W
enn sich Dr. Lai Renfa an seine Zeit in Berlin erinnert, fallen ihm zuerst seine deutschen Kol- legen ein, „die immer sehr fleißig arbei- ten – selbst wenn der Chef nicht da ist“.Solche für chinesische Verhältnisse nicht alltäglichen Beobachtungen machte der Gesichtschirurg von der Jinan-Univer- sität in Kanton während seines Aufent- halts als Stipendiat der Kaiserin-Fried- rich-Stiftung für das ärztliche Fortbil- dungswesen in Berlin.
Suche nach Geldgebern
Seit 20 Jahren kooperiert die Stiftung mit der Jinan-Universität und hat seitdem 136 chinesischen Stipendiaten aus Kan- ton eine einjährige ärztliche Fortbildung an Berliner Kliniken ermöglicht. Im Ge- genzug arbeiteten bislang 13 deutsche Stipendiaten an den Krankenhäusern der Jinan-Universität in Kanton, um sich mit der traditionellen chinesischen Medi- zin vertraut zu machen. Doch jetzt droht dem mit viel Engagement von beiden Seiten betriebenen Austauschprogramm das Aus:Angesichts ihrer prekären Haus- haltslage will sich die Stadt Berlin aus der Finanzierung des Programms zurückzie- hen. „Wenn wir keinen neuen Geldgeber finden, werden wir das Projekt nicht wei- terführen können. So weit darf es nicht kommen; ein einmaliges völkerverbin- dendes Projekt käme zum Erliegen; viel investiertes Engagement wäre vertan“, sagt Prof. Dr. Jürgen Hammerstein, Ge- schäftsführer der Kaiserin-Friedrich-Stif- tung.
Durch die persönlichen Kontakte sei in den vergangenen Jahren ein intensives Beziehungsgeflecht entstanden, auf das
auch potenzielle Sponsoren zurückgrei- fen könnten. „Über die Jahre hat sich ein beispielhaftes Vertrauenspotenzial zwi- schen dem Universitätspräsidium und dem Stiftungsvorstand aufgebaut. Das kann man nicht mit Gold aufwiegen“, be- tont Hammerstein. Auch schreite die Entwicklung in China so rasant voran, dass mit starken Innovationsschüben nicht zuletzt in der medizinischen Grundlagenforschung zu rechnen sei.
„Jetzt haben wir noch die Nase vorn.
Aber schon in ein paar Jahren könn- ten uns die Chine- sen eingeholt ha- ben“, gibt Hammer- stein zu bedenken.
Dann könnte sich die Kooperation auch für die deut- sche Seite immer mehr auszahlen.
Wie groß das bei- derseitige Interesse an einer dauerhaf- ten Zusammenar- beit ist, konnte eine 11-köpfige deutsche Delegation bei ei- nem Alumni-Tref- fen auf dem Cam- pus der Jinan-Uni-
versität vor zwei Monaten miterleben.
An der zweitägigen Ärzte-Tagung nah- men etwa 100 ehemalige chinesische Sti- pendiaten der Kaiserin-Friedrich-Stif- tung teil. Mehrere ehemalige chinesische und deutsche Stipendiaten berichteten über ihre Erfahrungen an den Kliniken im anderen Land und die Fortsetzung ih- rer beruflichen Laufbahn nach der Rück- kehr in die Heimat. Dabei wurde deut-
lich, dass mehr als ein Drittel aller Lei- tungsfunktionen an den Jinan-Kliniken inzwischen von ehemaligen Stipendiaten der Berliner Stiftung wahrgenommen werden. Die Universität profitiere von ihren mit „deutschen Tugenden“ ausge- statteten Ärzten, erklärte Universitäts- präsident Liu. Besonders im klinischen Alltag mache sich die Kenntnis moder- ner Behandlungsmethoden und westli- cher Standards positiv bemerkbar. Inner- halb der medizinischen Fakultät werden 80 Prozent der Drittmittelzuwendungen von ehemaligen Berliner Stipendiaten eingeworben.
Intensives Beziehungsgeflecht
So verwundert es nicht, dass sich die chi- nesische Seite stärker als bisher an den Kosten des Austauschprogramms betei- ligen will. Auch wenn noch ungeklärt ist, wie das Finanzloch auf deutscher Seite gestopft werden kann, soll nichts unversucht gelassen werden, um den Partnerschaftsvertrag auch weiterhin zu erfüllen. Die vorerst letz- te Stipendiatengruppe, fünf Fachärztinnen und ein Facharzt, ist im Sep- tember 2002 in Berlin eingetroffen. Zuvor wa- ren sie von der Jinan- Universität für einen neunmonatigen Deutsch- kurs von allen klinischen Verpflichtungen freige- stellt worden. Nach ei- nem weiteren einmona- tigen Sprachintensivkurs in Berlin sind sie jetzt an verschiedenen Berli- ner Kliniken tätig. Neun ehemalige Stipendiaten arbeiten gegenwärtig in Berlin an ihrer Doktor- arbeit. Nicht selten er- hält die Kaiserin-Friedrich-Stiftung von offiziellen Delegationen und ehemaligen Stipendiaten aus Kanton Besuch. Viele der chinesischen Ärzte haben noch „ei- nen Koffer in Berlin“, wenn auch vieles ganz anders ist als im eigenen Land. So fiel Dr. Lai noch auf, „dass die Leute in der U-Bahn oder im Bus immer die Zei- tung oder Bücher lesen, auch wenn sie etwas kalt aussehen“. Hans-Jörg Freese
A
A162 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 424. Januar 2003
P O L I T I K
Kaiserin-Friedrich-Stiftung
Austauschprogramm gefährdet
Berlin ist pleite. Deshalb soll jetzt auch die Unterstützung für ein bundesweit einmaliges Austauschprogramm zwischen deutschen und chinesischen Ärzten gestrichen werden.
Kaiserin-Friedrich-Stiftung in Berlin
Foto:Eberhard Hahne