P O L I T I K 99. DEUTSCHER ÄRZTETAG
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uf der Tagesordnung war es nur ein Punkt unter vielen, aber seine Auswirkungen sind von weitreichender Bedeu- tung: die Neugliederung der Allge- meinmedizin und der Inneren Medi- zin zur Lösung der Hausarzt/- Facharzt-Problematik.Das Problem ist bekannt: Die Po- litik will die Gliederung der ambulan- ten Versorgung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Bereich mit eindeutiger Aufgabenverteilung. Ge- fordert wird dies in der Annahme, daß ein unausgewogenes Verhältnis von Hausärzten und Fachärzten das Ver- sorgungssystem insgesamt verteuert.
Deshalb hat der Gesetzgeber mit dem Gesundheitsstrukturgesetz eine solche Gliederung festgelegt und den Inhalt der hausärztlichen Versorgung im Pa- ragraphen 73 SGB V beschrieben.
Zusätzlicher Handlungsdruck kommt über die Gesundheitsminister der Länder. Sie legen großen Wert dar- auf, „daß die hausärztliche Versorgung als eine Einheit definiert wird“. Gelingt es der ärztlichen Selbstverwaltung nicht, eine in diesem Sinne ausreichen- de hausärztliche Versorgung sicherzu- stellen, drohen weitergehende gesetzli- che Regelungen. Die Forderung nach einem Primärarztsystem, bei dem die Versicherten nur noch auf Überwei- sung einen Facharzt aufsuchen dürften, schwingt dabei immer mit.
Wer soll nun in Zukunft die hausärztliche Versorgung im Hinblick
auf die politischen Zielvorstellungen sicherstellen? Zur Zeit kümmern sich mit den Allgemeinärzten beziehungs- weise Praktischen Ärzten auf der ei- nen und den Internisten auf der ande- ren Seite zwei Arztgruppen um dieses Feld. Beide, darauf wies Professor Dr.
Jörg-Dietrich Hoppe die Delegierten des Ärztetages hin, „haben jedoch auf der Grundlage einer unterschiedli- chen Weiterbildung unterschiedlichen Zugang zu den für die Patientenver- sorgung notwendigen diagnostischen und therapeutischen Verfahren“.
Verschmelzung oder Differenzierung
Aus der Gesamtsituation, sagte der für Weiterbildungsfragen zuständi- ge Vizepräsident der Bundesärzte- kammer, leite sich für die Gremien der Bundesärztekammer ein dringlicher Handlungsbedarf ab. Vier Lösungs- modelle stellte Hoppe vor, zwei davon wurden eingehender diskutiert:
1. Das Gebiet der Allgemeinme- dizin wird mit der Inneren Medizin, die nicht in einem Schwerpunkt aus- geübt wird, zu einem Gebiet zusam- mengeführt, das dann die hausärztli- che Versorgung übernimmt. Die Schwerpunkte der Inneren Medizin werden eigene Gebiete.
2. Die Innere Medizin bleibt in- haltlich in ihrem Weiterbildungsgang im wesentlichen unverändert, wird
aber nur rein spezialistisch tätig und hat keine Versorgungsfunktionen in der umfassenden hausärztlichen Ver- sorgung mehr. Gleichzeitig wird das Gebiet der Allgemeinmedizin so ver- ändert, daß es allein die umfassende hausärztliche Betreuung des Patien- ten in seinem somatischen und psychi- schen Befinden wahrnimmt.
Der erste Lösungsansatz geht von einer „Verschmelzung“ der bei- den Gebiete aus, während das zweite Modell die Gebiete und die ihnen zu- gewiesenen Aufgaben eindeutig dif- ferenziert. Mit beiden Lösungsansät- zen, betonte Professor Hoppe, seien Vorteile, aber auch Probleme verbun- den. Wie auch immer die Entschei- dung ausfalle, zwei Voraussetzungen seien unverzichtbar: Ärzte, die ihren Beruf bereits ausüben oder sich in der Weiterbildung befinden, dürfen von der Neuordnung nicht berührt wer- den. Zudem müßten entsprechende sozialrechtliche Rahmenbedingun- gen und adäquate ärztliche Vergü- tungssysteme geschaffen werden.
Nach intensiver Diskussion ent- schied sich der Ärztetag schließlich mit deutlicher Mehrheit für das Differen- zierungsmodell. Das heißt: Der Vor- stand der Bundesärztekammer wurde beauftragt, einen „im Hinblick auf eine hausärztliche Tätigkeit neuformulier- ten Weiterbildungsgang für das Gebiet der Allgemeinmedizin“ vorzulegen.
Anders als vom Vorstand vorge- sehen, soll der Beschluß über den A-1663 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 25, 21. Juni 1996 (15)
Hausärztliche Versorgung
Allgemeinärzte und Internisten am Scheideweg
Seit mehr als 20 Jahren fordert die Ärzteschaft eine deutli- che Stärkung der hausärztlichen Versorgung – bislang je- doch ohne Erfolg. Jahr für Jahr verzeichnen die spezialistisch tätigen Fachärzte einen weitaus größeren Zulauf als ihre all- gemeinmedizinischen Kollegen. Der 99. Deutsche Ärztetag in Köln unternahm nun einen neuen Anlauf, mit Hilfe der Weiterbildungsordnung die Weichen im Sinne der politisch
gewollten Gliederung in eine haus- und eine fachärztliche
Versorgung zu stellen. In Zukunft sollen Allgemeinärzte mit
fünfjähriger Weiterbildung die hausärztliche Versorgung si-
cherstellen. Internisten hingegen sollen nur spezialistisch
tätig werden. Bereits auf dem 100. Deutschen Ärztetag im
kommenden Jahr in Eisenach soll über den neuformulierten
Weiterbildungsgang Allgemeinmedizin abgestimmt werden.
neuen Weiterbildungsgang in der All- gemeinmedizin nicht erst 1998, son- dern bereits im nächsten Jahr fallen.
Der Ärztetag votierte nämlich für ei- nen Antrag der baden-württembergi- schen Delegierten Dr. Christoph von Ascheraden und Professor Wolfgang Mangold auf Vorverlegung. Die Be- gründung: „Die Neugliederung der Allgemeinmedizin wird seit 20 Jahren diskutiert. Es ist an der Zeit, eine Ent- scheidung herbeizuführen. Der 100.
Deutsche Ärztetag (im kommenden Jahr in Eisenach, Anm. d. Red.) bietet den auch numerisch würdigen Rah- men für die Beschlußfassung.“
Einig waren sich die Delegierten auch in der Auffassung, daß die zukünftige Konzentration der Haus- arztqualifikation auf den Allgemein- arzt nicht nur eine Verlängerung der Weiterbildungszeit von gegenwärtig drei auf dann fünf Jahre erfordert.
Ebenso notwendig sei die Sicherstel- lung ausreichender Weiterbildungs- möglichkeiten und deren Finanzie- rung.
Der Ärztetag folgte hier einem Antrag der Delegierten Dr. Hans-Jür-
gen Thomas (Ärztekammer Westfa- len-Lippe) und Dr. Klaus-Dieter Kos- sow (Ärztekammer Niedersachsen),
„an jedem dafür geeigneten Kranken- haus mindestens zwei Rotationsstel- len für die allgemeinärztliche Weiter- bildung“ zu fordern. Für die Zeit der Weiterbildung in der ambulanten Versorgung soll eine BAT-Vergütung (wie es die Berufsordnung vorsieht) gefordert werden – und zwar von den Krankenkassen. Ursprünglich hieß es im Antrag von Thomas und Kossow
„Bezuschussung“ durch die Kranken- kassen. Auf Vorschlag der thüringi- schen Delegierten Dr. Birgit Mehl- horn änderte der Ärztetag dies jedoch in „Bezahlung“ ab. Damit ist die Hoffnung verbunden, die finanzielle Situation der Ärzte im Weiterbil- dungsgang Allgemeinmedizin auf ei- ne bessere Grundlage zu stellen.
In der Diskussion um die Frage, wie die Hausarzt/Facharzt-Problema- tik am sinnvollsten aufgelöst werden könne, war zuvor ein Modell denkbar knapp gescheitert, das von Dr. Wolf- Rüdiger Rudat, Delegierter der Ärz- tekammer Thüringen und Vorstands-
mitglied der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung, eingebracht worden war. Rudat warb für ein sogenanntes Y-Modell, welches die Weiterbil- dungsgänge für Allgemeinmedizin und Innere Medizin in den ersten drei Jahren der Weiterbildung mit identi- schen Inhalten zusammenführen soll- te. In den darauf folgenden zwei Jah- ren sollten dann einerseits die weite- ren für die Allgemeinmediziner typi- schen Inhalte (zum Beispiel Pädiatrie, Chirurgie und Gynäkologie), ande- rerseits die für die Innere Medizin ty- pischen Schwerpunktinhalte vermit- telt werden. Das hieße: drei Jahre gleiche Weiterbildungsinhalte, zwei Jahre unterschiedliche Weiterbil- dungsgänge. Am Ende dieses Y-Mo- dells, so Dr.Wolf-Rüdiger Rudat, stünden zwei gut voneinander abge- trennte Fachgebiete und – sofern ge- wollt – die Möglichkeit für die Interni- sten, durch den Erwerb einer Zusatz- qualifikation (vor allem in der Chirur- gie) im nachhinein doch noch hausärztlich tätig werden zu können.
107 Delegierte votierten für dieses Modell, 108 dagegen. Josef Maus A-1664
P O L I T I K 99. DEUTSCHER ÄRZTETAG
(16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 25, 21. Juni 1996
Unter dem großen Transparent: der BÄK-Vorstand; die Verhandlungsleitung lag bei Dr. Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages