ie 1997 vom 100. Deutschen Ärztetag beschlossene Muster- Berufsordnung nimmt epide- miologische Forschungsvorhaben von der Beratungspflicht durch Ethik- Kommissionen wieder aus. Dagegen steht die Fortentwicklung der Be- rufsordnungen einzelner Länder, wo auch nach 1997 epidemiologische Forschung der Zustimmung medizi- nischer Ethik-Kommissionen bedarf.
Dies weist auf einen berufspolitisch strittigen Sachverhalt hin. Prof. Dr.
med. Elmar Doppelfeld, Vorsitzen- der des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen, betonte, daß nicht zuletzt der Gedankenaustausch mit der Zentralen Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer dazu ge- führt habe, sich anläßlich der 17. Jah- resversammlung am 20. November in Köln auch im Arbeitskreis Medizini- scher Ethik-Kommissionen mit dieser Frage kritisch auseinanderzusetzen.
Wichtige ethische Fragen
Hauptgegenstand der Ethik- Kommissionen seien bisher klinische Studien gewesen, auf die Bewertung epidemiologischer Forschungsprojek- te müßten sie sich häufig noch einstel- len. Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Heinz- Erich Wichmann, Direktor des GSF- Instituts für Epidemiologie, wies auf einige zentrale Probleme epidemiolo- gischer Studien hin, die die Einschal- tung einer Ethik-Kommission erfor- derlich machen. Je nach Studientyp – Querschnittsstudie, Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien, genetisch-epi- demiologische Ansätze – wachse die Bedeutung einer Beratung durch die Ethik-Kommissionen. Die geringsten
Probleme würden dabei, sofern die Anonymisierung der Daten gewähr- leistet sei, einmalige Querschnittsstu- dien bereiten. Im Grunde sollte aber auch hier der Forschungsansatz unter dem Aspekt der „guten epidemiolo- gischen Praxis“ hinterfragt werden.
Bei allen Längsschnittuntersuchungen müßten die datenschutzrechtlichen Be- lange besonders beachtet werden. Be- ratungsbedarf durch Ethik-Kommis- sionen bestehe beim Versicherungs- schutz und bei der Aufklärung der Probanden, führte Wichmann aus.
Besondere ethische Probleme erge- ben sich bei der Nutzung biologischer, insbesondere genetischer Materiali- en. Der fast unbegrenzte Informati- onsgehalt dieser Materialien könne leicht alle Anonymisierungs-Bemü- hungen konterkarieren. Auch der Umgang mit dem prognostischen Po- tential biologischer Marker – insbe- sondere dort, wo die Therapie einer diagnostizierten Krankheit noch nicht möglich ist – sei ethisch sehr beden- kenswert.
Grundsätzlich sollte jede epide- miologische Forschung, auch wenn sie retrospektiv angelegt ist, von einer Ethik-Kommission beraten werden, forderte Prof. Dr. med. Dr. phil. Hans- Heinrich Raspe, Direktor des Insti- tuts für Sozialmedizin an der Me- dizinischen Universität zu Lübeck.
Selbst nichtpersonenbezogene Un- tersuchungen müßten bezüglich des Auflösungsvermögens der verwende- ten Daten einer kritischen Begut- achtung durch Ethik-Kommissionen standhalten. Auch Raspe unterstrich die Bedeutung des Faktors „Dignität der Fragestellung“ für die Entschei- dung über die Zulässigkeit eines epi- demiologischen Forschungsprojektes.
Aus der Arbeit der Kommission
„Verfahrensfragen“ berichtete Prof.
Dr. jur. Erwin Deutsch, Leiter der Ab- teilung Arzt- und Arzneimittelrecht der Universität Göttingen. Nach der Umsetzung der 8. Novelle des Arz- neimittelgesetzes sei bei multizen- trischen Studien zu konstatieren, daß Pharmaunternehmen sich zu einseitig auf die für den Leiter der Studie zuständige Master-Kommis- sion konzentrieren. Deutsch forderte, jedes Forschungsprojekt allen betei- ligten Ethik-Kommissionen vorzule- gen. Auch sei die Praxis von Sponsoren zu beobachten, für eine klinische Mul- ticenter-Studie gleich mehrere Leiter zu benennen, um so je nach Verfah- rensgang in den verschiedenen Kom- missionen möglichst rasch zu einem Votum zu kommen, und das möglichst bei einer Ethik-Kommission, von der man die wenigsten Einwände erwartet.
Nutzung von Gewebeproben
Deutsch wies zudem auf die mit der Errichtung von Blutproben- und Gewebebanken verbundenen Proble- me hin. Ethisch bedenklich sei die Zu- stimmung der Spender hinsichtlich der künftigen Nutzung der Proben.
Hier müsse man eine Verständigung darüber finden, ob diese Zustimmung jegliche weitere Verwendung ein- schließt oder nur die Nutzung, die zum Zeitpunkt der Spende absehbar war. Die Kommission „Verfahrensfra- gen“ befürworte in solchen Fällen ein neues Votum der zuständigen Ethik- Kommission.
Über Fortschritte bei der Rege- lung der Probandenversicherung im Rahmen klinischer Studien berich- tete Prof. Dr. med. Christian Ritt- ner, Leiter des Instituts für Rechts- medizin an der Universität Mainz.
Nach langem Stillstand erkenne man nun Kooperationsbereitschaft auch seitens der Versicherungswirtschaft.
Im Bundesgesundheitsministerium sei eine entsprechende Gesetzesänderung im Gespräch. Wesentlich sei, daß ei- ne Wegeversicherung für die Proban- den vorgehalten werde und daß die Versicherungssumme für einen et- waigen Massenschadensfall ausrei- chend sei. Dr. Thomas Gerst A-3160 (32) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 49, 10. Dezember 1999
T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT