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RELIQUA UT DE MONSTRO

Im Dokument HANNS SACHS BUBI CALIGULA (Seite 82-85)

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Ein

Huhn

kann

man

mit einem Kreidestrich faszi-nieren, so

daß

es ihn nicht zu überschreiten wagt, aber eine Katze läßt sich nicht mit

dem

Schatten eines Stricks anbinden,

wenn

die

Mäuse um

sie herumtanzen. In der Seele des jungen Kaisers gab es vielerlei Katzenhaftes, das sich

um

das neue Tugendideal ebensowenig

küm-merte, wie es vor der Gestalt des Tiberius, des früheren Vorbildes, haltgemacht hatte.

»Vergiß nicht,

daß mir

alles

und

gegen alle erlaubt

ist", schnauzte der junge

Mann

seine

Großmutter

Antonia

an, als die vor kurzem mit

Ehrungen

Überhäufte sich

einige großmütterliche

Winke

und

Warnungen

erlaubt

hatte.

Er

begann die volle Wirklichkeit seiner Allmacht

zu fühlen, lernte an ihre Unumstößlichkeit glauben: sie hinderte ihn, in der

Menge

unterzutauchen,

wo

er sich

wohler gefühlt hätte, weil dort einer

den anderen stützt

und

jeder

jedem

als

Maß

gilt; für diesen Entgang sollte sie ihn bezahlen,

indem

sie

ihm

bewies,

daß

es außer

ihm

selbst nichts Festes

und

Unerschütterliches

mehr

gab. keine Schranke, keinen Zaun, keine

Mauer —

keine

Sperre, aber auch keine

Grenze

für seinen Willen.

Vielleicht hätte eine strenge Hofetikette

ihm

den Halt geben können, dessen er bedurfte. Sie hätte ihm zu jeder Stunde das Bild seines Selbst als eines göttlichen, be-dingungslos angebeteten

Wesens

gezeigt, so

daß

er

viel-79

leicht bereit gewesen wäre, sich in jene endlosen Zere-monien

und

Formalitäten zu fügen, die so viel

Aufwand

an Zeit und Aufmerksamkeit kosten, daß sie aus

dem

Vergötterten eine unschädliche

Puppe

machen.

Aber

ein richtiges

Hof

zeremoniell

war

auf

dem

Palatin damals noch unbekannt.

Das

Kaisertum bestand erst zu kurze

Zeit, und sein Begründer, Augustus, der die Fiktion

vom

Fortbestand der Republik mit allen Mitteln aufrechtzu-erhalten suchte, hatte sich entschieden gegen alles ge-wehrt,

was

an die Zustände an orientalischen Fürsten-höfen

ein anderes Vorbild

kam

nicht in Betracht

erinnern konnte.

Das

steife

Wesen

des Tiberlus hätte sich mit einer höfischen Etikette leicht befreundet, aber er

war

zu konservativ,

um

neue und unrömische

Ge-bräuche einzuführen. So ergab sich ein

merkwürdiger

Zustand: der Kaiser führte offiziell den Titel „der Gött-liche",

und

er, oder genauer gesagt, seine „Wesenheit", wurde,

wenn

er es gestattete, als Gottheit angebetet.

Tempel,

Opferdienst

und

Priesterorganisationen

waren

für ihn ebenso da wie für die alten Staatsgötter

Roms.

Dabei war

die Lebensweise dieses Vergotteten nicht viel anders wie die irgendeines

vornehmen

Römers.

Er

thronte nicht als Idol hinter Schleiern, die sich nur in feier-lichen

Ausnahmsmomenten

lüfteten, sondern tat,

was

römisches

Zweckdenken

zur

Führung

der Staatsgeschäfte für richtig hielt, sprach öffentlich Recht, präsidierte bei den Spielen,

nahm

an den allgemeinen Festen

und

an privater Geselligkeit teil.

Auch

darüber, wieviel Zelt der Herrscher den Geschäften zu

widmen

habe,

war

durch keinen Brauch entschieden. Die meisten wtirden

wie

bei der später zu schildernden Audienz der jüdischen Gesandtschaft

mündlich erledigt. Ein „Beruf"

im

8o

heutigen Sinne, der in der Erledigung von Akten besteht,

war

das Regieren damals noch nicht. Natürlich blieb

dem

Kaiser überall die erste SteUe vorbehalten

und

die Aus-zeichnung durch gewisse Ehrenvorrechte, aber von jener Kluft, die den „Gesalbten" von gewöhnlichen SierbHchen

trennt,

war

nichts vorhanden. Die Freunde, die

dem

Kaiser allmorgendlich ihre Ergebenheitsvisite abstatteten,

wurden, wie es der allgemeinen Sitte entsprach, mit einem

Kuß

begrüßt. Die Dienerschaft, die sowohl

Haus-wle Staatsgeschäfte zu versorgen hatte

die beiden

waren

noch nicht geschieden

und

gingen durch dieselben

Hände —

,

war

weit entfernt von

dem

streng geregelten Nichtstun, das das

Wesen

eines Hofstaats ausmacht.

Zu

Ehrfurchts-

und

Ergebenheitsbeweisen

waren

sie alle

die Angehörigen wie die freigelassenen

und

unfreien Diener

dem

Hausvorstand gegenüber verpflichtet-das gehörte zu den

Formen

des Patriarchats, die in adeligen Familien durch lange Tradition behütet wurden.

Die

übertriebene Unterwürfigkeit einzelner, die sich die kaiserliche

Gunst

erwedeln oder erschleichen wollten, hatte noch nicht die festen

Formen

der Etikette

an-genommen.

Em

Zeremoniell, das sich wie eine schützende Dornen-hecke zwischen die Böswilligkeit des

Herrn und

die

Schutzlosigkelt des Dienenden stellt

und

mit Hilfe des

Gepränges

der Allmacht ihre

Tatsächlichkeit beseitigt, gab es für Caligula nicht. Es

war

kein Ersatz,

daß

an-statt dessen ein Zeremonienmeister auftauchte: Macro, der Prätorianerkommandant

und

ehemalige

Mitverschwo-rene, bildete sich ein, daß seine geleisteten Dienste

und

das durch Eid und Unterschrift bekräftigte Versprechen des Kaisers

ihm

das Recht dazu gegeben hätten, den

Si weisen

Mentor

des jungen Fürsten zu spielen. Obgleicli gerade er es besser wissen konnte, teilte er die

allge-meine Ahnungslosigkeit

und

glaubte, einen Musterknaben vor sich zu haben, der nach weiterer Erziehung dürstete.

So verwies er seinem jungen Freunde väterlich das auf-geregte

Wesen und

die ständige

Unruhe

sowie die un-leidliche

Gewohnheit

des Mitsingens

und

Dreinrcdens

bei Konzerten

und

Rezitationen. Caligula hatte sich lange genug ducken müssen

und

fand jetzt,

wo

er endlich frei

war, an solchen Zurechtweisungen

wenig Geschmack;

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