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Archiv "Gesundheitsreform in den Niederlanden: Ein Jahr nach dem „großen Knall“" (09.02.2007)

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A314 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 6⏐⏐9. Februar 2007

P O L I T I K

D

ie Gesundheitsversorgung wird niemals wie ein normaler Markt funktionieren. Aber wir haben ihn so normal wie möglich gestal- tet.“ So fasst Gelle Klein Ikkink das ehrgeizige Ziel der niederländischen Gesundheitsreformer zusammen.

Der Mitarbeiter im Gesundheitsmi- nisterium war einer der Architekten des neuen Versicherungssystems, das am 1. Januar vergangenen Jahres in Kraft trat – „mit einem großen Knall“, wie er sagt. Das Modell selbst, aber auch der Mut und die Konsequenz, mit der die Niederlän-

der das Projekt anpackten, gilt inter- national vielen als Vorbild.

Mit der Einführung einer allge- meinen Versicherungspflicht und ei- nem einheitlichen Krankenversiche- rungssystem vollzog die damalige christdemokratisch/liberale Regie- rungskoalition unter Ministerpräsi- dent Jan Peter Balkenende den Bruch mit dem alten System. Zuvor waren rund 60 Prozent der Nieder- länder gesetzlich krankenversichert, 40 Prozent verfügten über eine pri- vate Krankenversicherung (Grafik 2).

Daneben gab es Sonderregelungen für Beamte. Dieser Zersplitterung

setzte die Regierung am 1. Januar 2006 ein Ende. Seither ist jeder der 16 Millionen Niederländer ver- pflichtet, mit einem Krankenversi- cherungsunternehmen seiner Wahl einen Versicherungsvertrag zu schließen. Um Risikoselektion zu vermeiden, herrscht für die pri- vatrechtlich organisierten Versiche- rer Kontrahierungszwang, das heißt, sie müssen jeden Versicherten als Vertragspartner akzeptieren. Außer- dem dürfen sie für identische Leis- tungspakete keine unterschiedli- chen Prämien erheben. „Ansons-

ten“, sagt Ikkink, „haben wir ver- sucht, allen Beteiligten mehr Frei- raum, aber auch mehr Verantwor- tung zu geben.“

So haben die Versicherten das Recht, jährlich ihre Versicherung zu wechseln. Die Versicherer ihrerseits können verschiedene Versiche- rungspakete anbieten – ein umfas- sender Grundleistungskatalog ist al- lerdings gesetzlich vorgegeben –, bei denen die Versicherten bei- spielsweise zwischen Sachleistung und Kostenerstattung oder be- stimmten Selbstbehalten wählen können. Außerdem können die Ver-

sicherer besondere Gruppentarife anbieten. Um Wettbewerbsverzer- rungen und Risikoselektion vorzu- beugen, erhalten die Versicherer morbiditätsorientiert Ausgleichs- zahlungen aus dem Krankenversi- cherungsfonds (Grafik 1).

Ziel der Reform war aber auch, mehr Wettbewerb unter den Leis- tungserbringern zu schaffen. Seit dem 1. Januar 2006 ist es den Versi- cherungsunternehmen deshalb er- laubt, Einzelverträge mit Kranken- häusern und Ärzten zu schließen.

„Unser Hauptproblem war, dass es vor der Reform wenig Anreize für die Erbringer medizinischer Leistun- gen gab, gut und wirtschaftlich zu ar- beiten“, erklärt Ikking. Deshalb habe man sich für ein System entschieden, in dem der Wettbewerb ein entschei- dendes Element darstellt, das aber dennoch sozial abgefedert ist.

Auch das Beitragssystem wurde verändert, um, wie Ikking betont,

„bei den Versicherten ein Bewusst- sein für Kosten und Qualität zu schaf- fen“. Der Beitrag zur Krankenversi- cherung speist sich jetzt je zur Hälfte aus einem einkommensabhängigen Beitrag von derzeit 6,5 Prozent und einer nominalen Prämie für jeden Versicherten ab dem 18. Lebensjahr, die je nach Versicherung unter- schiedlich ist. Den einkommensab- hängigen Beitrag erstattet der Arbeit- geber, er muss allerdings versteuert werden. Versicherte ohne Arbeitge- ber zahlen 4,4 Prozent von ihrem Ein- kommen. Die Höhe der durchschnitt- lichen Kopfpauschale betrug im ver- gangenen Jahr 1 030 Euro, 2007 wird sie voraussichtlich bei 1 120 Euro jährlich liegen, wie das Büro für wirtschaftspolitische Analysen (Centraal Plan Bureau, cpb) in Den Haag schätzt. Der Grund für die rela- tiv üppige Steigerung von mehr als acht Prozent sei der durchaus ge- GESUNDHEITSREFORM IN DEN NIEDERLANDEN

Ein Jahr nach dem „großen Knall“

Das Krankenversicherungsgesetz von Januar 2006 beseitigte in den Niederlanden den Unter- schied zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Ob sich in dem privatisierten System der erhoffte Wettbewerb einstellt, ist derzeit noch nicht absehbar.

GRAFIK 1 Geldfluss

Einkommens- abhängiger Beitrag Staatlicher

Zuschuss

Rechnungen

Kopfprämie Risikoaus- gleichs- zahlungen

Regierung Kranken-

versicherungs- fonds

Versicherte

Versicherer Leistungs-

erbringer

Grafiken:Niederländisches Gesundheitsministerium

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A316 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 6⏐⏐9. Februar 2007

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wünschte, aber heftige Wettbwerb der Krankenversicherer um Kunden.

Das cpb vermutet, dass die Versiche- rer aus Marketinggründen ihre Prä- mien nicht kostendeckend kalkuliert haben und derzeit ihre Reserven an- greifen. Das können sie allerdings nicht beliebig lange durchhalten, denn eine Reserve von acht Prozent der Beitragssumme ist gesetzlich vorgeschrieben. Dem cpb zufolge dürften sich die Verluste derzeit auf bis zu eine Milliarde Euro belaufen.

Mittelfristig bedeutet das, dass die Prämien weiter steigen. Steuerzu-

schüsse stellen sicher, dass auch so- zial Schwache ihre Prämien bezahlen können. Aus Steuermitteln flossen im vergangenen Jahr 2,5 Milliarden Euro ins Gesundheitswesen.

Dass die Gesundheitsausgaben insgesamt steigen werden, liegt für cpb-Mitarbeiter Rudy Douven auf der Hand. „Die Frage muss lauten:

Bekommen wir einen entsprechen- den Gegenwert für unser Geld“, sagt der Ökonom. „Das Ziel ist es, mehr Effizienz ins System zu bringen, und das ist nicht gleichbedeutend mit weniger Ausgaben.“

Der heftige Wettbewerb zwi- schen den Krankenversicherern hat seit Beginn der Reform zu einer Konsolidierung des Marktes ge- führt. Inzwischen versichern sechs große Unternehmen 90 Prozent der Versicherten. Dabei hat deren Wechselwilligkeit spürbar nachge- lassen. Zu Beginn des Jahres 2006 hatten fast 20 Prozent der Nieder- länder ihre Krankenversicherung gewechselt. Anfang 2007 waren es nur noch vier Prozent. Noch gar nicht in Gang gekommen ist der er- hoffte Wettbewerb der Versicherer um die besten Verträge mit einzel- nen Leistungserbringern. „Da ver- sprechen wir uns mehr für die Zu- kunft“, betont Douven.

„Unsere Kultur hat sich ein Jahr nach der Reform noch nicht drama- tisch verändert“, räumt Atie Schi- paanboord ein. „Ziel war es, ein patienten- und nachfrageorientiertes System zu schaffen. Das ist alles in allem gut gelungen“, betont die Vize- präsidentin des Niederländischen Patienten- und Verbraucherverban- des. Ein großer Teil der Bevölkerung fühle sich aber in erster Linie be- lastet. Dabei haben Ministeriumsver- treter Ikkink zufolge 85 Prozent der Niederländer positive Einkommens- effekte erzielt. „Die Leute sehen ihre Kopfpauschale, die von 400 Euro vor der Reform auf über 1 000 Euro nach der Reform gestiegen ist, und sind unzufrieden. Sie haben das Gefühl, alles ist teurer geworden“, räumt Ik- kink ein. Dabei sei die Gesundheits- reform Teil eines Pakets, das Steuer- ermäßigungen ebenso umfasst wie Erhöhungen bei Renten und Kinder- geld, um die Versicherten nicht zu- sätzlich zu belasten.

In welchem Tempo die Reform weiter umgesetzt wird, hängt nun von der neuen Regierung aus Christdemo- kraten, Christlich-Sozialen und Sozi- aldemokraten ab, die wahscheinlich noch im Februar gebildet wird. Weit- gehend unverändert blieb bislang die Pflegeversicherung (AWBZ), die be- sondere Risiken wie die Versorgung Behinderter, Langzeitpflege oder psy- chiatrische Erkrankungen abdeckt.

Auf sie entfällt die Hälfte der jährlich rund 48 Milliarden Euro an Gesund-

heitsausgaben. I

Heike Korzilius GRAFIK 2

System der Krankenversicherung vor 2006

3. Zweig

Versorgungsausgaben 2005:

48 Milliarden Euro

(AWBZ)

Pflege- versicherung

(langfristige Pflege und Versorgung)

Gesetzliche Kranken- versicherung

Private Kranken- versicherung

Kranken- versicherung

für Beamte

Private Zusatz- versicherung

1. Zweig 2. Zweig

GRAFIK 3

Gesundheitssystem nach 2006

3. Zweig

(AWBZ)

Pflege- versicherung

(langfristige Pflege und Versorgung)

Private Zusatz- versicherung

1. Zweig 2. Zweig

Gesetzliche Kranken- versicherung

Private Kranken- versicherung

Kranken- versicherung

für Beamte

Gesetz zur Kranken- versiche-

rung

Soziale Sicherung

Wettbewerbs- elemente

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