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sie mißverstehen
und
die geheimen Absichten desHerr-schers durchkreuzen, hieß den Hals in eine Schlinge stecken, die langsam, aber mit unentrinnbarer Sicherheit zugezogen wurde.
Der
einzige, der diesen Willen kannteund
zu deuten wußte,war
Sejan. Schon begann der furchtsamere—
also größere—
Teil des Senats vorihm
zu kriechen wie vor
dem
Kaiser selbst, schonwurden ihm —
mitZustimmung
des Tiberius—
Standbilder er-richtet.Der
einzige Sohn des Tiberius aus dessen erster Ehe, Drusus,war
inzwischen gestorben, die Söhne desGermanicus waren
bis auf den jüngsten ausdem Wege
geräumt, auf
dem Throne
saß ein einsamer, verschlosse-ner, mit allen verfeindeter Greis, derihm
ganz verfallenwar — wer
hätte es nochwagen
können,ihm
in denWeg
zu treten?Wer
standdem
Kaiser jetzt, nach Aus-rottung seiner Familie, noch nahe genug,um
ihn unter Einsatz des eigenen Lebens vor seinem einzigen Ver-trauten zuwarnen?
Es gab nur einen
Menschen
auf der Welt, der dies auch jetzt noch zu tun imstande war,und
dieser einewar
eine Frau, die bis dahin standhaft geschwiegenund
sich von allen diesen Dingen ferngehalten hatte. Diese
alte
Dame
zu bestricken, hatte Sejan nicht für nötig ge-halten.Antonia, die Nichte des Augustus, Tochter
Marc
An-tons
und
der Octaviaund Witwe
des Drusus, des jün-geren Bruders des Tiberius,war
allgemein beliebtund
verehrt.
Auch
sie galt als vorbildliche Römerin, die aber imangenehmen
Gegensatz zu der als allzu klug ver-schrienen Liviaund
der energischen, dasScheinwerfer-licht liebenden Agrippina ihre
Tugend
darin fand, sich ganz auf dasHaus
und die Familie zu beschränken und24
jedes Hervortreten, jedes Eingreifen in die Zügel der Herrschaft strengstens zu meiden.
Trotzdem
erfuhr sie vondem
Komplott des Sejan, und—
sei es nun,um
die Schwiegertochterund
die Enkel, deren jüngster bei ihr aufgewachsen war, zu retten, sei es aus allgemeinem Familienzusammenhaltsgefühl, sei es aus Mitleidmit
dem
Hintergangenen—
sie entschloß sich, Tiberius zu war-nen. Sie schrieb einen Brief und sandte ihn durch einen verläßlichen Diener nach Capri.Es
ist nicht daran zu zweifeln, daß Tiberius von der Wahrheit dessen,was
der Brief berichtete, sogleich über-zeugt war; übrigenswäre ihm
in solcher Sache ein be-gründeter Verdacht ebenso hinreichend gewesen wie die Gewißheit. Ein anderer an seiner Stellewäre
in schäumen-derWut
nachRom
geeilt und hätte Sejan verhaftet, an-geklagt, verhört und sogleich unschädlich gemacht.Für
Tiberius gab es keine Explosionen der Leidenschaft, die ihn zu einem unbesonnenen Schritt hätten hinreißen kön-nen.Er
wußte, daß er für den Augenblick noch niclitszu fürchten hatte,
und
getreu seiner Natur, der es wider-strebte, irgend etwas schnell zu wagen,was man
durchAbwarten
und Vorsicht ohne Risiko erreichen konnte, zog er langsamFaden
fürFaden
zu seinem Netz—
langsam, aber meisterhaft.Zunächst
übernahm
er das Konsulat—
eine reine Formsache, die vor allem dazu diente, denMann,
densich der Kaiser
zum
Kollegen wählte, besonders auszu-zeichnen. Selbstverständlichwar
Sejan der erwählteKol-lege. Einige
Monate
später legte der Kaiser seinKon-sulat nieder,
wodurch
auch Sejan zur Amtsniederlegunggezwungen
war.An
seine Stelle trat einihm
Ergebener, aber—
wieder ein paarMonate
später—
an dessea*5
Stelle
Memmius
Regulus, einMann,
auf den sichTibe-rius verlassen konnte. Inzwischen hatte er auf Capri einen Offizier der Prätorianer
namens Macro
ins Vertrauengezogen und sich seiner versichert,
indem
erihm
die Nachfolgerschaft Sejans als Befehlshaber der Prätorianer in Aussicht stellte.Nun
sandte er ihn nachRom
miteinem Brief an den Senat und geheimen Aufträgen an
Memmius
und an denKommandanten
der militärisch or-ganisierten Polizeitruppe der Hauptstadt. Die Aufträgewurden
ausgerichtet,am
nächstenMorgen
beriefMem-mius die Senatoren in den
zum
Sitzungssaal gewähltenTempel
des Apollo,um
die Botschaft des Kaisers zu hören. Sejanwar
unter ihnen, er hoffte,daß
der Brief,den
einer seiner Prätorianeroffiziere nachRom
gebracht hatte, die Übertragung der tribunizischenGewalt
für ihn fordernwerde — was
praktisch mit derErnennung zum
Mitregenten gleichbedeutend war. Macro, den er vordem
Eingang traf, bestärkte ihn natürlich darin,
und
er betratdie Halle.
Währenddessen
hatten sich Abteilungen der PoUzeitruppe unauffällig in dieNähe
desApoUotempels
vorgeschoben. Es galt aber noch eine Schwierigkeit zu überwinden: Sejanwar
trotz aller schönenHoffnungen
noch vorsichtig genug gewesen,um
sich von einerAb-teilung Prätorianer begleiten zu lassen, die jetzt vor den Tempelstufen Aufstellung nahmen.
Man mußte
damit rechnen,daß
sie ihrenKommandanten,
sei es aus Treue,sei es aus Stolz, in Schutz
nehmen
würden. EinKampf
hätte
—
abgesehen von seinem ungewissenAusgang —
die ganze Prätorianertruppe an die Seite der
Kameraden
gerufen
und
damit die Militärrevolte entfesselt.Zu
den Eigenschaften des Tiberius gehörte es, daß keiner ihn leiden konnteund
jederihm
gerne gehorchte.Das
be-z6
währte sich auch hier: