Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 5010. Dezember 2004 AA3373
S E I T E E I N S
Arbeitgeberbeiträge
Sparpotenzial gering
Krankenkassen
Richtige Prioritäten
E
ine internationale Vergleichsstudie von zwei renommierten Sozial- forschungsinstituten über die gesund- heitssystembedingten Kosten der Arbeitgeber hat jetzt eine These un- termauert, die von der Ärzteschaft wiederholt in die Reformdebatte ein- gebracht worden war: Die „Lasten“im Zusammenhang mit der Gesund- heitssicherung und den Krankheits- folgekosten haben im Verhältnis zum Produktionswert der Wirtschaft nur einen relativ geringen Anteil. Die Arbeitgeberanteile zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stellen demnach kein großes Potenzial zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland dar.
Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, Berlin, und die Be- ratungsgesellschaft für angewandte
Systemforschung, Augsburg, waren im Auftrag der Techniker Kranken- kasse tätig. Eine Folgerung aus ihrer Studie: Die Belastungsdiskussion nur auf die Beiträge der Arbeitgeber zur Krankenversicherung zu beschrän- ken wäre falsch. Eine solche Diskus- sion schüre die Illusion, allein die Festschreibung des GKV-Arbeit- geberanteils würde zur Stärkung der deutschen Wirtschaft beitragen.
Die Gutachter empfehlen, bei der Reformdiskussion sich nicht ein- seitig auf eine erneute Lohnneben- kostendiskussion einzulassen. Viel- mehr müssten geplante Einschnitte beim Leistungsumfang der Kran- kenkassen als potenziell negative Effekte für die gesundheitliche und soziale Situation der Versicherten abgewogen werden mit den mögli-
chen Vorteilen für die Wettbewerbs- fähigkeit der Unternehmen. Von den 283,3 Milliarden Euro, die in Deutschland im Jahr 2000 für ge- sundheitliche Sicherung ausgegeben wurden, kamen deutlich weniger als die Hälfte von den Arbeitgebern.
Sie wandten 116,8 Milliarden Euro auf – genau 41,2 Prozent.
Bei den Arbeitgeberlasten je Be- schäftigten rangiert Deutschland im unteren Mittelfeld. Mit durchschnitt- lich 3 012 Euro (Basis: Jahr 2000) Arbeitskosten je Beschäftigten liegt Deutschland unter den vergleichba- ren Kosten in Frankreich, in den Nie- derlanden und den in den USA. Le- diglich in Großbritannien (Staatsge- sundheitsdienst) werden die Arbeit- geber mit 1 836 Euro je Beschäftigten geringer belastet. Dr. rer. pol. Harald Clade
D
er Überschuss der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist im dritten Quartal 2004 nur noch geringfügig gestiegen. Nachdem die Krankenkassen für die ersten sechs Monate ein Plus von 2,4 Milliarden Euro ausgewiesen hatten, erhöhte sich dieser Betrag bis Ende Septem- ber lediglich auf 2,6 Milliarden Euro.Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt geht dennoch davon aus, dass die Kassen bis Ende 2004 vier Milliarden Euro mehr einnehmen als ausgeben. Der Grund für ihren Optimismus: Ende des Jahres wer- den die Weihnachtsgeldzahlungen bei der Berechnung der Sozialver- sicherungsbeiträge berücksichtigt.
„Auch wenn diese Einmalzahlungen nicht mehr die Bedeutung haben wie noch vor einigen Jahren, werden sie die Beitragseinnahmen im Vergleich zum Durchschnitt der ersten drei
Quartale immer noch deutlich er- höhen“, sagte Schmidt.
Die Kassen haben die Überschüsse bislang vor allem dazu verwendet,ihre Schulden abzubauen: von sechs Milli- arden Euro zu Beginn des Jahres auf 3,3 Milliarden Euro Ende September.
Der durchschnittliche Beitragssatz in der GKV sank hingegen im gleichen Zeitraum nur moderat von 14,3 auf 14,2 Prozent – und somit deutlich we- niger, als Schmidt versprochen hatte.
„Entgegen der erklärten Absicht des Gesetzgebers wird häufig einer schnelleren Schuldentilgung Vorrang vor Beitragssatzsenkungen einge- räumt“, kritisierte die Ministerin. An- gesichts der positiven Finanzentwick- lung seien weitere Beitragssatzsen- kungen „notwendig“ und „möglich“.
Die Kassen tun gut daran, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten.
Denn es ist nicht einzusehen, warum
Kassenbeiträge für Zinszahlungen an die Banken ver(sch)wendet wer- den sollen – nur, damit sich die Bun- desregierung sinkender Beitragssät- ze rühmen kann. Darüber hinaus ist nicht gesichert, dass sich die positive Finanzentwicklung im nächsten Jahr fortsetzt. Da die Einkommen der Versicherten nach jüngsten Kon- junkturprognosen allenfalls gering- fügig zulegen, stagnieren wohl auch die Kasseneinnahmen. Und der BKK Bundesverband warnt vor steigenden Arzneimittelausgaben;
vor allem weil der Herstellerab- schlag für verschreibungspflichtige Arzneimittel (für 2004 auf 16 Pro- zent angehoben) wieder auf sechs Prozent sinkt. Darüber hinaus endet dieses Jahr ein zweijähriges Still- halteabkommen der Hersteller bei den Preisen, was sich kostentreibend auswirken könnte. Jens Flintrop