POLITIK LEITARTIKEL
Krankenhausfinanzierung/Bundespflegesatzverordnung
Grünes Licht für
mehr leistungsorientierte Entgelte
Eine nahezu vorprogrammierte „Punktlandung" erzielte die Bun- desregierung mit der durchgängig neu gefaßten Bundespflegesatz- verordnung '95 („Verordnung zur Neuordnung des Pflegesatzrech- tes"). Das Bundeskabinett billigte am 19. Juli die Neuordnung des Pflegesatzrechtes als Grundlage des neuen Krankenhausfinanzie-
rungsrechtes, nachdem das Plenum des Bundesrates der Neurege- lung am 8. Juli noch vor der parlamentarischen Sommerpause grundsätzlich zugestimmt hatte. Allerdings wurden im parlamenta- rischen Schlußgalopp einige wichtige Detailänderungen in den Ver- ordnungsentwurf des Seehofer-Ministeriums eingefügt.
D
ie Neuordnung des Kranken- hausfinanzierungsrechtes ist vor allem deswegen notwen- dig geworden, weil das am 1.Januar 1993 in Kraft getretene „Ge- sundheitsstrukturgesetz" (GSG) we- sentliche Punkte der bis dahin gel- tenden Krankenhausfinanzierung än- derte und vor allem das strikte Selbstkostendeckungsprinzip abge- schafft hatte. In dem mit dem Kran- kenhausfinanzierungsgesetz von 1972 eingeführten Prinzip der vollen Übernahme der nachgewiesenen Selbstkosten sahen vor allem die ge- setzlichen Krankenkassen, aber auch die Gesundheitspolitiker eine Haupt- störquelle des Finanzierungssystems und eine Ursache für Unwirtschaft- lichkeiten und kostentreibende (sy- stemimmanente) Ausweichreaktio- nen und Rationalitätenfallen des Kli- nikmanagements.
Mit dem neuen, mehr auf lei- stungsbezogene Entgelte (Fallpau- schalen und Sonderentgelte) abge- stellten Finanzierungssystem kann das bisher dominierende System der Finanzierung und Abrechnung über pauschalierte, tagesgleiche Pflegesät- ze stufenweise auf diagnosebezogene Fallpauschalen und ein System kata- logmäßig erfaßter Sonderentgelte umgestellt werden. Zunächst sind der Verordnung (BPflV) zufolge 40 solcher Fallpauschalen für 26 Krank- heitsarten geplant. Hinzu kommen
104 Sonderentgelte für operative Lei- stungen (in der Endausbaustufe sol- len es rund 160 Sonderentgelte sein).
Bisher waren in der Bundespflege- satzverordnung 16 Sonderentgelte
enumerativ aufgelistet. Mit der prin- zipiellen Umstellung auf mehr lei- stungsbezogene Entgelte sollen den Krankenhausträgern und -leitungen mehr Möglichkeiten zum wirtschaft- lich rationalen Gebaren und zu mehr Handlungsautonomie gegenüber den Kostenträgern eingeräumt werden.
Für Leistungen, die nicht durch Fall- pauschalen oder die Sonderentgelte erfaßt werden, soll weiterhin für je- des Krankenhaus ein eigenes Budget verhandelt werden, auf das die Kran- kenhäuser Abschlagzahlungen, diffe- renziert nach Abteilungspflegesätzen und Basispflegesatz, erhalten. Inso- weit folgen diese Abschlagspauscha- len (Pflegesätze) dem bisherigen Reglement für das flexible, prospek- tive Budget.
Mehr Transparenz Von der mit der Novelle zur Bundespflegesatzverordnung beab- sichtigten Aufsplittung der Kosten- blöcke erhofft sich das Bundesge- sundheitsministerium mehr Lei- stungs- und Kostentransparenz mit der Folge, daß die interne Budgetie- rung und die daran geknüpfte Ko- stenverantwortung der Klinikabtei- lungen verbessert werden können.
Zudem erwartet das Ministerium, daß infolge der Neuordnung die Ver- weildauer der Patienten insgesamt um 15 Prozent weiter sinken wird.
Um die prinzipielle Umstellung des Finanzierungs- und Abrech- nungssystems zu erleichtern, ist es den Krankenhäusern freigestellt, das
System der Fallpauschalen und Son- derentgelte zunächst auf freiwilliger Basis bereits ab dem 1. Januar 1995 einzuführen. Dann wären die Kran- kenhäuser von der Budgetdeckelung insoweit suspendiert. Für alle übri- gen Krankenhäuser ist das neue Ent- geltsystem ab 1. Januar 1996 obliga- torisch. Ende 1995 wird die auf drei Jahre befristete Budgetdeckelung im stationären Sektor (Vorschrift des GSG) aufgehoben. Die Krankenhäu- ser können in Zukunft Überschüsse erzielen, ohne daß dies automatisch zu Budgetkürzungen im Folgejahr führt.
Die Umstellung des Abrech- nungssystems über Fallpauschalen und Sonderentgelte erfaßt zunächst allerdings nur 20 bis maximal 30 Pro- zent des Finanzierungsvolumens der Krankenhausbetriebskosten (also: 18 bis 27 Milliarden DM). Die Verbän- de der gesetzlichen Krankenversiche- rung drängten von Anfang an darauf, daß ein größeres Budgetvolumen in- dividualisiert und auf mehr preisliche Entgelte umgestellt wird (eine For- derung, die auch weiter von den Krankenkassen verfochten wird). In der neuen Bundespflegesatzverord- nung '95 enthalten die operativen Fallpauschalen und Sonderentgelte noch keine Kalkulation beispielswei- se für Herzklappenoperationen. Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben sich mithin mit ihrem Wunsch nicht durchsetzen können, die opera- tiven Fallpauschalen und Sonderent- gelte pauschal um mindestens 10 Prozent beim Punktwert (von einer DM auf 0,90 DM) zu senken. Bun- Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 31/32, 8. August 1994 (19) A-2087
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desgesundheitsminister Horst See- hofer hatte die Krankenkassenspit- zenverbände darauf hingewiesen, daß über die Preisgestaltung bei Me- dical-Produkten erst dann gespro- chen und verhandelt werden könne, wenn beweiskräftige Unterlagen und von Staatsanwaltschaften dingfest ge- machte Vorfälle offengelegt würden.
Zudem hätten die Krankenkas- sen-Spitzenverbände in ihrem „Herz- klappen-Report" nicht berücksich- tigt, daß bei der Kalkulation des Pau- schalwertes als Grundlage für die operativen Fallpauschalen die in den Pilot-Krankenhäusern festgestellten Mittelwerte für die Verweildauer be- reits um 15 Prozent gesenkt worden sind (vgl. Deutsches Arztblatt, Heft 28-29/1994, „Kurzberichte"). Auch die von den Krankenkassen zugrunde gelegte Leistungsbegrenzung stimme nicht mit den Fallpauschalen der Pflegesatzverordnung überein.
Ungeachtet dessen appelliert die Bundesregierung an die Krankenkas- sen, mit den Krankenhausträgern über die Ausschöpfung weiterer Wirtschaftlichkeits- und Rationali- sierungsreserven direkt und hart zu verhandeln, um so auf vertraglicher Basis Preissenkungen zu erzielen.
Zudem: Die letzte Entscheidung über die Höhe der Punktwerte für Fallpauschalen und Sonderentgelte treffen ohnedies die Verhandlungs- partner Krankenkassen/Kranken- hausträger. Der Punktwert von einer DM in der Bundespflegesatzverord- nung ist dabei lediglich eine Orien- tierungsgröße.
In der Endfassung der neuen Bundespflegesatzverordnung '95 wurde sowohl den Forderungen der Krankenhausträger als auch der ge- setzlichen Krankenkassen teilweise Rechnung getragen (allerdings nicht dem Petitum des Verbandes der pri- vaten Krankenversicherung e. V., die Zuschläge für die Inanspruchnahme von Ein- und Zweibettzimmern wei- ter zu senken und die sogenannte Li- quidationskette an der Krankenhaus- pforte enden zu lassen).
Um die komplizierten Regelun- gen stufenweise und praxisgerecht umzusetzen, sind detaillierte Vorbe- reitungen seitens der Krankenhaus- träger, der Verbände und der Kran- kenkassen erforderlich. Die Deut-
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sche Krankenhausgesellschaft e. V.
(DKG), Düsseldorf, arbeitet zur Zeit an einer EDV-Software, die das neue Bundespflegesatzrecht computerge- recht umzusetzen hilft.
Um die Erprobungs- und Ein- führungsphase zu erleichtern, wurde der obligatorische externe Kranken- hausvergleich (gemäß § 5 BPflV) um drei Jahre auf das Ende der beab- sichtigten Beobachtungsphase des neuen Finanzierungsrechts zurück- gestellt. Der Vergleich gilt dann ab Anfang 1998 — ebenso wie die stren- gen Maßnahmen zur Qualitätssiche- rung als steuerndes Element, um die Mengenentwicklung im stationären Bereich zu beeinflussen.
Neuland
Darüber hinaus sollen die Kran- kenkassen mit den Krankenhäusern Vereinbarungen über das Leistungs- volumen von Fallpauschalen und Sonderentgelten treffen, so daß die Krankenkassen die Mengenentwick- lung beeinflussen können. Auch kön- nen Verlustzuschläge bei den einzel- nen Leistungen nur dann geltend ge- macht werden, wenn über die Summe aller Leistungen eine Verlustsituation festgestellt wurde.
Die Umstellung auf mehr lei- stungsbezogene Entgelte und die Aufsplittung der Betriebskostenblök- ke wird während der auf drei Jahre begrenzten Beobachtungszeit wissen- schaftlich begleitet und evaluiert.
Dabei sollen insbesondere auch die Auswirkungen des neuen Systems auf die Leistungsqualität und die -struktur untersucht werden. Hierzu soll ein Beirat gebildet werden, dem Experten der Gesundheitsressorts der Länder, des Bundesgesundheits- ministeriums, der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft, der Verbände der Krankenkassen und der Ärzte- schaft (Bundesärztekammer, Mar- burger Bund u. a.) angehören. Dieser Beirat soll beim Bundesgesundheits- ministerium angesiedelt werden.
Auch die Vorschrift über die so- genannte Kostenausgliederung ist in der Endfassung der Pflegesatzver- ordnung durch einen Bundesratsbe- schluß abgemildert worden. Statt der ursprünglich festgelegten Ausgliede-
rung von 75 Prozent ist jetzt in § 7 Abs. 2 Satz 2 Nummer 7 a BPflV eine Ausgliederung von 65 Prozent be- stimmt worden. Dies wird als ein ver- tretbarer Kompromiß bezeichnet, um auch den Krankenhäusern eine we- sentliche Einnahmequelle für die Fi- nanzierung von zusätzlichen Investi- tionen zur Deckung von Betriebsver- lusten zu belassen.
Durch eine Neuformulierung von § 11 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 BPflV soll sichergestellt werden, daß für Verluste bei einer einzigen Fall- pauschale oder einem einzigen Son- derentgelt keine Zuschläge verlangt werden dürfen. Entscheidendes Kri- terium sei vielmehr das wirtschaftli- che Gesamtergebnis des Kranken- hauses — unter Einbeziehung aller Fallpauschalen und Sonderentgelte des Hauses.
Wie von Experten bereits im Hearing empfohlen, wird für Inten- siveinheiten ein eigener Abteilungs- pflegesatz gebildet. So soll auch der Intensivmedizin als einem eigenstän- digen Versorgungsbereich im Kran- kenhaus besser Rechnung getragen werden. Nur so könne einer entspre- chenden Finanzierungsverantwor- tung und Leistungsberechnung Rechnung getragen werden, so der Bundesrat.
Nach der Verordnung soll auf der Landesebene nur ein einheitli- cher Punktwert vereinbart werden dürfen. Individuelle Änderungen des Punktwertes würden die Gefahr ber- gen, heißt es in der Begründung des Antrags, „daß die Übersichtlichkeit des neuen Vergütungssystems verlo- rengeht und die Beteiligung so er- schwert werde".
Schließlich stellt die Bundespfle- gesatzverordnung '95 klar, daß bei Wiederaufnahme eines Patienten ein Pflegesatz innerhalb der sogenann- ten Grenzverweildauer nur von dem Krankenhaus nicht angesetzt werden darf, das für den Patienten bereits ei- ne Fallpauschale abgerechnet hat.
Einem an der Krankenbehandlung bisher unbeteiligten Krankenhaus hingegen dürfe nicht zugemutet wer- den, einen Patienten kostenlos auf- zunehmen, nur weil ein anderes Krankenhaus bereits eine Fallpau- schale abgerechnet hat.
Dr. Harald Clade
A-2088 (20) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 31/32, 8. August 1994