)
be-reits mit einem anderen
Manne
vermählt hatte, begegneteTiberius Ihr einmal,
und
er, der kalte, auf seine römische Selbstbeherrschung stets bedachteMann,
zeigte so tiefe Bewegung, daßman
von da an Sorge trug, die Wieder- holung eines solchen Zufalls zu verhindern.Auch
ließ Tiberius viele Jahre später den zweitenEhemann
seiner Frau im Kerker verhungern: wohl,um
zu zeigen, daß es nichE geraten sei. mitihm
aus einer Schüssel zu essen.Das waren
einige der späteren Folgen. Zunächst aberempfand
Tiberius nur die Bitterkeit des Zwanges, derseine Gefühle ebenso wie seine Überzeugung
—
als rich-tiger Konservativer verabscheute er die Ehescheidung
—
verletzte.
Welche
Demütigung, dieWitwe
seinesSchwieger-vater^heiraten zu müssen, nur weil sie die Tochter des
Mannes
war. derihm
alsKnaben
die Mutter weg-genommen
hattelDer
Harte und unbeugsam Stolze fügtesich dennoch
-
wahrscheinlich weil er die Staatsklugheit dieserEhe
einsahund
über alle anderen ilücksichienstellte. Sicher ist, daß er dieser Frau nicht viel Zärtlich-
keit
—
daswar
ohnehin nicht seine starke Seite—
ent-gegenbringen konnte, auch
wenn
sie besser zuihm
gepaßthätte. ,
Q^
Julia, die zweifache
Witwe
und fünffache Mutter, be- saß etwas von der Klugheit und sehr vielmehr
vondem Temperament
ihres Urgroßonkels Julius Cäsar, vondem
es hieß, er sei aller
Weiber Mann
und aUerMänner
Weib.
Da
ihrWerben
bei ihrem Gatten keine Gegenliebefand und die
Ehe
überdies nachdem
frühenTod
einesSohnes kinderlos blieb, so tat sie.
was
alle Frauenm
ähnlicher Situation getan haben: sie gründete
emen
lite-rarischen Salon. Selbstverständlich verkehrten
im Hause
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der Kaiserstochter die TrätrA^ j
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I
i
II vor
dem
älteren Bruder.Er
heiratete eine Nichte desAugustus, die Tochter von dessen Schwester OciaviaTdie aus einer
Ehe
mitdem
Triumviratskoilegen und späteren Feind ihres Bruders, mitMarcus
Aniunius, trotz dessen wellberühmter Liebe zu Kleopatra zwei Töchter hatte.Drusus
war
nicht nur bei seinem sogenannten Stiefvater, sondern auch allgemein persönlich beliebt und überdies ein erfolgreicher Feldherr, der inGermanien
bis an die Elbe vorgedrungen war.Durch
ihn wäre das Problem der Nachfolgeam
ehesten gelöst worden, wäre er nicht viele Jahre vor Augustus an den Folgen eines Sturzesvom
Pferde gesicrben.Zwar
hinterließ er mehrere Kin- der, von denen der älteste nicht nur denEhrennamen
des Vaters; „Germanicus" geerbt hatte, sondern auch dessen Feldherrngabe und die persönliche Beliebtheit.
Aber
der heldische Jünglingwar
beimTode
des Augustus noch ZM jung und unerprobt,um
als Erbe eingesetzt zuwerden, und er gehörte nicht zu jenen, die aus eigener Kraft nach einer
Krone
zu greifen vermögen.Die Kinder der Julia, der 'J'ochier des Augustus, aus deren
Ehe
mit Agrippa,kamen
trotz der geradlinigenAbstammung
von Augustus nicht in Betracht, weil die männlichen, die beiden Stiefsöhne und Feinde des Tibe-rius, Cajus und Lucius, kurz nacheinander noch im Jüng- lingsalter starben.
Der
jüngste Sohn,Agrippa
Postumus,war
entartet, „abnorm** undwegen
seiner Wildheit von Augustus auf eine unbewohnte Insel verbannt worden.So blieb schließlich nur ein einziger übrig
—
Tiberiua.II
ZWEITES KAPITEL
TIBKRIUS
zwar durch das r.n"
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Stolzes,Verächtliche
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wird13 die besondere Abart claudischen
Hochmuts
durch die Geschichte von jener Claudia, deren Bruder eine See- schlacht gegen Karthago verloren hatte. In jenen Zeitenwar
eine Niederlage eine höchst ernste Sache für den Führer, undRom
hatte für seine geschlagenen Feldherren keine Pensionen bereit.Das
hinderte die jungeDame
nicht
—
oder vielmehr es veranlaßte sie wohl dazu, als ihre Sänfte durch dasGedränge
des Marktes aufgehjdten wurde, mit lauter Stimme zu erklären, sie bedauere, daß ihr Bruder nicht Gelegenheit habe, noch einezweite Flotte zu verlieren, da es anscheinend nochimmer
zuvielMen-
schen in
Rom
gäbe.Wofür
ihr die Ehre zuteÜ wurde,als erste Frau
wegen
Majestätsverbrechens verurteilt zu werden.Tiberius
war
von herber, schweigsamerund
zurück- haltender Natur, die zu diesem Familienstolz vorzüglich paßte; dazukam
ein gutes Stück Pedanterie, wie es bei alten Familien,wenn
sie wirklich alt werden, häufig auf-tritt. Sie veranlaßte ihn, jedes Geschäft, auch seine Kriege, langsam und gründlich zu erledigen. Gelegent-
lich artete diese Pedanterie in eine Leidenschaft für die
Übernahme
unangenehmer Pflichten aus, wie die Kon-trolle der Sklavenzwinger oder die
Überwachung
derGe-
treidelieferung; mit der Beihilfe dieser Leidenschaft ver-
mochte er es manchmal, eine sonst ganz ungewohnte Weichheit und Rücksicht zu zeigen, so, als er,
dem
Sarg des Bruders vorausschreitend, den ganzenWeg
von Ger- manien bisRom
zuFuß
zurücklegte, oderwenn
er im Felde den kranken Offizieren seine Sänfte überließ. Sonstwar
er hart und streng, unermüdlich fleißig, ein vorzüg- licher und verläßlicher Mitarbeiter bei allen Regierungs- geschäften, nicht gewillt, irgend etwasdem
Glück odereinem plötzlichen guten Einfall zu überlassen, sondern
alles voraus berechnend und bedächtig durchführend. Die
Ablehnung
jedes überflüssigen Risikos, die Unlust, sich der günstigen Chance zu vertrauen,wurde
bei zunehmen-dem
Alierimmer
stärker: das Streben danach, möglichst lange zu warten und dann vollkommen sicherzugehen, erklärt viele seiner Handlungen, die wie unverständliche Heuchelei aussehen.Noch
ein anderer Zug tratimmer mehr
hervor: die Lustam
Verbergen und Verstecken, dieAbneigung
dagegen, sich von anderen durchschauen oder ausspionieren oder auch nur zu einer unzweideutigen Er- klärung seines Willens zwingen zu lassen, ob es sich nuaUiD wichtige Staatsdinge oder unbedeutende Angelegen- heiten seines Privatlebens handelte. Einen Gelehrten, der die Diener bestach,
um
zu erfahren, welche Bücher der Kaiser las, und sich so auf die Tischunterhaltung vor- bereiten zu können, schickte er erstvom Huf weg
und dann, damit noch nicht zufrieden, in den Tod.Er
ge- hörte zu jenen Menschen, die selbst die Anteilnahme an ihrem Schmerz als unzukömmliche Einmischung empfinden.Als eine Gesandtschaft der Stadt Troja ihm das Beileid
zum Tod
seines Sohnes überbrachte, sprach er ihnen spöt- tisch sein Bedauern aus,daß
sie ihrerseits Ihren wackeren Mitbürger Hekior verloren hätten.Wie
es zu solchen Charakterzügen paßt,war
er sparsam, gelegentlich knik- kerig, und verstand es ausgezeichnet, mitGeld umzu-
gehen. Als Kaiser ordnete er die Steuerpolitik des Reiches
und
sammelte ein riesigesVermögen.
Nach dem Tode
desAgrippaiind
des Drususwar
er der einzige, auf den sich Augustus stützen konnte,und
er stand ihm bei den unendlichen Geschäften der Welt- herrschaft mit einer durch keine Einfälle getrübten Ver-
i
1
15
läßlichkeit
und
eisernem Pflichtgefühl bei.Daß
er denEmporkömmling
haßte, der den Vater gedemütigt und ihn bis in die spätenMannesjahre
in aller Freundlichkeit bei jeder Gelegenheit zurückgesetzt hatte—
das schadete der Zusammenarbeit nicht im mindesten; seine römische Sach- lichkeit verstand es, solche Dinge auseinanderzuhalten.Dies Gefühl zu zeigen, daran hinderte ihn auch nach
dem Tode
des Augustus seine Verschlossenheit und die Rück-sicht auf den Begründer der Dynastie. Die einzige
An-
deutung, die er sich erlaubte, war, daß er alle jeneEhren und
Auszeichnungen, diedem
Augustus zuteil ge-worden
waren: Anbetung, Altäre, Opferdienst und Prie- sterkollegien, sowie den Titel „Vater des Vaterlandes"standhaft zurückwies. Als aber Livia aus
Anlaß
einesStreites mit ihrem Sohne die Briefe des Augustus ver- öffentlichte, in denen dieser verächtlich von
dem
finsterenund
schwerfälligen Tiberius sprach, schwieg dieserund
ließ die Lästerer des Augustus
— und
zu ihnen gehörte schon,wer
eineMünze
mit seinem Abbild auf denAb-
tritt
mitgenommen
hatte—
nach wie vor verurteilenund
bestrafen.
Die
einzige Gelegenheit, Augustus seine Feindseligkeit fühlen zu lassen, indem erihm
die geschenkteMacht
hinwarf, und ihm die eigene Unentbehrllchkeit zu be- weisen, gab ihm Juliaund
der Lebenswandel, den sie ganz ausgesprochenermaßen führte.Da
Augustus nichtdaran dachte, seine einzige und zärtlich geliebte
Toch-
ter den traditionellen Ehr-
und
Pflichtbegriffen seinesSchwiegersohnes zu opfern, fühlte sich Tiberius frei, nach eigenem Ermessen zu handeln.
Der
ersteTriumph
bestand darin, daß Augustusgezwungen
wurde, ihn ziehen zu lassen— was
er durch mehrtägige Enthaltungvom
Esseni
i6
erreichte.
Das
alles geschah ohneTemperamentsaus-
brüche, mit der für Ihn charakteristischen farblosen Zähig- keit, so wie er auchRom
möglichst unauffällig, fastgeheim verließ.
Er
ging nach Rhodos, lebte dort alsPrivatmann,studierte griechische Philosophie und tat das,
worauf
er sich so ausgezeichnet verstand—
er wartete.Einige Jahre darauf geschah das für alle
—
Tiberius vielleichtausgenommen —
Unerwartete. Augustus wandtesich plötzlich in unversöhnlichem Zorn gegen die bis
dahin so geliebte Tochter und verbannte sie für Lebens-
zeit unter den schwersten Bedingungen in die Einsam-
keit.
Der
sanftmütige, stetszum
Verzeihen geneigte Kaiser schien sich plötzlich in den blutigenTriumvir
zurückver- wandelt zu haben, so häuften sich die Todesurteile, die„freiwüligen" Sterbefälle
und
Verbannungen. Als eine vertraute Dienerin Julias sich erhängte, soll esAugustus bedauert haben, daß er nicht lieber der Vater der
Toten
als der Lebenden sei. Die Tochter nannte er,
wenn
er von Ihr sprach, seine „Eiterbeule".Was
diesen maßlosen Zorn heraufbeschworen hat, darüber schweigt dieGe-
schichte. Bloße erotische Entgleisungen
werden
dazuwohl
nicht ausgereicht haben, selbst
wenn
sieihm — was kaum anzunehmen
ist—
bis dahin völlig unbekannt geblieben sein sollten.Eher
ließe sich vermuten, daß Julia sich auf das politische Gebiet gewagt und, der literarischen Unterhaltungen müde, eine Intrige angezettelt hatte, die sich zurVerschwörung
auszuwachsen drohte. Die großeMenge
gab natürlich die Schuld Livia. der es gelungensei, die Stieftochter beim Vater anzuschwärzen.
Tiberius, der
nunmehr
ohne sein Zutun vonJulia ge- schieden wurde, blieb noch welter in Rhodos,
und
auchnachdem
er zurückgekehrt war, enthielt er sich derStaats->7
geschäfte bis nach
dem Tod
der beiden Söhne Julias.Von
'^
da ab
war
dieBahn
frei, die ihnzum Throne
führte.Beliebt
war
Tiberiuaweder während
seiner langen Wartezeit noch als Regent.Man
könnte sich darüberwundern, da er
-
höchstens mitAusnahme
der letzten Regierungsjahre-
ein sehr tüchtiger Herrscherwar und
für dasWohl
seiner Untertanen nicht weniger sorgteals der vergötterte Augustus.
Aber
zur Beliebtheit gehörtes unbedingt, der Phantasie der
Masse
auf die eine oder andereWeise Nahrung
zu geben, und dazuwar
der trockene, verschlossene, aller Ostentation und Theatralikfeindliche Tlberius möglichst ungeeignet. Nicht einmal die Verfolgung und Tötung einiger Hochstehender
und
die Schandtaten an der eigenen Familie, sonst die sicher- sten Mittel,
um
sich interessantund
damit auch pop>ilär zu machen, konnten daran etwas ändern, so nüchtern, vor- sichtig und geschäftsmäßigwurden
sie begangen.Zunächst heftete sich die Liebe des römischen Volkes an Germanicus. den Sohn des Drusus; auch die Legionen
am
Rhein und an derDonau
wollten ihnzum
Kaiser aus- rufen und ließen sich durch seine entschiedene Weige- rung nur mitMühe
davon abbringen. Fünf Jahre darauf starbGermanicus
im Orient,wo
er eine wichtige M.ssion ausgeführt hatte, unter so merkwürdigen Begleitumstän-I'
den daßman
seineneinzigen persönlichen Feind, den
Statthalter Piso. verdächtigte, ihn durch Gift oder Zau- berei umgebracht zu haben.
Dem
Kaiserwurde
vorge-worfen. den Täter ermutigt oder gar angestachelt zu haben,
wofür
aber kein weiterer Anhaltspunkt anzuführenwar
als die intime Freundschaft zwischen der Ka.senn- n^utter Livia und der Gattin jenes Piso. Selbstverstand-Uch wandte
sich jetzt die Liebe des Volkes,verstärkt
2 Sachs, Bubi Caligula
\f
i8
durch die allgemeine
Teilnahme
an ihrem Verlust, derWitwe
des Germanicus, Agrippina (Tochter desAgrippa und
der Julia) und ihren Kindern zu.Agrippina
war
eine vorzügliche, ja eine musterhafte Frau; ganzRom wußte
es, und ihr selbstwar
es auch schon zuOhren gekommen.
Sie hatte eine große Anzahl Kinder in dieWelt
gesetzt, und da in dieser Zeit Kinder- segen so seltengeworden
war.daß
er gesetzlich belohnt wurde, so erhielt diese natürlichste aller Beschäftigungen bei ihr denAplomb
einer patriotischen Tat. Ihren per- sönlichenMut und
ihr Pflichtgefühl bewies sie,indem
sie ihren Gatten auf seinen Feldzügen, selbst bis ins rauhe Germanien, begleitete,
und
in einer schwierigen Situation,als in Abwesenheit des Feldherrn unter den Soldaten eine Panik ausbrach, gab sie davon die glänzendste Probe.
Kurzum,
sie strebte danach, den römischenMatronen
derHelden
Vorzeit, einer Lucretia oder Cornelia, zu gleichen,und
sorgte dafür, daß diese Ähnlichkeit nicht übersehenwerden
konnte.Im
vollsten Gegensatz zu Tiberius hattesie den Sinn für theatralische
Wirkung
und gehörte zu jenen, die darauf bedacht sind, auch für ihre echtesten Gefühle eine möglichst eindrucksvolleForm
zu finden.Eine tiefe gegenseitige Abneigung zwischen ihr und ihrem
Stiefvater (der der
Onkel
und Adoptivvater ihres Gatten war) konnte nicht ausbleiben; der Gegensatz der Inter- essen und die Verbitterung durch den frühenTod
ihres Gatten vertieften die Kluftimmer
mehr.Die Leiche des Germanicus
war
In Antiochia verbranntworden
und Agrippina brachte dieUrne
mit derAsche
nachRom. Der Empfang
bei der Landung, der feier- liche Leichenzug nachRom und
die Beisetzung imGrab-
mal
des Augustus konnten nicht verfehlen, das ohnehin19
um
seinenHelden
leidenschaftlich trauernde Volk auf- zuwühlen und sein Mitleid mit der untröstlichenWiiwe
durch das Gefühl der Gemeinsamkeit des erlittenen Ver-
lustes zu steigern. Keine dieser Szenen und Zeremonien überschritt das
Maß
desHerkömmlichen
und Angebrach-ten;
wenn
sie eindrucksvoller wirkten als sonst, so lag die Schuld an der besonderen Tragik dieses Todesfalles.Agripplnas Schmerz konnte ihr niemand
zum Vorwurf machen —
aber er mißfieldem
Tiberius, der selbst seine Trauerum
den verstorbenen Bruder durch die finstere Ausdauer, mit der er vordem
Sarg hergeschritten war,zum
Ausdruck gebracht hatte.Selbstverständlich weigerte sich die
Witwe
hartnäckig, eine neueEhe
einzugehen,und
selbstverständlichnahm
ihr Tiberius dies übel. Die Reibereien wollten nicht auf- hören, und das Zitat aus einem Theaterstück, das der Kaiser einmal bei einer solchen gereizten Szene der
Toch-
ter seiner ehemaligen Gattin zuflüsterte:
„Du
glaubst Unrecht zu leiden, Töchterchen, weil du nicht herrschen darfst", drückt seine Gesinnung ziemlich genau,wenn
auch etwas gemildert aus.
Hier
betritt eine neue Figur die Szene, einMann,
derbei aller Klarheit über seine Absichten und Ziele eine dunkle und schwer entzifferbare Gestalt bleibt, ausge- stattet mit jener rätselhaften, durch nichts erklärbaren,
Gabe
des vollkommenen Verführers,Männer
und Frauen an sich zu ziehen, zu fesseln, zur vollen Selbstaufopferung zu bewegen, ohne das mindeste Stück von sich selbst her- zugeben oder sich einen Schrittvom Wege
abbringen zu lassen. DieserMann war
der Befehlshaber der Prä- torianer, Sejan.Augustus hatte sein ganzes Streben darauf gerichtet, 2*
20
seine Herrschaft aus einer Militärdiktatur In eine konsti- tutionelle Monarchie zu verwandeln.
Das war
ihm nichtvollkommen
geglückt, wie die Soldatenmeuterei nach sei-nem Tode
bewies. Die Legionen waren nochimmer
ein selbständiger Machtfaktor, und unter Ihnennahm
die inRom
stationierte prätorianische eine besondere Stelle ein,schon
wegen
der Wichtigkeit der Hauptstadt, die sie nötigenfalls imZaume
halten sollte, und weil sie den Dienst in undum
den Palast des Herrschers versah. Die Befehlsfiihrung über dieseTruppe war
ein wichtiger Vertrauensposten, der bei einem Thronwechsel oderdrohendem Umsturz
von entscheidender Bedeutung sein konnte.Tiberius hatte nie einen Freund gehabt, er schätzte
„Nahestehen" nicht
und
fand viel größerenGenuß
dar-in, seine Gefühle in sich aufzuhäufen und zu verschließen als sich durch Mitteilung zu entladen. Vertrauensseligkeit gehörte überhaupt nicht zu den römischen Charakterzügen,
und
bei ihm hatte sich der langgeübte Scharfblick des Reglerenden zu einem tiefen Mißtrauen in dieMotive und
Absichten derMenschen
gesteigert.Wenn
es Sejan trotzdem gelang, der Vertraute desUnnahbaren
zu wer- den, sowar
dies—
von der Faszination durch seine Persönlichkeit abgesehen—
dadurch begründet,daß
er geheimeWünsche
erriet und sich als brauchbares und bedenkenlosesWerkzeug
anbot,um
einen langgehegten, aber verborgen gehaltenen Plan auszuführen. Diese „Ein- fühlung" in dieGedanken
seinesHerrn war
für Sejanum
so eher möglich, weil sie seine eigenen waren: Tibe-rius wollte Agrippina und ihre Sohne vernichten, well er sie haßte, Sejan, weil sie zwischen ihm und
dem
Throne
standen.Weder
das Volk noch dasHeer
hätten21
einen anderen als Herrscher anerkannt, solange noch ein
Sohn des vergötterten
Germanicus am
Leben war.Ein letzter Schatten von Mißtrauen
mag wohl
auchdann nicht aus der Seele des ewig vorsichtigen
und
zweifelnden Tiberius gewichen sein, aber jedenfalls ahnte er nicht,daß
seinGeschöpf
daran denken könnte, ihnvom Throne
zu stoßen,um
seine Stelle einzunehmen. So überließ er ihm inungewohntem Maße
dieAusübung
seiner
Macht
und duldete, daß er Stufeum
Stufe erstieg.Zunächst galt es, Agrippina zu isolieren, sie Ihrer Rat- geber zu berauben und durch das Gefühl ihrer Schutz- losigkeit
zum
Äußersten zu treiben. Dies erreichte Sejan durch eine Reihe von Hochverratsanldagen gegen ihre Freunde, die teils verurteilt, teils eingeschüchtertwur-
den.
Nun,
auf Sejan gestützt, wagte es Tiberius endlich,zum
entscheidenden Schlage auszuholen. Agrippina und ihr ältester Sohnwurden
angeklagt;zwar
umlagerte das Volk, die Sicherheit der Gattin und der Kinder desGer-
manicus fordernd, die Gerichtsstelle,zwar
erhob sichim
Senat eine letzte schüchterne Stimme,
um
den Kaiser vor der Vernichtung seines Hauses zuwarnen —
aber alleswar
vergeblich. Agrippinawurde
auf eine Insel verbannt, ihr SohnNero
auf eine andere,wo
er bald darauf ge-tötet wurde.
Der
zweiteSohn
entging seinem Schicksal nicht lange: erwurde
aufdem
Falacin,im
Kaiserschloßselbst, eingekerkert.
Auch
das nächste Stück der Verwirklichung seinesgroßen Planes
war
von Sejan inzwischen erfolgreich aus- geführt worden. Tiberius hatte stets eine Vorliebe für dieAbsonderung
von derMenge
gehabt, der Aufenthalt inRom, wo
er sichvom Haß
des Volkes angeweht fühlte,wurde ihm mehr und mehr
zuwider.Auch
hierwußte
2%
Sejan die
Wünsche
seinesHerrn
zu erraten und, ihreAusführung
fördernd, sie für seineZwecke
zu benützen.Er
veranlaßie den Kaiser, sich vonRom
zu entfernenund
seinen Wohnsitz in den Landhäusern und SchlössernCampaniens
zu nehmen. Die Aufenthalte in der Haupt-stadt
wurden immer
kürzer und sehener und hörten schließlich ganz auf.Der
Kaiser hatte inzwischen eine Stätte gefunden, die allen seinenWünschen
entsprach,und
dort ließ er sich nun häuslich nieder. Schon Augustushatte die Insel Capri als Erholungsaufenthalt „entdeckt"
und dort eine Villa gebaut, Tiberius wählte sie nun
zum
Licblingssitz. den er durch den
Bau
von Villen undTem-
peln, durch Terrassen- und
Ganenanlagen
zu einer „Insel der Seligen" umschuf. Ein schäferliches Id^-ll im Stile des Petii Trianon hatte er dabei allerdings nicht im Sinn,und mehr
als das Farbenspiel der Felsen und des dunkel leuchtenden Meeres,mehr
als dieWärme
der ersten Frühlingstage und die kühle Seeluft in denSommer-
nächten galtihm
die vollkommene Sicherheit, die ihm dieInsel gewährte; nahe genug
dem
Festlande gelegen,um
eine Verbindung mit ihm jederzeit zu ermöglichen, schloß
sie doch jede
unwillkommene
Überraschung aus, weil ihre Strandfelsen sich nur an einer Stelle zur Hafenein- fahrt öffneten. Zwei auf den höchsten Spitzen der bei-den Felsmassive, aus denen die Insel
zusammengewachsen
war, aufgestellte Wachtposten genügten,um
dasMeer rundherum
zu überblicken und jedesherankommende
Bootzu melden.
Von
dieser Abgeschiedenheit gingen die spärlichen B&- fehle aus, die das Reich lenkten. Sie bestandenzum
gro- ßen Teil in Briefen an den Senat, die meist in gewun-denem
Stil, zweideutigund
doppelsinnig gehalten waren;^
23
sie mißverstehen
und
die geheimen Absichten desHerr-
schers durchkreuzen, hieß den Hals in eine Schlinge stecken, die langsam, aber mit unentrinnbarer Sicherheit zugezogen wurde.
Der
einzige, der diesen Willen kannteund
zu deuten wußte,war
Sejan. Schon begann der furchtsamere—
also größere—
Teil des Senats vorihm
zu kriechen wie vor
dem
Kaiser selbst, schonwurden ihm —
mitZustimmung
des Tiberius—
Standbilder er- richtet.Der
einzige Sohn des Tiberius aus dessen erster Ehe, Drusus,war
inzwischen gestorben, die Söhne desGermanicus waren
bis auf den jüngsten ausdem Wege
geräumt, auf
dem Throne
saß ein einsamer, verschlosse- ner, mit allen verfeindeter Greis, derihm
ganz verfallenwar — wer
hätte es nochwagen
können,ihm
in denWeg
zu treten?Wer
standdem
Kaiser jetzt, nach Aus- rottung seiner Familie, noch nahe genug,um
ihn unter Einsatz des eigenen Lebens vor seinem einzigen Ver- trauten zuwarnen?
Es gab nur einen
Menschen
auf der Welt, der dies auch jetzt noch zu tun imstande war,und
dieser einewar
eine Frau, die bis dahin standhaft geschwiegenund
sich von allen diesen Dingen ferngehalten hatte. Diese
alte
Dame
zu bestricken, hatte Sejan nicht für nötig ge- halten.Antonia, die Nichte des Augustus, Tochter
Marc An-
tons
und
der Octaviaund Witwe
des Drusus, des jün- geren Bruders des Tiberius,war
allgemein beliebtund
verehrt.
Auch
sie galt als vorbildliche Römerin, die aber imangenehmen
Gegensatz zu der als allzu klug ver- schrienen Liviaund
der energischen, das Scheinwerfer-licht liebenden Agrippina ihre
Tugend
darin fand, sich ganz auf dasHaus
und die Familie zu beschränken und24
jedes Hervortreten, jedes Eingreifen in die Zügel der Herrschaft strengstens zu meiden.
Trotzdem
erfuhr sie vondem
Komplott des Sejan, und—
sei es nun,um
die Schwiegertochterund
die Enkel, deren jüngster bei ihr aufgewachsen war, zu retten, sei es aus allgemeinem Familienzusammenhaltsgefühl, sei es aus Mitleidmit
dem
Hintergangenen—
sie entschloß sich, Tiberius zu war- nen. Sie schrieb einen Brief und sandte ihn durch einen verläßlichen Diener nach Capri.Es
ist nicht daran zu zweifeln, daß Tiberius von der Wahrheit dessen,was
der Brief berichtete, sogleich über- zeugt war; übrigenswäre ihm
in solcher Sache ein be- gründeter Verdacht ebenso hinreichend gewesen wie die Gewißheit. Ein anderer an seiner Stellewäre
in schäumen- derWut
nachRom
geeilt und hätte Sejan verhaftet, an- geklagt, verhört und sogleich unschädlich gemacht.Für
Tiberius gab es keine Explosionen der Leidenschaft, die ihn zu einem unbesonnenen Schritt hätten hinreißen kön- nen.Er
wußte, daß er für den Augenblick noch niclitszu fürchten hatte,
und
getreu seiner Natur, der es wider- strebte, irgend etwas schnell zu wagen,was man
durchAbwarten
und Vorsicht ohne Risiko erreichen konnte, zog er langsamFaden
fürFaden
zu seinem Netz—
langsam, aber meisterhaft.Zunächst
übernahm
er das Konsulat—
eine reine Formsache, die vor allem dazu diente, denMann,
densich der Kaiser
zum
Kollegen wählte, besonders auszu- zeichnen. Selbstverständlichwar
Sejan der erwählte Kol-lege. Einige
Monate
später legte der Kaiser seinKon-
sulat nieder,
wodurch
auch Sejan zur Amtsniederlegunggezwungen
war.An
seine Stelle trat einihm
Ergebener, aber—
wieder ein paarMonate
später—
an dessea*5
Stelle
Memmius
Regulus, einMann,
auf den sich Tibe-rius verlassen konnte. Inzwischen hatte er auf Capri einen Offizier der Prätorianer
namens Macro
ins Vertrauengezogen und sich seiner versichert,
indem
erihm
die Nachfolgerschaft Sejans als Befehlshaber der Prätorianer in Aussicht stellte.Nun
sandte er ihn nachRom
miteinem Brief an den Senat und geheimen Aufträgen an
Memmius
und an denKommandanten
der militärisch or- ganisierten Polizeitruppe der Hauptstadt. Die Aufträgewurden
ausgerichtet,am
nächstenMorgen
beriefMem-
mius die Senatoren in den
zum
Sitzungssaal gewähltenTempel
des Apollo,um
die Botschaft des Kaisers zu hören. Sejanwar
unter ihnen, er hoffte,daß
der Brief,den
einer seiner Prätorianeroffiziere nachRom
gebracht hatte, die Übertragung der tribunizischenGewalt
für ihn fordernwerde — was
praktisch mit derErnennung zum
Mitregenten gleichbedeutend war. Macro, den er vordem
Eingang traf, bestärkte ihn natürlich darin,
und
er betratdie Halle.
Währenddessen
hatten sich Abteilungen der PoUzeitruppe unauffällig in dieNähe
desApoUotempels
vorgeschoben. Es galt aber noch eine Schwierigkeit zu überwinden: Sejanwar
trotz aller schönenHoffnungen
noch vorsichtig genug gewesen,um
sich von einerAb-
teilung Prätorianer begleiten zu lassen, die jetzt vor den Tempelstufen Aufstellung nahmen.
Man mußte
damit rechnen,daß
sie ihrenKommandanten,
sei es aus Treue,sei es aus Stolz, in Schutz
nehmen
würden. EinKampf
hätte
—
abgesehen von seinem ungewissenAusgang —
die ganze Prätorianertruppe an die Seite der
Kameraden
gerufen
und
damit die Militärrevolte entfesselt.Zu
den Eigenschaften des Tiberius gehörte es, daß keiner ihn leiden konnteund
jederihm
gerne gehorchte.Das
be-z6
währte sich auch hier:
Macro
hielt eineAnsprache
an die Präiorianerabtellung, steUte sich als dervom
Kaiser ernannte neueKommandant
vor und kündigteeine ru
Ehren
dieses Anlasses gewährte Löhnungszulage an. Die Prätorianer gehorchten seinem Befehlund
zogen ab. Ihre Stellenahm
die Polizeitruppe ein.Drinnen im Saal brachte der Konsul den Brief des Kaisers zur Verlesung.
Der
begann mit einemLob
Sejans
und
erging sich dann in Sätzen, die noch zweideutiger und widerspruchsvollerwaren
als sonst, aus denen aberimmer
deutlicher eine gegen denGünsüing
gerichteteAb-
sicht zu
entnehmen
war.Auch
diese Einkleidungwar
wohlberechnet, sie sollte den Senatoren, die nicht eigent- lich zu Sejans Partei gehörten, sondern
ihm
nur aus Liebedienerei gegen den Kaiser gehuldigt hatten, Zeit geben, die neueLage
zu erfassen und ihre Stellungdem- gemäß
zurechtzurücken.Der
Brief, der mitdem Lob
Sejans begonnen hatte, schloß unzweideutig genug mit
dem
Antrag, ihn als Hochverräter zu verhaften.Das
ge- schah mitHUfe
desKommandanten
der PoUzeitruppeund
des Vorsitzenden Konsuls auf der SteUe unterdem
Jubelnden Beifallsgeschrei seiner ergebenen Freunde, der Senatoren. Sejan
wurde
nocham
selbenAbend
erdrosselt, seinLeichnam
von der Seufzertreppe in den Tiber ge- stoßen.Mit
seiner Tochtermußte man
sichmehr Mühe
geben: da nach römischem Gesetz eine Jungfrau nicht hingerichtet
werden
durfte, vergewaltigte sie der Henker, ehe er sie umbrachte.Tiberius
war
mit der Sicherheit, die dieser Plan ge- währte, so genau berechnetund
von langerHand
vorbe-reitet er sein mochte, noch lange nicht zufriedengestellt.