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Archiv "Psychotherapeutische Versorgung: Fehlurteile revidieren" (14.03.2014)

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A 440 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 11

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14. März 2014

D

ie Analyse der KBV über die ambulante psychotherapeuti- sche Versorgungssituation kommt zum richtigen Zeitpunkt. Denn seit zwei Jahren machen Reformvorschläge zur Beschleunigung des Zugangs zur Psy- chotherapie, zur Verkürzung der Be- handlungskontingente und zum Aus- bau der sogenannten Akuttherapie die Runde. Zuletzt hat der GKV-Spitzen- verband Vorschläge zur Reform der psychotherapeutischen Versorgung vorgelegt, die sämtlich darauf hinaus- laufen, Patienten kürzer und schneller zu behandeln. Zwar können auch die

von der KBV ausgewerteten Abrech- nungsdaten nicht alle Fragen zum Versorgungsalltag beantworten. Sie können aber Eckpfeiler über den Ist- Zustand der psychotherapeutischen Versorgung markieren und Fehlurteile und Fehlinformationen widerlegen.

Alle Akteure gehen offensichtlich von der Annahme aus, Psychothera- peuten behandelten ihre Patienten zu lange und benutzten zu aufwendige Therapieformen, statt auf evidenzge- prüfte Kurztherapien zurückzugreifen.

Derartige Hypothesen wurden gebets- mühlenartig auch von psychiatrischen Berufs- und Fachgruppenvertretern wiederholt und mehrmals im Deut- schen Ärzteblatt veröffentlicht. Man konnte sich dabei auch auf Kritik von Psychotherapieforschern an psycho- logischen Instituten berufen, die ge- gen die scheinbar langwierige Richtli- nienpsychotherapie die beforschten Kurztherapien als bessere Alternati- ven anboten. Es nimmt daher nicht wunder, dass angesichts des immer noch nicht gedeckten Bedarfs an Be- handlungsplätzen die kursierenden Reformvorschläge darauf konzentriert waren, mit kürzeren Psychotherapien Patienten angeblich gezielter, schnel-

ler und preisgünstiger behandeln zu lassen und so mehr Patienten versor- gen zu können.

Nun zeigen die ausgewerteten Ver- sorgungsdaten aber eine ganz andere Realität: Psychotherapeuten schöpfen bewilligte Sitzungen nicht aus, sondern behandeln individuell angepasst und of- fensichtlich indikationsgerecht. 70 Pro- zent der Patienten erhalten eine Kurz- zeittherapie, die häufig schon innerhalb von 15 Sitzungen beendet werden kann. Der Anteil der Behandlungen, die die Höchstgrenzen beanspruchen, ist überraschend gering angesichts der oft

komplexen Störungen mit erheblichen lebensgeschichtlichen Belastungen und Mehrfachdiagnosen. Behandlungslän- gen über 100 Sitzungen bilden dabei die Ausnahme (circa ein Prozent). Sie werden also nicht zu häufig angeboten, sondern ganz im Gegenteil besteht das Problem darin, dass bei Verhaltensthe- rapie und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie diese Behandlungsopti- on bei schwerst und chronisch erkrank- ten Menschen nicht zur Verfügung steht, dort aber dringend benötigt wird.

Diese Befunde können und dürfen in der inzwischen auf politischer Ebe- ne angelangten Reformdiskussion nicht übergangen werden. Sie verlan- gen nach einer Umorientierung: Wenn derzeit Patienten nicht unnötig lang, sondern nach medizinischer Notwen- digkeit behandelt werden, so lässt sich keine Reform rechtfertigen, die an Therapielängen einspart. Es ist we- der gesellschaftspolitisch zu verant- worten, noch von Psychotherapeuten und ihren Patienten hinzunehmen, wenn hier ausgerechnet bei den mit großem Leid Belasteten eine Rationie- rung eingeführt würde – trotz vielfach nachgewiesener Effektivität und Kos- teneffizienz der Behandlungen.

KOMMENTAR

Norbert Bowe, Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten

PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERSORGUNG

Fehlurteile revidieren

nicht aber das gesamte zweite Kon- tingent. Die enge Taktung der Kon- tingente führt derzeit allerdings da- zu, dass auch für diese geringe Zahl an zusätzlichen Stunden jeweils ein erneutes Gutachterverfahren not- wendig ist. Angesichts der Behand- lungsrealität wäre es vertretbar, die maximal mögliche Stundenzahl bei einem Erstantrag einer Langzeitthe- rapie zu erweitern. Damit könnten Therapeuten bis zu 60 Sitzungen in der Verhaltenstherapie und bis zu 80 Sitzungen in der tiefenpsycholo- gisch fundierten Psychotherapie an- bieten, ohne erneut einen Antrag stellen zu müssen. Alternativ kann erwogen werden, ein Gutachterver- fahren erst nach Ausschöpfen des ersten Langzeit-Therapiekontingents (VT: 45 Sitzungen, TP: 50 Sitzun- gen) einzusetzen. Damit müsste ein Gutachterverfahren nur noch für weniger als zehn Prozent aller Pa- tienten eingeleitet werden, statt wie bisher bei etwa einem Drittel. Der bürokratische Aufwand würde sich erheblich reduzieren.

Orientierung am individuellen Behandlungsbedarf

Die Therapiedauer scheint sich ins- gesamt eher an dem individuell in- dizierten Behandlungsbedarf des Patienten zu orientieren als an der Anzahl der bewilligten Therapie- stunden. Ähnliches wurde bereits in vorangegangenen Untersuchungen berichtet (12, 13). Daher muss nicht erwartet werden, dass eine autono- mere Therapieplanung durch den Therapeuten ökonomische Fehlan- reize setzt, sondern dass dadurch unnötige Wartezeiten und bürokra- tische Aufwände in erheblichem Maße vermieden werden können.

Das lässt den Therapeuten mehr Zeit für die eigentliche Arbeit – Menschen mit psychischen Leiden schnell und wirksam zu behandeln.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2014; 111(11): A 438–40

Anschrift für die Verfasser:

Dr. Jan Multmeier, Kassenärztliche Bundesvereini- gung, Stabsstelle ISI – Innovation, Strategische Analyse und IT-Beratung, Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin, JMultmeier@KBV.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit1114

T H E M E N D E R Z E I T

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