DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
KURZBERICHTE
Die Umstellung der bundesdeut- schen Krankenhausfinanzierung von der vollen Selbstkostendeckung und der Abrechnung über tagesgleiche, pauschale Pflegesätze zugunsten von mehr fall- und leistungsbezogenen Entgelten hat der Münchener Natio- nalökonom Prof. Dr. rer. pol. Günter Neubauer empfohlen. Neubauer ist Inhaber eines Lehrstuhls für Volks- wirtschaftslehre im Fachbereich Wirtschafts- und Organisations- wissenschaften an der Universität der Bundeswehr, Neubiberg/Mün- chen. Er stellte seine Empfehlungen auf dem „Ersatzkassenforum '91"
vor, veranstaltet von den beiden Er- satzkassenverbänden. Als eine we- sentliche Ursache der Fehlsteuerun- gen und Mißwirtschaft im stationä- ren Sektor bezeichnet Neubauer die staatliche Bedarfsplanung auf der Ebene der Bundesländer, den ge- setzlich vorgegebenen Kontrahie- rungszwang der Krankenkassen, die volle Selbstkostenerstattung, globale Anhaltszahlen für die Personalstel- lenbesetzung, die Bettenbedarfspla- nung und andere Parameter, die al- lesamt zu einer „sanften Enteig- nung" der Krankenhausträger und einer Demotivation der Betriebsfüh- rung beitragen könnten.
Auf Grund der Auswertung po- sitiver Erfahrungen in der Kranken- hauswirtschaft der USA empfiehlt Neubauer, seit Juni Mitglied des Sachverständigenrates für die Kon- zertierte Aktion im Gesundheitswe- sen, mehr Transparenz, einen höhe- ren Detaillierungsgrad bei den Ver- gütungssystemen und die Erfassung der tatsächlich erbrachten Leistun- gen sowie eine leistungsgerechte Vergütung im Krankenhaus. Bei ei- ner Systemumstellung sollten auch mehr wirtschaftliche Anreize für die Führungskräfte des Krankenhauses implantiert werden.
Im Gleichklang zum Vorsitzen- den des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion, Prof. Dr.
med. Michael Arnold, Tübingen, warnte Neubauer davor, einseitig auf die Orientierungskriterien Verweil- dauer, Zahl der Klinikbetten, Größe des Krankenhauses und/oder die Versorgungsstufe des Klinikums zu
„schielen". Dagegen seien die Lei- stungen und abrechnungsrelevanten Kosten des Krankenhauses in erster Linie von der Art und der Schwere der Erkrankung sowie dem Arsenal der eingesetzten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, dem Leistungsspektrum also, sowie von der Zahl und der Qualität der medi- zinisch und pflegerisch zu erbringen- den Leistungen abhängig.
Neubauer empfiehlt, bei einer leistungsbezogenen, verursacherge- rechten Kostenberechnung Patien- tengruppen zu bilden, bei denen die erbrachten diagnostischen, thera- peutischen und pflegerischen Lei- stungen pro Behandlungsgruppe er- faßt und mit Kosten bewertet werden.
Auf Grund einer empirischen Fallstudie an verschiedenen Kran- kenhäusern hat die Münchener Ar- beitsgruppe um Prof. Neubauer ein Patientengruppierungssystem „Pa- tient Management Categories (PMC)" nach US-amerikanischem Vorbild im Bereich der chirurgi- schen Fachgebiete entwickelt und erprobt. Dabei sind durchweg — auch nach Bekundungen der darin einbe- zogenen Chefärzte — positive Ergeb- nisse erzielt worden. In den Pilot- Krankenhäusern wurde bereits ein Großteil der stationär versorgten Pa- tienten mit relativ wenigen Fallgrup- pen erfaßt. So konnten mit fünf Pa- tientengruppen bereits 30 Prozent, mit 10 Patientengruppen etwa 45 Prozent und mit weiteren 20 Grup- pen gut 65 Prozent aller Behand- lungsfälle einer Fachabteilung im Krankenhaus erfaßt werden, berich- tete Prof. Neubauer.
Das Klassifikationssystem der PMC läßt zahlenmäßig überschauba- re Patientengruppen identifizieren,
die Grundlage für eine Kostenarten- und Kostenstellenrechnung und da- mit einer Leistungsberechnung wer- den können.
Allerdings setze eine fallbezoge- ne Leistungs- und Kostenberech- nung voraus, daß die Kosten für jede Fallgruppe exakt ermittelt werden können. Für jeden Patienten einer Fallgruppe sollten die Leistungen möglichst umfassend und vollständig erfaßt und kostenmäßig bewertet werden. Die Übernahme von bloßen Kostendurchschnitten anderer ver- gleichbarer Krankenhäuser könne für das einzelne Krankenhaus allen- falls ein grobes Raster darstellen, so Neubauer.
Die medizinische Leistungsdo- kumentation als Grundlage der Ko- stenberechnung ließe sich über die herkömmlichen Krankenblätter gut erfassen. In jedem Fall müsse ein krankenhausspezifisches EDV-Sy- stem eingesetzt werden, um Schnell- informationen zu erhalten und diese zu bewerten. Allerdings fehlt es bis- lang noch weithin an krankenhaus- spezifischer EDV-Software.
Wenige Merkmale,
brauchbare Rückschlüsse Mit wenigen Merkmalen, etwa der Letalität, der Infektionsrate, der Komplikationsrate und der Liege- zeit, ließen sich im Vergleich ver- schiedener Abteilungen brauchbare Rückschlüsse auf die Qualität auch für den Nicht-Fachmann ziehen.
In jedem Fall müsse der gesamte Behandlungsfall als Grundlage für die Abrechnungseinheit herangezo- gen werden. Relativ zweitrangig sei es deshalb, ob dies in Form einer Pauschale oder in Form von Abtei- lungsbudgets oder Krankenhausbud- gets erfolgt. In jedem Fall sei die Spezialisierung der Leistungen eines Krankenhauses nach Patientengrup- pen ein wichtiger Schritt in Richtung leistungsbezogener Entgelte.
Gleichwohl warnt Prof. Neubau- er vor der Illusion, allein eine Sy- stemumstellung in der Leistungs- und Kostenerfassung sowie im Ab- rechnungssystem könne alle Be- triebsführungsprobleme und Fragen der Wirtschaftlichkeit und Effizienz schlagartig lösen. Dr. Harald Clade
Krankenhausfinanzierung:
Gesundheitsökonom Neubauer plädiert für leistungsbezogene Entgelte
A-3510 (44) Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991