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Archiv "Ärzte in Klinik und Praxis: Nicht mehr Herr im eigenen Haus" (28.10.2005)

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s begann mit einer Zumutung: Pro- vozierend zugespitzte Thesen be- stimmten die Auftaktveranstaltung des 60. Bayerischen Ärztetages Mitte Oktober in Coburg. „Der Arzt, der zwei Jahrtausende lang Triebfeder des medizinischen Fortschritts war, wird seiner Kompetenz entkleidet. Der Arzt wird Getriebener“, stellte Prof. Dr.

phil. Paul U. Unschuld vom Institut für Geschichte der Medizin der Ludwig- Maximilians-Universität in München fest. „Wer bestimmt, wie das ärztliche Wissen angewendet werden darf? Wer bestimmt, was Ärzte dafür nehmen können? Sind das wirklich die Ärzte?“

Die Antwort des Historikers ist ein kla- res Nein. Die schmerzhafte Erkenntnis, dass Ärzte ihres hohen Ansehens zum Trotz an Macht und Einfluss einbüßen, entspricht der tagtäglichen Erfahrung in Klinik und Praxis. „Arztsein bedeu- tet heute, in vieler Hinsicht nicht mehr Herr im eigenen Hause zu sein“, sagte Unschuld.

Gegen die Kochbuchmedizin

Dabei rückte er die Kategorie „Verant- wortung“, nicht etwa die demokrati- sche Legitimation in den Vordergrund:

„Was ist das für eine Gesellschaft, in der Politiker, die in einiger Entfernung von den Ärzten auf der sozialen Ach- tungsskala angesiedelt sind, denen, die ganz oben stehen, Leitlinien vorschrei- ben dürfen, Deckelung durchsetzen und Fallkostenpauschalen zumuten – ohne selbst jemals die Verantwortung tragen zu müssen, ohne selbst jemals einem Patienten von Angesicht zu An- gesicht gegenüberstehen zu müssen?“

fragte Unschuld unter dem Beifall der Versammlung.

Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens (CSU) hob dagegen die Chancen und Nutzen von Leitlinien hervor, die eine logische Folge der For- derung nach einer evidenzbasierten Medizin seien. Positiv bewertete sie auch die Disease-Management-Pro- gramme, deren Verknüpfung mit dem Risikostrukturausgleich der Kranken- kassen lehnt sie allerdings ab. „Auch ich will keine Kochbuchmedzin“, sagte die Politikerin, die bei den Berliner Koaliti- onsverhandlungen der Arbeitsgruppe Gesundheit angehört. Leitlinien dürf- ten die Auseinandersetzung mit dem Patienten nicht ersetzen. Es müsse möglich bleiben, eine außerhalb der Leitlinien liegende Therapie zu wählen.

„Leitlinien können nur Ärzte fest- legen“, hob Dr. Rai-

ner Hess, der Vor- sitzende des Ge- meinsamen Bundes- ausschusses, hervor.

„Wenn Sie aus der

Budgetierung herauswollen, brauchen Sie eine qualitätsgesicherte Behand- lung und damit auch Leitlinien.“

Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel vom Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Uni- versität Bayreuth, zudem Leiter des Chir- urgischen Zentrums im Klinikum Augs- burg, warnte vor Schwarzmalerei. Junge Menschen könne man nicht für den Arzt- beruf gewinnen, „ wenn wir sagen, dass es uns schlecht geht. So schlecht geht es uns nicht.“ Nagel sieht die Arbeitsteilung mit Angehörigen anderer Berufe als sinnvoll an. „Ökonomen und Ärzte, die die An- wendung der Fallpauschalen kontrollie- ren, schaffen erst den Freiraum, den wir für die Patienten brauchen.“

Dr. med. H. Hellmut Koch, der Präsi- dent der Bayerischen Landesärztekam-

mer, dagegen sieht Ärztinnen und Ärz- te immer mehr von wirtschaftlichen Zwängen und Paragraphen getrieben.

„Die Monetik drängt sich vor die ärzt- liche Ethik, die Rolle des Arztes wird zusehends von anderen definiert.“ Mit Jammern habe das nichts zu tun. Steht hinter solchen Klagen aber nicht doch eine Verklärung der „guten alten Zeit“?

Koch ist sich klar darüber, dass das ideale Arztbild heute ein anderes als vor 20 oder 30 Jahren ist. „Aber die jungen Kolleginnen und Kollegen wollten ei- gentlich Patienten behandeln und nicht vor dem Computer sitzen.“ Das macht den Arztberuf für viele Medizinstuden- ten unattraktiv, wie auch Ministerin

Stewens einsieht. In Bayern sei der Hausärztemangel momentan zwar nicht eklatant, sagte Dr. med. Max Kaplan, Vizepräsident der Kammer. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werde sich das aber ändern. Kochs Forderung:

„Ärzte müssen in der Medizin wieder zu Einheimischen werden.“ Die Politik sieht er in der Verpflichtung, Rahmen- bedingungen so zu setzen, dass es Freu- de mache, Medizin zu praktizieren.

Konkrete Forderungen beschloss der Bayerische Ärztetag auf seiner zweitä- gigen Arbeitssitzung. Verlangt werden bessere, familienfreundliche Arbeitsbe- dingungen in der Klinik, eine adäquate Bezahlung der angestellten Ärzte im Rahmen eines dem Beruf angepassten Tarifs sowie eine bessere Honorierung der Niedergelassenen. Heinz Stüwe P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 43⏐⏐28. Oktober 2005 AA2903

Ärzte in Klinik und Praxis

Nicht mehr Herr im eigenen Haus

Der 60. Bayerische Ärztetag in Coburg diskutierte über Stellung und Einfluss des Arztes im Gesundheitswesen.

Will die ärztliche Tätigkeit von Bürokratie entlasten:

Bayerns Sozialministerin

Christa Stewens Foto:BLÄK

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