ie Bewertung nach über einem Jahr Psychotherapeutengesetz (PsychThG) ist für alle Betei- ligten ernüchternd: Schätzungsweise 4 000 Psychotherapeuten streiten um ihre Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung; viele, die in diesem Sy- stem arbeiten, müssen um ihre Exi- stenz kämpfen; Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Kassenärztli- che Bundesvereinigung (KBV) und Krankenkassen streiten immer noch um die Zuständigkeit für die Auf- stockung der psychotherapeutischen Vergütung 1999.
Mehr Mitbestimmung gefordert
„Konzeptionelle Mängel“ und
„handwerkliche Fehler“ des PsychThG macht Hans-Joachim Schwarz vom Deutschen Psychotherapeutenver- band – Vertreter der ehemaligen „Er- stattungspsychotherapeuten“ – für den unbefriedigenden Zustand ver- antwortlich. Bei einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Kas- senarztrecht in Berlin kritisierte er die im § 11 PsychThG festgelegte Ent- scheidungskompetenz des Wissen- schaftlichen Beirates Psychotherapie.
Dessen „methodischer Rigorismus“, das heißt die Präferenz von Wirksam- keitsstudien, habe dazu geführt, dass nur drei Therapierichtungen als Richtlinienverfahren in der vertrags- ärztlichen Versorgung zugelassen sind. Bewährte Erfahrungen aus der Praxis zur – aus dem System herausge- fallenen – systemischen Familienthe- rapie und Gesprächstherapie seien nicht berücksichtigt worden. „Dabei liegen für die Psychoanalyse noch
weniger Wirksamkeitsstudien vor“, argumentierte Schwarz. Er forderte, die Aufgaben des Wissenschaftlichen Beirats künftig einer Bundespsycho- therapeutenkammer zu übertragen.
Schwarz kritisierte, dass die psy- chotherapeutische Bedarfsplanung nur eine „administrative Zugangspla- nung“ und keine Planung des tatsäch- lichen Bedarfs sei. Die bisherige Me- thode der Festlegung der Bedarfs- kriterien vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen schreibe den Ist-Zustand als Soll-Zustand fest:
Psychotherapeuten seien „signifikant auffällig“ nicht so gleichmäßig auf die einzelnen Raumgliederungskategori- en verteilt wie Ärzte. Großstädte sei- en im Vergleich zu weniger dicht be- siedelten Gebieten überversorgt, Kin- der und Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen unterversorgt. Erfor- derlich sei eine am tatsächlichen Be- darf orientierte Steuerung unter Mit- wirkung von Psychotherapeuten.
Rund 4 000 Verfahren im Wider- spruch gegen die Ablehnung der Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) zur „bedarfsunabhängigen“ Zulas- sung beschäftigen zur Zeit Rechtsan- wälte und Sozialrichter. Wer die ge- forderte Qualifikation und die vorge- schriebene Menge der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nicht vorweisen konnte, wurde nicht bedarfsunabhängig zugelassen, son- dern muss sich jetzt nach dem Bedarf in den nicht gesperrten Planungsbe- reichen der KVen richten. Probleme bereitet den Betroffenen besonders die Definition der „Teilnahme“ an der Versorgung in § 95 Abs. 10 und 11 SGB V. „Der Begriff ist nicht eindeu- tig“, erklärte Wolfgang Engelhard, Richter am Sozialgericht, Hamburg.
Seiner Definition nach muss ein Psy- chotherapeut zwischen Juni 1994 und Juni 1997 mindestens sechs bis 12 Mo- nate an der Versorgung der gesetzlich Versicherten teilgenommen und da- bei etwa ein Fünftel seines Gesamt- einkommens aus dieser Tätigkeit be- zogen haben. Dies entspricht auch der Definition des so genannten Zeit- fensters von KBV und Zulassungs- gremien. An der Berechtigung die- ser Einschränkung entzündeten sich die Emotionen: Das könne „verfas- sungsrechtlich nicht korrekt“ sein, urteilte Hartmut Gerlach von der Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Diese Guppe therapiere oft nur teil- weise Kinder und Jugendliche und ha- be meist andere Hauptberufe: „Viele arbeiten seit über 20 Jahren als Dele- gationspsychotherapeuten, und plötz- lich erhalten sie keine Zulassung, weil sie dem Zeitfenster nicht entspre- chen.“
Mehr Psychotherapeuten als erwartet
Etwa 15 600 Psychologische und ärztliche Psychotherapeuten waren Ende 1999 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Damit seien 6 000 mehr im System als urprüng- lich erwartet, erklärte Dr. jur. Rai- ner Hess, Hauptgeschäftsführer der KBV. Wegen der Aufnahme der Psy- chologischen Psychotherapeuten hät- te der Gesetzgeber eine entsprechen- de Aufstockung der Gesamtvergü- tung vorsehen müssen, forderte Dr.
jur. Gernot Steinhilper, KV Westfa- len-Lippe. Die Versuche dazu im PsychThG, im Solidaritätsstärkungs- gesetz und im GKV-Gesundheitsre- formgesetz seien „unzureichend und unklar“. Die gesetzlich vorgeschrie- bene Aufteilung der Gesamtvergü- tung in einen Facharzt- und einen Hausarzttopf erleichtere nicht die Aufgabe, über den Honorarvertei- lungsmaßstab eine angemessene Ho- norierung für psychotherapeutische Leistungen zu finden. Angesichts wi- derstreitender Interessen der Psycho- therapeuten, Ärzte und Krankenkas- sen werde wahrscheinlich erneut höchstricherlich entschieden werden
müssen. Petra Bühring
A-966 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 15, 14. April 2000
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