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Archiv "Standpunkt: Große Sorge" (16.06.2006)

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ie Arbeit in Krisenregio- nen stellt Mitarbeiter von Nothilfeorganisationen nicht nur fachlich, sondern auch psychisch vor große Herausfor- derungen. Der individuell erleb- te Stress ist vielfältig und wird ne- ben der Konfrontation mit extre- men Leid auch durch die Ar- beitsbedingungen vor Ort, das enge Arbeiten im Team, lange Arbeitszeiten, die Trennung von vertrauten Personen und das meist extreme Klima bestimmt.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen thematisiert deshalb mit den Mitarbeitern, die aus einem Projekt zurückkehren, neben praktischen Inhalten des Einsat- zes, auch persönliche Eindrücke und Erfahrungen.

Seit 1999 besteht ein Netz von zwölf erfahrenen Nothelfern, die ehrenamtlich telefonischen Kon- takt zu jedem Rückkehrer auf- nehmen. In einem vertraulichen Telefonat wird dem Mitarbeiter angeboten, über die Erfahrungen während des Auslandseinsatzes zu sprechen. Bei diesem Peer Sup- port Network (PS-Network) han- delt es sich um einen Zusammen- schluss von ehemaligen Nothel- fern unterschiedlicher Berufs-

gruppen (Ärzte, paramedizini- sches Personal, Logistiker/Tech- niker). Die Gespräche mit den Peers mit eigenen Projekterfah- rungen sollen den Rückkehrern einen intensiven Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. Insbe- sondere die spezifische Kenntnis der Arbeitsweise der Organisati- on vermittelt ein direktes Ver- ständnis für die Arbeit vor Ort, die es dem Rückkehrer erleich- tert, auch über belastende Erfah- rungen des Auslandseinsatzes zu

berichten. Bemerkt der Peer im Verlauf des Gesprächs Sympto- me einer posttraumatischen Be- lastungsstörung, wie Albträume, wiederkehrende Erinnerungen („Flashbacks“) oder Vermeidungs- verhalten, wird dem Rückkehrer der Kontakt zu einem Trauma- Therapeuten aus seiner Region vermittelt.

Der Allgemeinarzt Bodo L., der sechs Monate in einem Zen- trum für unterernährte Kinder in Sierra Leone gearbeitet hat, be- richtete beispielsweise drei Wo- chen nach seiner Rückkehr im Gespräch mit einem Peer von Schlafstörungen, Albträumen und Flashbacks. Während seiner Ar- beit in dem Ernährungszentrum starben viele der betreuten Klein- kinder, sodass er unter Schuldge- fühlen litt. Bodo L. hatte bisher kaum darüber gesprochen und war für das Telefonat mit dem Peer dankbar. Nach dem Ge- spräch suchte der Arzt einen Therapeuten auf, der ihn mehre- re Monate bei der Verarbeitung des Erlebten begleitete.

Das PS-Network selbst trifft sich alle sechs Monate mit trau- maerfahrenen Therapeuten, um die geführten Gespräche unter Aspekten wie Vermeiden von Retraumatisierung, Selbstschutz und anderes kritisch zu reflektie- ren und die eigene Gesprächs- führung fortlaufend zu verbes-

sern. Seit Herbst 2005 werden Rückkehrenden auch im Berli- ner Büro von Ärzte ohne Gren- zen persönliche Gespräche mit Psychologen angeboten.

Im Januar 2005 wurden die Aktivitäten des PS-Network eva- luiert. Jedem der 260 deutschen Nothelfer, die zwischen Januar 2001 und Dezember 2004 in Pro- jekten von Ärzte ohne Grenzen tätig waren, wurde ein anonymi- sierter Fragebogen zugesendet und nach den Erfahrungen mit den Peer-Gesprächen gefragt.

Aus den 138 Antwortbögen der Mitarbeiter (Responsequote 53 Prozent) geht hervor, dass 86 Prozent der Befragten „zufrie- den“ bis „sehr zufrieden“ mit den Gesprächen waren. 77 Prozent sahen ihre Erwartungen durch den PS-Network-Anruf erfüllt (14 Prozent bedingt erfüllt, neun Prozent nicht erfüllt). 47 Prozent der Nothelfer empfanden es als wichtig bis sehr wichtig, dass der anrufende Peer über die gleiche Berufserfahrung verfügte. Ob der Peer der gleichen Berufs- gruppe angehören sollte, wurde unterschiedlich bewertet: Von den befragten Ärzten bevorzu- gen 47 Prozent das Gespräch mit einem Kollegen. Bei den anderen Berufsgruppen sind es 13 Prozent.

Dr. med. Christoph Heintze christoph.heintze@charite.de Dr. med. Peter Schröder Andreas Fertig S T A T U S

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A 1708

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 24⏐⏐16. Juni 2006

Ärzte ohne Grenzen

Bewährter Austausch auf Augenhöhe

Foto:Ärzte ohne Grenzen

Mit wachsender Sorge muss jeder Mensch, der auf ärztliche Hilfe im Krankenhaus angewiesen ist – und wer kann sich da- von frei wähnen? – den Umgang des Verhandlungsführers der Tarifgemeinschaft der Länder mit den Klinikärzten verfol- gen. Wer erlebt hat, in welch hohem

Maße Überleben und Heilung nicht nur vom Wissen und Können, sondern vom

rechtzeitigen Erkennen und eigenverantwortlichen Handeln der Ärzte bei immer höherer Arbeitsbelastung abhängen, weiß, dass ihre Proteste berechtigt sind. Bei ihren Streiks geht es um mehr als die üblichen Verteilungskämpfe zwischen In- teressengruppen. Die Ärzte machen auf Zustände aufmerk- sam, die nicht länger hinzunehmen sind. Dabei geht es nicht nur um die seit Jahren immer weiter hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurückbleibende Bezahlung ihrer Leistungen.Es geht vor allem auch um die unaufhaltsame La- wine einer neuartigen Bürokratisierung mit Mode-Etiketten wie Disease-Management, Standardisierung und Control-

ling, die den Ärzten immer weniger Zeit für ihre Patienten lässt und sie zu Schreibdiensten für wachsende Heere von Beratern, Controllern und Managern verurteilt, von denen je- der ein vielfach höheres Stundenhonorar verdient als ein Kli- nikarzt. Wenn die Ärzte wegen immer mehr schriftlicher Zubringerdienste zur Optimierung des „Disease Manage- ments“ keine Zeit mehr zum Gespräch mit den Patienten ha- ben, wächst die Gefahr falscher Behandlung, die dann auch – um es im „Managerdeutsch“ zu sagen – wirtschaftlich suboptimal ist.Vordringlich ist jetzt, dass Bürger und Medien von den Ländern verlangen, der Sicherung unserer Gesund- heit mehr Beachtung zu schenken. Weitere Belastungen der Patienten und Kosten der Kliniken wären unverantwortlich.

Eine weitere Abwanderung von Ärzten kann für unser Land gefährlicher werden als eine Abwanderung von Investoren.

Dr. Bernhard Freiherr Loeffelholz von Colberg Präsident des Sächsischen Kultursenats

S T A N D P U N K T

Große Sorge

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