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uf die besondere Verantwortung medizinischer Ethik-Kommissio- nen wies der Präsident der Lan- desärztekammer Rheinland-Pfalz, Dr.med. Dieter Everz, gleich zu Beginn der ersten Sommertagung des Arbeits- kreises Medizinischer Ethik-Kommis- sionen und der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz in Mainz hin. Die enormen Fortschritte der Biomedizin enthielten ein hohes Maß an Miss- brauchspotenzial und stießen zuneh- mend an Grenzen des ethisch Vertret- baren, so Everz. Hier erfüllten Ethik- Kommissionen zwei wichtige Aufga- ben. Sie müssten den Schutz und das Wohlergehen der Probanden/Pa- tienten sicherstellen und gleichzeitig Grenzen des ethisch Verantwortbaren aufzeigen. Everz forderte, die Arbeit von Ethik-Kommissionen stärker einer breiten Öffentlichkeit bewusst zu ma- chen.
Unterschiedliche Bereiche
Breiten Raum nahm die Diskussion über die Vertretbarkeit der Klini- schen Forschung an Einwilligungsun- fähigen ein. Prof. Dr. jur. Jochen Tau- pitz, Mannheim, verwies auf die unter- schiedlichen Bereiche klinischer For- schung. Dem Therapieversuch liege zwar eine Neuartigkeit des Therapie- ansatzes, aber im Wesentlichen eine Therapieabsicht zugunsten des Patien- ten zugrunde. Der Klinische Versuch werde neben der Therapieabsicht auch von einer konkreten wissenschaftli- chen Fragestellung geprägt, während beim wissenschaftlichen Experiment der individuelle Nutzen ganz in den Hintergrund trete und das wissen- schaftliche Interesse dominiere. Je- doch seien auch beim wissenschaftli- chen Experiment Abstufungen vor-
handen, es könne ein möglicher Eigen- nutzen, ein gruppenspezifischer Nut- zen oder rein fremdnützige Forschung, die ethisch nicht vertretbar seien, vor- liegen.
Das kumulative Zusammenwirken der Schutzkriterien nach den einschlä- gigen Vorschriften/Empfehlungen be- gründet nach Auffassung von Taupitz ein so hohes Schutzpotenzial, dass das wissenschaftliche Experiment in den beiden ersten Fallgruppen (möglicher Eigennutzen, gruppenspezifischer Nut- zen) dann vertretbar ist, wenn nur mini- male Risiken entstehen. Nach Taupitz könne bei Einwilligungsunfähigen außerhalb des Therapieversuchs nicht mit der Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung operiert werden, da ein therapeutischer Erfolg nicht regelhaft eintrete. Die Einwilligung des gesetzli- chen Vertreters sei unverzichtbar, gege- benenfalls müsse ein Betreuer bestellt werden.
Im weiteren Verlauf wurde die von der Ethik-Kommission der Universität Gießen praktizierte Vorgehensweise dargelegt. Bei Einwilligungsunfähi- gen, bei denen eine Therapieentschei- dung nicht aufschiebbar und kein Be- treuer benannt sei, werde ein nicht an der Studie beteiligter Facharzt hinzu- gezogen. Dieser lege schriftlich fest, ob der Patient in die Studie einbezo- gen werden könne. Dr. Rudolf Burger, Bayern, verwies darauf, dass Arznei- mittelprüfrichtlinien und die EWG- Richtlinie 75/318 eine höhere Dichte der präklinischen Datenlage vor Erst- anwendung am Menschen verlangen als die neuen International-Confer- ence-on-Harmonization-(ICH-)Richtli- nien.
Dr. Ingeborg Geisler, Bundesge- sundheitsministerium, berichtete, dass die Beratung der EU-Richtlinien zur Angleichung der Rechts- und Verwal- tungsvorschriften bei klinischen Prü-
fungen abgeschlossen sei. In diesen Richtlinien würden die Aufgaben der Ethik-Kommissionen EU-weit festge- legt. Eine stärkere Beteiligung von Ethik-Kommissionen sei auch während der Studiendurchführung geplant.
Die EU-Richtlinie sieht ein Notifi- zierungsverfahren vor, das heißt, dass die nationale Zulassungsbehörde vom Sponsor über die klinische Prüfung zu informieren ist. Wenn nach Eingang ei- nes positiven Votums der Ethik-Kom- mission (Bearbeitungsfrist 60 Tage, ein- malige Fristverlängerung möglich) die Behörde nicht widerspricht, kann mit der Studie begonnen werden. In Son- derfällen ist ein schriftliches Genehmi- gungsverfahren durch die Behörde vor- gesehen. EU-weit sollen einheitliche Formulare für die Antragstellung an Ethik-Kommissionen erarbeitet wer- den. Bemängelt wurde, dass in der EU- Richtlinie der Prüfarzt nicht als An- sprechpartner der Ethik-Kommission vertretbar sei.
Unterrichtung der Ethik-Kommissionen
Einig waren sich alle Teilnehmer, dass die für den Leiter Klinische Prüfung verantwortliche Kommission gegebe- nenfalls zusammen mit der Bundes- behörde eine Bewertung von schwer- wiegenden Zwischenfällen vorzuneh- men hat und bei Konsequenzen die lo- kalen Ethik-Kommissionen unterrich- ten sollte. In der anstehenden Jahresta- gung soll eine Kommission gebildet werden, um die Verfahrensweise zur Beratung von schwerwiegenden und unerwarteten Zwischenfällen, die sich während der Durchführung der Studie beziehungsweise Anwendung der Prüf- substanz ergeben, zu verbessern.
Prof. Dr. med. Christian Rittner Prof. Dr. med. Ignaz Wessler P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 44½½½½3. November 2000 AA2913