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Archiv "Die dornenvolle Arbeit von Ethik-Kommissionen" (06.07.1989)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

Die dornenvolle Arbeit

von Ethik-Kommissionen

Vorreiter und in mancherlei Hinsicht auch Vorbild bei der Ein- richtung medizinischer Ethik-Kom- missionen waren die USA. Daher ist es auch weiterhin von Interesse, was dort geschieht. Das heißt freilich nicht, so Prof. Dr. Hans-Martin Sass, Bochum, anläßlich der 6. Jahresver- sammlung des „Arbeitskreises medi- zinischer Ethik-Kommissionen" in Köln, daß die amerikanische Bio- ethik einfach übernommen werden sollte. Die Auseinandersetzung mit ihr kann jedoch bei der Analyse der eigenen Situation helfen.

In den USA gibt es zwei Arten von Ethik-Kommissionen: Die eine befaßt sich mit Forschung am Men- schen, ihre Beschlüsse sind verbind- lich. Sie besteht aus mindestens fünf Personen, von denen eine „Ethiker"

ist; mehr als eine Berufsgruppe so- wie ein Laie müssen dazu gehören.

Die zweite Art von Ethik-Kommis- sionen befaßt sich mit ethischen Pro- blemen in der Patienten-Versor- gung. Es gibt sie seit dem „Quinlan- Fall". In 80 bis 85 Prozent der Fälle ist hierfür die Rechtsstelle des Kran- kenhauses zuständig; ihre Beschlüs- se sind nicht verbindlich außer bei behinderten Neugeborenen. Viele Krankenhäuser haben für ethische Probleme zusätzlich eigene Bioethik- Berater. Auf Bundesebene beschäf- tigt sich das „Office for Protection from Research Risks" mit ethischen Aspekten der Forschung am Men- schen.

Anhand von zwei Beispielen de- monstrierte Sass, wie Forschungsvor- haben in den USA beurteilt werden.

1. Institutional Clinical Center Review der NIH (National Institutes of Health). Diese Ethik-Kommission hat drei Möglichkeiten der Stellung- nahme gegenüber einem Antrag: 1.

Akzeptieren, was bei knapp 50 Pro- zent der Projekte geschieht, 2. Modi- fizieren, was in gut 50 Prozent vor- kommt, und 3. Ablehnen, was sehr selten ist.

Die Ethik-Kommission der NIH besteht aus zehn Mitgliedern beider- lei Geschlechts aus unterschied- lichen Disziplinen. Es müssen ihr Geisteswissenschaftler angehören sowie mindestens je ein Vertreter des Clinical Center, der Pflegeberu- fe, der Pharmazeuten und der So- zialarbeiter.

2. Beispiel war die Begutach- tungsprozedur des Georgetown Hos- pital, die in fünf Schritten erfolgt: 1.

Antrag der Forschung beim Chair- man des Departments, 2. Zustim- mung des Chairman, 3. Beratung des Projekts im Scientific Merit Subcom- mittee des Institutional Review Board (IRB) = Ethik-Kommission, 4. Beratung im IRB, 5. Schlußbera- tung der Executive Faculty (alle Kli- nikchefs und Justitiar) unter Vorsitz des ärztlichen Direktors der Gesamt- klinik

Der Arbeitskreis medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundes- republik gewinnt zunehmend an po- litischem Gewicht, stellte Prof. Dr.

Heinz Losse, Münster, in seinem Re- chenschaftsbericht fest. Die Kom- missionen sehen sich jedoch vor al- lem mit zwei großen Problemen kon- frontiert. Das eine ist die steigende Antragsflut, welche die öffentlich- rechtlichen Ethik-Kommissionen oft kaum bewältigen können, das andere die schwierige Frage des Umgangs der öffentlich-rechtlichen Ethik- Kommissionen mit den „privaten"

Ethik-Kommissionen.

Grenzen der

Ethik-Kommissionen

Juristische Grundbestimmungen für die Arzneimittelprüfung, so Prof.

Dr. Fritz H. Kemper, Münster, sind untrennbar verbunden mit Fragen der Ethik in der Medizin. Jeder, der Arzneimittelversuche macht, muß daher die revidierte Deklaration von Helsinki und die Deklaration von

Lissabon ebenso kennen wie die Vor- schriften des Arzneimittelgesetzes.

Allen Mitgliedern der Ethik-Kommis- sionen müssen die Grundsätze für die ordnungsgemäße Durchführung der klinischen Prüfung von Arzneimit- teln, wie sie in der Bekanntmachung vom Dezember 1987 zusammenge- faßt wurden, vertraut sein und schrift- lich vorliegen.

Da nur wenige Ärzte die norma- tiven Grundsätze der Ethik kennen, besteht die Gefahr, daß bei Ent- scheidungen individuelle ethische Vorstellungen zugrunde gelegt wer- den, was dann unter Umständen zu einer Versuchsplanung führt, die der Beurteilung durch die Ethik-Kom- mission nicht standhält. Die Ethik- Kommission ist allerdings weder mo- ralisch noch juristisch ein Entschei- dungs-, sondern ein Beratungsgremi- um. Die Verantwortung für Versu- che bleibt beim Arzt. Als Pharmako- loge, so Kemper, hat man die not- wendigen pharmakologischen Meß- daten zu liefern, wozu gehört, daß Pharmakodynamik und Wirkungs- mechanismus aufgeklärt sind sowie akute Toxizität und mögliche Lang- zeitwirkungen im subtoxischen Be- reich überprüft wurden. Schwierig wird die Beurteilung eines Vorha- bens, wenn eine Pharmafirma der Ethik-Kommission keine Einsicht in die Unterlagen gewährt, sondern nur Endergebnisse anbietet, da diese für eine Beurteilung des Untersuchungs- vorhabens oft nicht genügen.

Die klinische Prüfung neuer Präparate ist bei gesunden Kindern nur dann erlaubt, wenn man aus Versuchen mit Erwachsenen die not- wendigen Informationen nicht erhal- ten kann. Prüfungen am kranken Kind sind eher zulässig, besonders bei bisher noch nicht befriedigend behandelbaren, schweren Krank- heiten. Hier zeigte sich auch, daß die Auflage, für die Ethik-Kommission Therapieergebnisse über eine be- stimmte Zeit hinweg zusammenzu- stellen, viele Forscher aufmerksamer und kritischer gegenüber den eige- nen Ergebnissen macht, was in sich schon zu Therapieverbesserungen führen kann. Eine stärkere Berück- sichtigung biometrischer Aspekte beim Studiendesign ist erforderlich.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß nur A-1990 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 27, 6. Juli 1989

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Doppelblindstudien zulässig sind.

Oft wäre ein placebokontrollierter Versuch unverantwortlich gegenüber dem Patienten. Statt dessen kann ei- ne neue Substanz oder eine neue Präparatekombination mit einem be- reits erprobten Behandlungsregime verglichen werden, was zum Beispiel bei Leukämietherapien geschieht.

Nach Kempers Überzeugung gehört auch die Frage nach dem Bedarf für ein neues Präparat zu den ethischen Aspekten einer Forschung. Dem wurde jedoch entgegengehalten, daß sich die Ethik-Kommissionen über- nähmen, wenn sie auch die Notwen- digkeit neuer Präparate überprüfen sollten.

Kommissionen der Pharmaindustrie

Mit Inkrafttreten der neuen Fas- sung der Musterberufsordnung (§ 1 Absatz 4) muß jeder Forscher, der Arzneimittelprüfungen durchführen will, für sein Vorhaben die für ihn zuständige Ethik-Kommission zur Beratung anrufen. Neben diesen bei den Ärztekammern und den medizi- nischen Fakultäten eingerichteten öffentlich-rechtlichen Ethik-Kom- missionen gibt es noch die Ethik- Kommissionen der Pharmaindustrie, von denen manche ausgesprochen hochkarätig sind, sowie als dritte und problematischste Gruppe die „kom- merziellen" Ethik-Kommissionen mit Anspruch auf Gültigkeit für die ganze Bundesrepublik oder interna- tionale private Kommissionen mit globalen Ansprüchen, bei denen völ- lig unklar ist, wer ihnen angehört, wer sie konstituierte, welches ihre Richtlinien sind, wieviel Geld sie für ihre Gutachten nehmen.

Das Votum einer solchen priva- ten Ethik-Kommission genügt nach der Musterberufsordnung eindeutig nicht. Wenn auch der Vorschlag, be- stimmte private Ethik-Kommissio- nen durch die öffentlich-rechtlichen Ethik-Kommissionen zu „adoptie- ren", letztes Jahr vom Arbeitskreis abgelehnt worden war, könnte nach Ansicht von Professor Dr. jur. Erwin Deutsch, Universität Göttingen, die Beurteilung durch erstklassig zusam- mengesetzte, unabhängige Kommis-

sionen, die für alle Vorhaben in ei- ner Pharmafirma zuständig sind, übernommen werden. Vor allem bei den hochkarätigen Ethik-Kommis- sionen der Industrie wäre es sinnvoll, wenn ihre Beurteilung bei den Voten der öffentlich-rechtlichen Ethik- Kommissionen berücksichtigt wür- den, da diese meist gar nicht fähig sind, in die pharmakologischen Grundlagen der Arzneimittelprü- fung einzusteigen oder auch nur die toxikologischen und pharmakologi- schen Untersuchungen nachzuvoll- ziehen. Hierüber waren die Meinun- gen jedoch geteilt. Manche hielten es für vorstellbar, daß private Ethik- Kommissionen von hoher Qualität übergangsweise einen Teil der Ar- beit übernähmen, bis die Kommis- sionen von Kammern und Fakultä- ten dazu in der Lage seien, andere waren strikt dagegen, da ihrer An- sicht nach die Kapazitäten der Kam- mern ausreichten.

Einige Pharmafirmen bekunde- ten ihre Bereitschaft, mit öffentlich- rechtlichen Ethik-Kommissionen zu kooperieren, da diese zur Zeit zu langsam, zu unterschiedlich und oft unbefriedigend arbeiteten.

Man war sich allerdings darüber einig, daß es zu erheblichen zusätz- lichen Problemen führen werde, wenn man manche privaten Kommis- sionen anerkenne, andere dagegen nicht. Ebenfalls einig war man sich, daß eine Auseinandersetzung mit den kommerziellen Ethik-Kommis- sionen unvermeidbar sei, da klare Fronten geschaffen werden müßten.

Bei multizentrischen Studien muß an erster Stelle die Ethik-Kom- mission angerufen werden, in deren Zuständigkeitsbereich der Projekt- leiter gehört, und an zweiter Stelle sind überall dort die Ethik-Kommis- sionen zu informieren, wo sich die einzelnen Studienzentren befinden.

Um eine Einheitlichkeit der Spruch- praxis der Ethik-Kommissionen zu erzielen, müssen 1. die Verfahrens- grundsätze von allen befolgt werden und 2. die Kommissionsmitglieder einander kennen und miteinander arbeiten können. Es ist allerdings fraglich, ob eine vierwöchentlich ta- gende Ethik-Kommission die wach- sende Zahl der Anträge wird bewäl- tigen können.

Bei allen Ethik-Kommissionen war eine deutliche Vermehrung der Anträge von 1987 auf 1988 zu ver- zeichnen, nirgends jedoch in dem Umfang wie bei der Kammer Nord- rhein, die das mit der Einrichtung ei- ner gut organisierten Geschäftsstelle vorbildlich bewältigte. Dr. Robert Dieter Schäfer, Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Nordrhein, verwies auf die neuen Grundsätze vom 9. Dezember 1987 über die Ziel- setzung und Begründung der Prü- fung, Charakteristika des zu prüfen- den Arzneimittels, Prüfdesign, Ziel- population. Bezüglich der Patienten beziehungsweise Probanden gibt es besondere Kriterien für Prüfungen in der Schwangerschaft, bei denen auch Risiken für das ungeborene Kind berücksichtigt werden. Der In- halt der Aufklärung ist den Unterla- gen beizufügen. Die Prüfung der Un- terlagen durch die Ethik-Kommis- sion soll Defizite in der Versuchspla- nung aufspüren und ausgleichen.

1987 wurden der Ethik-Kommission 23 Anträge vorgelegt, 1988 waren es bis zum 30. November - trotz inzwi- schen eingeführter Gebührenpflicht - schon 119 Anträge. Negative Vo- ten wurden ausführlich begründet, und bei der Mehrzahl der positiven Voten machte die Kommission de- taillierte Verbesserungsvorschläge.

Als ein Dauerproblem erwies sich die Aufklärung der Patienten bezie- hungsweise Probanden über den In- halt der Studie und die Einwilligung.

Man sollte auf einer schrift- lichen Einwilligung der Probanden bestehen, die Aufklärung darf je- doch nicht nur schriftlich, sondern muß detailliert mündlich erfolgen.

Änderungen im Studiendesign sowie schwerwiegende Nebenwirkungen des untersuchten Arzneimittels müs- sen sofort der Ethik-Kommission ge- meldet werden. Ebenfalls ausführ- lich diskutiert wurde die Checkliste für den Untersuchungsarzt. Solche Listen, so Sass, dienen außerdem der Sensibilisierung der Kommissions- mitglieder. In den USA verlange man von einer Checkliste allerdings, daß sie umfangreicher und detaillier- ter sei; der Punkt „Nutzen - Scha- den" etwa müßte in konkrete Einzel- aspekte aufgeteilt werden.

Elisabeth Pflanz, Celle Dt. Ärztebl. 86, Heft 27, 6. Juli 1989 (35) A-1991

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