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assen Sie uns vernünftig aufeinander zugehen“, hatte SPD-Fraktionschef Franz Müntefering beim Außeror- dentlichen Deutschen Ärztetag am 18.Februar in Berlin angeboten. Er lud Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Prä- sident der Bundesärztekammer, und Dr.
med. Manfred Richter-Reichhelm, Er- ster Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), ein, im März mit seiner Fraktion ins Gespräch zu kommen. Dies war ein Angebot, das da- mals wegen des extrem schlechten Kli- mas zwischen Ärzteschaft und vielen rot-grünen Bundestagsabgeordneten gern gesehen wurde. Hoppe, Richter- Reichhelm und ihre engsten Mitarbeiter trafen sich in der Folge mit Vertretern der Fraktion, ebenso allerdings mit Bun- desgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), trugen Bedenken gegen die Re- formpläne und mögliche Alternativen vor – an sich das Übliche bei Gesetzge- bungsverfahren. Diese Runden hätten etliche Politiker „nachdenklich“ ge- macht, sagt KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl.
Wohin diese Nachdenklichkeit ge- führt haben soll, will die „Süddeutsche Zeitung“ in der vergangenen Woche von Klaus Kirschner (SPD) erfahren haben. Kirschner ist Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Bundesta- ges und Verfechter eines stark staatlich geprägten Gesundheitswesens. Ministe- rin Schmidt erwäge erhebliche Zuge- ständnisse an die Ärzteschaft, kritisier- te er. Der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung solle auch für die Fachärzte weiter bei den Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) liegen. Einzelverträge seien nur für Ärzte vorgesehen, die sich an Formen der integrierten Versorgung beteiligen.
Weiter berichtete die Süddeutsche, dass
in das geplante Zentrum für Qualität in der Medizin auch Vertreter von Ärzte- schaft und Krankenkassen eingebun- den werden sollten.
Ulla Schmidt ließ den Bericht demen- tieren – allerdings halbherzig. „Es ist meine feste Absicht, das Vertragsmono- pol der KVen zu beseitigen“, erklärte sie.
Dies sei jedoch „mit sehr schwierig zu lö- senden Sach- und Fachfragen verbun- den“. Außerdem müsse bei der Reform sichergestellt werden, dass eine mög- lichst optimale Versorgung der Patien- ten erhalten bleibe: „Dies kann bedeu- ten, dass die Schrittfolge in der prakti- schen Umsetzung geändert wird.“
Krankenkassen zurückhaltend in Bezug auf Einzelverträge
Viel mehr war dem Ministerium seither nicht zu entlocken. Es hat sich jedoch herumgesprochen, dass vor allem die Vertreter der Betriebs-, Ersatz- und In- nungskrankenkassen gern auf ein aus- geprägtes Einzelvertragssystem ver- zichten würden, weil sie sonst Nachteile gegenüber den großen AOKen befürch- ten. Die KBV wiederum hat ein diffe- renziertes Modell zu Kollektiv- und Einzelverträgen vorgelegt, das ihrer Ansicht nach mehr Wettbewerb erlau- ben würde, ohne ein Versorgungschaos zu provozieren (DÄ, Heft 9/2003).
Ob sich Schmidt und die Fraktion dafür erwärmt haben, ist offen. Eine Sprecherin wollte lediglich bestätigen, es werde Einzelverträge „über das hin- aus geben, was wir haben“. Was das Zentrum für Qualität in der Medizin anbelangt, so betonte sie: „Wir wollen das als qualitätssicherndes Element.“
Prof. Dr. med. Dr. Karl W. Lauterbach, ein enger Berater Schmidts, hielte die
Form einer Stiftung für das Institut für tragbar. Darüber wird in der Haupt- stadt angeblich derzeit nachgedacht. Ei- ne Beteiligung der Krankenkassen an der Finanzierung des Zentrums könne er sich gut vorstellen, sagte Lauterbach.
Eine direkte Beteiligung der Ärzte- schaft am Institut selbst sei allerdings abzulehnen.
Was sich hinter zahlreichen wohl ab- gewogenen Politiker- und Expertenstel- lungnahmen verbirgt, wird erst klarer werden, wenn der Referentenentwurf vorliegt. Offenbar bemüht sich Franz Müntefering hinter den Kulissen jedoch um Kompromisse in den eigenen Rei- hen und mit denjenigen, die von der Re- form betroffen wären. Da die Bundes- regierung bei der Umsetzung ihrer Ge- sundheitspolitik auf die Opposition an- gewiesen ist, wird auch ihre Positionie- rung stets ins Kalkül gezogen. Das gilt auch für Ulla Schmidt, die ein Poli- tikprofi ist und sich zu drehen weiß.
Wie weit sich die Ministerin auch in Richtung des kleinen Koalitionspart- ners wenden muss, ist ungewiss. Unmit- telbar vor dem außerplanmäßigen Tref- fen der Grünen-Bundesdelegierten in Cottbus, bei dem über die Reformagen- da 2010 beraten werden soll, meldet sich die Parteispitze gesundheitspoli- tisch zurück – wohl auch, um den Dele- gierten rechtzeitig das „spezifisch Grü- ne“ bei den anstehenden Reformen zu vermitteln. So plädierte die gesund- heitspolitische Sprecherin der Partei, Birgitt Bender, dafür, die kostenlose Mitversicherung von Ehegatten einzu- schränken und die Miet- und Zinsein- nahmen bei der Berechnung der Kran- kenkassenbeiträge einzubeziehen. Zur Umsetzung von mehr Wettbewerb bei der ärztlichen Versorgung muss es nach Benders Worten mehr „Übergänge ge- ben“. Zwar werde „Wettbewerb das lei- tende Prinzip“ bleiben. Jedoch dürfe man bei der Reform „nicht alle Macht den Krankenkassen“ geben.
Die Richtung der rot-grünen Gesund- heitspolitik wird wohl auch mit der Vor- lage des Referentenentwurfs nicht end- gültig feststehen. Denn am 1. Juni be- schäftigt sich die SPD auf ihrem Sonder- parteitag mit dem Reformkurs der Re- gierung, mit der Arbeitsmarkt- und Ren- tenpolitik, aber auch mit der Gesund- heitsreform. Sabine Rieser, Samir Rabbata P O L I T I K
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A1232 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003