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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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lakate in Wartezimmern, Handzettel in Apotheken, Anzeigen in der Presse:Die Strukturreform reizt zu Pro- testen. Auf der anderen Seite steht die Millionen-Kampa- gne des Bundesarbeitsministers selbst. Und auch sonst tragen der Minister und sein zuständi- ger Abteilungsleiter zur Stim- mungsmache nach Kräften bei.
Ob all dem Getöse wird fast übersehen, daß über den Ge- setzentwurf zur Strukturreform im Gesundheitswesen an vielen Stellen in Bonn sachlich verhan- delt wird. Die Beteiligten — je- denfalls die Organisationen, die deren Interessen zu vertreten haben — stemmen sich nicht ge- nerell gegen eine Strukturre- form. Sie haben freilich an Blüms Entwurf vieles auszuset- zen — aus guten Gründen.
Anläßlich der Konzertier- ten Aktion im Gesundheitswe- sen am 22. März haben 15 Orga- nisationen der Leistungsträger — von den Ärzten über die Kran- kenhausgesellschaft bis zur Pharmaindustrie — erneut ihre Bereitschaft zum Dialog bekun- det. Sie erhoffen sich von der
Strukturreform
Schmerzgrenze
Diskussion im Kabinett und in den parlamentarischen Beratun- gen, eine stärkere Ausrichtung der Strukturreform auf die Be- lange einer leistungsfähigen in- dividuellen medizinischen Ver- sorgung. Erneut kritisierten die Leistungsträger an dem Blüm- schen Gesetzesentwurf ein Übermaß an Reglementierung und Kontrolle. Sie bemängeln, daß die Reform zu stark auf Si- cherung der Beitragssatzstabili- tät ausgerichtet wird, und daß die wesentlichen, die Gesetzli- che Krankenversicherung finan- ziell belastenden Probleme — das sind in erster Linie solche, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben — wirksam nicht gelöst werden.
Während die Kritik der Lei- stungsträger notgedrungen rela- tiv allgemein bleibt, hat die außerordentliche Vertreterver- sammlung der Kassenärztli-
chen Bundesvereinigung die
„Schmerzgrenze" — so der Aus- spruch eines Delegierten — klar gezogen. Auf harten Wider- stand der Kassenärzte stoßen
• die Einführung einer ein- heitlichen Versichertennummer
• Einschränkungen des Si- cherstellungsauftrags der Kas- senärztlichen Vereinigungen (Ausweitung von Institutsambu- lanzen; prästationäre Diagno- stik und poststationäre Therapie durch das Krankenhaus)
• Richtwerte für veranlaß- te Leistungen (bei deren Über- schreiten automatisch die Wirt- schaftlichkeitsprüfung ausgelöst wird)
• die Fixierung auf den Grundsatz der Beitragssatz- stabilität
Erhebliche Bedenken gibt es ferner gegen einen umfassen- den, flächendeckenden „Medi- zinischen Dienst", der den bis- herigen Vertrauensärztlichen Dienst ablösen soll.
Die Vertreterversammlung hat ihre Einwände hart in der Sache, aber maßvoll im Ton vorgebracht — in der Erwartung, daß Argumente zählen. NJ
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as Defizit der gesetzli- chen Krankenversiche- rung hat sich von mehr als einer Milliarde auf nur noch 36 Millionen DM verringert.Das ist allerdings ausschließlich auf die (durchschnittliche) Er- höhung der Beitragssätze um 0,4 Punkte zurückzuführen. Da- mit das Kassenbudget (insge- samt rund 120 Milliarden DM) nicht „aus dem Ruder läuft", müsse mehr Sparmoral gezeigt werden, so der Appell des Bun- desarbeitsministers bei der Kon- zertierten Aktion in Bonn. Und so ist auch der Tenor der vier
„Erklärungen" der Konzertier- ten Aktion.
Bei den Kassenärzten gibt es indes kaum Beanstandungen;
ihr Honorarzuwachs liegt eh seit Jahren unter der Grundlohnent- wicklung. Die geltenden Vergü- tungsregelungen sollen bis zum Abschluß der Erprobungsphase
Konzertierte Aktion
Sparmoral!
des am 1. Oktober 1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Be- wertungsmaßstabes unverändert beibehalten werden. Die Kas- senärzte werden aufgefordert, verstärkt preiswerte Generika zu verordnen und generell den therapeutischen Nutzen von Arzneimittelverordnungen kri- tisch zu prüfen. Die Kranken- kassen sollen ihre Versicherten nachhaltig darüber aufklären, daß preiswerte Arzneimittel nicht unbedingt zugleich min- derwertig seien.
Die Pharmaindustrie wird aufgefordert, auch 1988 streng- ste Preisdisziplin zu üben. Die expansive Mengenentwicklung
auf dem Pharmasektor (1987 sind die Ausgaben um 6,4 Pro- zent je Mitglied gestiegen) müs- se gebremst werden. Auch der Bereich Heil- und Hilfsmittel müsse mit drakonischen Maß- nahmen an die Kette gelegt wer- den. Ausgabensprünge von 8,1 Prozent (im Jahr 1987) dürften keinesfalls mehr toleriert wer- den.
Einen erheblichen Ab- schwung der Ausgaben vermel- det der stationäre Sektor: Die Kassen legten nur noch 4,1 Pro- zent zu (gegenüber 6,3 in 1986 und 4,9 in 1985). Oberstes (poli- tisches) Gebot — so die Konzer- tierte Aktion — sei auch hier die Sicherung der Beitragssatzsta- bilität — unbeschadet der in
§ 405 a Abs. 2 RVO zugunsten der Krankenhäuser verankerten
„Schutzklausel" (wonach die Kosten des Krankenhauses ge- deckt werden müssen). HC
Dt. Ärztebl. 85, Heft 13, 31. März 1988 (1) A-817