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Archiv "Staatliche Bedarfsplanung — kein Allheilmittel: Erfahrungen im National Health Service Großbritanniens" (11.10.1979)

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Aufsätze • Notizen BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Das Gesetz zur Weiterentwicklung des Kassenarztrechts („Krankenver-

sicheru ngs-Weiterentwicklu ngsge- setz") sieht zur mittel- und langfristi- gen Sicherstellung der kassenärztli- chen Versorgung eine von den Kas- senärztlichen Vereinigungen durch- zuführende Bedarfsplanung vor. Ziel der Planungsaktivitäten ist es, für die Versicherten eine „bedarfsge- rechte und gleichmäßige ambulante ärztliche Versorgung in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizini- schen Wissenschaft und Technik"

bereitzustellen.

Die auf bundeseinheitlichen Meß- zahlen basierende Bedarfsplanung stellt einen Orientierungsrahmen zur räumlichen Ist- und Sollvertei- lung des ärztlichen Leistungsspek- trums zur Verfügung. Sie ist ein de- zentrales, nicht staatlich gelenktes Instrument, mit dessen Hilfe inner- halb eines grundsätzlich von freibe- ruflich tätigen Ärzten getragenen Systems eine regional ausgewogene Versorgung erreicht werden soll.

Infolge der anhaltenden Expansion der Zahl der berufstätigen Ärzte hat sich die Versorgungssituation in der Bundesrepublik Deutschland stän- dig verbessert. Darüber hinaus er- möglichen die siedlungs- und infra- strukturellen Verhältnisse bis auf wenige Ausnahmen ein schnelles und problemloses Erreichen groß- oder mittelstädtischer Dienstlei- stungszentren mit umfassender me- dizinischer Angebotspalette. Gravie- rend unterversorgte großräumige Problemzonen gibt es deshalb in der Bundesrepublik nicht mehr, wenn

auch heute noch zwischen dem An- gebot an ärztlichen Leistungen und der entsprechenden Nachfrage in Teilbereichen zweifellos Ungleich- gewichte vorhanden sind, die es vor allem durch eine räumlich orientier- te Bedarfsplanung zu beseitigen gilt.

Nicht nur im Hinblick auf die Lei- stungen des Gesundheitswesens all- gemein, sondern auch ganz speziell hinsichtlich der räumlichen Ange- botsverteilung besteht aber kein An- laß zur grundsätzlichen Kritik an der Effizienz des Systems, geschweige denn für den Ruf nach eiriztr tiefgrei- fenden Umstrukturierung.

Dennoch ist im Gesundheitswesen — wie in vielen anderen Bereichen auch — ein zunehmende:- Trend zu verstärkter staatlicher Aktivität, zur Verlagerung von Entscheidungen auf zentrale Planungsgremien und zur Expansion zentraler (staatlicher) Datenregistrierung spürbar. Die Be- fürworter einer stärkeren Sozialisie- rung im Gesundheitswesen sehen die gesundheitliche Versorgung be- stimmter Bevölkerungsteile durch die gegenwärtig praktizierte Form der Niederlassungsplanung gefähr- det. Aus eigener Kraft — so wird ar- gumentiert — bringe es die Ärzte- schaft nicht fertig, die gleichmäßige medizinische Betreuung der Bevöl- kerung sicherzustellen. Auch die bisherige Entwicklung zeige doch — so wird weiter mit dem Hinweis auf einige von niederlassungswilligen Ärzten bevorzugte Städte wie z. B.

München betont —, daß sich die an- gestrebte Nivellierung der regiona- len Versorgungsniveaus mit den ge- genwärtigen Methoden kaum errei- chen lasse. Abhilfe erhofft man sich

In der Bundesrepublik Deutschland sind die Kassen- ärztlichen Vereinigungen für die Bedarfsplanung und damit für die mittel- und langfristige Sicherstellung der ambulan- ten ärztlichen Versorgung ver- antwortlich. Demgegenüber werden in Großbritannien Be- darf und räumliche Verteilung der Ärzte durch einen staatli- chen Planungsapparat festge- legt. Der Diskussionsbeitrag untersucht, ob sich in staatli- cher Regie Steuerungsme- chanismen entwickeln lassen.

die eine räumlich ausgewoge- ne Verteilung der Ärzte garan- tieren beziehungsweise räum- liche Versorgungsungleichge- wichte verhindern.

von einer möglichst umfassenden Planung aller Sparten des Gesund- heitssektors, da offensichtlich nur hierdurch eine sozial gerechte Ver- sorgung sowie eine „optimale" Ärz- teverteilung erreichbar ist. Negative Erfahrungen anderer Länder mit staatlichem Gesundheitswesen wer- den dabei von den Verfechtern zen- traler Planung bei ihren „Planspie- len" geflissentlich ignoriert.

Sieht man einmal vom Gesundheits- wesen in kommunistischen Staaten ab, welches dort — wie fast alle übri- gen Wirtschaftsbereiche — einer straffen zentralen Planung und Len- kung unterworfen ist, so bietet sich aus der Palette der Länder mit frei- heitlicher Wirtschaftsordnung für ei- ne vergleichende Betrachtung wohl am ehesten Großbritannien an. Hier wurde 1948 mit dem Nationalen Ge- sundheitsdienst (National Health Service — NHS) ein die gesamte Be- völkerung umfassendes, zentral geplantes Versorgungssystem ge- schaffen. Grundgedanke bei der Er- richtung des Nationalen Gesund- heitsdienstes war es, die medizini- sche Versorgung des Landes wei- testgehend von marktwirtschaftli- chen Elementen zu trennen, um da- durch eine gleichmäßige, nicht durch finanzielle Beschränkungen

Staatliche Bedarfsplanung — kein Allheilmittel

Erfahrungen im National Health Service Großbritanniens

Bernd Liebert

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Großbritannien: Staatliche Bedarfsplanung

behinderte Versorgung für alle Be- völkerungsschichten zu gewährlei- sten.

Charakteristika des NHS

Einige grundsätzliche, für die Dis- kussion wesentliche Charakteristika des britischen Gesundheitswesens sind:

1. Der NHS wird im wesentlichen aus dem Steueraufkommen finan- ziert. Sein Leistungsgefüge wird von einer strikten einnahmenorientier- ten Ausgabenpolitik geprägt.

2. Planungsobjekt des NHS ist das gesamte Spektrum des Gesund- heitswesens. Im Personalbereich hat dabei die Gruppe „Ärzte" quantitativ nur relativ geringes Gewicht.

3. An der Spitze des NHS steht der dem Parlament verantwortliche Mi- nister für Soziale Dienste. Unterhalb der Regierungsebene gibt es drei Stufen räumlicher Planungsbehör- den. Ganz oben in der Hierarchie stehen die Regionen, deren Einwoh- nerzahl zwischen 1,8 und 5,2 Millio- nen liegt (14 in England). Die einzel- nen Regionen bestehen aus Bezir- ken (Areas), (90 in England, 8 in Wales, 15 in Schottland). Innerhalb der Bezirke arbeiten bis zu sechs Kreisbehörden (Districts). Die örtli- chen Verwaltungen erhalten zur Be- wältigung ihrer Aufgaben im Rah- men des jährlichen Finanzplanes ei- nen festen Betrag, mit dem sie aus- kommen müssen.

4. Im Gegensatz zu anderen EG- Ländern ist in Großbritannien ge- genwärtig keineswegs eine „Ärzte- schwemme" in Sicht. Vielmehr ist

tendenziell eher von partiellen

„Engpässen" zu sprechen, wofür unter anderem das Problem der

„Waiting Lists" (Wartelisten be- handlungsbedürftiger Patienten) ein unübersehbares Symptom ist. Lan- ge Zeit konnte die hohe Auswande- rungsquote britischer Ärzte nur durch Einwanderung ausländischer Mediziner halbwegs neutralisiert werden.

5. Die niedergelassenen Ärzte, meist Allgemeinärzte, stehen fast ausnahmslos (etwa 95 Prozent) in einem Vertragsverhältnis mit dem NHS. Jeder Bürger ist bei einem der etwa 26 800 praktischen Ärzte fest in einer „Patientenliste" registriert. Die Ärzte ihrerseits erhalten aufgrund dieser Liste ein „Kopfpauschale"

je eingetragenen Patient, das etwa die Hälfte des Einkommens aus- macht.

6. Die etwa 37 300 Krankenhausärz- te sorgen für die fachärztliche Be- treuung der Bevölkerung. Außerhalb der Krankenhäuser gibt es keine frei niedergelassenen Fachärzte. Der Facharzt kann nur nach Überwei- sung vom praktischen Arzt aufge- sucht werden. Die Fachärzte bezie- hen den überwiegenden Teil des Einkommens durch ihr Anstellungs- verhältnis in den Krankenhäusern, wo sie neben der stationären grund- sätzlich auch die ambulante medizi- nische Versorgung sicherstellen müssen.

Fachärztliche Versorgung

Das Department of Health and So- cial Security (DHSS) stellt für das fachärztliche Krankenhauspersonal jährlich umfangreiches statistisches Material über die Anteile der einzel- nen Fachdisziplinen, der ärztlichen Qualifikationsstufen und über die räumliche Verteilung auf die 14 Planungsregionen Englands zusam- men. Da nur ganz wenige Speziali- sten außerhalb des NHS praktizie- ren, sind die Zahlen des DHSS ein zuverlässiger Indikator für die räum- liche Verteilung des fachärztlichen Leistungsangebots.

Tabelle 1: Krankenhausärzte aller Fachrichtungen in den Planungs- regionen des Nationalen Gesundheitsdienstes in England/Wales (30. September 1978)

Region Ärzte je 100 000 Einwohner

England/Wales 61,40 100 = Landesdurchschnitt Etwa im Landesdurchschnitt liegende Regionen

Oxford 60,38 98,3

Mersey 61,27 99,8

Wales 61,58 100,3

Northern 62,21 101,3

SW. Thames 62,48 101,8

Überdurchschnittlich gut versorgte Regionen

N. Western 65,90 107,3

SE. Thames 68,46 111,5

NE. Thames 74,02 120,6

NW. Thames 78,40 127,7

Unter dem Landesdurchschnitt liegende Regionen

Trent 51,35 83,6

5. Western 53,16 86,6

W. Midlands 54,47 88,7

Wessex 54,51 88,8

Yorkshire 56,24 91,6

E. Anglia 57,12 93,0

Quelle: „Hospital medical staff - England and Wales" - Regional Whole-Time Equivalent Table; Department of Health and Social Security, Statistics and Research Division, März 1979

2684 Heft 41 vom 11. Oktober 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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100,4 82,4

82,2 110,5

84,4 124,6

90,1 125,8

87,0 155,0

121,0 143,3

109,7 179,4 Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen Großbritannien:. Staatliche Bedarfsplanung

Tabelle 2: Räumliche Versorgungsintensitäten bei leitenden Fachärzten innerhalb der Region Wessex im Jahr 1976 (England = 100)

Bezirke/

Kreise

Gynäko- logen

Kinder- ärzte General

Medicine, Geriatrie, Infekt. Krkh.

Allgemeine Chirurgie,

Urologie

Unfall- und orthopäd.

Chirurgie

Hals- Nasen- Ohren- Ärzte

Augen- ärzte

Kreis East Dorset Kreis West Dorset

Bezirk Dorset 95,6 89,8 94,9 100,1 110,8 126,8 128,7

Kreis Portsmouth Kreis Southampton Kreis Winchester Kreis Basingstoke

69,4 122,3 69,5 78,8

72,3 81,3 79,0 136,7

72,9 134,3 71,6 59,6

96,3 103,3 105,7 110,5

83,7 124,9 62,9 113,8

69,1 134,1 107,7 243,6

84,3 130,3 136,4 150,6

England 100 100 100 100 100 100 100

Bezirk Hampshire 88,4 83,7 86,7 101,7 99,0 115,3 113,5

Kreis Salisbury Kreis Swindon Kreis Bath

80,8 87,9 77,7

97,0 68,6 98,0

120,1 158,3 113,8

101,9 101,4 90,1

45,2 93,2 73,6

169,9 115,0 116,9

118,3 119,1 129,4

Bezirk Wiltshire 81,2 89,0 128,9 96,1 74,5 128,0 123,7

Kreis Isle of Wight 65,2 84,6 148,1 153,1 200,4 145,0 125,1

Wessex Region 87,1 86,5 103,1 101,8 97,5 122,3 120,3

Quelle: „Regional Plan 1979/80" - Wessex Regional Health Authority, Manpower Planning Department, Oktober 1978

Große Differenzen in der ärztlichen Versorgungsdichte

Tabelle 1 zeigt deutlich, daß die Ver- sorgungsdichten (gemessen in Ärzte je Einwohner) in den einzelnen Pla- nungsregionen zum Teil ganz er- heblich vom nationalen Durch- schnitt abweichen. Setzt man die Meßzahl für England/Wales gleich 100, so weisen lediglich fünf Regio- nen ein etwa diesem Mittelwert ent- sprechendes Versorgungsniveau auf. In diesen Gebieten leben rund 27 Prozent der Bevölkerung. Vier Gebiete, auf die etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung entfallen, über- treffen mit ihrer Facharztdichte den nationalen Durchschnitt beträcht- lich. 43 Prozent der Einwohner von England/Wales jedoch wohnen in

den sechs Regionen, welche unter- durchschnittliche Versorgungsin- tensitäten aufweisen. Insgesamt be- tragen die Abweichungen vom Lan- desdurchschnitt dabei fast bis zu minus 17 Prozent in Trent und plus 28 Prozent in N.W. Thames.

Noch stärkere Versorgungsunter- schiede als zwischen den großen, regionalen Raumeinheiten bestehen innerhalb der Regionen zwischen den einzelnen Bezirken (Areas) und Kreisen (Districts). Zur Illustration der räumlichen Disparitäten mag die im nationalen Vergleich unterdurch- schnittlich versorgte Region Wessex dienen.

In Tabelle 2 sind für leitende Fach- ärzte und für die sieben Facharzt- gruppen, welche den überwiegen-

den Teil der Krankenhausleistung repräsentieren, die ärztlichen Ver- sorgungsintensitäten - gemessen am Personaleinsatz je Einwohner - aufgezeigt. Die Bestandswerte von drei Bezirken und zehn Kreisen wer- den dabei dem nationalen Durch- schnitt gegenübergestellt. Zusam- menfassend läßt sich hierzu folgen- des registrieren:

1. Das Versorgungsniveau der Re- gion Wessex (2,7 Millionen Einwoh- ner) entspricht lediglich bei den Fachbereichen „Unfall- und ortho- pädische Chirurgie, Gynäkologie, Kinderärzte" in etwa dem Landes- durchschnitt. In den personalstärk- sten Sparten „General Medicine; all- gemeine Chirurgie/Urologie" liegt sie dagegen klar darunter. Über- durchschnittlich gut versorgt ist die

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Tabelle 3: Arztdichte im Bereich der allgemeinärztlichen Versorgung (Stand: Oktober 1975)

Einwohner je Von den niedergelassenen Region praktischen Arzt Ärzten versorgten ...

mehr als 2500 Einwohner

England 2365 100 41,8

Oxford 2369 100 43,7

Schlechter als der Landesdurchschnitt sind folgende Regionen versorgt:

Trent

North Western Mersey Northern West Midlands Yorkshire

2518 106 2459 104 2446 103 2434 103 2424 103 2393 101

52,0 51,3 46,2 50,0 45,4 42,6

Besser als der Landesdurchschnitt sind folgende Regionen versorgt:

South Western 2162 91 23,9

Wessex 2273 96 31,3

SW. Thames 2287 97 33,6

East Anglia 2302 97 32,0

NW. Thames 2303 97 40,9

NE. Thames 2324 98 40,4

SE. Thames 2330 99 42,0

Quelle: „No Cash for Planned Reshuffle of Health Aids", The Times, 2. 6. 1977 Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

Großbritannien: Staatliche Bedarfsplanung

Region demgegenüber in den Fach- bereichen „Hals-, Nasen-, Ohren- und Augenärzte".

2. Innerhalb der Region zeigen sich zwischen den drei Bezirken (0,58 bis 1,3 Millionen Einwohner) sowie den zehn Kreisen (0,11 bis 0,524 Millio- nen Einwohner) ganz erhebliche, noch weit über die interregionalen Disparitäten hinausgehende Diffe- renzen in der Ausstattung mit Ärz- ten. Diese Unterschiede hinsichtlich der Facharztdichte wiegen um so schwerer, da die zugrunde gelegte Bezugsbevölkerung bereits um die räumlichen Patientenströme „berei- nigt" ist, die Zahlen also auf realisti- schen Einzugs- beziehungsweise Versorgungsbereichsabgrenzungen basieren.

Bei der räumlichen Verteilung der Fachärzte lassen sich demnach nicht nur zwischen den großen Pla- nungsregionen erhebliche Niveau-

unterschiede feststellen. Zwischen den Bezirken und Kreisen sind zum Teil noch wesentlich stärkere Diffe- renzen erkennbar. Das während ei- ner langen Zeit im NHS praktizierte Planungsverfahren, welches sich bei der jährlichen Ressourcenverteilung an den Ausgaben des Vorjahres zu- züglich einer Standardwachstums- rate orientierte, trug nicht zu einer spürbaren Nivellierung der räumli- chen Ungleichgewichte bei. Es be- wirkte vielmehr eine Fortsetzung, teilweise sogar eine Verschärfung der Disparitäten. Erst in den Jahren seit etwa 1971 wurde systematisch auf eine Verbesserung der Pla- nungsmethode hingearbeitet.

Allgemeinärztliche Versorgung Lediglich die praktischen Ärzte sind im Sinne des bundesdeutschen Ver- sorgungssystems als „niedergelas- sene Ärzte" zu bezeichnen. In 1977

entfielen auf einen praktischen Arzt durchschnittlich 2275 Einwohner.

Die Richtlinien der Bedarfsplanung in der Bundesrepublik sehen hier ein Verhältnis von 1 zu 2400 vor.

Über den Gesamtzeitraum seit 1961 ist die allgemeinärztliche Versor- gungsdichte somit in Großbritan- nien nahezu unverändert geblieben.

Verglichen mit dem Facharztbereich ist das allgemeinärztliche, regionale Versorgungsniveau landesweit als relativ ausgeglichen zu bezeichnen.

Setzt man den Landesdurchschnitt gleich 100, so liegen die Extremwer- te bei 91 und 106. Tabelle 3 verdeut- licht die geographischen Differen- zen. Sie zeigt auch, welcher prozen- tuale Anteil von Praxen mehr als 2500 Patienten aufweist. Gebiete mit einer derartigen Relation werden als schlecht versorgt eingestuft (Des- ignated Areas). Neuzulassungen werden hier durch besondere Maß- nahmen gefördert. Zwar haben sich seit Bestehen des Nationalen Ge- sundheitsdienstes die räumlichen Ungleichgewichte tendenziell ver- ringert. Innerhalb der einzelnen Re- gionen sind jedoch — ähnlich der fachärztlichen Versorgung — die Dis- paritäten immer noch stark ausge- prägt. Interessant ist in diesem Zu- sammenhang, daß Großbritannien zur räumlichen Steuerung von Arzt- niederlassungen ebenfalls ein Sy- stem im wesentlichen finanzieller Anreize verwendet. Das Land wird zu diesem Zweck in vier Praxisge- biets-Klassen eingeteilt, für die über Sperrung bis hin zur finanziellen Förderung eine Reihe von Instru- menten zur Verfügung steht.

Weltweite Verteilungsproblematik Die Aufgabe, eine möglichst gleich- mäßige Verteilung der Ärzte zu errei- chen, stellt die jeweiligen Entschei- dungsträger im Gesundheitswesen weltweit vor gegenwärtig noch nicht zufriedenstellend lösbare Probleme.

In sehr vielen Ländern — und durch- aus nicht nur in den zentral gelenk- ten östlichen Staaten — wird zur Zeit intensiv an einer Verbesserung der Evaluierungs- und Steuerungsme- thoden im Bereich der Bedarfs- und

2686 Heft 41 vom 11. Oktober 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Verteilungsplanung gearbeitet. Fast überall scheint dabei die größte Schwierigkeit darin zu bestehen, die Ärzte dorthin zu bekommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Trotz eines staatlichen, das Gesamt- land umfassenden Planungsappara- tes konnte auch in Großbritannien bisher keine befriedigende Lösung gefunden werden. Ziel des Nationa- len Gesundheitsdienstes war und ist es, eine kostenlose, im ganzen Land gleichmäßig zugängliche medizini- sche Versorgung bereitzustellen.

Hierzu wurden nahezu alle markt- wirtschaftlichen Elemente aus dem Gesundheitssektor entfernt und eine riesige Verwaltungsbürokratie in- stalliert.

~ Mißt man den britischen Gesund- heitsdienst an den hohen Erwartun- gen, die bei seiner Konzipierung 1948 in ihn gesetzt wurden, so kann -zumindest bis heute- noch nicht von einer erfolgreichen Lösung der Aufgaben gesprochen werden. Trotz staatlicher Planung gibt es seit lan- gem sowohl geographische als auch fachgebietsspezifische Verteilungs- probleme. Die chronischen Finanz- engpässe führen auch im Personal- bereich zu Schwierigkeiten.

~ Gemessen am Landesdurch- schnitt ist in vielen Gebieten hin- sichtlich des Ärzteeinsatzes noch ein deutlicher Nachholbedarf vor- handen, falls die planungsräumli- chen Versorgungsniveaus einander zumindest allmählich angeglichen werden sollen.

Interessant ist dabei die Tatsache, daß in Großbritannien dennoch auf- grundder verfügbaren Ausbildungs- kapazitäten eine strikte Begrenzung der Studienplätze praktiziert wird.

So lag in den ?Oer Jahren die jährli- che Zahl der Studienbewerber zwi- schen 11 000 und 13 000, zum Stu- dium zugelassen wurden demge- genüber jährlich lediglich 3000 bis 3600 Studenten. Die Forderung nach einer Dämpfung der Studien- platzexpansion im Bereich Human- medizin wird in der Bundesrepu- blick dagegen sehr häufig als eine

Großbritannien: Staatliche Bedarfsplanung

Tabelle 4: Klassifizierung von Praxis-Bezirken der allgemeinärztli- chen Versorgung im Rahmen des Nationalen Gesundheitsdienstes Bezirkstyp Einwohner je Arzt

Restricted weniger als 1800 Intermediate 1800-2000

Open über 2000-2500

Designated mehr als 2500

gruppenegoistische Strategie mit dem Ziel der Angebotsverknappung diffamiert.

Zweifellos sind auch die "Warteli- sten" behandlungsbedürftiger Pa- tienten, welche eine landesweit be- klagte Komponente de!'l britischen Gesundheitsdienstes darstellen, ein spürbares Indiz für Engpässe in der medizinischen Versorgung. Diese Wartelisten sind nichts anderes als eine gewisse Form der Rationie- rung, da die staatlich regulierte Ge- su ndheitsversorgu ng zwar kosten- los (durch Steuern finanz:ert) er- bracht wird, aber offens;cht!ich nicht in ausreichendem Maße ver- fügbar ist. Alleindurch Extm-BGzah- lung als Privatpatient lassen sich diese Wartezeiten vermeid·:!'!, und man kann bei Fachärzten durchaus einen frü hzeitigeren Beh and Iu ngs- termin erhalten. Die Schw9.chen des staatlichen Systems haben hier indi- rekt nicht nur marktwi rtschaftlichen Elementen wieder einen größeren Stellenwert eingeräumt. Sie führen letztlich auch in ihrer Grundtendenz zu unsozialen Lösungen, da in ei- nem durch strikte einnahmenorien- tierte Ausgabenpolitik zu Rationie- rungen gezwungenen Gesundheits- wesen finanziell Schwächeren zum Teil kurzfristig dringend benötigte Leistungen vorenthalten werden.

Die Erfahrungen des britischen Ge- sundheitsdienstes lassen bezüglich der räumlichen Verteilung des Ärz- tebestandes darauf schließen, daß es illusorisch ist, sich von einem staatlichen Verwaltungsapparat die Lösung der grundsätzlichen Schwierigkeiten der ärztlichen Be- darfs- und Verteilungsplanung zu erhoffen. Die hiermit zusammenhän-

Zulassung

wird in der Regel verweigert problematisch

problemlos wird gefördert

genden Probleme sind nicht system- immanent. Deswegen ist staatliche Planung auch keineswegs ein Ga- rant für ein besseres Funktionieren.

Bisher konnte die nahezu "klassen-

lose" Medizin in Großbritannien le-

diglich eine gewisse Nivellierung des Leistungsgefüges ansteuern, mußte aber andererseits die Versor- gungsqualität und die Patientenfrei- heit beschneiden.

Einer befriedigenden Verteilungs- planung geht eine realistische Be- darfsplanung voraus. Der Versuch, hier zu exakten Ergebnissen zu ge- langen, stößt gegenwärtig weltweit noch auf große methodische und statistische Schwierigkeiten. Bisher haben weder die bekannten nationa- len noch die internationalen Arbei- ten zu diesem Thema einen umfas- senden und operationalisierbaren Lösungsansatz gebracht.

Anschrift des Verfassers:

Diplom-Volkswirt Bernd Liebert Zentralinstitut für die kassenärzt- liche Versorgung in der

Bundesrepublik Deutschland Haedenkampstraße 5 5000 Köln 41 (Lindenthal)

ZITAT

Fehlvorstellung

"Es ist eine Fehlvorstellung, daß jeder Mensch durch ent- sprechendes Training be- gabbar sei." Ch rista Mev es

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