Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 33–34|
17. August 2012 A 1671H
at wirklich jemand erwartet, angesichts der gu- ten finanziellen Situation der Kassen würden die bundesweiten Verhandlungen ums budgetierte Honorar 2013 für die Vertragsärzte und -psychotherapeuten ru- hig verlaufen? Falls ja, dann wurde er gerade eines Bes- seren belehrt. Um rund fünf Milliarden Euro liegen der- zeit die Vorstellungen der Kassenärztlichen Bundesver- einigung (KBV) und des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen auseinander. Dabei geht es im Kern um Mengen- und Preisanpassungen.Der KBV-Vorstandsvorsitzende, Dr. med. Andreas Köhler, fordert insgesamt eine Erhöhung um circa 3,5 Milliarden Euro, um Inflation, steigende Praxiskos- ten sowie die Behandlung älterer und kränkerer Men- schen auszugleichen. Der Spitzenverband der Kranken- kassen will – bei den Preisen – mehr als zwei Milliarden Euro einsparen. Sein stellvertretender Vorstandsvorsit- zender, Johann-Magnus von Stackelberg, verweist zur Begründung auf ein Gutachten von Prognos: Danach sind zwar alle Praxiskosten seit 2007 gestiegen, am stärksten die Personalkosten mit mehr als sieben Prozent.
Doch weil die Summe der erbrachten Leistungen und de- ren Gesamtvergütung zuletzt sehr viel stärker gewachsen sei als die Kosten, könne man weniger Honorar zahlen.
KBV und Kassen verhandeln noch bis 30. August im Bewertungsausschuss. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er am Ende in erweiterter Besetzung tagen. Der Unparteiische Vorsitzende, Prof. Dr. Jürgen Wasem, muss dann entscheiden, welche Daten überzeugen. Da- bei hat Wasem Größen zu beachten, die das Gesetz vorgibt: Um den Orientierungswert (Basis der Preis- komponente) anzupassen, sind Investitions- und Be- triebskosten von Praxen zu berücksichtigen sowie Wirt - schaft lichkeitsreserven oder Kostenrückgänge durch Fallzahlsteigerungen. Für – wahrscheinliche – Hono- rarsteigerungen aufgrund von Mengenänderungen, wie der Behandlung von mehr älteren und kränkeren Men- schen, gelten andere Vorgaben.
Viele Ärztinnen und Ärzte fahren schon aus der Haut, wenn sie nur diese Aufzählung für die Preisan-
passung hören. Sie argumentieren, dass aufgrund der schlechten Bezahlung vieler Leistungen in der ambu- lanten Versorgung allenfalls Honorarsteigerungen ak- zeptabel sind, nicht aber Kürzungen. Und sie erwarten Verständnis dafür, dass man die Versorgung von Patien- ten nicht optimieren kann wie eine Handcremeproduk- tion und Geräte sich in Praxen nicht amortisieren wie bei einem Maschinenbauer.
Eines ist offensichtlich: Eine Diskussion um die an- gemessene Bezahlung der einzelnen ambulanten Leis- tung, wie sie viele Ärzte fordern, wollen die Kassen ge- rade nicht forcieren. Genauso wenig wie eine Debatte darüber, ob die ursprüngliche Kalkulation des jüngsten Einheitlichen Bewertungsmaßstabs betriebswirtschaft- lich in Ordnung war. Sie konzentrieren sich auf gestie- gene Einkommen der Ärzte und eine „Das-muss-jetzt- aber-reichen“-Debatte. Dazu passt, dass sie die Psycho- logischen Psychotherapeuten im Gutachten auslassen.
Deren Einkommen eignet sich extrem schlecht für Neidkampagnen.
Trotz Prognos-Gutachten: Gesetzlich vorgegebene Einflussgrößen für die Honorarentwicklung sind auf Dauer vorteilhafter für die Ärzte als beliebige politi- sche Einzelfallentscheidungen. Das gilt auch mit Blick auf den Nachwuchs. Diesen Aspekt sollten die Ärzte bei allem Ärger über die Kassen nicht außer Acht lassen.
AMBULANTE VERGÜTUNG
Ein 5-Milliarden-Euro-Streit
Sabine Rieser
Sabine Rieser Leiterin der Berliner Redaktion