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Archiv "Primär- und Sekundärprävention des ischämischen Insultes" (15.10.1993)

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MEDIZIN

DIE ÜBERSICHT

Primär- und Sekundärprävention des ischämischen Insultes

Hans Christoph Diener

Die Behandlung des ischämischen Hirninfarktes im Akut- Stadium ist bisher nur in sehr beschränktem Maße mög- lich. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Primär- und Sekundärprävention des ischämischen Insultes. Das Risiko eines ischämischen Insultes nach einer flüchtigen zerebra- len Durchblutungsstörung beträgt etwa fünf Prozent pro Jahr, nach einem ersten Schlaganfall etwa zehn Prozent

pro Jahr. Wichtigster Faktor einer Primärprävention ist die Behandlung von Risikofaktoren, wobei alleine die Be- handlung der Hypertonie eine Risikoreduktion von 40 Prozent bewirkt. Thrombozytenfunktionshemmer wie Acetylsalicylsäure und Ticlopidin spielen eine wichtige

Rolle in der Sekundärprophylaxe und führen hier zu ei- ner Risikoreduktion bezüglich Schlaganfall, Herzinfarkt und vaskulärem Tod von 20 bis 30 Prozent. Antikoagu- lanzien werden zur Primär- und Sekundärprävention kardiogener Hirnembolien und zur Reinsult-Prophylaxe bei Gefäßwanderkrankungen der großen Hirnarterien eingesetzt. Asymptomatische Stenosen der

A.

carotis inter- na sollten nur in Ausnahmefällen operiert werden. Bei Patienten mit höhergradigen Karotis-Stenosen und flüch- tigen Durchblutungsstörungen des Gehirns ist die Karotis- Operation prophylaktisch wirksam, wenn sie in einem Zen- trum mit niedriger Komplikationsrate vorgenommen wird.

1. Zielsetzung

Solange die direkte Behandlung des Hirninfarktes im Akutstadium nur in sehr beschränktem Maße mög- lich ist (11), ist die primäre und se- kundäre Prävention des ischämi- schen Insultes die wichtigste und aus- sichtsreichste Therapie. Je nach dem Ziel der präventiven Maßnahmen kommen unterschiedliche Therapie- verfahren zum Einsatz. Die vorlie- gende Arbeit möchte diese ordnen, aufgrund vorliegender wissenschaftli- cher Ergebnisse bewerten und ge- wichten und Empfehlungen für die Anwendung in der Praxis geben.

2. Definitionen

Unter TIA ( = transitorische ischämische Attacke) wird ein flüch- tiger Insult verstanden, dessen fokale neurologische Symptome in der Re- gel weniger als eine Stunde, definiti- onsgemäß nicht länger als 24 Stun- den anhalten und in einer völligen Rückbildung enden. Nach einer TIA kann mit bildgebenden Verfahren in bis zu 30 Prozent eine strukturelle Hirnläsion nachgewiesen werden.

Ein leichter Insult (englisch minor stroke; auch PRIND — prolongiertes reversibles ischämisches neurologi- sches Defizit) ist dadurch gekenn- zeichnet, daß die Symptomatik län- ger als 24 Stunden bis zu mehreren Tagen anhält und sich danach entwe- der vollständig zurückbildet oder mi- nimale, im Alltag nicht beeinträchti- gende Restsymptome hinterläßt.

Hier läßt sich mit CT oder MRT sehr häufig eine morphologische Läsion (Hirninfarkt) nachweisen. Beim voll- endeten Insult (englisch completed oder major stroke) bleibt auf jeden Fall eine neurologische Restsympto- matik zurück. Nach deren Schwere können ein vollendeter Schlaganfall mit geringer Restsymptomatik oder mit unterschiedlich schweren neuro- logischen Defiziten differenziert wer- den. Die Übergänge sind fließend.

Dem vollendeten Schlaganfall liegt immer ein Hirninfarkt zugrunde.

Die Primärprävention hat zum Ziel, durch Behandlung der bekann- ten Risikofaktoren einen ischämi- schen Insult zu verhindern. Dies kann durch die konsequente Modifi- kation vaskulärer Risikofaktoren und die Behandlung potentieller kardia- 1er Emboliequellen geschehen. Pri-

märprävention ist nicht als kurz dau- ernde Akut-, sondern als lang anhal- tende Dauertherapie zu verstehen.

Die Sekundärprävention umfaßt Maßnahmen zur Verhinderung eines Schlaganfalls, nachdem zuvor bereits ein flüchtiger, leichter oder vollende- ter Insult abgelaufen ist. Das Spek- trum der möglichen Therapieprinzi- pien umfaßt alle bei der Primärprä- vention genannten Maßnahmen Da die Patienten mit zerebrovaskulärer Verschlußkrankheit und drohendem ischämischem Insult fast regelhaft an einer generalisierten Verschluß- krankheit mehrerer Gefäßprovinzen leiden, beugen die genannten Maß- nahmen der Primär- und Sekundär- prävention des Insultes gleichzeitig auch dem Myokardinfarkt und dem vaskulären Tod vor.

3. Risikofaktoren

3.1 Hypertonie

Die arterielle Hypertonie ist der bedeutendste Risikofaktor für einen Schlaganfall, auch für den ischämi- schen Insult. Hypertonie erhöht das Schlaganfallrisiko um einen Faktor von 2,5 bis 6,3 (4). Ein Anstieg des sy- Deutsches Ärzteblatt 90 , Heft 41, 15. Oktober 1993 (51) A1-2697

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MEDIZIN

stolischen Blutdruckes um je 10 mmHg erhöht das Risiko um jeweils 10 Prozent. Eine Metaanalyse aus neun Studien mit 420 000 Personen, die über einen Zeitraum von zehn Jahren verfolgt wurden, ergab einen eindeutigen Anstieg des Schlagan- fallrisikos mit steigendem diastoli- schem Blutdruck (23).

Kontrollierte Studien liegen nur für die Primärprävention vor. Eine Metaanalyse über 37 000 Patienten, die über einen mittleren Zeitraum von fünf Jahren mit antihypertensi- ver Therapie behandelt worden wa- ren und bei denen eine durchschnitt- liche diastolische Blutdrucksenkung um fünf bis sechs mmHg erzielt wur- de, ergab eine Reduktion von Schlag- anfällen um durchschnittlich 42 Pro- zent (8). Zwei neuere Studien haben eindeutig nachweisen können, daß eine antihypertensive Therapie auch bei älteren Menschen in der Lage ist, die Schlaganfallhäufigkeit zu senken (9, 33). Die relative Risikominderung für den Schlaganfall unter antihyper- tensiver Therapie beträgt auch bei äl- teren Menschen etwa 40 Prozent.

Untersucht sind bisher in kontrollier- ten Studien Diuretika, Beta-Rezep- torenblocker, Reserpin und Cloni- din. Wahrscheinlich sind neuere An- tihypertensiva wie ACE-Hemmer, Kalzium-Antagonisten und Alpha- Blocker ebenfalls prophylaktisch wirksam. Studien zur Sekundärprä- vention liegen nicht vor. Die INTER- SALT-Studie (34) zeigte, daß bereits Reduktion der Salzaufnahme in der Nahrung, Gewichtsabnahme und Al- koholreduktion den systolischen Blutdruck um bis zu 11 mmHg sen- ken können.

3.2 Blutfette

Die Rolle von erhöhtem Chole- sterin, erniedrigtem High-density-Li- poprotein (HDL), erhöhtem Low- density-Lipoprotein (LDL) und er- höhten Triglyzeriden im Serum als Risikofaktoren für den Schlaganfall ist noch nicht endgültig geklärt. Ein direkter Zusammenhang mit der Entstehung und dem Ausmaß extra- kranieller Stenosen und Verschlüsse der hirnversorgenden Arterien ist al- lerdings zweifelsfrei belegt. In einer amerikanischen Interventionsstudie zur Behandlung von Risikofaktoren

DIE UBERSICHT

ergab sich bei über 350 000 Männern ab einem Cholesterinwert von 240 mg/dl ein erhöhtes Risiko für einen ischämischen Insult (19). Ein ent- sprechendes Risiko für zerebrale Blutungen fand sich nicht. Interven- tionsstudien zur Reduktion der Schlaganfallhäufigkeit mittels lipid- senkender Therapie wurden bisher nicht durchgeführt.

3.3 Andere Risikofaktoren Die meisten großen Studien zei- gen eine Verdopplung des Schlagan- fallrisikos bei Diabetes mellitus. In- terventionsstudien liegen nicht vor.

Dasselbe gilt für Zigarettenrauchen (relatives Risiko 3,4), Übergewicht (relatives Risiko 1,5), Bewegungs- mangel (1,5), erhöhten Hämatokrit (2,5) und erhöhtes Fibrinogen (2,0) (24). Neuere Studien lassen einen leichten protektiven Effekt geringer Alkoholmengen vermuten (15). Im Gegensatz dazu besteht ein fast line- arer Zusammenhang zwischen Alko- holmenge und dem Risiko einer ze- rebralen Blutung oder einer Sub- arachnoidalblutung. Die Kombinati- on von Risikofaktoren führt zu einer Potenzierung der Einzelrisiken.

4. Thrombozyten- funktionshemmer

Thrombozyten spielen in der Pathogenese zerebraler Ischämien eine wesentliche Rolle, und die Be- handlung mit Thrombozytenfunkti- onshemmern ist ein wichtiges Prinzip in der Prophylaxe ischämischer Insul- te. Die Wirksamkeit der Acetylsali- cylsäure (ASS), der Kombination aus ASS plus Dipyridamol und von Ticlo- pidin ist gesichert (2, 14, 16, 40). Den Substanzen liegt kein einheitlicher Wirkmechanismus zugrunde. Die umfangreichsten Untersuchungen gibt es über die ASS, gefolgt von Ti- clopidin.

In der Primärprophylaxe des ischämischen Insultes konnte im Ge- gensatz zum Myokardinfarkt keine Wirksamkeit der ASS nachgewiesen werden (30, 32). Die anderen Sub- stanzen wurden in dieser Indikation noch nicht untersucht.

In der Sekundärprophylaxe nach flüchtigem oder leichtem Insult senkt

ASS das Reinsultrisiko nach ver- schiedenen Studien zwischen 20 und 50 Prozent. Die Frage der optimalen Dosierung ist nicht endgültig geklärt.

Wahrscheinlich ist die Reduktion des Insultrisikos bei niedrigen ASS-Do- sierungen (30-300 mg) etwas gerin- ger ausgeprägt als bei hohen Dosen (1000-1500 mg), jedoch handelt es sich dabei nur um minimale Unter- schiede (2, 10, 41). Wegen der dosis- abhängigen gastrointestinalen uner- wünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) kann eine mittlere Dosis von 300 mg pro Tag empfohlen werden, obwohl ihre Wirksamkeit nicht ein- deutig belegt ist. Eine Reduktion der ASS-Dosis bis auf 100 mg ist vertret- bar, aber für die Sekundärprophylaxe des ischämischen Insultes umstritten.

Im Falle unzureichender Wirksamkeit der ASS (TIA oder Infarkt während der Prophylaxe) sollte auf Ticlopidin oder gegebenenfalls auf eine höhere ASS-Dosis oder andere Präventiv- maßnahmen umgestellt werden.

Die Sekundärprophylaxe mit Ticlopidin wurde in zwei großen kon- trollierten Studien geprüft. Ticlopi- din ist nach den Ergebnissen einer Placebo-kontrollierten Studie nach vollendetem Schlaganfall mit blei- benden neurologischen Ausfällen wirksam (14). In der Prophylaxe nach TIA und leichtem Schlaganfall konn- te eine Überlegenheit von Ticlopidin gegenüber hochdosierter ASS nach- gewiesen werden (16). Als schwer- wiegende seltene UAW von Ticlopi- din können in den ersten drei Mona- ten reversible Leukopenien und Thrombozytopenien auftreten, die eine zweiwöchentliche Kontrolle des Blutbildes in dieser Zeit notwendig machen.

Wie lange eine thrombozyten- funktionshemmende Prophylaxe er- folgen soll, läßt sich nicht festlegen.

Bei guter Verträglichkeit kann eine le- benslange Einnahme von Thrombozy- tenfunktionshemmern sinnvoll sein.

5. Antikoagulation

Antikoagulanzien werden zur Primär- und Sekundärprävention kardiogener Hirnembolien und Rein- sultprophylaxe bei Gefäßwander- krankungen der großen Hirnarterien >

A1-2698 (52) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993

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MEDIZIN

eingesetzt. Lediglich für wenige Ar- ten embolisierender Herzerkrankun- gen ist ausreichend belegt, daß Anti- koagulanzien vor einem ersten oder erneuten Schlaganfall schützen (7, 36). Dagegen liegen bisher noch kei- ne systematischen Untersuchungen vor, die einen prophylaktischen Ef- fekt der Antikoagulanzien nach ischämischem Insult infolge zerebro- vaskulärer Verschlußkrankheit nach- weisen (6, 12). Dem potentiellen Nutzen der Antikoagulation steht das Risiko schwerer Blutungskompli- kationen gegenüber (21, 22). In der Akutphase können die im Spontan- verlauf häufig auftretenden, klinisch meist asymptomatischen, blutigen Umwandlungen des Infarktes durch Antikoagulanzien verstärkt werden.

In etwa zwei Prozent der Fälle kommt es unter Antikoagulation zu Massenblutungen in das infarzierte Areal (3). Es ist aber nicht bewiesen, daß Antikoagulanzien zu einer Erhö- hung des Risikos einer hämorrhagi- schen Umwandlung des Infarktes führen.

Die häufigste Ursache kardioge- ner Hirnembolien ist das Vorhofflim- mern ohne rheumatische Klappener- krankung. Das jährliche Schlagan- fallrisiko für Patienten mit Vorhof- flimmern variiert zwischen drei und acht Prozent (7). Mehrere Studien konnten nachweisen, daß in der Pri- märprävention orale Antikoagulan- zien das Risiko eines Hirninfarktes um mindestens 60 Prozent senken (29, 36, 37). Bereits niedrig dosierte Vitamin-K-Antagonisten mit INR- Werten von 1,5 bis 3 (entsprechend einem Quick-Wert von 25 bis 45 Pro- zent) besitzen eine wesentliche Schutzwirkung bei nur sehr geringem Blutungsrisiko. Auch ASS ist präven- tiv wirksam, jedoch weniger als Anti- koagulation. Wegen des niedrigen Blutungsrisikos empfehlen wir zu- nehmend die Gabe niedrig dosierter Antikoagulanzien (Quick 25 bis 45 Prozent). Im Falle eindeutiger Kon- traindikation empfehlen wir ASS in der oben diskutierten Dosis. In der Regel handelt es sich um eine Dauer- prophylaxe. Patienten mit sogenann- tem „idiopathischem" Vorhofflim- mern, das heißt ohne begleitenden Hochdruck, Herzinsuffizienz oder Embolien in der Vorgeschichte, ha-

DIE UBERSICHT

ben ein geringes Risiko thromboem- bolischer Komplikationen. Hier muß die Notwendigkeit einer Antikoagu- lation zur Primärprophylaxe indivi- duell erwogen werden (7). Patienten

> 75 Jahre haben ein erhöhtes Blu- tungsrisiko unter Antikoagulation und profitieren wahrscheinlich nicht von der Prophylaxe.

In der Sekundärprävention nach kardiogener Hirnembolie richtet sich der Einsatz von Antikoagulanzien, der Behandlungsbeginn und die Dauer der Rezidivprophylaxe nach der zugrunde liegenden Herzkrank- heit und der daraus resultierenden unterschiedlichen Insultgefährdung unter Berücksichtigung des individu- ellen Risikos einer Blutungskompli- kation (35). In der Regel wird man eine Antikoagulation für mindestens ein halbes Jahr anstreben. Auf die Frühprophylaxe nach kardioemboli- schem Schlaganfall wurde bereits an anderer Stelle eingegangen (11).

Thrombozytenfunktionshemmer sind Mittel der ersten Wahl zur Rein- sultprophylaxe der Patienten mit atherothrombotischer Verschluß- krankheit der großen Hirnarterien.

Aufgrund klinischer Erfahrungen er- scheint es allerdings zweckmäßig, Pa- tienten mit hochgradigen symptoma- tischen und operativ nicht zugängi- gen Stenosen der intrakraniellen A.

carotis interna, der A. cerebri media, der distalen A. vertebralis oder der A. basilaris in der Akutphase nach dem Insult prophylaktisch vorüber- gehend zu antikoagulieren. Ziel ist es, Rezidive von arterioarteriellen Thromboembolien oder die Propaga- tion eines Thrombus zu verhindern.

Die Gefährdung durch den Rezidiv- insult sinkt mit zunehmendem zeitli- chem Abstand zum Erstinsult. Daher sollte die Indikation einer Dicuma- rol-Prophylaxe spätestens nach drei bis sechs Monaten überprüft und das Antikoagulans eventuell durch einen Thrombozytenfunktionshemmer (ASS, Ticlopidin) ersetzt werden (6, 12). Auch Patienten mit spontaner Dissektion einer extrazerebralen Ar- terie können befristet antikoaguliert werden (drei bis sechs Monate lang), da die meisten Insulte nach Dissektion auf einer arterioarteriellen Embolisa- tion und nicht auf einer hämodynami- schen Dekompensation beruhen.

6. Asymptomatische Stenosen: konservative Therapie und

Operationsindikation

Asymptomatische Stenosen und Verschlüsse der A. carotis interna

> 50 Prozent haben eine Schlag- anfallinzidenz von 2,8 Prozent pro Jahr bei progredienten und 1,7 Pro- zent pro Jahr bei nicht progredienten Läsionen (17, 26, 27). Bei einer Pro- phylaxe mit Thrombozytenfunktions- hemmern müssen die potentiellen Nebenwirkungen berücksichtigt wer- den (20, 38). Andererseits muß der mögliche Nutzen einer solchen Be- handlung bei Patienten mit zusätzli- cher koronarer Herzkrankheit abge- wogen werden, da die kardiale und vaskuläre Mortalität unter ASS signi- fikant reduziert ist (2, 25). Nach den bisherigen Ergebnissen kontrollierter Studien führt eine Operation asym- ptomatischer Stenosen der A. carotis interna nicht zur Reduktion von Hirninfarkten und vaskulären Todes- fällen (18, 25, 38). Auch die noch ausstehende Asymptomatic Carotid Atherosclerosis Study (ACAS) wird keine klare Antwort zur Hirn- infarktprophylaxe durch die Operati- on asymptomatischer Stenosen ge- ben. Grund hierfür sind schwerwie- gende methodische Probleme der Studie.

Eine Operation im asymptomati- schen Stadium kann im Einzelfall er- wogen werden, wenn:

> eine rasche Progredienz einer hä- modynamisch relevanten Stenose vorliegt und

> stumme ipsilaterale Infarkte im Computertomogramm nachweisbar sind;

> ein Verschluß der A. carotis in- terna mit schlechter intrakranieller Kollateralisation droht und eine ins- gesamt gute Lebenserwartung bei fehlender oder gut behandelbarer koronarer Herzerkrankung besteht.

Voraussetzung sind eine kombi- nierte perioperative Morbidität und Mortalität von unter drei bis fünf Prozent im Behandlungszeitraum und die prä- und postoperative Mit- betreuung durch einen Neurologen.

Faktoren, die die Komplikationsra- ten erhöhen und die Prognose insge-

Al-2700 (54) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993

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MEDIZIN DIE UBERSICHT

samt verschlechtern, wie zum Bei- spiel der Nachweis einer mikrovasku- lären Enzephalopathie, sind zu be- rücksichtigen.

7. Karotis-

endarteriektomie im symptomatischen Stadium

In zwei großen prospektiven und randomisierten Studien konnte ge- zeigt werden, daß für Patienten mit nicht länger als sechs Monate zurück- liegenden passageren oder leichten Insulten mit weitgehend reversiblen Symptomen die operative Prophylaxe bei Stenosen mit einer Lumeneinen- gung von 70 Prozent der alleinigen medikamentösen Vorbeugung über- legen ist. Zwar bewirkt das periope- rative Hirninfarkt- und Sterblich- keitsrisiko von 7,5 Prozent (13) be- ziehungsweise 5 Prozent (28) zu- nächst eine Risikoerhöhung des ope- rativen gegenüber dem nichtoperati- ven Vorgehen. Dieser Nachteil wird aber durch eine erhebliche Verringe- rung der Schlaganfälle nach erfolg- reicher Operation rasch, das heißt im statistischen Durchschnitt schon nach weniger als einem Jahr, ausge- glichen.

Bei Patienten mit niedergradi- gen Stenosen (< 30 Prozent Lumen- einengung) ist dagegen kein Vorteil der Operation erkennbar. Die bisher vorliegenden Daten erlauben keine gesicherten Aussagen über die Ope- rationsindikation bei mittelgradigen Stenosen (deshalb werden beide Stu- dien zur Zeit für diese Patienten- gruppe weitergeführt).

Zur operativen Sekundärpro- phylaxe lassen sich zur Zeit folgende Empfehlungen für die Indikations- stellung zur Karotisendarteriektomie geben:

D Der ischämische Insult oder die TIA sollte nicht länger als ein halbes Jahr zurückliegen;

D Die Karotisstenose muß als Ursa- che des Insultes oder der TIA hinrei- chend sicher sein. Vorhofflimmern und intrakavitäre Thromben im Her- zen sollten ausgeschlossen sein;

D Das neurologische Defizit darf nicht zu ausgeprägt sein;

D• Die Karotisstenose soll eine Lu- meneinengung von 70 Prozent auf- weisen;

> Die Lebenserwartung des Patien- ten sollte nicht wesentlich vermindert sein. Operativ nicht behebbare insta- bile Angina pectoris, inkurable Ma- lignome und andere schwere Begleit- erkrankungen stellen absolute oder relative Kontraindikationen dar.

> Die Operation darf nur in einem Team mit nachweislich niedriger operativer Komplikationsrate durch- geführt werden.

8. Andere

Präventivmaßnahmen Die extra-intrakranielle Bypass- Operation mit einer Anastomosie- rung der A. temporalis superficialis mit einem Ast der A. cerebri media wurde seit 1967 bei chirurgisch nicht direkt angehbaren symptomatischen Stenosen und Verschlüssen der A.

carotis interna und A. cerebri media als Sekundärprävention durchge- führt. Das eindeutig negative Ergeb- nis der randomisierten EC/IC-By- pass-Studie (39) beendete die weite Verbreitung dieser Operationstech- nik, da weder für die Gesamtgruppe der Patienten noch für die verschie- denen Untergruppen mit definierten angiographischen Gefäßläsionen ein Vorteil der operativen gegenüber der medikamentösen Behandlung in der Vermeidung von Schlaganfällen oder Todesfällen erkennbar wurde. In den letzten Jahren hat die Bypass-Opera- tion bei ausgewählten Patienten mit Verschlüssen der A. carotis interna und schweren okulären oder intra- kraniellen hämodynamischen Stö- rungen wieder Interesse gefunden, wobei ein definitiv günstiger klini- scher Effekt der Operation auch in derartigen Situationen noch nachzu- weisen bleibt.

Die perkutane transluminale Angioplastie (PTA) von Stenosen brachiozephaler Arterien wird bisher aufgrund befürchteter embolischer Komplikationen zurückhaltend er- probt. Nach den beschränkten vor- läufigen Erfahrungen ergibt sich bei der PTA von Stenosen der A. carotis interna eine hohe Rekanalisationsra- te von über 80 Prozent bei einer

Komplikationsrate von etwa 10 Pro- zent meist in Form flüchtiger neuro- logischer Ausfälle (5). Der klinische Nutzen, die technische Erfolgsrate und Häufigkeit von Komplikationen von Karotis- und Vertebralis-PTA sind derzeit Gegenstand einer multi- zentrischen Studie (CAVATAS), de- ren Ergebnisse abzuwarten bleiben.

Bei Subclavia-Stenosen mit Subclavi- a-Anzapf-Syndrom ist die PTA einer operativen Intervention aufgrund ge- ringerer Komplikationen und wegen der guten hämodynamischen Ergeb- nisse vorzuziehen (31), aber nur in den seltenen Fällen mit relevanter Störung der intrakraniellen Zirkula- tion (Basilaris-Steal) sowie topodia- gnostisch eindeutigen neurologi- schen Symptomen oder irreversibler quälender Claudicatio brachii indi- ziert (1).

Deutsches Ärzteblatt

90 (1993) A 1-2697-2702 [Heft 41]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Das vorstehende Manuskript wurde erarbeitet unter Mit- wirkung von:

Prof. Dr. Hans Christoph Diener, Neurologische Klinik der Universität Essen; Prof. Dr. Franz Aichner, Universi- tätsklinik für Neurologie, Innsbruck; Prof. Dr. Otto Bus- se, Neurologische Klinik, Minden; Prof. Dr. Karl Ein- häupl, Neurologische Universitätsklinik, Charit6 Berlin;

Prof. Dr. Anton Haaß, Universitätsklinik für Neurologie, Homburg; Prof. Dr. Werner Hacke, Neurologische Klinik der Universität Heidelberg; Prof. Dr. Alexander Hart- mann, Neurologische Universitätsklinik, Bonn; Prof. Dr.

Michael Hennerici, Neurologische Universitätsklinik, Kli- nikum Mannheim; Priv.-Doz. Dr. Claus Hornig, Zentrum für Neurologie, Universität Gießen ; Priv.-Doz. Dr. Mi- chael Huber, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Uni- versität Köln; Prof. Dr. Christof Kessler, Klinik für Neu- rologie, Universität Lübeck; Dr. med. Günther Krämer, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Mainz; Prof. Dr.

Peter Marx, Universitätsklinikum Steglitz, Berlin; Prof.

Dr. E. Bernd Ringelstein, Neurologische Klinik der Uni- versität Münster; Prof. Dr. Andreas Thie, Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik, Hamburg

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. H. C. Diener Neurologische Universitätsklinik Hufelandstraße 55

45122 Essen

A1-2702 (56) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 41, 15. Oktober 1993

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