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Archiv "„Gesundheitsreform“ in den Niederlanden: Honorierung und Zulassung der Ärzte stehen zur Disposition" (17.11.1988)

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BLICK INS AUSLAND

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

I

n den Niederlanden wird wie in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit sehr kontrovers über die Reform des Gesundheitswesens dis- kutiert. Mit den „Dekker-Plänen"

der Haager Regierung verbindet sich nicht nur eine weitgehende Um- gestaltung der niederländischen Krankenversicherung, unter ande- rem die Aufsplitterung in verbind- liche Basis- und freiwillige Zusatz- versicherung, Abschaffung der Un- terschiede zwischen privaten und gesetzlichen Versicherern (vgl.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 38 vom 22. September 1988). Auch die Honorierung und die Zulassung zur ärztlichen Leistungserbringung ste- hen dabei zur Disposition. Die nie- derländischen Ärzte müssen sich al- so in den nächsten Jahren auf erheb- liche Änderungen gefaßt machen.

Veränderungen in der hausärztlichen Versorgung

Der Hausarzt (huisarts) ist und bleibt die zentrale Anlaufstation im niederländischen Gesundheitswe- sen. Grundsätzlich ist jeder Bürger — gleichgültig ob gesetzlich oder privat versichert — bei einem Hausarzt sei- ner Wahl eingeschrieben. Dessen Praxis ist nur in sehr begrenztem Maße mit medizinisch-technischen Geräten ausgestattet. Ziel ist eine

„klassische" hausärztliche Versor- gung in der „vordersten Linie", die idealtypisch die gesamte Familie versorgt und das soziale und beruf- liche Umfeld des Patienten kennt und berücksichtigt.

Die Zulassung der niedergelas- senen Hausärzte ist sowohl für die Behandlung von Kassen- als auch von Privatpatienten begrenzt. Es gibt ausgeschriebene „Arztsitze", die sich — ähnlich wie in der Bundes- republik Deutschland vor dem Ur- teil des Bundesverfassungsgerichts zur Niederlassungsfreiheit — an fe- sten Verhältniszahlen Patienten je Arzt orientieren. Bei Freiwerden von „Arztsitzen" regelt eine Zulas- sungskommission bei den Gemein- den die Neubesetzung. Die gesetzli- chen Krankenkassen haben gegen-

Joachim Müller

wärtig noch einen Kontrahierungs- zwang gegenüber jedem niederge- lassenen Hausarzt. Dies soll nach dem Drehbuch des „Dekker-Plans"

nach 1990 aufgehoben werden.

Denn die Regierung will den Kran- kenkassen (gesetzlichen wie priva- ten) in Zukunft eine stärkere Posi- tion einräumen und ihnen eine weit- gehende Auswahl der benötigten

„Leistungserbringer" zugestehen.

Der Vertrag zwischen Versicherern und Leistungserbringern soll staat- liche Reglementierung ablösen und zum „Steuerinstrument Nr. 1" wer- den.

Schon im Vorfeld der „Dekker- Reform" haben der Niederländische Krankenkassenverband (VNZ) und der Hausärzteverband (LHV) eine freiwillige Vereinbarung getroffen, die zu einem Freiwerden von Arzt- sitzen für jüngere Ärzte führen kann. Sie haben sich vertraglich auf eine stufenweise Aufhebung der Kassenzulassung für ältere Ärzte ge- einigt. Ab 1989 sollen alle über 69jährigen Ärzte ausscheiden, und in den folgenden Jahren bis 1992 soll die Altersgrenze schrittweise auf 65 Jahre gesenkt werden. Die in den letzten Jahren stärker ausgebaute Altersversorgung für Ärzte (zusätz- lich zur Grundrente, auf die jeder Niederländer Anspruch hat) ermög- licht dies.

Die Hausärzte werden in den Niederlanden nach dem System der Kopfpauschale honoriert. Sie erhal- ten für jeden eingeschriebenen Pa- tienten (unabhängig von der Lei- stungsinanspruchnahme) eine feste Vergütung von gegenwärtig 103 hfl pro Jahr. Überschreitet die Praxis- größe eine bestimmte Anzahl an ein- geschriebenen Patienten (1600), so fällt die Kopfpauschale für jeden zu- sätzlichen Patienten geringer aus (60

hfl). Für die Behandlung von Privat- patienten erhält der Hausarzt eine allerdings sehr wenige Leistungspo- sitionen umfassende Einzelleistungs- vergütung.

Selbstbeteiligung und Abstriche bei der

Einzelleistungsvergütung

Die Fachärzte — in den Nieder- landen als „Spezialisten" (speciali- sten) bezeichnet — sind zu 80 Prozent als Freiberufler gleichzeitig in die stationäre und ambulante Versor- gung eingebunden. Der unmittelba- re Zugang zum Facharzt ist dem Pa- tienten in den Niederlanden ver- wehrt; eine Überweisung durch den Hausarzt ist zwingend vorgeschrie- ben. Der Facharzt erhält für die am- bulante Versorgung seiner Patienten in Polikliniken eine Fallpauschale je überwiesenem Patient und darüber hinaus eine Honorierung nach er- brachten Einzelleistungen. Auch seine stationär erbrachten Leistun- gen werden gesondert vergütet. Mit der sehr umstrittenen Einführung ei- ner Selbstbeteiligung von 25 hfl pro Überweisung zum „Spezialisten"

(maximal 75 hfl•m Jahr) will die nie- derländische Regierung einen unnö- tigen Patientenstrom in die fachärzt- liche Versorgung bremsen.

Um dieses Ziel zu erreichen, will die „Dekker-Reform" auch die bislang noch völlig unterschiedliche Honorierung von Hausärzten und Fachärzten gezielt als Steuerungsin- strument einsetzen. Bei den Haus- ärzten will man durch eine Abkehr vom System der reinen Kopfpau- schale Elemente einer Einzellei- stungsvergütung in die Honorierung einbauen. So sollen gezielte Anreize für den Hausarzt geschaffen werden,

„Gesundheitsreform" in den Niederlanden

Honorierung und Zulassung der Ärzte stehen zur Disposition

A-3236 (34) Dt. Ärztebl. 85, Heft 46, 17. November 1988

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unnötige Überweisungen zum Fach- arzt zu vermeiden. Gleichzeitig soll der Neigung des "Spezialisten" zu einer medizinisch nicht induzierten Leistungsausweitung durch den Ein- bau pauschaler Honorierungsele- mente in die fachärztliche Vergü- tung entgegengewirkt werden. Eine Anzahl "häufig vorkommender fachärztlicher Leistungen'' würden dann nicht mehr gesondert vergütet werden.

,,Spezialisten-Konflikt''

I

Während sich der Streit über die mittelfristigen Ziele der "Dekker- Reform'' weitgehend auf die künfti- ge Gestaltung der Krankenversiche- rung konzentriert, wird die Diskus- sion über die Arzthonorierung ge- genwärtig in starkem Maße vom , ,Spezialisten-Konflikt'' beherrscht.

Die Fachärzte sind vor allem des- halb in die politischen Schußlinie ge- raten, weil in ihrem Bereich in den vergangeneu Jahren nicht die erwar- teten Einsparungen zustande ka- men. Deshalb hat das niederländi- sche Kabinett in der ersten Oktober- woche 1988 beschlossen, die Vergü- tung der Spezialisten deutlich zu ver- ringern.

~ Das "Normeinkommen", das der Berechnung der Tarife zu- grunde liegt und das von einer Ar- beitswoche von 50 Stunden ausgeht, soll von 185 000 Gulden auf 173 000 Gulden jährlich reduziert werden.

Noch härter fühlen sich die , ,Spezia- listen'' von der geplanten V erringe- rung der Erstattung ihrer , ,Praxisko- sten" betroffen, die ebenfalls bei der Tarifberechnung berücksichtigt wird. Hier ist eine stufenweise Re- duzierung von gegenwärtig 107 000 Gulden auf 65 000 Gulden vorge- sehen.

Der Regierungsbeschluß kam zustande, nachdem ein letzter Ver- mittlungsversuch bei den Verhand- lungen zwischen Krankenkassenver- band (VVZ) und dem Fachärztever- band (LSV) gescheitert war. Die , ,Spezialisten'', ebensowenig wie ih- re hausärztlichen Kollegen in öffent- lich-rechtliche Körperschaften ein- gebunden, haben daraufhin Anfang Oktober 1988 "Aktionen" eingelei-

tet. , , Sonntagsdienste'' sollten den Widerstand des "LSV" dokumen- tieren.

Bereits im vergangeneu Jahr hatte sich der Facharztverband nach einem ähnlichen Konflikt mit dem Krankenkassenverband geweigert, Versicherte weiterhin auf der Grundlage des Sachleistungsprinzips zu behandeln. Seitdem stehen in den Polikliniken ebenso wie in den Ge- schäftsräumen der Krankenkassen große Pappkartons, in die die Versi- cherten die Rechnungen werfen, die ihnen der "Spezialist" ausgestellt hat. So wurde in den Niederlanden , ,durch die Hintertür'' das Kosteu- erstattungsprinzip in der fachärzt- lichen Versorgung eingeführt.

Die , ,Sonntagsdienste'' der Spe- zialisten mußten nach wenigen Ta- gen unfreiwillig beendet werden. Es hagelte Proteste. Die Verunsiche- rung unter den Patienten war groß.

Patienten- und Konsumentenver- bände erwirkten ebenso wie die nie- derländische Krankenhausgesell- schaft einstweilige Verfügungen ge- gen den LSV, die "Aktionen" so- fort zu beenden. Das Gericht in Ut- recht wies die "Spezialisten" in die Schranken, weil Konflikte zwischen Regierung und , ,LSV'' nicht auf den Rücken der Patienten ausgetragen werden dürften. In der Bundesrepu- blik Deutschland sind bei den Aus- einandersetzungen um das Gesund- heits-Reformgesetz solche streik- ähnlichen "Aktionen" schon wegen des Kassenarztrechtes undenkbar.

Das sollte man auch einmal jenen neoliberalen Professoren zu beden- ken geben, die in einer funktionie- renden Selbstverwaltung von Kran- kenkassen und Ärzteschaft , ,Markt- hemmnisse" sehen und die Kassen- ärztlichen Vereinigungen am lieb- sten auflösen möchten!

In den Niederlanden könnte der

"Spezialisten-Konflikt" schon jetzt einen Vorgeschmack für noch be- vorstehende Kontroversen um die weiteren strukturellen Reformen im Zuge der "Dekker-Reform" gelie- fert haben.

Anschrift des Verfassers:

Dr. rer. pol. Joachim Müller Secundastraße 76

5303 Bornheim

U

nter der Schlagzeile , ,Holland in Not" erhielten bundesdeut- sche Hörgeräte-Akustiker ein Fachverbands-Info, das über ver- tragspolitische Entwicklungen in den Niederlanden informiert. Was war geschehen? Die Rotterdamer Krankenkasse hatte bei Industrie, Versicherten und Akustikern ernst- haft nachgefragt, ob Hörgeräte tat- sächlich so teuer sein müssen. Ohne

"Ohrpaßstück", Energieversorgung und MwSt kosten die Geräte in Hol- land durchschnittlich 1189 Gulden.

Die Industrie, stellte man fest, gibt die Geräte für 207 Gulden ab. Groß- händler und Importeur realisieren eine Handelsspanne von gut 100 Prozent. Bleiben bis zum Verkaufs- preis weitere 400 Prozent (770 Gul- den).

Das sind allerdings nicht nur Handels-, sondern auch Dienstlei- stungsspannen. Mit 15 bis 20 Stun- den geben die Akustiker die erfor-·

"Holland

in Not"

derliehe Anpassungszeit an. Anders wäre auch kaum zu erklären gewe- sen, warum je Arbeitstag und Be- trieb nur ein Gerät (Bundesrepublik · Deutschland

=

0,7) abgegeben wer- den kann.

In einer Umfrage der Rotterda- mer Krankenkasse wußten die Ver- sicherten, die bisher 10 Prozent Ei- genanteil zu tragen haben, allerdings nur von einer Anpassungszeit von durchschnittlich gerade drei Stunden zu berichten. Dabei wurden audio- metrische Untersuchungen der HNO-Ärzte von den Akustikern

"wiederholt".

Im weiterhin erfolgreichen · Nachfrage-Management der Kasse wurde offensichtlich, daß Hersteller und Importeure Rabatte in Höhe von 70 bis 80 Prozent an die Akusti- ker geben. Gute Chancen zur Markteinführung hatten im nieder- ländischen Kartell der FIDA nur möglichst teure Geräte.

Die Krankenkasse entschloß sich daraufhin zu einer "Wende" in

Dt. Ärztebl. 85, Heft 46, 17. November 1988 (37) A-3237

Referenzen

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