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Archiv "Symposium der Kaiserin-Friedrich-Stiftung: Man sieht sich – vor Gericht" (15.04.2011)

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A 836 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 15

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15. April 2011

SYMPOSIUM DER KAISERIN-FRIEDRICH-STIFTUNG

Man sieht sich – vor Gericht

Von juristischem Streit sind auch Ärztinnen und Ärzte nicht ausge- nommen, ob als Kläger oder als Beklagte. Ihre Gegner sind Staats - anwälte, geschädigte Patienten oder die Kassenärztliche Vereinigung.

D

ie Ökonomisierung der Me- dizin trägt neben anderen Faktoren dazu bei, dass es häufiger zu juristischen Auseinandersetzun- gen zwischen Arzt und Patient kommt als früher. Diese Feststel- lung legte der Vortrag von Prof. Dr.

med. Hans J. Kienzle, Chefarzt der Chirurgischen Klinik am städti- schen Krankenhaus Köln-Holwei- de, beim 40. Symposium für Juris- ten und Ärzte der Kaiserin-Fried- rich-Stiftung nahe.

„Der Einzug der Ökonomie in die klinische Medizin führte und führt weiterhin zu einer ausgesprochenen Verdichtung der täglichen Arbeit“, betonte Kienzle. Daraus resultiere eine immer größere Zeitnot. Quali- fizierte Ärzte würden mit bürokrati- schen Tätigkeiten überfrachtet, Ge- sprächszeiten deswegen nähmen zu.

Auch steige der Fortbildungsbedarf.

Kürzere Liegezeiten bei steigenden Patientenzahlen täten ein Übriges.

Seine Darstellung der möglichen Fehlerquellen ärztlichen Handelns rundete Kienzle unter haftungs- rechtlichen Aspekten mit der „Frage nach dem Täter hinter dem Täter“

ab: „Das Streben nach wirtschaft - licher Effizienz, das sich in zahl - losen Projektgruppen, Qualitätszir- keln und Meetings niederschlägt und eine Unmenge von Papier für Ordner erzeugt, ergibt ein makello- ses Bild der Organisation.“ In Wirk- lichkeit seien die Verhältnisse aber wesentlich komplizierter und pass- ten nicht in Organisationsschemata, weil Menschen und eben auch Pa- tienten unterschiedlich seien.

Der Arzt, sagte Kienzle, hafte zwar am Ende im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht. Ob aber „Hetze, Zeitnot oder unqualifizierte Vor - gaben von außen Ursache des Pro- blems waren, wird in einem Prozess in der Regel weder thematisiert noch

erkannt. Stigmatisiert ist der Arzt.“

Die oft zu vernehmende Forderung, der Arzt solle sich zu seinen Fehlern bekennen und von sich aus auf den Patienten zugehen, wird nach Mei- nung des Chefarztes zudem durch

„die Skandalisierung ärztlicher Fehl- leistungen“ in den Medien konterka- riert. Eine daraus entstehende Pran- ger-Wirkung könne für den betref- fenden Arzt den psychischen und wirtschaftlichen Ruin bedeuten.

Ähnliche Aspekte spielten auch in anderen Vorträgen eine Rolle, einschließlich der Tatsache, dass ein Arzt für ein und denselben Tatbestand unter Umständen auf mehreren juristischen Ebenen zur Verantwortung gezogen wird. Das führt gelegentlich zu Irritationen unter Ärzten, die meinen, damit werde gegen den verfassungsrecht- lichen Grundsatz verstoßen, wo- nach niemand wegen derselben Tat mehrmals bestraft werden dürfe.

Nicht selten finden sich Ärzte je-

doch sowohl vor einem Straf- als auch vor einem Zivilgericht wieder und müssen sich – je nach Sachver- halt – auch noch vor ihrer Ärzte- kammer, ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) oder einem Be- rufsgericht verantworten (DÄ, Heft 10/2011, „Berufsrecht: Wenn Ärzte ihre Pflicht verletzen“).

Prof. Dr. iur. Jochen Taupitz, Ge- schäftsführender Direktor des Insti- tuts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht an der Universität Mannheim, stell- te in seinem Vortrag klar: Das Ver- bot der Mehrfachbestrafung bezie- he sich nur auf das Strafrecht. Wei-

tere Verfahren vor Zivil- oder Be- rufsgerichten seien demnach zuläs- sig. Gehe es in einem Strafprozess um den Strafanspruch des Staates, so werde im Zivilprozess über die individuellen Rechte unter Privat- personen gestritten, ergänzte Tau- pitz: „Das wird gern verwechselt.“

Während im Zivilprozess zum Bei- spiel auch nur geklärt werde, ob der beklagte Arzt den Sorgfaltsstandard eingehalten habe, den ein erfahre- ner und besonnener Facharzt der entsprechenden Richtung beachtet hätte, würden im Strafrecht auch individuelle Gründe in Betracht ge- zogen, die zu einem Fehlverhalten geführt haben könnten. „Im Straf- recht“, sagte Taupitz, „ist die Höhe der Strafe sehr wohl vom Ausmaß der Schuld abhängig.“

Wir machen keine Fehler – das reizt zu Klagen

Der Referent plädierte eindringlich dafür, gerichtlichen Streit zu ver- meiden: „Einigen Sie sich so weit wie möglich mit Patienten außerge- richtlich! Der erste Schritt dazu ist ein adäquates Fehlermanagement.“

Ordinarien, die in der Vergangen- heit grundsätzlich die Auffassung vertreten hätten, sie machten keine Fehler, hätten mit dieser Haltung manche Patienten geradezu in Pro- zesse hineingetrieben. „Es liegt doch nahe“, erklärte Taupitz, „dass ein Patient, der sich falsch behan- delt fühlt und sieht, dass sein Arzt obendrein noch mauert, sagt: Dem will ich es jetzt aber mal zeigen.“

Eine solche Konfrontation ist aus seiner Sicht entbehrlich. Man dürfe zwar ohne Zustimmung der Versi- cherung keine Ansprüche anerken- nen, aber: „Die Fakten sollte man mit dem Patienten offen bespre- chen. Daraus dreht einem keine Versicherung einen Strick.“

Eine wachsende Bedeutung im Streit zwischen Ärzten und Patien- ten kommt aus Sicht von Fachleu- ten mittlerweile den Schlichtungs- stellen für ärztliche Behandlungs- fehler zu. Kienzle, der der Gutach- terkommission für ärztliche Be- handlungsfehler bei der Ärztekam- mer Nordrhein angehört, berichtete, dass sich die Beschwerdezahl dort seit 1990 in etwa verdoppelt habe.

Einigen Sie sich so weit

wie möglich außergerichtlich!

Jochen Taupitz, Medizinrechtler

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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15. April 2011 A 837 Man bearbeite derzeit circa 2 000

Fälle pro Jahr. Die Fehlerquote liege allerdings konstant bei etwa einem Drittel und tendiere inzwi- schen sogar leicht nach unten.

Eine deutliche Diskrepanz zwi- schen angezeigten und gerichtlich verhandelten Behandlungsfehlervor- würfen konstatierte Staatsanwältin Kathrin Söfker aus Hannover. Bei der Staatsanwaltschaft in der nie- dersächsischen Landeshauptstadt – dort gibt es für ärztliche Kunstfeh- ler eine „Sonderzuständigkeit“ – würde nur eine vergleichsweise ge- ringe Anzahl der Anzeigen ärztli- cher Behandlungsfehler vor Gericht angeklagt.

Nach Söfkers Erfahrung „werden die Ärzte gelegentlich mit Strafan- zeigen überzogen, weil beispiels- weise Angehörige das Leiden oder den Tod von Patienten nur schwer akzeptieren können und die Verant- wortung dafür bei dem behandeln- den Arzt suchen“. Die überwiegen- de Anzahl solcher Ermittlungsver- fahren werde mangels strafrechtli- cher Relevanz oder wegen geringen Verschuldens bereits von der Staats- anwaltschaft eingestellt oder im Strafbefehlswege sanktioniert: „Es ist selten, dass Ärzte vor einem Strafrichter Platz nehmen müssen.“

Bei schwerwiegenden Behand- lungsfehlern oder fehlerhaften Be-

handlungen mit weitreichenden Folgen für den Patienten käme es hingegen durchaus zur Anklage

„mit der Folge, dass der Fall öffent- lich vor einem Strafgericht verhan- delt wird und sich der behandelnde Arzt in der für ihn ungewohnten Rolle des Angeklagten wiederfin- det“. Ob die in Hannover gemach-

ten Erfahrungen verallgemeinert werden können, ließ die Staatsan- wältin offen. Daten zum Vergleich lägen ihr nicht vor.

Nicht selten agieren Ärzte auch als Kläger vor Gericht. So streiten niedergelassene Ärzte um die Ver- teilung der Honorare durch ihre KV, setzen sich gegen Arzneimittelre- gresse oder gar den Entzug ihrer Zu- lassung zur Wehr. Solche Fälle lan- den zuweilen vor dem Bundessozi- algericht (BSG). Prof. Dr. jur. Ulrich Wenner, Vorsitzender Richter am BSG, berichtete, dass Vergütungs- streitverfahren zurzeit den wichtigs- ten Block unter den verhandelten Streitthemen seines Senats darstell- ten. Dabei gehe es um die Bemes- sung der Regelleistungsvolumina, besondere Vergütungsformen für

einzelne Fachgruppen oder speziali- sierte Leistungen oder Zuwachsbe- grenzungen für ärztliche Honorare im ambulanten Versorgungsbereich.

Als zweiten großen Block be- nannte Wenner Fälle, „in denen Ärz- te in Regress genommen werden, weil sie Medikamente außerhalb der medizinischen Indikation (off- label use) verordnet haben.“ Schließ- lich sei auch die Liberalisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit ein Thema geworden. Unter anderem müsse sich das Gericht mit der Stel- lung von Belegärzten in Medizini- schen Versorgungszentren oder der Genehmigung von Zweitpraxen be- schäftigen.

Vorwurf: Richter vertrauen den Angaben der KV zu sehr Zu einem kleinen Disput kam es zwischen Wenner und dem Berliner Rechtsanwalt Dr. jur. Martin Stell- pflug. Stellpflug betrachtete in sei- nem Vortrag die „Rolle des Arztes als Kläger aus anwaltlicher Sicht“

und ließ dabei seine Erfahrungen einfließen. Daraus ableitend erhob er den Vorwurf, dass Sozialgerichte oft zu systemgläubig seien: „Die Gerichte glauben den KVen zu viel, während ein Arzt eine Menge vor- tragen muss, um ein solches Vertrau- en zu erschüttern.“ Wenner konterte, die KVen seien Körperschaften des öffentlichen Rechts, übten Staatsge- walt aus und unterlägen der Staats- aufsicht. „Ein gewisses Vertrauen, dass dort nach Recht und Gesetz verfahren wird, ist nicht nur erlaubt, sondern geboten.“ Außerdem sei es nicht zutreffend, dass KV-Regelun- gen nicht hinterfragt würden.

Stellpflug kritisierte darüber hin - aus die häufig lange Verfahrensdau- er von mehrstufigen Streitverfah- ren. So berichtete er von einem Ho- norarstreitfall aus 1999, der erst im vergangenen Jahr abgeschlossen werden konnte: „Wenn eine damali- ge Honorarfestsetzung oder -be- rechnung fehlerhaft war und in der Folgezeit als Referenz diente, auf der weitere Berechnungen fortge- schrieben wurden, dann ist das ein Riesenproblem, weil die Honorar- berechnung in der Folge wohl nicht mehr zu ändern sein dürfte.“ ■

Reinhold Schlitt

„Der Arzt muss sich darüber im Klaren sein, dass medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten heute für ihn nicht mehr ausrei- chen“, gab die Ärztin und Ge- schäftsführerin der Berliner Kai- serin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen, Dr.

med. Gisela Albrecht, vor kurzem zu bedenken.

Ärztinnen und Ärzte müssten mittlerweile häufiger mit Juristen zusammenarbeiten beziehungsweise in der Lage sein, juristisch relevante Fragestellun- gen ihrer Arbeit zu erkennen. Dies habe zum The- ma der diesjährigen Fortbildung geführt.

Ende Februar eröffnete Albrecht in Berlin das 40. Symposium für Juristen und Ärzte, für das die Stiftung das Thema „Der Arzt vor Gericht – als Prozesspartei, Angeklagten und Gutachter“

gewählt hatte. Namhafte Vertreter juristischer

Lehrstühle, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und ein Vorsit- zender Richter des Bundessozi- algerichts bemühten sich, den Teilnehmern die Angst vor ihres- gleichen zu nehmen.

Der Ansturm auf die Veran- staltung war groß: Weit über 200 Anmeldungen aus dem ganzen Bundesge- biet registrierte die Stiftung. Ein Hinweis auf wachsende Sensibilität für juristische Aspekte in der medizinischen Versorgung? Albrecht ist sich jedenfalls sicher, dass überbordende Bürokratie, Honorarstreitigkeiten, Regressforderungen, stei- gende Qualitätsanforderungen und die Sorge um Schadensersatzprozesse wegen ärztlicher Behandlungsfehler Spannungsfelder erzeugen, mit denen Ärzte sich immer häufiger auseinan- dersetzen müssen.

JURISTISCHE ASPEKTE ERKENNEN

Es ist selten, dass Ärzte vor einem Strafrichter Platz nehmen.

Kathrin Söfker, Staatsanwältin

T H E M E N D E R Z E I T

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