• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "50 Jahre National Health Service: „Arm und Reich werden gleich behandelt“" (13.07.1998)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "50 Jahre National Health Service: „Arm und Reich werden gleich behandelt“" (13.07.1998)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Gerade hier wird deutlich, daß neben der Aus- und Bewertung vorhandener Daten vor allem die Schaffung neuer valider Evidenz durch die Förderung der besonders in Deutschland unzu- reichend entwickelten klinischen Pharmakologie und klinischen For- schung vorrangiges Ziel sein muß (16). Auch eine noch so ausgefeilte Systematisierung und biometrische Methodik vermag eine fehlende Da-

tenbasis nicht zu ersetzen. – Die Überschrift eines bereits in dieser Zeitschrift erschienenen Artikels hat all dies treffend zusammengefaßt:

„Evidence Based Medicine“ – Unent- behrlich, aber kritisch werten (17).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1780–1782 [Heft 28–29]

Literatur bei den Verfassern

Anschrift der Verfasser

Prof. Dr. med. Rainer Lasek Prof. Dr. med.

Bruno Müller-Oerlinghausen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Fachausschuß der

Bundesärztekammer

Aachener Straße 233-237, 50931 Köln

A-1782 (34) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE/BLICK INS AUSLAND

s waren drei fast gleich lauten- de Gesetze, die am 5. Juli 1948 in Kraft traten, nämlich für England und Wales, für Schottland, für Nord-Irland. Die Bezeichnung

„National Health Service“ erklärt sich also eigentlich daraus, daß landesweit ein einheitlicher Gesundheitsdienst für die ganze Nation ohne regionale

Unterschiede errichtet wurde. Ein er- stes Gesetz über eine „National Health Insurance“, also eine landes- weite Krankenversicherung, trat schon unter Premierminister David Lloyd George 1912 in Kraft. Man be- rief sich dabei ausdrücklich auf das Vorbild der deutschen Krankenversi- cherung. Nach diesem Gesetz bestand für die unteren Lohngruppen (etwa die Hälfte aller Beschäftigten) Kran- kenversicherungspflicht. Beiträge zahlten Arbeitgeber und Arbeitneh- mer. Der Versicherte hatte das Recht auf ambulante Behandlung durch den Allgemeinarzt (General Practitioner, GP), der für die bei ihm eingetra- genen Versicherten eine Kopfpau- schale erhielt. Familienangehörige und Bezieher höherer Einkommen mußten sich freiwillig versichern.

Der Beveridge-Report

Bis zum Ende des Zweiten Welt- krieges waren dann praktisch alle Ar- beitnehmer in diesem System versi- chert, das aber als unvollständig galt.

Zum Beispiel war stationäre Behand- lung für die unteren sozialen Schich- ten nur in wohltätigen Krankenhäu- sern möglich.

Im Gegensatz zu einem weitver- breiteten Mißverständnis wurden die Wurzeln für den heutigen Staatlichen Gesundheitsdienst nicht von der La- bour-Partei gelegt, sondern von der während des Zweiten Weltkrieges bestehenden, von den Konservativen beherrschten großen Koalition. Pre- mierminister Winston Churchill be- auftragte den der Labour-Partei an- gehörenden Arthur Greenwood, Mi- nister ohne Portefeuille, sich über die Entwicklung der Sozialpolitik nach dem Kriege Gedanken zu machen.

Greenwood gab im Juni 1941 be- kannt, er habe einen Ausschuß von Beamten unter dem Vorsitz von Sir William Beveridge damit beauftragt.

In dem Bericht, den Beveridge weit-

50 Jahre National Health Service

„Arm und Reich werden gleich behandelt“

Am 5. Juli 1948 begann in Großbritannien der Staatliche Gesundheitsdienst, das Symbol für den „Wohlfahrtsstaat“.

E

Sir William Beveridge (ab 1946: Lord Beveridge) 1879–1963, hatte von 1919 bis 1937 den angese- henen Posten des Direktors der London School of Eco- nomics inne. Nach der Erstellung seines berühmten

„Report on Social Insurance and Allied Services“ kam Beveridge 1944 als Liberaler ins Unterhaus, erlangte aber keinen großen politischen Einfluß.

Aneurin Bevan, 1897–1960, Bergmann, Gewerk- schaftler und Herausgeber der sozialistischen Zeit- schrift „Tribune“. Seit 1929 war er Labour-Abgeord- neter für den Wahlkreis Ebbw Vale, 1945 Gesund- heits- und 1951 Arbeitsminister in der Labour-Regie-

rung Attlee. Fotos (2): dpa

(2)

gehend selbst formulierte, definierte er einen künftigen Wohlfahrtsstaat als einen, der allen Bürgern ohne Rücksicht auf die soziale Stellung oder das Einkommen fünf Rechte ge- währen müsse, nämlich das Recht auf Bildung (Schulgeldfreiheit wurde dann schon 1944 eingeführt), das Recht auf Wohnung (gemeindeeige- ner Wohnungsbau), das Recht auf Arbeit, auf medizinische Betreuung bei Krankheit und auf materielle Si- cherstellung im Alter (die Grundlage für die spätere staatliche Einheits- rente).

Der Beveridge-Bericht erschien am 1. Dezember 1942 (und zwar we- gen des Papiermangels zunächst nur als Kurzfassung). Er fand in der Be- völkerung ein ungeheures Echo. Un- mittelbar nach der Schlacht von El Alamein, in der die Briten zum ersten Mal in diesem Krieg deutsche Land- truppen geschlagen hatten, entstand das Gefühl: endlich wird alles besser.

Churchill förderte diese Stimmung 1944 mit einem Weißbuch, mit dem die Konservativen auch Befürchtun- gen ausräumen wollten, sie würden

den Beveridge-Plan mit seinen sozia- listischen Zügen verwässern. In dem Weißbuch hieß es:

„So, wie man sauberes, sicheres Trinkwasser oder gute Straßen als eine öffentliche Aufgabe ansieht . . . so werden in Zukunft öffentlich organi- sierte Einrichtungen für die gesund- heitliche Betreuung für jeden, der sie wünscht, zur Verfügung stehen – ein Dienst, für den alle zahlen werden als Steuer- und Beitragszahler.“ Churchill ließ also noch offen, ob die Kranken- versicherung weiterentwickelt oder der künftige Dienst aus dem Staats-

haushalt finanziert werden sollte (wie es schon 1926 eine Königliche Kom- mission vorgeschlagen hatte).

Aneurin Bevan

Den Beveridge-Plan durchzuset- zen oblag schließlich nach dem Wahl- sieg der Labour-Partei unter Clement Attlee im August 1945 dem Gesund- heitsminister Aneurin Bevan. Und durchsetzen mußte er ihn vor allem gegen den hartnäckigen Widerstand der British Medical Association. Be- van hat nie der Anschuldigung wider- sprochen, er habe die Mitarbeit der Ärzteschaft am Staatlichen Gesund- heitsdienst mit Geld erkauft. Er ließ nämlich die ursprünglich geplanten Gesundheitszentren fallen. Die Allge- meinärzte behielten ihre Einzelpra- xen, schlossen individuelle Verträge mit dem Staatlichen Gesundheits- dienst, und ihre Vergütung bestand im wesentlichen weiterhin aus einer Kopfpauschale für die eingetragenen Patienten. Der lautstarke Widerstand der British Medical Association

brach zusammen, als eine Urabstim- mung bei den Mitgliedern ergab, daß die Mehrheit der Ärzte keineswegs, wie der Vorstand geglaubt hatte, ge- gen einen aus dem Steueraufkommen finanzierten Staatlichen Gesundheits- dienst war.

Als besonderer Erfolg Bevans gilt die Tatsache, daß er die Kranken- haus- und Fachärzte auf seine Seite brachte. Jüngere Krankenhausärzte hatten unter dem früheren System oft nur für Kost, Logis und ein Taschen- geld gearbeitet. Nach der Verstaatli- chung der Krankenhäuser erhielten

sie erstmals vernünftige Gehälter. Die Fachärzte, die früher auf Patienten- überweisungen durch die General Practitioners angewiesen waren, wur- den nunmehr in den Polikliniken an- gestellt und erhielten ebenfalls ein Gehalt.

In den letzten fünfzig Jahren hat es zahllose Versuche gegeben, den Staatlichen Gesundheitsdienst zu re- formieren. Einer der ersten war 1951, noch unter der Labour-Regierung Attlee, die Einführung einer Rezept- gebühr. Aus Protest traten drei Mini- ster zurück. Einer von ihnen war Be- van, inzwischen Arbeitsminister; ein anderer war Harold Wilson, der spä- ter als Premierminister selbst die Re- zeptgebühr weiter erhöhen mußte.

Reformen

1957 wurde ein Arbeitnehmer- beitrag eingeführt, der aber nie mehr als zehn Prozent des Gesundheits- dienst-Etats abdeckte. Es gab Mitte der siebziger Jahre eine Organisati- onsreform, es gab die Einführung von Budgets unter Premierministe- rin Thatcher, es gab immer wie- der Streitigkeiten über die Bet- ten für Privatzahler in den staatlichen Krankenhäusern.

Und es gab das ewige Problem der Wartelisten auf Operatio- nen und Facharzttermine, die auch heute wieder einmal so groß sind, daß die Regierung Blair zusätzliche Gelder für den Staatlichen Gesundheitsdienst versprechen muß.

Die Grundzüge des aus Steuergeldern finanzierten Na- tional Health Service sind aber seit seiner Errichtung auch von kon- servativer Seite nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Wie Aneurin Bevan sie 1952 in seinem Buch „In Place of Fear“ definierte: „Das Wesentliche eines zufriedenstellenden Gesund- heitsdienstes ist, daß Arm und Reich gleich behandelt werden, daß Armut keine Behinderung ist und daß Reichtum nicht bevorzugt wird . . . Das Werkzeug, um die finanziellen Mittel für einen Gesundheitsdienst aufzubringen, haben die meisten mo- dernen Staaten schon, das Steuersy-

stem.“ Günter Burkart

A-1784 (36) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Die Findlinge oberhalb seines Geburtsortes Tredegar in Süd-Wales benutzte der junge Bevan als Rednerpodium, wenn er vor den Bergleuten politische Reden hielt. Seine politische Bildung verdankte er, wie er liebevoll bemerkte, der Ar- beiterbücherei in Tredegar, „aufgebaut aus den Pennies der Kumpel, die uns mit den orthodoxen Nationalökonomen und Philosophen wie auch mit den Werken der Marxisten vertraut gemacht hat“. Fotos (2): gb

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

auch heute noch zwischen dem An- gebot an ärztlichen Leistungen und der entsprechenden Nachfrage in Teilbereichen zweifellos Ungleich- gewichte vorhanden sind, die es vor allem

Als Erstes führt das Forschungsteam eine Literaturanalyse durch, welche die Folgen der Digitalisierung für den schweizerischen Arbeitsmarkt und für andere Bereiche thematisiert und

Anspruchs- berechtigte Patienten bezahlen nichts für ihren Arztbesuch oder für ihre Operation, da sie über die staatliche Krankenversicherung (National In- surance)

die Lage vor allem im stationären Sektor ist, zeigt die Tatsache, daß Gesundheitsminister Frank Dobson den staatlichen Krankenhäusern erlaubt hat, zusätzliche Bet- ten in

Auch die Weltgesund- heitsorganisation hat sich in einer Stellungnahme für die weltweite Einstellung aller Atomtests ausgesprochen.. Jeder Test berge ein Risiko für Umwelt

Novem- ber mit Regisseuren (Juraj Jakubisko, Martin Slivka, Fero Fenic, Stanislav Barabas) und Filmwissenschaftern (Hans-Joachim Schlegel, Berlin, An- toninLiehm,Paris,

„Salamat", Danke, vor Vergnügen laut auf. Jeder will uns ungläubig aus der Nähe bestaunen: Seit Menschen- gedenken haben nur fünf Weiße die Insel betreten. Hinter jeder

April an sollen nach An- gaben von Schatzkanzler Gordon Brown zwei Milliarden Pfund zusätz- lich für die Krankenhäuser und Allgemeinarztpraxen des National Health Service