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Archiv "Ambulante psychotherapeutische Versorgung: Das System wird immer komplexer" (16.07.2007)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 28–2916. Juli 2007 A2039

T H E M E N D E R Z E I T

D

er Bundesausschuss der Ärz- te und Krankenkassen be- schloss am 3. Mai 1967 die „Richt- linien über tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psycho- therapie in der kassenärztlichen Ver- sorgung“ („Psychotherapie-Richt- linien“). Diese traten am 1. Oktober 1967 in Kraft. Auch wenn die Wur- zeln weiter in die Vergangenheit zurückverfolgt werden können, be- gann damals die geradezu revolu- tionäre Entwicklung eines Versor- gungssystems, das die volle Finan- zierung von relativ umfangreichen psychotherapeutischen Behandlun- gen – in einem auch heute noch weltweit einzigartigen Rahmen – ermöglichte. Diese Richtlinien stellten Grundlagen zur Verfügung, die zur Förderung der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung und zur allmählichen Entwicklung und finanziellen Sicherung des

„hauptberuflichen Psychotherapeu- ten“ führten.

Diese Entwicklung führte auf ärztlicher Seite 1992 zum Facharzt für Psychotherapeutische Medizin (seit 2003 Facharzt für Psychoso-

matische Medizin und Psychothe- rapie) und zur Betonung der psy- chotherapeutischen Kompetenz in den Gebieten Psychiatrie und Kin- der- und Jugendpsychiatrie durch Ergänzung der Gebietsbezeichnun- gen um den Begriff Psychothera- pie. Seit 1967 nahmen auch soge- nannte nicht ärztliche Psychothera- peuten an der Versorgung teil. Die meisten waren Diplom-Psycholo- gen oder Kinder- und Jugendli- chenpsychotherapeuten. Die zu- nehmende Professionalisierung die- ser Berufsgruppen und der politi- sche Wille, einen grauen Markt zu regulieren, der sich neben der Richtlinienpsychotherapie in der sogenannten Kostenerstattung ent- wickelt hatte, führte 1998 zur Ver- abschiedung des Psychotherapeu- tengesetzes (PTG).

Der damalige Text der Psycho- therapie-Richtlinien (9) beschränkte sich auf drei Festlegungen:

cdie Definition der zugelassenen psychotherapeutischen Behandlungs- verfahren

cdie Anwendungsbereiche (Indi- kationen)

c ein Gutachterverfahren zur Überprüfung der Leistungspflichtig- keit der zuständigen Krankenkasse im konkreten Einzelfall (letzteres war ei- ne Vorbedingung der Kostenträger für die Zustimmung zu den Richtlinien).

Der Einführung der Psychothera- pie-Richtlinien vorausgegangen wa- ren die Wirksamkeitsnachweise für psychoanalytisch begründete Be- handlungsverfahren aus dem Zen- tralinstitut für psychogene Erkran- kungen der AOK Berlin durch Anne- marie Dührssen (4) und Dührssen und Jorswieck (5). Vergleicht man das Vorgehen 1967 mit dem heuti- gen bei der Zulassung neuer Ver- fahren und Methoden, so ist nach wie vor ein Wirksamkeitsnachweis erforderlich. Heute obliegt die Auf- gabe der Bewertung von Psychothe- rapieverfahren dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), der als untergesetzlicher Normgeber neue Untersuchungs- und Behandlungs- methoden auf der Grundlage des

§ 135 SGB V im Hinblick auf Nut- zen, medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit prüft. Wie zum Beispiel das Vorgehen bei der Be- AMBULANTE PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERSORGUNG

Das System wird immer komplexer

Vor 40 Jahren traten die Psychothe- rapie-Richtlinien in Kraft. Ein Abriss über die Geschichte eines von ver- schiedenen Interessen geprägten Versorgungssystems.

Karin Bell und Ulrich Rüger Vor 40 Jahren

traten die Psycho- therapie-Richtlinien in Kraft. Ein Abriss über die Geschichte eines von verschie- denen Interessen geprägten Versor- gungssystems Karin Bell und Ulrich Rüger

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wertung der Gesprächspsychothera- pie zeigt, haben sich Umfang und Systematik des Prüfverfahrens ver- vielfältigt. So umfasst der auf der Grundlage der evidenzbasierten Me- dizin ermittelte sogenannte Nutzen- bericht 604 Seiten und einen Anhang mit Stellungnahmen von 265 Seiten.

Fast 100 Studien wurden im Volltext geprüft und bewertet.

Andere Grundkonzeption der Verhaltenstherapie

Auch in anderer Hinsicht ist die Richtlinienwelt komplizierter ge- worden, so zum Beispiel in der Fra- ge, wie ein Verfahren definiert wer- den kann. Hatte sich die damalige Begrifflichkeit der Richtlinien an den psychoanalytischen Therapie- verfahren orientiert, so wurde mit der Einführung der Verhaltensthera- pie deutlich, dass sich deren umfas- sendes Theoriesystem der Krank- heitsentstehung und deren spezifi- sche, in ihrer therapeutischen Wirk- samkeit belegte Behandlungsmetho- den auf eine andere Grundkonzepti- on von der Entstehung psychischer Krankheiten und damit implizit auf ein anderes Menschenbild beziehen.

Dabei mögen Verhaltenstherapie und analytisch begründete Verfahren noch als deutlich voneinander ab- grenzbar erscheinen. Schwieriger wird die Definition eines zuzulassen- den Verfahrens jedoch, wenn sehr unterschiedliche Behandlungsme- thoden unter dessen Namen koexis- tieren. Wann diese als Weiterent-

wicklungen zu verstehen sind und ab wann ein neues Verfahren anzuneh- men ist, ist umstritten und für die Vertreter eines um Zulassung bemühten Verfahrens unter Umstän- den wichtig und kritisch.

Offen ist auch die Frage, ob in Zu- kunft Methoden zugelassen werden sollen, die ein schmales, bei be- stimmten Störungen nachgewiesenes Wirkungsspektrum haben. Methoden konnten in den bisherigen Richtlini- en nur im Rahmen einer „übergrei- fenden Theorie“ eingesetzt werden und allein nicht zugelassen werden.

Nachdem der Wissenschaftliche Bei- rat Psychotherapie seinen gesetzli- chen Auftrag zur Prüfung der wissen- schaftlichen Anerkennung von Ver- fahren (§ 11 PTG) auf Methoden ausgeweitet hat, wurden inzwischen EMDR (Eye Movement Desensitiza- tion and Reprocessing), Interperso- nelle Psychotherapie und Hypnothe- rapie als Methoden anerkannt. Legt man den Richtlinientext buchstaben- getreu aus, so ist die Bewertung einer Methode durch den G-BA bislang nicht möglich. Eine die Zulassung ermöglichende Richtlinienänderung vom 20. Juni 2006 ruht bisher nach Beanstandung durch das Bundes- gesundheitsministerium (BMG). We- sentlicher Grund für diese Beanstan- dung war das bei der Zulassung von Verfahren neu eingeführte Kriterium der Versorgungsrelevanz auf der Grundlage epidemiologischer Studi- en. Durch das Kriterium Versor- gungsrelevanz sollte erreicht werden,

dass nur Verfahren zugelassen wer- den können, für die bei der Nutzen- bewertung die Wirksamkeit für ein breites Indikationsspektrum nach- gewiesen wird.

Inhärenter Konflikt

Die 1967 eingeführten Richtlinien stellen nach dem Kommentar von Faber und Haarstrick (7) „einen ers- ten Versuch dar, ätiologisch orien- tierte Psychotherapie unter Berück- sichtigung ihrer Eigengesetzlichkeit mit dem Krankheitsbegriff der Reichsversicherungsordnung . . . in Einklang zu bringen“ (siehe Kasten).

Dabei ist allerdings der „Handlungs- spielraum“ von den Grundnormen des Systems der kassenärztlichen Versorgung bestimmt und einge- grenzt. Dieses System, das durch die Mittel der Solidargemeinschaft der Versicherten, also der Krankenkas- sen, finanziert wird, ist sowohl im Leistungsanspruch wie auch in der Erfüllung des Anspruchs durch Ge- setz geregelt (6). Damit mussten von Psychotherapeuten, die in der kas- senärztlichen Versorgung tätig wa- ren, die Vorschriften der Reichsver- sicherungsordnung beziehungsweise ab 1988/89 die Vorschriften des SGB V berücksichtigt werden: Leis- tungen müssen ausreichend, zweck- mäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Der zwangsläufige Konflikt, den entsprechende Vorgaben im Rah- men der psychotherapeutischen Ver- sorgung mit sich bringen mussten, wurde rasch deutlich: Einerseits muss eine sinnvolle Verwendung der Mittel der Versichertengemein- schaft gesichert sein. Andererseits hatten viele Psychotherapeuten die Sorge, durch allzu starre Rahmen- bedingungen in ihrem therapeuti- schen Handeln eingeschränkt zu werden. Dies gilt insbesondere, da im Rahmen einer psychotherapeuti- schen Behandlung eine Operationa- lisierung von Begriffen wie „ausrei- chend und zweckmäßig“ schwierig ist und unter Umständen je nach me- thodischer Ausrichtung auch unter- schiedlich ausfällt.

Die Übernahme der Weiterent- wicklung der Psychotherapie-Richt- linien durch den G-BA und dessen

DER „FABER/HAARSTRICK“

Franz Rudolf Faber (geboren 1919) und Rudolf Haarstrick (1919 bis1997), zwei kongeniale Ärzte und Psychotherapeuten, haben sich bleibend verdient gemacht: Mit ihrem regelmäßig fortgeschriebenen Kommentar zu den Psychotherapie-Richtlinien – bekannt als „Faber/Haarstrick“ – haben sie eine wichtige Hilfestellung für die Umsetzung, die Grenzen und den interpretatorischen Spielraum der Richtlinien in der psychothe- rapeutischen Praxis gegeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Stärken von Psychotherapeuten häufig aus der Fähigkeit zu einer ge- wissen Unstrukturiertheit und frei flottierenden Aufmerksamkeit herrühren, die den Wahrnehmungsfokus eher auf die irrationalen Seiten des menschlichen Seelenlebens ausrichten. Eine solche Haltung korre- spondiert oft nicht mit Vorlieben für Gesetzesvorschriften und Regulari- en. Diese beiden antinomischen Einstellungen sind in dem Kommentar

sehr glücklich berücksichtigt. Die nüchterne Diktion und klare Begrifflichkeit hat zu einer hohen Akzep- tanz unter den Beteiligten geführt, sodass inzwischen bereits die siebte Auflage vorliegt (10).

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Stellung als untergesetzlicher Norm- geber schufen die Notwendigkeit transparenter Bewertungsvorgänge.

Diese Transparenz soll die Verfah- rensordnung gewährleisten, die bei allen Bewertungsverfahren ange- wendet wird. Durch Zitierung in der Verfahrensordnung wird ein Bezug zu den Psychotherapie-Richtlinien hergestellt. Die bei erster Sicht ins Auge springende starke Orientierung der Verfahrensordnung an randomi- sierten kontrollierte Studien (RCT) wird für die Psychotherapie immer wieder für Diskussionen sorgen (2, 8). Dabei sind die entsprechenden methodischen Probleme nicht nur für die Psychotherapieforschung spezi- fisch, sondern sie gelten auch für an- dere Bereiche der klinischen For- schung und werden in der Verfah- rensordnung berücksichtigt.

Die Psychotherapie-Richtlinien sind seit 1967 in ihrer Grundkonzep- tion erhalten geblieben. Sie mussten allerdings bei geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen jeweils ange- passt werden. Darüber hinaus waren klinische Erfahrungen und der jewei- lige wissenschaftliche Erkenntnis- stand zu berücksichtigen. So wurde 1976 das Indikationsspektrum auf re- habilitative Zielsetzungen bei chroni- schen Erkrankungen erweitert. Diese

„Zweiteilung“ des Indikationskata- logs steht zurzeit auf dem Prüfstand.

Der damalige diskriminierende Be- griff „der seelischen Behinderung“

soll entfallen. Um einen einheitli- chen, auf dem aktuellen wissen- schaftlichen Stand befindlichen Indi- kationskatalog wird – besonders für die Versorgung von Kindern und Ju- gendlichen – noch gerungen.

1987 wurde die Verhaltensthera- pie nach Vorlage und Prüfung ent- sprechender versorgungsrelevanter Studien in die Richtlinienpsycho- therapie eingeführt. Dagegen konn- te der ebenfalls 1987 und nach den- selben Kriterien geprüfte Antrag auf sozialrechtliche Anerkennung der Gesprächspsychotherapie nicht po- sitiv beschieden werden. Auch zwei spätere Anträge auf Aufnahme der Gesprächspsychotherapie in die vertragsärztliche Versorgung führ- ten 1997 und 2006 zu keinem ande- ren Ergebnis – bei jeweiliger Über- prüfung der Versorgungsrelevanz

nach den gültigen Prüfkriterien (sie- he Kasten nächste Seite).

Ebenfalls im Jahr 1987 wurde die psychosomatische Grundversorgung in Ergänzung zur Richtlinienpsycho- therapie als ein originärer Aufgaben- bereich der Ärzte in der Primärver- sorgung in Ergänzung zur Fach- psychotherapie eingeführt, mit dem Ziel, die ärztliche Versorgung unter einer ganzheitlichen Sicht auf eine breitere Basis zu stellen. Demnach ist die psychosomatische Grundver- sorgung ausdrücklich keine Domäne der Fachpsychotherapie, sondern der ärztlichen Primärversorgung – auch wenn sie mangels anderer Zuord- nungsmöglichkeiten bei ihrer Ein- führung Teil der Psychotherapie- Richtlinien wurde.

Schließlich mussten nach 1990 die in der ehemaligen DDR vor- nehmlich etablierten psychothera- peutischen Behandlungsverfahren in das System der Richtlinienpsy- chotherapie integriert werden. Mit der Verabschiedung des PTG 1998 waren die Psychotherapie-Richtlini- en und die Psychotherapie-Verein- barungen entsprechend anzupassen.

Sie traten in der neuen Fassung am 1. Januar 1999 in Kraft. 1999 wurde in den Psychotherapie-Richtlinien vorgesehen, neben dem Gutachter-

verfahren ab 2000 externe Qua- litätssicherungsmaßnahmen durch- zuführen – ein Vorsatz, der bis heute nicht umgesetzt wurde, was für mehr oder weniger bewusste Wider- stände dagegenspricht.

Zahlen belegen die seit 1967 statt- gefundene dynamische Entwicklung.

1980 waren 1 600 ärztliche Psycho- therapeuten, 550 Psychologische Psychotherapeuten und 430 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zugelassen. Am 31. Dezember 2006 waren 4 484 ärztliche Psychothera- peuten und 15 433 Psychologische Psychotherapeuten (einschließlich Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten), das heißt insgesamt 19 917 Psychotherapeuten an der ambulanten vertragsärztlichen Ver- sorgung beteiligt (Bundesarztregis- ter der KBV).

Versorgungsdefizite

Die Versorgungslandschaft hat sich differenziert und strukturiert. Trotz dieser Entwicklung bestehen Versor- gungsdefizite, deren Ursachen 2006 Thema des Deutschen Ärztetages waren: Diskriminierung und Stigma- tisierung von Menschen mit psychi- schen und psychosomatischen Er- krankungen führen dazu, dass die in den letzten zwei Jahrzehnten ent- standenen besseren Behandlungs- möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. Zudem ging es um die Stär- kung und Förderung der psychia- trisch-psychosomatisch-psychothe- rapeutischen Kompetenz im ärztli- chen Handeln. Hintergrund war die Sorge, dass psychotherapeutische Kompetenzen zunehmend im nicht ärztlichen Versorgungsbereich veror- tet werden. Dadurch könnte eine in- stitutionell untermauerte, zweigeteil- te Versorgungslandschaft entstehen, die den Ärzten den Körper und den Psychologischen Psychotherapeuten die Psyche zuweist. Der „psycho- somatische Blick“ ginge verloren und damit auch die Philosophie, die hinter der Einführung der Richtlinien- psychotherapie stand: Psychische und somatische Krankheiten sind gleichwertig. Der Patient soll in sei- ner biopsychosozialen Dimension gesehen und verstanden werden.

Dieser Anspruch soll auch im bestehenden dreigliedrigen Versor-

Foto: laif

An einer psychi- schen Störung leiden rund 32 Pro- zent der Erwachse- nen in Deutschland.

Angststörungen liegen mit 14,5 Pro- zent an der Spitze.

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gungssystem verwirklicht werden.

Auf der unteren Ebene steht eine breite, niedrigschwellig angesetz- te psychosomatische Grundversor- gung, besonders im hausärztlichen und gynäkologischen Fachgebiet.

Über dieser Ebene gibt es die psychotherapeutische Versorgung im engeren Sinn für spezifische Krankheiten der jeweiligen Fachge- biete im Sinn der fachgebundenen Psychotherapie. Auf der nächsten Ebene folgt die spezialisierte fachärztliche Versorgung durch die Gebiete psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychothe- rapie. Trotz Überschneidungen ha- ben diese Gebiete je einen eigenen Versorgungsauftrag. Die Psycholo- gischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten gliedern sich in die Ebene der spezialisierten fachärzt- lichen Versorgung ein. Sie sind die Spezialisten für Richtlinienpsycho- therapie im engeren Sinn, während die „Psychofachärzte“ durch ihre Verankerung im medizinischen Be- reich und ihre „psychosomatische“

Doppelqualifikation noch andere durch die Weiterbildungsordnung und den EBM festgelegte Versor- gungsbereiche übernehmen.

Ausblick mit Sorge

Wie lange blüht ein System, und wann hat es seinen Zenit überschrit- ten? Nach zwei wahrscheinlich aus überwiegend politischen Motiven er- folgten Beanstandungen von Richt- linienänderungen durch das BMG innerhalb eines Jahres und nach einer von Sorge um die ärztliche Psy- chotherapie geprägten Beschlusslage auf dem Deutschen Ärztetag 2006 stellt sich die Frage, ob eine inzwi- schen unübersichtlich große Anzahl von Interessen und deren Vertretern sich noch im Sinn eines Ganzen in- tegrieren lassen. Können diese un- terschiedlichen Strömungen noch zusammengeführt werden, oder be- wirken sie eine Zunahme von Büro- kratisierung oder politisch moti- vierter Einflussnahme? Beides sind Faktoren, die die Klärung von Sach- fragen erschweren.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2007; 104(28–29): A 2039–42.

LITERATUR

1. Bell K, Janssen PL, Meermann R et al.:

Qualitätssicherung in der Psychotherapeu- tischen Medizin. Psychotherapeut 1996;

41: 250–3.

2. Buchkremer G, Klingberg S: Was ist wis- senschaftlich fundierte Psychotherapie?

Zur Diskussion um Leitlinien für die Psy- chotherapieforschung. Nervenarzt 2001;

72: 20–30.

3. Bühring P: Behandlung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen: Zei- chen setzen für die ärztliche Psychothera- pie 103(22): A 1500–4.

4. Dührssen A: Katamnestische Ergebnisse bei 1 004 Patienten nach analytischer Psychothe- rapie. Z Psychosom Med 1962; 8: 94–113.

5. Dührssen A, Jorswieck E: Eine empirisch- statistische Untersuchung zur Leistungs- fähigkeit psychoanalytischer Behandlun- gen. Nervenarzt 1965; 36: 166–9.

6. Effer E: Erläuterndes Vorwort zu den Richtli- nien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Durchführung von Psychotherapie in der kassenärztlichen Ver- sorgung. Z Psychosom Med 1987; 33:

301–3.

7. Faber FR, Haarstrick R: Kommentar Psy- chotherapie-Richtlinien, 1. Auflage.

Jungjohann, Neckarsulm, 1989; ab 5. Auf- lage Urban & Fischer, München, 1999; ab 6. Auflage, 2003, herausgegeben von Rü- ger U, Dahm A, Kallinke D.

8. Leichsenring F, Rüger U: Psychotherapeu- tische Behandlungsverfahren auf dem Prüfstand der Evidence Based Medicine (EBM). Z Psychosom Med Psychother 2004; 50: 203–17.

9. Rüger U, Bell K: Historische Entwicklung und aktueller Stand der Richtlinien-Psy- chotherapie in Deutschland. Z Psychosom Med Psychother 2004; 50: 127–52.

10. Rüger U, Dahm A, Kallinke D: Faber-Haar- strick-Kommentar zu den Psychotherapie- Richtlinien, 7. Aufl. München: Urban & Fi- scher 2005.

Anschriften der Verfasser Dr. med. Karin Bell,

Brücker Mauspfad 601, 51109 Köln Prof. Dr. med. Ulrich Rüger,

Abteilung Psychosomatische Medizin und Psycho- therapie der Georg-August-Universität Göttingen, Von-Siebold-Straße 5, 37075 Göttingen

GESPRÄCHSPSYCHOTHERAPIE: EINE UNENDLICHE GESCHICHTE

Der Weg der Gesprächspsycho- therapie (GT) in die vertragsärzt- liche Versorgung ist der wohl hin- dernisreichste, den ein Psycho- therapieverfahren jemals durch- laufen hat. Er ist indes noch nicht ganz versperrt.

Im November 2006 lehnte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Aufnahme der GT in den Leistungskatalog der gesetz- lichen Krankenversicherung ab.

Mehr als vier Jahre dauerte die Entscheidungsfindung, denn be- reits 2002 hatte der Wissen- schaftliche Beirat Psychotherapie das Verfahren anerkannt, zur ver- tieften Ausbildung empfohlen und damit grundsätzlich eine sozial- rechtliche Anerkennung durch den

G-BA, also eine Aufnahme in die Psychotherapierichtlinien, ermög- licht. Die Begründung für die Ab- lehnung: Wirksamkeit und Nutzen der GT seien für die Behandlung der wichtigsten psychischen Er- krankungen – mit Ausnahme der Depression – nicht wissenschaft- lich belegt. Mehr als hundert Stu- dien hat der G-BA dafür nach den Kriterien der evidenzbasierten Me- dizin geprüft. Die Wirksamkeit bei nur einer Indikation, der Depres- sion, reiche jedoch nicht aus. Eine breite Versorgungsrelevanz sei ein wesentliches Kriterium für die Aufnahme in den GKV-Leistungs- katalog.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beanstandete

diesen Beschluss des G-BA im Februar dieses Jahres. Im Juni 2006 hatte das BMG bereits die Psychotherapie-Richtlinien bean- standet. Bei der Beanstandung zur GT kritisierte das Ministerium vor allem, dass der Bundespsycho- therapeutenkammer (BPtK) der mehr als sechshundertseitige Be- richt zur Nutzenbewertung, der die Auswertung der geprüften Studien enthält, nicht zur Verfügung ge- stellt wurde. Nur „in Kenntnis die- ser Information hätte die BPtK die Chance gehabt, die vom G-BA daraus abgeleitete Argumention zu entkräften“, hieß es in der Be- gründung.

Der Nutzenbericht steht der BPtK inzwischen zur Verfügung,

die die Studien im Einzelnen prü- fen will, um dann erneut eine Stel- lungnahme vorzulegen.

Grundsätzlich will die BPtK

„eigene,der Psychotherapie ange- messene Bewertungsstandards entwickeln“, sagte Kammerpräsi- dent Prof. Dr. Rainer Richter beim 10. Deutschen Psychotherapeu- tentag im Mai in Berlin. Die Bun- despsychotherapeutenkammer spricht sich – wie der G-BA – ge- gen eine indikationsspezifische Zulassung von Psychotherapiever- fahren aus und für die Veranke- rung einer breiten Versorgungs- relevanz. Ende des Jahres könnte eine Stellungnahme der BPtK vorliegen. Dann muss der G-BA wieder reagieren. Petra Bühring

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