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Ein
Huhn
kannman
mit einem Kreidestrich faszi-nieren, sodaß
es ihn nicht zu überschreiten wagt, aber eine Katze läßt sich nicht mitdem
Schatten eines Stricks anbinden,wenn
dieMäuse um
sie herumtanzen. In der Seele des jungen Kaisers gab es vielerlei Katzenhaftes, das sichum
das neue Tugendideal ebensowenigküm-merte, wie es vor der Gestalt des Tiberius, des früheren Vorbildes, haltgemacht hatte.
»Vergiß nicht,
daß mir
allesund
gegen alle erlaubtist", schnauzte der junge
Mann
seineGroßmutter
Antoniaan, als die vor kurzem mit
Ehrungen
Überhäufte sicheinige großmütterliche
Winke
undWarnungen
erlaubthatte.
Er
begann die volle Wirklichkeit seiner Allmachtzu fühlen, lernte an ihre Unumstößlichkeit glauben: sie hinderte ihn, in der
Menge
unterzutauchen,wo
er sichwohler gefühlt hätte, weil dort einer
den anderen stützt
und
jederjedem
alsMaß
gilt; für diesen Entgang sollte sie ihn bezahlen,indem
sieihm
bewies,daß
es außerihm
selbst nichts Festesund
Unerschütterlichesmehr
gab. keine Schranke, keinen Zaun, keine
Mauer —
keineSperre, aber auch keine
Grenze
für seinen Willen.Vielleicht hätte eine strenge Hofetikette
ihm
den Halt geben können, dessen er bedurfte. Sie hätte ihm zu jeder Stunde das Bild seines Selbst als eines göttlichen, be-dingungslos angebetetenWesens
gezeigt, sodaß
erviel-79
leicht bereit gewesen wäre, sich in jene endlosen Zere-monien
und
Formalitäten zu fügen, die so vielAufwand
an Zeit und Aufmerksamkeit kosten, daß sie ausdem
Vergötterten eine unschädliche
Puppe
machen.Aber
ein richtigesHof
zeremoniellwar
aufdem
Palatin damals noch unbekannt.Das
Kaisertum bestand erst zu kurzeZeit, und sein Begründer, Augustus, der die Fiktion
vom
Fortbestand der Republik mit allen Mitteln aufrechtzu-erhalten suchte, hatte sich entschieden gegen alles ge-wehrt,
was
an die Zustände an orientalischen Fürsten-höfen—
ein anderes Vorbildkam
nicht in Betracht—
erinnern konnte.
Das
steifeWesen
des Tiberlus hätte sich mit einer höfischen Etikette leicht befreundet, aber erwar
zu konservativ,um
neue und unrömische Ge-bräuche einzuführen. So ergab sich einmerkwürdiger
Zustand: der Kaiser führte offiziell den Titel „der Gött-liche",und
er, oder genauer gesagt, seine „Wesenheit", wurde,wenn
er es gestattete, als Gottheit angebetet.Tempel,
Opferdienstund
Priesterorganisationenwaren
für ihn ebenso da wie für die alten StaatsgötterRoms.
Dabei war
die Lebensweise dieses Vergotteten nicht viel anders wie die irgendeinesvornehmen
Römers.Er
thronte nicht als Idol hinter Schleiern, die sich nur in feier-lichenAusnahmsmomenten
lüfteten, sondern tat,was
römisches
Zweckdenken
zurFührung
der Staatsgeschäfte für richtig hielt, sprach öffentlich Recht, präsidierte bei den Spielen,nahm
an den allgemeinen Festenund
an privater Geselligkeit teil.Auch
darüber, wieviel Zelt der Herrscher den Geschäften zuwidmen
habe,war
durch keinen Brauch entschieden. Die meisten wtirden—
wiebei der später zu schildernden Audienz der jüdischen Gesandtschaft
—
mündlich erledigt. Ein „Beruf"im
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heutigen Sinne, der in der Erledigung von Akten besteht,
war
das Regieren damals noch nicht. Natürlich bliebdem
Kaiser überall die erste SteUe vorbehalten
und
die Aus-zeichnung durch gewisse Ehrenvorrechte, aber von jener Kluft, die den „Gesalbten" von gewöhnlichen SierbHchentrennt,
war
nichts vorhanden. Die Freunde, diedem
Kaiser allmorgendlich ihre Ergebenheitsvisite abstatteten,
wurden, wie es der allgemeinen Sitte entsprach, mit einem
Kuß
begrüßt. Die Dienerschaft, die sowohl Haus-wle Staatsgeschäfte zu versorgen hatte—
die beidenwaren
noch nicht geschiedenund
gingen durch dieselbenHände —
,war
weit entfernt vondem
streng geregelten Nichtstun, das dasWesen
eines Hofstaats ausmacht.Zu
Ehrfurchts-und
Ergebenheitsbeweisenwaren
sie alle—
die Angehörigen wie die freigelassenenund
unfreien Diener— dem
Hausvorstand gegenüber verpflichtet-das gehörte zu denFormen
des Patriarchats, die in adeligen Familien durch lange Tradition behütet wurden.Die
übertriebene Unterwürfigkeit einzelner, die sich die kaiserlicheGunst
erwedeln oder erschleichen wollten, hatte noch nicht die festenFormen
der Etikettean-genommen.
Em
Zeremoniell, das sich wie eine schützende Dornen-hecke zwischen die Böswilligkeit desHerrn und
dieSchutzlosigkelt des Dienenden stellt
und
mit Hilfe desGepränges
der Allmacht ihreTatsächlichkeit beseitigt, gab es für Caligula nicht. Es
war
kein Ersatz,daß
an-statt dessen ein Zeremonienmeister auftauchte: Macro, der Prätorianerkommandant
und
ehemaligeMitverschwo-rene, bildete sich ein, daß seine geleisteten Dienste
und
das durch Eid und Unterschrift bekräftigte Versprechen des Kaisersihm
das Recht dazu gegeben hätten, denSi weisen
Mentor
des jungen Fürsten zu spielen. Obgleicli gerade er es besser wissen konnte, teilte er dieallge-meine Ahnungslosigkeit
und
glaubte, einen Musterknaben vor sich zu haben, der nach weiterer Erziehung dürstete.So verwies er seinem jungen Freunde väterlich das auf-geregte
Wesen und
die ständigeUnruhe
sowie die un-leidlicheGewohnheit
des Mitsingensund
Dreinrcdensbei Konzerten
und
Rezitationen. Caligula hatte sich lange genug ducken müssenund
fand jetzt,wo
er endlich freiwar, an solchen Zurechtweisungen