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Archiv "Wenn Ärzte unter Druck stehen" (27.07.2001)

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und bei denen die Ärzte kaum eine Rol- le spielten.

❃Der zu asylierende Trunksüchtige:

Im ausgehenden 18. Jahrhundert, unter dem Vorzeichen von aufgeklärtem Ab- solutismus und Französischer Revoluti- on mit ihren medizinalreformerischen Bestrebungen, trat die medizinische Ar- gumentation im engeren Sinn auf den Plan. Ärzte prägten den Begriff der

„Trunksucht“ und des „Alkoholismus“.

Alkoholiker wurden erstmals als eine Gruppe von Kranken wahrgenommen, die, analog der Irrenbehandlung in Irren- häusern, einer besonderen Therapie in eigens hierfür vorgesehenen Einrichtun- gen (Trinkerasyle, Trinkerheilstätten) zu unterziehen waren.

❃Der Alkoholiker als quasi Geistes- kranker: Die Alkoholiker wurden im Kontext von (Sozial-)Darwinismus und Rassenhygiene gegen Ende des 19. Jahr- hunderts als Minderwertige stigmatisiert.

Die erbbiologische Betrachtung be- herrschte das Feld, die schließlich im NS- Staat auch zur Zwangssterilisation von Alkoholikern gemäß dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“

führte. Der Alkoholismus erschien als Analogon der Geisteskrankheit und wurde deshalb vor allem zum Gegen- stand der Psychiatrie.

Erst im Laufe der Nachkriegszeit defi- nierte die Medizin den Alkoholismus im Sinne der „Alkoholabhängigkeit“ – in Abgrenzung vom „Alkoholmissbrauch“

– als ein komplexes Krankheitsbild. Kri- terien sind das pathologische Trinkver- halten, die alkoholbedingten somati- schen und psychosozialen Schäden sowie die körperliche und die psychische Ab- hängigkeit. So erkannte das Bundessozi- algericht 1968 den Alkoholismus in ei- nem Urteil als Suchtkrankheit an, was zu einer entsprechenden „Suchtvereinba- rung“ der Sozialversicherungsträger führte. Nun konnte die gesundheitspoli- tische Leitidee einer medizinischen und sozialen (beruflichen) Rehabilitation von chronisch Kranken beziehungsweise Behinderten auch für Alkoholabhängige in einem interdisziplinären Ansatz („the- rapeutische Kette“) praktisch umgesetzt werden. Ein wichtiges Glied bilden hier- bei spezielle Selbsthilfegruppen, insbe- sondere die 1935 in den USA gegründe- ten Anonymen Alkoholiker (AA). So- mit erscheint heute der Alkoholiker (ge-

nauer: der Alkoholabhängige) als zu rehabilitierender Suchtkranker. Seine frühere Stigmatisierung – denken wir nur an seine Charakterisierung durch die Rassenhygiene – ist heute (zumindest im historischen Vergleich) weitgehend ver- schwunden. Der Alkoholismus jedoch als „nach wie vor das größte, ja zuneh- mend größte Suchtproblem“ in unserer Gesellschaft bleibt weiter bestehen (8).

Ein Grund hierfür ist sicherlich in der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zu suchen, wo der Alkohol immer wieder als reinste Wunderdroge und Lebensmit- tel per se (als „geist“, „spiritus“ et cetera) verehrt wurde. Dies ist offenbar ein im kulturellen Gedächtnis verankerter Glaube oder Aberglaube, der bis heute trotz aller gesundheits- und sozialpoliti- schen Aufklärungskampagnen dem Al- koholismus insgeheim immer noch eine gewisse ideologische Stütze bietet.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 1958–1962 [Heft 30]

Literatur

1. Austin G: Die europäische Drogenkrise des 16. und 17.

Jahrhunderts. In: Völger G ed.: Rausch und Realität.

Drogen im Vergleich. Teil 1. Köln: Rautenstrauch- Joest-Museum 1981.

2. Bergman J: Geschichte der Antialkoholbestrebungen.

Ein Ueberblick über die alkoholgegnerischen Bestre- bungen aller Kulturländer seit den ältesten Tagen bis auf die Gegenwart. Mit besonderer Berücksichtigung des Vereinswesens. Hamburg: Verlag von Deutschland Großloge II des I. O. G. T. 1907.

3. Gruber M, Kraepelin E eds.: Wandtafeln zur Alkohol- frage. München: Lehmann, Berlin: Mässigkeits-Verlag o. J.

4. Krüger A: Die Volksbewegung und Volksaufklärung gegen den Alkoholismus im Deutschen Reich 1883- 1933. Med Diss Marburg 1989.

5. Schadewaldt H: Alkohol an Bord. Schiff und Zeit 1975;

2: 55–65.

6. Schadewaldt H: Alkohol und Alkoholismus. Fortschrit- te und Fortbildung in der Medizin 1985/86; 11: 3–12.

7. Stubenvoll FB: Alkoholismus und Tuberkulose. Berlin:

Verlag Deutscher Arbeiter-Abstinenten-Bund 1909.

8. Tölle R: Psychiatrie einschließlich Psychotherapie. Kin- der- und jugendpsychiatrische Bearbeitung von Rein- hart Lempp. 11. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York:

Springer 1996.

9. Wehberg R: Wider den Missbrauch des Alcoholes, zu- mal am Krankenbette. Medicinische und volkswirt- schaftliche Betrachtungen. Berlin, Neuwied: Heuser 1887.

10. Wlassak R: Grundriss der Alkoholfrage. Leipzig: Hirzel 1922.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott Medizinhistorisches Institut

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Sigmund-Freud-Straße 25, 53105 Bonn

M E D I Z I N

A

A1962 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 30½½27. Juli 2001

Ob sich die Entscheidung eines Arztes davon beeinflussen lässt, dass er unter dem Druck einer Drohung des Patien- ten oder der Angehörigen steht, ver- suchten dänische Autoren in einer Studie in Norwegen herauszufinden.

Gemeint waren Drohungen einer Be- schwerde bei staatlichen oder ärztlich disziplinarischen Stellen, Drohungen finanzieller oder publizistischer Art oder gar Klagen auf Kunstfehler. Von knapp tausend Studienteilnehmern – ein repräsentativer Ausschnitt aus al- len Alters- und Fachgruppen der nor- wegischen Ärzteschaft – hatten 47 Prozent in der letzten Zeit Erfahrun- gen dieser Art gemacht. Den Studien- teilnehmern wurden zwei Fallbeispie- le vorgelegt, zu denen sie ihre klini- schen Entscheidungen mitteilen soll- ten; in der Hälfte der Fragebögen war dem sonst identischen Fall eine Dro- hung beigefügt. Die aktuelle Drohung zeigte Wirkung: In 44 Prozent der Fäl- le von Herzbeschwerden mit Drohung wurde eine defensive Strategie ge- wählt, nur in 30 Prozent hingegen bei den Fällen ohne Drohung. Ähnlich bei Frauen mit Kopfschmerzen (57 gegen- über 25 Prozent). Mit der eigenen Er- fahrung jedoch hatte die Entschei- dung, defensiv zu behandeln oder nicht, nichts zu tun: Ärzte, die bereits Drohungen erfahren hatten, verhiel- ten sich zu 38 Prozent defensiv, die an- deren zu 36 Prozent bei den Herzbe- schwerden; bei den Kopfschmerzen waren es 41 und 40 Prozent. bt Kristiansen IS, Førde OH, Aasland O, Hotvedt R, Johnsen R, Førde R: Threats from patients and their effects on medical decision making: a cross sectional, randomised trial. Lancet 2001; 357: 1258–1261.

Dr. Ivar Sønbø Kristiansen, Institute of Public Health of Southern Denmark, DK 5000 C Odense.

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