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Archiv "Behandlung des ischämischen Insultes" (30.04.1993)

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Behandlung des

ischämischen Insultes

Karl Einhäupl

D

ie Behandlung des akuten Schlaganfalles ist nach wie vor sehr uneinheitlich. Von neurologischer Seite haben daher Vertreter von 15 Kliniken Vor- schläge für die Akuttherapie und die damit assoziierte Diagnostik beim frischen Schlaganfall nach dem der- zeitigen Wissensstand formuliert.

1. Definition des ischämischen Insultes

Ein ischämischer Insult ist Aus- druck einer akuten regionalen Durchblutungsstörung des Gehirns, die sich in der Regel durch ein akut auftretendes fokal neurologisches Defizit, das flüchtig oder dauerhaft sein kann, bemerkbar macht. Ein ischämischer Infarkt ist eine bleiben- de strukturelle ischämische Hirn- schädigung. Auch flüchtige neurolo- gische Symptome (transiente isch- ämische Attacke, TIA) können Aus- druck eines Infarktes sein.

2. Pathophysiologie und Ätiologie

Die gemeinsame Endstrecke al- ler zum Infarkt führenden pathophy- siologischen Mechanismen ist das durch Ischämie funktionell oder strukturell geschädigte Hirngewebe.

Die unterschiedlichen Pathomecha- nismen können heute überwiegend mit nicht-invasiven Untersuchungs- methoden differenziert. werden.

1> Ortsständige Thrombosen extra- kranieller Arterien und großer basa- ler Hirnarterien können sowohl em- bolisch als auch hämodynamisch ver- ursachte Insulte erzeugen. Arterio-ar- terielle Embolien aus arterioskleroti-

schen Plaques mit aufgelagerten fri- schen Thromben gelangen mit dem Blutstrom in distal gelegene Hirnar- terien und führen dort zum Ver- schluß. Das typische computerto- mographische Korrelat ist ein Terri- torialinfarkt. Weniger häufig kommt es durch den verminderten Petfusions- druck distal von hochgradigen Steno- sen oder Verschlüssen großer hirn- versorgender Arterien unter den Be- dingungen einer unzureichenden Kollateralversorgung zu hämodyna- misch bedingten Insulten, die sich computertomographisch als Infarkte in Endstrom- und Grenzzonenare- alen darstellen.

> Unter verschiedenen pathogene- tischen Bedingungen (zum Beispiel absolute Arrhythmie) bilden sich im Herzen intrakavitäre Thromben oder thrombotische Auflagerungen an Klappen, die Anlaß zu kardiogenen Embolien in die Hirnarterien sein können.

> Zerebrale Mikroangiopathien beru- hen auf einer ätiologisch heteroge- nen Verschlußkrankheit der kleinen penetrierenden Arterien des Markla- gers und des Hirnstammes (Fisher 1989). Nach computertomographi- schen und klinischen Kriterien kön- nen drei Varianten differenziert wer- den: a) lakunäre Infarkte; b) die Leukenzephalopathie und c) Misch- formen der beiden genannten Lä- sionstypen.

3. Therapeutische Prinzipien

In der Akuttherapie werden ne- ben der internistischen Basistherapie spezifische Therapieansätze disku- tiert. Hierzu gehören antiischämi- sehe, rekanalisierende und perfusi- onsverbessernde Maßnahmen. Da- von abzugrenzen sind frühprophylak- tische Maßnahmen, wie beispielswei- se die Antikoagulation.

3.1 Zeitliche Aspekte und Therapie des akuten ischämischen Insultes

Es ist heute gesichert, daß eine Behandlung des Insultpatienten im Hinblick auf Überlebenschance und Verringerung des neurologischen Defizits um so wirksamer ist, je frü- her sie einsetzt. Derzeit wird davon ausgegangen, daß eine wirksame Be- einflussung der Infarktgröße und der neurologischen Ausfälle innerhalb der ersten Stunden nach dem akuten Ereignis einsetzen muß. Da sich die Therapie an der im Einzelfall unter- schiedlichen Pathogenese orientiert, ist eine häusliche Behandlung nur in Ausnahmefällen zu vertreten. Jen- seits dieser Zeitgrenze sind die Rezi- divprophylaxe und zahlreiche For- men der Rehabilitation sinnvoll.

4. Allgemeine thera- peutische Maßnahmen beim ischämischen Insult

Die folgenden allgemeinen The- rapie-Empfehlungen gründen ganz überwiegend auf klinischer Erfah- rung und sind nur in wenigen Fällen durch kontrollierte Studien belegt.

Ein weiterer Erkenntnisgewinn zur wissenschaftlich fundierten Behand- lung des akuten Schlaganfalles wird davon abhängig sein, ob es gelingt, möglichst viele Patienten für die Teilnahme an kontrollierten und ran- domisierten Studien zu motivieren.

4.1 Allgemeine Prinzipien

Die Therapie sollte so früh wie möglich nach dem Insult einsetzen.

Die Therapie sollte sich an den pa- thogenetischen Kriterien der Insult- entstehung orientieren. So ist es beim hämodynamisch ausgelösten In- A1-1274 (38) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993

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farkt gefährlich, den Blutdruck zu senken, während bei embolischen In- farkten die Sekundärprophylaxe früh einsetzen sollte.

5. Medizinische Basisversorgung

5.1 Atmung

Schlaganfälle treten gehäuft bei alten Menschen auf, bei denen auch eine pulmonale Begleiterkrankung vorliegt. Sauerstoffmangel und CO 2

-Anstieg verschlechtern die Prognose und verstärken das Hirnödem. Bei Patienten mit Vigilanzstörungen muß daher die Atmung besonders kritisch überwacht werden. Wenn möglich sollte eine Pulsoxymetrie und gegebenenfalls eine Blutgasana- lyse durchgeführt werden. Das allei- nige Anlegen einer Sauerstoffnasen- sonde ist nicht ausreichend. Bei be- wußtseinsgetrübten oder komatösen Patienten mit Anstieg des pCO 2 soll- te die Intubation und kontrollierte Beatmung erfolgen.

5.2 Herz

Bei Aufnahme des Patienten sollte ein EKG durchgeführt werden.

Dieses dient auch zur Erkennung kli- nisch stummer, frischer Myokardin- farkte als Ausgangsort einer kardia- len Hirnembolie. Die Behandlung ei- ner manifesten Herzinsuffizienz und von Herzrhythmusstörungen folgt in- ternistischen Regeln. Eine generelle Digitalisierung ist abzulehnen. Beim Einsatz von Diuretika ist darauf zu achten, daß keine zu starke Exsikko- se erfolgt.

5.3 Arterielle Hypertonie

Beim frischen Schlaganfall ist ei- ne generelle Blutdrucksenkung nicht angebracht. Häufig normalisiert sich der im Rahmen des Hirninsultes er- höhte Blutdruck innerhalb weniger Stunden spontan. Wenn aus interni- stischer Sicht eine akute antihyper- tensive Therapie erforderlich ist, oder wenn über längere Zeit diastoli- sche Werte über 100 mmHg oder sy-

stolische Werte über 200 mmHg vor- liegen, sollte der Blutdruck zum Bei- spiel mit Urapidil oder Nifedipin langsam und maximal um 20 Prozent gegenüber dem Ausgangswert ge- senkt werden. Es sollten keine Sub- stanzen Verwendung finden, die zen- tral-vasodilatatorisch wirken oder das Hirnödem verstärken können.

5.4 Arterielle Hypotonie

Ein zu starker Abfall des Perfu- sionsdruckes (zum Beispiel RR systo- lisch < 90 mmHg) verschlechtert die Prognose. Wenn die arterielle Hypo- tonie durch eine Exsikkose bedingt ist, empfehlen wir eine Volumenauf- füllung. Handelt es sich um eine zen- trale Blutdruckregulationsstörung (zum Beispiel infolge eines Insultes in der hinteren Schädelgrube), müs- sen gegebenenfalls Katecholamine eingesetzt werden.

5.5 Hyperglykämie

Klinische und experimentelle Studien belegen, daß erhöhte Blut- zuckerwerte die Prognose des isch- ämischen Insultes verschlechtern (Woo et al. 1988). In den ersten 24 Stunden sollten keine höher konzen- trierten Glukoselösungen (> 10 Pro- zent) appliziert werden. Bei erhöh- ten Blutzuckerwerten sollte daher vorübergehend eine Therapie mit Altinsulin erfolgen. Bei der Gabe von Glycerin zur Hirndruckbehandlung (siehe unten) muß der Blutzucker engmaschig kontrolliert werden.

5.6 Überwachung und Prophylaxe

Ab dem Aufnahmezeitpunkt muß eine Bilanzierung von Flüssig- keitszufuhr und -ausfuhr erfolgen.

Diese ist bei Herzinsuffizienz und Niereninsuffizienz besonders wich- tig. Eine Exsikkose sollte rasch aus- geglichen werden. Bei Patienten mit erhöhtem Hämatokrit oder Volu- menmangel sollte früh die Indikation zur zentralen Venendruckmessung gestellt werden. Wegen der ausge- prägten Aspirationsgefahr muß bei

Bewußtseinstrübung und Schluckstö- rungen früh eine Magensonde ange- legt werden. Darüber hinaus sollten schon am ersten Tag oral Kalorien angeboten werden. Bei ausgepräg- tem Erbrechen muß die Ernährung parenteral erfolgen. Die Thrombo- seprophylaxe erfolgt mit niedrig do- sierter Heparingabe. Diese Prophyla- xe kann auch bei frischen und großen ischämischen Infarkten und bei noch nicht erfolgtem computertomogra- phischem Blutungsausschluß ohne erhöhtes Blutungsrisiko durchge- führt werden. Darüber hinaus müs- sen die Beine passiv durchbewegt werden. Erhöhte Temperaturen ver- schlechtern die Prognose des isch- ämischen Insultes und sollten medi- kamentös oder durch physikalische Maßnahmen gesenkt werden.

5.7 Krankengymnastik und Logopädie

Eine optimale Lagerung und frü- he Krankengymnastik helfen Kon- trakturen und Lungenfunktionsstö- rungen zu verhindern. Die Kranken- gymnastik sollte frühzeitig zur Mobi- lisierung einsetzen. Dies gilt nicht für schwere Schlaganfälle mit komplet- ter Hemiplegie oder ausgeprägtem Hirnödem. Auch die Logopädie soll- te so früh wie möglich beginnen.

5.8 Begleittherapie

Wichtig ist die gesprächsthera- peutische Begleitung sowohl des Pa- tienten (viele Patienten sind durch das Schlaganfallereignis deprimiert) wie der Angehörigen.

6. Spezielle

Therapiemaßnahmen

6.1 Kalziumantagonisten

Kalziumantagonisten wie Nimo- dipin und Flunarizin sind zur Be- handlung akuter zerebraler Isch- ämien experimentell und in klini- schen Studien in den letzten Jahren untersucht worden. Bislang liegen keine abschließenden, wissenschaft- lich überzeugenden Belege aus klini- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993 (39) A1-1275

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schen Studien vor, daß durch Kalzi- umantagonisten das neurologische oder funktionelle Defizit reduziert oder die Letalität gesenkt werden könnte (The American Nimodipine Study Group 1992; Trust Study Group 1991). Allerdings zeigen de- taillierte Meta-Analysen, daß bei frühzeitiger oraler Gabe von Nimodi- pin (< 12 h) der Krankheitsverlauf vor allem der schweren Schlaganfälle günstig beeinflußt werden kann (Gel- mers, Hennerici 1990). Diese Beob- achtung sollte durch eine konfirma- torische Untersuchung überprüft werden.

6.2 Hämodilutionstherapie

Eine hypovolämische Hämodilu- tion ist abzulehnen. Klinische Studien isovolämischer-hypervolämischer Hä- modilution haben uneinheitliche Er- gebnisse erbracht. Bisher liegen nur drei prospektiv randomisierte Studien vor, in denen sich bei isovolämisch ge- nannter, de facto leicht hypervolämi- scher Hämodilution Vorteile für der- art behandelte Patienten ergaben (As- plund 1991, Koller et al. 1990, Strand 1992). Da bei gestörter Autoregulati- on die Hirndurchblutung passiv von Blutdruck und Herzzeitvolumen ab- hängt, wird dieser positive Effekt nicht nur durch die Hämatokritsenkung, sondern auch durch die Volumensub- stitution und Steigerung des Herzzeit- volumens erreicht. Diese Frage muß im Rahmen prospektiver Untersu- chungen geklärt werden.

Eine Empfehlung zur Hämodilu- tion nach einem festen Schema kann nicht gegeben werden. Die Hämodilu- tion sollte Hämatokrit-angepaßt durchgeführt werden. Der optimale Hämatokritwert unter den Bedingun- gen der zerebralen Ischämie ist nicht bekannt. Entscheidet man sich zu ei- ner Hämodilutions- oder Infusions- therapie des ischämischen Insultes, ist eine strenge klinische Überwachung der kardialen Belastbarkeit und der Hirnödementwicklung notwendig.

6.3. Thrombolyse

Die thrombolytische Therapie des akuten ischämischen Hirninfark-

tes ist noch immer im experimentel- len Stadium der Dosisfindung und Überprüfung der Wirksamkeit. Zum jetzigen Zeitpunkt sollte daher jede Art von thrombolytischer Therapie nur im Rahmen von Therapieproto- kollen oder, wenn sie in einzelnen In- stitutionen durchgeführt wird, nur nach Beratung durch die lokale Ethik-Kommission erfolgen.

Alle laufenden Studien streben einen sehr frühen Therapiebeginn an, wobei im Versorgungsgebiet der A. carotis interna maximal acht Stun- den nach Symptombeginn erlaubt sind. Bei dieser Indikation werden zur Zeit rtPA systemisch (eine angio- graphische Dosisfindungsstudie, zwei nicht angiographische placebokon- trollierte Studien), systemische Streptokinase und intra-arterielle Streptokinase getestet (Brott et al.

7. Maßnahmen bei Hirnödem

Zur Behandlung der intrakra- niellen Druckerhöhung stehen in Ab- hängigkeit von deren Ausprägung mechanische Maßnahmen, optimale Ventilation, osmotisch wirksame Substanzen, frühzeitige Intubation und mechanische Beatmung zur Ver- fügung. Mechanische Maßnahmen bestehen in der Hochlagerung des Patienten (Oberkörper bis 30 Grad) und Geradelagerung des Kopfes. Ein starker intrakranieller Druckanstieg erfordert eine frühzeitige Intubation und mechanische Beatmung mit mä- ßiger Hyperventilation (pCO 2 25-30 mm Hg). Osmotisch wirksame Sub- stanzen wie Glyzerin und Mannit werden angewandt, wenn klinische oder radiologische Zeichen eines raumfordernden Insultes vorliegen.

Sie werden nach der Hirndruckinten- sität dosiert. Die Ausgangsdosis be- trägt 2 x 50 g, und die maximale Do- sis der zwei Substanzen jeweils 4 x 50 g. Bei sehr hohen Hirndruckwerten haben 50 g Glyzerin (oraler Bolus oder parenterale Infusion) eine Wirkdauer von drei bis vier Stunden und 50 g Mannit (parenterale Kurz- infusion) eine Wirkdauer von 1,5

1992, Haley et al. 1992, von Kummer und Hacke 1992).

Bezüglich der Infarkte im ver- tebro-basilären Stromgebiet kann keine generelle Empfehlung gegeben werden. Sinnvoll scheint zu sein, Pa- tienten mit schweren Insulten im ver- tebro-basilären Territorium in ein Zentrum zu überweisen, in dem aus- reichend Erfahrung in der Lyse-Be- handlung von Verschlüssen der ver- tebrobasilären Arterien besteht.

Aufgrund der zur Zeit in Pla- nung und Ausführung befindlichen plazebokontrollierten Therapiestudi- en mit frühem Therapiebeginn ist zu hoffen, daß sich innerhalb der näch- sten zwei Jahre eine klare Aussage über Indikation und Wirksamkeit der frühen thrombolytischen Therapie im Carotis-Media-Stromgebiet wird machen lassen.

Stunden. Die Bolusgabe und die Schnellinfusion reduzieren die Ge- fahr des Reboundeffektes. Mit der Erhöhung der Dosis und diabetischer Stoffwechsellage steigt die Gefahr ei- nes hyperosmolaren Komas. Glycerin kann zu Hämolysen führen.

8. Besondere Empfehlun- gen zur Behandlung des ischämischen Insultes in der hinteren Schädel- grube

Ischämische Infarkte in der hin- teren Schädelgrube, insbesondere bei jüngeren Menschen können rasch zu einer Liquorabflußstörung und Einklemmung führen. Kommt es bei einem ischämischen Infarkt in der hinteren Schädelgrube zu einer rasch progredienten Bewußtseinsstörung, muß notfallmäßig ein CT durchge- führt werden und bei beginnendem Hydrocephalus occlusus eine passa- gere externe Shunt-Anlage durch den Neurochirurgen erfolgen. Bei großen raumfordernden Infarkten kommt gelegentlich auch eine opera- tive Dekompression der hinteren Schädelgrube in Frage.

Ai-1278 (42) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993

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9. Unwirksame oder obsolete Behandlungs- maßnahmen

Nach heutigen Kriterien sollten keine Anwendung mehr finden:

> Cortison, Diuretika zur Behand- lung des Hirnödems

> Barbiturate zur primären Hirn- protektion

> Zentral wirksame Vasodilatato- ren oder Vasokonstriktoren

> sogenannte Nootropika

10. Frühe

Antikoagulation als Sekundärprävention

Die Antikoagulation in der Akutphase kommt grundsätzlich nur zur Prophylaxe von Rezidivinsulten in Betracht. Obwohl die Wirksamkeit einer akuten Antikoagulation mit Heparin oder oralen Antikoagulan- zien bislang nicht erwiesen ist, wird besonders eine Wirksamkeit in der Prävention bei nachgewiesenen kar- dialen Emboliequellen erwartet (Kunze et al, 1991, Leonhardt et al., 1991). Darüber hinaus wird die akute Antikoagulation aus pathophysiolo- gischen Gründen auch zur Präventi- on bei Insulten infolge thromboti- scher Gefäßverschlüsse, hochgradi- gen Stenosen und Dissektionen der großen hirnversorgenden Arterien praktiziert. Andererseits ist eine Antikoagulation bei rezidivierenden oder Crescendo-TIA oder progre- dientem Insult ohne Kenntnis des Gefäßbefundes nicht gerechtfertigt.

Vor Beginn der Antikoagulation ist ein Computertomogramm zum Ausschluß einer Hirnblutung unver- zichtbar. Wegen der besseren Steuer- barkeit verwenden wir in der Akut- phase des ischämischen Insultes grundsätzlich Heparin. Um die po- tentielle prophylaktische Wirksam- keit voll auszuschöpfen, sollte mit der Heparinisierung so früh wie möglich nach Eintritt des Insults begonnen werden. Wir empfehlen die initiale Gabe eines Bolus von 5000 I. E. i. v., anschließend zunächst 1000 I. E.

stündlich als Dauerinfusion. Die Do- sisanpassung erfolgt mit Hilfe der partiellen Thromboplastinzeit, die

das 2- bis 2,5fache des Normalwertes erreichen soll.

Das Risiko einer Heparin-indu- zierten, klinisch relevanten Hirnblu- tung liegt unter Berücksichtigung der Kontraindikationen nicht höher als zwei bis drei Prozent. Bei sehr gro- ßen, insbesondere raumfordernden Infarkten ist das Risiko einer Hirn- blutung erhöht, so daß eine beson- ders kritische Nutzen-Risiko-Abwä- gung für diese Therapieform erfor- derlich ist. Daher ist in solchen Fäl- len die Therapie nicht sofort einzu- leiten, sondern verzögert zu begin- nen oder ganz zu unterlassen.

Neben den bekannten Kontrain- dikationen soll aus neurologischer Sicht auf folgende Besonderheiten hingewiesen werden: Als absolute Kontraindikation sehen wir eine nicht einstellbare Hypertonie an. Re- lative Kontraindikationen sind com- putertomographische Zeichen einer zerebralen Mikroangiopathie, hohes Alter, hämorrhagische Umwandlung des Infarktes, septische Hirnembo- lien und die aktuelle Vorbehandlung mit einem Thrombozytenaggregati- onshemmer.

11. Infrastrukturelle Voraussetzungen für die

Behandlung von Insult- patienten

Die Dringlichkeit, mit der die Verfügbarkeit der im folgenden auf- gezählten apparativen Untersu- chungsverfahren angefordert werden muß, entscheidet sich an der Frage, welche bisher anerkannten therapeu- tischen Konsequenzen daraus entste- hen. In diesem Abschnitt beschrän- ken wir uns auf die Primärversorgung des akuten Schlaganfalles im erstauf- nehmenden Krankenhaus.

11.1 Computertomographie

Nach internistischer und neuro- logischer Untersuchung ist vor Ein- leitung einer Therapie ein CT ohne Kontrastmittel praktisch immer er- forderlich. Den Autoren ist bewußt, daß diese Forderung nicht unter al- len Umständen in allen Krankenhäu-

sern zu verwirklichen ist. Unerläßlich ist ein sofortiges CT allerdings in den folgenden Situationen:

> Primär komatöser Patient

> Progrediente Verschlechterung

> „Schlaganfall" mit Fieber

> Hirnstamm- und Kleinhirnsym- ptome

> Art des Krankheitsbeginns nicht bekannt (zum Beispiel, ob sich Sym- ptome „schlag"-artig oder langsam entwickelt haben).

Eine Indikation für die sofortige Durchführung einer Kernspintomo- graphie in der Akutdiagnostik des Schlaganfalles gibt es zur Zeit nicht, außer wenn der Verdacht auf eine Si- nusthrombose besteht.

11.2 Ultraschalldiagnostik

Bestimmte Therapieverfahren (Heparin-Behandlung, Lyse-Thera- pie) sind an die frühe Kenntnis des Ge- fäßbefundes gebunden. Das gilt insbe- sondere für Kranke mit fluktuierender oder progredienter Symptomatik. Bei Verdacht auf Basilaristhrombose ist die Gefäßdiagnostik in einem speziali- sierten Zentrum erforderlich.

Die Doppler-Ultraschalluntersu- chung zielt im wesentlichen auf den Nachweis akut embolisierender, hochgradiger Stenosen oder Ver- schlüsse (einschließlich Dissektio- nen) der großen extra- und intrakra- niellen Hirnarterien. Darüber hinaus hilft die Ultraschall-Diagnostik in der raschen differentialdiagnostischen Abgrenzung unklarer Krankheitsent- wicklungen (zum Beispiel Koma).

Der erste gefäßdiagnostische Schritt ist die kontinuierliche Dopp- lersonographie der extrakraniellen Hirnarterien. Falls sich an den ex- trakraniellen Hirnarterien keine Ge- fäßläsion nachweisen läßt, die die Symptomatik des Patienten hinrei- chend erklärt, sollte eine transkra- nielle Dopplersonographie (oder An- giographie, siehe unten) durch einen mit dieser Methode erfahrenen Neu- rologen angestrebt werden. Grund- sätzlich sollte bei jedem Insultpatien- ten zur Aufklärung des pathophysio- logischen Mechanismus eine Gefäß- diagnostik zumindest mit der Dopp- lersonographie durchgeführt werden.

Al-1280 (44) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993

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11.3 Angiographie

Eine Angiographie ist nur erfor- derlich, wenn der Verdacht auf eine arterielle Dissektion extra- oder in- trakranieller Hirnarterien oder der Verdacht auf eine Basilaristhrombose besteht und entsprechende Ultra- schallverfahren nicht zur Verfügung stehen. Sie ist auch erforderlich, wenn sie im Rahmen einer experimentellen Therapie (zum Beispiel Thrombolyse) vorgeschrieben wird. Auf die venöse digitale Subtraktionsangiographie sollte verzichtet werden.

11.4 EKG und Echokardiographie

Die EKG-Untersuchung gehört ebenfalls zur Basisdiagnostik des akuten Schlaganfalles und muß un- mittelbar nach Aufnahme durchge- führt werden, um einen möglicher- weise zugrundeliegenden Herzin- farkt zu erkennen.

Eine notfallmäßige Echokardi- ographie ist in der Regel nicht erfor- derlich. Bei Verdacht auf eine kar- diogene Hirnembolie und bei jungen Patienten ist die Echokardiographie jedoch frühzeitig anzustreben.

11.5 Laboruntersuchungen

Von den Routinelaborparame- tern sind in der Akutphase des Schlaganfalls von besonderem Inter- esse:

> Blutbild (zum Nachweis einer Po- lyglobulie, Anämie oder Thrombozy- tose, Hämatokrit)

> Blutzucker (Hypoglykämie, un- günstige Prognose bei ausgeprägter Hyperglykämie)

> Elektrolyte

• Kreatinkinase (gleichzeitiger Herzinfarkt)

> globaler Gerinnungsstatus

• Kreatinin (wenn Kontrastmittel- untersuchungen geplant sind)

> Harnstoff

Die wissenschaftlich fundierte Behandlung des akuten ischämischen Infarktes im Krankenhaus steht der- zeit vor einem Dilemma. Einerseits liegen zahlreiche pathophysiologi- sche und pharmakologische Kennt-

nisse aus Tierexperimenten und aus Untersuchungen am Menschen vor, die für eine Reihe von ischämie- abhängigen zerebralen Vorgängen sinnvolle therapeutische Maßnah- men nahelegen. Andererseits haben die Ergebnisse zahlreicher großer kli- nischer Therapiestudien in der Ver- gangenheit weitgehend enttäuscht.

Dies hängt auch damit zusammen, daß viele Studien die Ätiopathogene- se des Infarktes nicht berücksichti- gen, bei vielen Patienten mehrere ätiopathogenetische Mechanismen eine Rolle spielen und die Therapie zu häufig zu spät einsetzt. Zur Zeit kann für die klinische Praxis nur die Konsequenz gezogen werden, Thera- pieansätze auf eine möglichst genaue Einschätzung der Pathogenese und der individuellen Gefäßsituation des Patienten zu gründen. Anhaltspunk- te für ein solches Vorgehen zu geben war Sinn dieser Zusammenfassung.

Daneben ist es vorrangig notwendig, möglichst viele Patienten so früh wie möglich in laufende kontrollierte kli- nische Therapiestudien einzubezie- hen, die, orientiert an den einzelnen Schlaganfallsubtypen, neuere Be- handlungsansätze untersuchen.

Deutsches Ärzteblatt

90 (1993) A 1 -1274-1281 [Heft 17]

11111.111■

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Das vorstehende Manuskript wurde erar- beitet unter Mitwirkung von:

Prof. Dr. Karl Einhäupl, Neurologische Universitätsklinik, Charit6 Berlin Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Neurolo- gische Klinik der Universität Essen Prof. Dr. Werner Hacke, Neurologische Klinik der Universität Heidelberg Prof. Dr. Franz Aichner, Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck

Prof. Dr. Otto Busse, Neurologische Klinik, Minden

Prof. Dr. Anton Haaß, Universitätsklinik für Neurologie, Homburg

Prof. Dr. Alexander Hartmann, Neurologi- sche Universitätsklinik, Bonn

Prof. Dr. Michael Hennerici, Neurologische Universitätsklinik, Klinikum Mannheim Priv.-Doz. Dr. Claus Hornig, Zentrum für Neurologie, Universität Gießen

Prof. Dr. M. Huber, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universität Köln Prof. Dr. Christof Kessler, Klinik für Neu- rologie, Universität Lübeck

Dr. med. G. Krämer, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universität Mainz Prof. Dr. Peter Marx, Universitätsklinikum Steglitz, Berlin

Prof. Dr. E. Bernd Ringelstein, Neurologi- sche Klinik der Universität Münster Prof. Dr. Andreas Thie, Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik, Ham- burg

Anschrift für die Autoren:

Professor Dr. med.

Hans-Christoph Diener

Neurologische Universitätsklinik Hufelandstraße 55, W-4300 Essen Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 17, 30. April 1993 (45) A1-1281

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