Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 50|
13. Dezember 2013 A 2413 die Frage, wie man mit Lebenskri-sen oder fortgesetzten Überforde- rungen umgeht: „Werden Menschen manchmal nicht viel zu früh für krank erklärt, obschon sie eine Le- benskrise auch allein oder mit Hilfe ihres sozialen Umfeldes bewältigen können?“ Es gehe ihm nicht um ei- ne Ressourcendiskussion und auch nicht um eine Bagatellisierung, ver- sicherte Hecken. Doch man müsse darauf achten, dass nicht bei einer Vielzahl von neuen leichteren Stö- rungen, wie sie das DSM-5 zum Teil kategorisiere, die zur Verfügung stehenden Ressourcen grundlos ein- gesetzt würden. „Dies umso mehr, als das DSM-5 präjudizierende Wirkung für die kommende neue ICD-11 haben wird“, gab Hecken zu bedenken.
Ziele des Koalitionsvertrags zügig umsetzen
Liege indes eine behandlungsbe- dürftige Erkrankung vor, müssten ausreichende Behandlungsoptionen zeitnah zur Verfügung stehen, for- derte der G-BA-Vorsitzende weiter.
Alle im Koalitionsvertrag vorgese- henen Ziele, wie die Verringerung der Wartezeiten, zeitnahe Kurzzeit- therapie sowie die Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie durch den G-BA, sollten deshalb zügig umgesetzt werden. Zur Reduzie- rung der Wartezeiten habe der G-BA außer der Bedarfsplanung kein Instrument zur Steuerung, er- läuterte Hecken. „Obwohl bundes- weit mehr als 28 000 Personen für den Bereich Psychotherapie zur Ver- fügung stehen – bei 52 000 Hausärz- ten zum Vergleich –, haben wir in ländlichen Regionen Versorgungs- lücken.“ Alle neuen Praxissitze für Psychotherapeuten, aber auch für Nervenärzte sowie Kinder- und Ju- gendlichenpsychotherapeuten seien deshalb für diese Regionen vorge- sehen. Hecken wies darauf hin, dass ab 1. Januar 2014 wahrscheinlich knapp 300 Sitze übergangsweise für Psychologische Psychothera- peuten freigegeben würden, die von ärztlichen Psychotherapeuten nicht besetzt werden konnten. Eine Ent- scheidung stehe noch vor Weih- nachten im G-BA an.
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Petra Bühring
Die ambulante Psychotherapie sei ein Versorgungsbereich, der mit dem Trin- ken einer Flasche Bier nicht zu lösen sei – es habe sich gelohnt, ein Positi- onspapier zur Reform zu erarbeiten, hieß es bei der Sitzung des Verwal- tungsrates des GKV-Spitzenverbandes Ende November in Berlin. Inzwischen ist auch der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken eines Besseren belehrt, der mit der Bemerkung, man brauche nicht für jeden eine Therapie, eine Fla-
sche warmes Bier tue es manchmal auch, für Entrüstung gesorgt hatte.
Die Autoren des Positionspapiers zur
„Reform des Angebots an ambulanter Psychotherapie“ gehen differenzierter an das Problem des steigenden Be- darfs an Behandlungskapazitäten für psychisch Kranke heran. Neben eini- gen sinnvollen Vorschlägen regt der GKV-Spitzenverband jedoch im We- sentlichen die Verkürzung von Be- handlungszeiten an. Das erscheint als ein fragwürdiger Ansatz für eine lang- fristig bessere Versorgung, die auch zum Abbau der zunehmenden Fehlzei- ten und Frühberen tungen aufgrund psy- chischer Erkrankungen beiträgt. Grund- sätzlich wollen die Krankenkassen näm- lich „ausgabenneutral“ handeln.
Zu den allgemein konsentierten Vorschlägen gehört neben der weite- ren Förderung der Gruppenpsycho- therapie die Einführung von obligato- rischen Sprechstunden bei Psycho- therapeuten für eine Basisdiagnostik und Krisenintervention vor den pro- batorischen Sitzungen. Beides fordert ebenfalls die Bundespsychotherapeu- tenkammer (BPtK). Nach Ansicht der Kassen sollen diese Sprechstunden auch der Beratung der Patienten zu den verschiedenen Versorgungsange- boten dienen und somit „Steuerungs- wirkung“ entfachen, etwa das An - raten einer stationären Behandlung
oder auch Angebote der Selbsthilfe.
Dann sollen, falls erforderlich, drei probatorische Sitzungen folgen und zwölf Stunden Therapie – für alle Richtlinienverfahren. Anschließend ist eine Wartezeit von sechs Wochen vor- gesehen, um zum zweiten Behand- lungskontingent von weiteren zehn Stunden durchzudringen. In schweren Ausnahmefällen soll eine „Bypass- möglichkeit“ zur mittels Gutachter- verfahren (GV) begründeten Langzeit-
therapie möglich sein. Die ersten 25 Stunden sind ansonsten nicht geneh- migungspflichtig, das aufwendige GV entfällt – kurze Therapien werden so- mit besonders attraktiv. Statt Vor- schläge für eine Entschlackung des GV zu machen, schlagen die Kassen den zusätzlichen Einsatz von psycho- metrischen Instrumenten nach jedem Behandlungskontingent vor.
Eine grundsätzliche Wartezeit von sechs Wochen komme „einer thera- peutischen Katastrophe gleich“, kriti- siert die BPtK. Dass eine kontinuierli- che Behandlung nur noch in Ausnah- mefällen möglich sein soll, sei „fach- lich und ethisch nicht zu verantwor- ten“. Eine solche Rationierung sei bei körperlich kranken Menschen undenk- bar und deshalb eine Diskriminierung psychisch Kranker.
Das Positionspapier der Kassen kann also allenfalls ein Anfang zur – notwendigen – Veränderung der psy- chotherapeutischen Versorgung sein, die sich auch die nächste Bundesregie- rung in den Koalitionsvertrag geschrie- ben hat: Wartezeiten reduzieren, zeitna- he Angebote für Kurzzeittherapie, Ent- bürokratisierung des Gutachterverfah- rens, Überarbeitung der Psychothera- pie-Richtlinie in einer definierten Frist, Überprüfung der Befugnisbeschränkun- gen für Psychotherapeuten. Es ist noch viel zu tun.
KOMMENTAR
Petra Bühring, DÄ-Redakteurin
PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERSORGUNG