DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
E
rst sollte der Bundesaus- schuß der Ärzte und Krankenkassen, doch der wollte nicht. Dann wollte die Bundesgesundheitsministerin, doch sie durfte nicht. Nun soll wieder der Bundesausschuß, doch der kann nicht. Alles klar?Die Rede ist von der geplanten Negativliste über unwirtschaftli- che Arzneimittel, einer Rechts- verordnung, die nicht so recht aus den Startlöchern kommt.
Zur Erinnerung: Wegen massiver medizinischer und juri- stischer Bedenken hatte es der Bundesausschuß abgelehnt, die per Gesundheits-Reformgesetz geforderte Negativliste in eige- ner Regie zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Stichtag wäre der 1. Juli dieses Jahres ge- wesen. Gerda Hasselfeldt (CSU), die zu Jahresbeginn für diesen Bereich die Nachfolge des kampferprobten Norbert Blüm angetreten hatte, reagierte pikiert. Wenn der Bundesaus-
Negativliste
Köln-Bonner
Springprozession
schuß seinem gesetzlichen Auf- trag nicht nachkommen wolle, ließ die Bundesgesundheitsmini- sterin verlauten, werde sie eben selbst zur Tat schreiten.
Der ministerielle „Allein- gang" endete freilich ziemlich abrupt. Fürs erste jedenfalls.
Wenige Tage vor dem geplanten Inkrafttreten entschied das Köl- ner Sozialgericht auf Antrag von acht betroffenen Pharma-Unter- nehmen: Nur der Bundesaus- schuß sei legitimiert, eine solche Liste zu veröffentlichen. Rechte Freude löste dieser Spruch aller- dings nicht aus. Gerda Hassel- feldt kündigte sofort Berufung an, mahnte zugleich den Bun- desausschuß, sich nunmehr sei-
ner Aufgabe zu stellen. Dessen Antwort: „Die Aufgabe, die sich aus dem Beschluß des Sozialge- richts ergibt, ist momentan auf- grund der völlig unklaren Rechtslage nicht zu erfüllen."
Fazit: Jetzt warten beide auf die Entscheidung des Landes- sozialgerichts. Die Negativliste geht somit in die dritte Runde.
Wie es auch immer kommen wird: Regresse müssen die Kas- senärzte nicht befürchten, wenn sie weiterhin Medikamente ver- ordnen, die eigentlich schon aus- geschlossen sein sollten. Das hat Gerda Hasselfeldt ausdrücklich versichert.
Ob der ganze Aufwand und auch Ärger überhaupt lohnt, wird unterdessen von immer mehr Kritikern bezweifelt. Dr.
Dieter Thomae (FDP) hatte bei- spielhaft erst unlängst als Vor- sitzender des Bundestagsaus- schusses für Gesundheit erklärt:
„Die ganze Negativliste ist eine finanzielle Nullnummer . . ." JM
I
n den meisten der zwölf Staa- ten der Europäischen Ge- meinschaft (EG) ist seit lan- gem die ärztliche Versorgung flächendeckend sichergestellt; in manchen Staaten und Regionen droht eine Überversorgung mit berufstätigen Ärzten, oder sie ist längst vorhanden. Die Folge: In den Mitgliedsstaaten der EG gibt es immer mehr arbeitssu- chende, zeitweilig oder dauernd in ihrem erlernten Beruf be- schäftigungslose Mediziner, de- ren tatsächliche Zahl den amtli- chen Stellen nur unvollständig bekannt ist und/oder nicht um- fassend und zügig aktenkundig wird. Hinzu kommen teilzeit- oder unterbeschäftigte Ärzte, die nicht in der Statistik erschei- nen. Entsprechend palliativ und unvollständig wirken noch so gut gemeinte beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Gegen- maßnahmen. Keine rosigen Aus- sichten also im Hinblick auf den europäischen Integrationspro- zeß und den mit Beginn des Jah- res 1993 Wirklichkeit werden- den europäischen Binnenmarkt!Arbeitsplatz Europa
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Immer mehr Ärzte arbeitslos
Ein Schlaglicht auf die aktu- elle Situation: In der (alten) Bundesrepublik dürften zur Zeit rund 8000 Ärzte und Ärztinnen als arbeitslos und arbeitssu- chend bei den Arbeitsämtern und der Fachvermittlung regi- striert sein. Zusammen mit den arbeitslosen Ärzten und Ärztin- nen in den fünf neuen Bundes- ländern (und deren werden im- mer mehr) und den nur kurzfri- stig arbeitslosen, nicht registrier- ten Arzten und zeitweilig in ei- nem anderen „Job" arbeitenden Ärzten in den alten Bundeslän- dern dürfte die Zahl der arbeits- losen Ärzte in Gesamtdeutsch- land zur Zeit bei rund 12 000 bis 13 000 liegen.
In Italien sind rund 40 000 Ärzte und Ärztinnen arbeitslos;
Spanien folgt auf den unteren
Sprossen der „Kellerkinder" in- nerhalb der EG mit etwa 30 000 bis 35 000 arbeitslosen Ärzten.
Zur Zeit dürften innerhalb der EG rund 100 000 Ärztinnen und Ärzte arbeitslos sein — bei etwa einer Million berufstätiger Ärzte und Ärztinnen in Europa.
Während noch vor fünf Jah- ren die Migrationsrate von Ärz- tinnen und Arzten in der EG bei 0,6 Prozent lag, liegt diese Quo- te bei 1,25 Prozent (mit steigen- der Tendenz). Innerhalb der EG-Länder sind zur Zeit ledig- lich Großbritannien und Irland noch in Grenzen für arbeitssu- chende Mediziner aufnahmefä- hig. Und Irland bietet als einzi- ges Land berufstätigen Ärzten aus EG-Nachbarländern die Chance, ein EG-kompatibles Di- plom zu erlangen und nach rela- tiv kurzer Zeit auch die inländi- sche Staatsangehörigkeit zu er- werben, um dort dauerhaft be- rufstätig zu werden . . .
Gibt es schon bald den
„Hans im Glück" der Ärzte- schaft nur noch auf der „grünen Insel"? HC
Dt. Ärztebl. 88, Heft 28/29, 15. Juli 1991 (1) A-2433