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Archiv "Ambulante spezialärztliche Versorgung: Streit um den dritten Sektor" (18.07.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 28–29

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18. Juli 2011 A 1555 AMBULANTE SPEZIALÄRZTLICHE VERSORGUNG

Streit um den dritten Sektor

Mit dem geplanten dritten Sektor für hochspezialisierte Leistungen greift der

Gesetzgeber eine langjährige Forderung von Vertragsärzten wie Krankenhäusern auf.

Mit der konkreten Ausgestaltung ist jedoch niemand zufrieden.

D

ie Überwindung der Sekto- rengrenzen ist seit vielen Jahren ein Postulat von beiden Sei- ten des Grenzverlaufs. Die ambu- lante Behandlung im Krankenhaus nach § 116 b SGB V war ein erster Schritt in diese Richtung. Nun will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Schranken weiter anhe- ben: Mit der ambulanten spezial- ärztlichen Versorgung (ASV) will Minister Daniel Bahr einen dritten Sektor schaffen, in dem sowohl Niedergelassene als auch Kranken- hausärzte tätig werden können.

Mitmachen darf jeder, der ausrei- chend qualifiziert ist.

Der Referentenentwurf des Ver- sorgungsstrukturgesetzes (GKV- VSG) rührt an viele sensible Berei- che des Gesundheitswesens. Doch nirgends waren die Reaktionen so heftig wie bei der ASV. Zwar wurde einhellig die bessere Verzahnung zwischen ambulantem und statio- närem Sektor im Grundsatz be- grüßt. Doch sehen alle Beteiligten im Detail dringenden Nachbesse- rungsbedarf, da sie Wettbewerbs- nachteile gegenüber der Konkur- renz befürchten.

Wettbewerbsverzerrungen gäbe es der Kassenärztlichen Bundesver- einigung (KBV) zufolge zum Bei- spiel zu befürchten, wenn die Ge- samtvergütung des Kollektivver- trags zugunsten der ASV bereinigt würde. „Es kann nicht sein, dass die Gesamtvergütung auch für diejeni- gen Ärzte sinkt, die gar keine spezi- alärztlichen Leistungen erbringen werden“, kritisiert der Vorstandsvor- sitzende der KBV, Dr. med. Andreas Köhler. „Die DRG-Erlösbudgets der Krankenhäuser werden dagegen nicht bereinigt. Das sind keine fai- ren Wettbewerbsbedingungen.“

Auch viele Kassenärztliche Ver- einigungen (KVen) sprechen sich

vehement gegen die ASV aus. Bei der derzeit vorgesehenen Zugangs- voraussetzung nach dem Prinzip

„jeder darf, der kann“ sei zu erwar- ten, dass die niedergelassenen Fachärzte durch finanzstarke Kran- kenhäuser verdrängt würden, be- fürchtete der stellvertretende Vor- standsvorsitzende der KV Bayerns (KVB), Dr. med. Pedro Schmelz, bei der Vertreterversammlung am 6.

Juli. Die ASV werde dann zu einem

„Facharztvernichtungsprogramm“.

„Dem Wettbewerbsgedanken grundsätzlich fremd“

Wettbewerbsverzerrungen in ei- nem anderen Bereich sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Sie kritisiert, dass Kran- kenhäuser nur dann Zulassungen zur ambulanten Behandlung von Krebspatienten erhalten sollen, wenn sie Kooperationsvereinba- rungen mit niedergelassenen Ärz- ten vorweisen, die diese Behand-

lung ebenfalls durchführen. „Dass Wettbewerber sich gegenseitig zu- lassen sollen, ist dem Wettbe- werbsgedanken grundsätzlich fremd“, sagte DKG-Präsident Dr.

Rudolf Kösters. Wenn Bemühun- gen von Krankenhäusern um Ko- operationen ohne Resonanz blie- ben, dürfe daran die Zulassung nicht scheitern.

Im Gesetzentwurf wird der Ge- meinsame Bundesausschuss (G-BA) dazu verpflichtet, Regelungen zu Kooperationsvereinbarungen für den onkologischen Bereich zu tref- fen. Für Erkrankungen mit beson- deren Krankheitsverläufen ist es dem G-BA freigestellt, solche Ver- einbarungen vorzugeben.

Die KBV hatte daraufhin vorge- schlagen, dass Krankenhäuser spe- zialärztliche Leistungen nur mit Überweisung durch einen Vertrags- arzt und nur bei bestehenden Ko- operationsverträgen mit Niederge- lassenen erbringen dürfen. Dies sei

Bestimmte ambu- lant durchführbare Opera tionen sind als Bestandteil des geplanten dritten Sektors vorgesehen.

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A 1556 Deutsches Ärzteblatt

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18. Juli 2011 notwendig, um Chancengleichheit

zu schaffen.

Der Marburger Bund (MB) ist anderer Ansicht: „Neue Versor- gungsformen müssen den spezifi- schen Bedürfnissen der Patienten entsprechen und nicht dem Inter - esse nach exklusiver Versorgungs- steuerung durch die Kassenärzt - liche Bundesvereinigung“, hatte der 1. Vorsitzende des MB, Rudolf Henke, erklärt.

Fehlanreize zulasten der wohnortnahen Versorgung

Grundsätzlich begrüßt der MB die vom G-BA zu erarbeitenden Rege- lungen über Kooperationsverein- barungen. „Darin sehen wir eine wesentliche Chance, die bisheri- gen Konflikte um den § 116 b zu entschärfen“, heißt es in einer Stel- lungnahme zum GKV-VSG. Um ärztlichen und ausdrücklich auch krankenhausärztlichen Sachver- stand einzubeziehen, fordert der MB jedoch, dass die Ärztekam- mern als neutrales Bindeglied zwi- schen den einzelnen Versorgungs- ebenen in die entsprechenden Ent- scheidungsprozesse stärker als bis- her regelhaft einbezogen werden.

Um der Expertise der Ärzteschaft mehr Gehör zu verschaffen, hatte zuletzt auch der 114. Deutsche Ärztetag eine stimmberechtigte Teilnahme der Bundesärztekam- mer (BÄK) im G-BA-Plenum ge- fordert.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die an der ambulanten spezi- alärztlichen Versorgung teilneh- menden Ärzte ihre Leistungen di-

rekt mit den Krankenkassen ab- rechnen. Die BÄK befürchtet in der Folge eine Konzentration auf wirtschaftlich attraktive Diagno- sen und Fallpauschalen. „Medizi- nisch nicht notwendige, durch Wettbewerbs- beziehungsweise ökonomische Fehlanreize bedingte Mengenausweitungen bei den am- bulanten spezialärztlichen Leistun- gen werden sich zulasten der wohnortnahen fachärztlichen Ver- sorgung auswirken, da eine Ge- samtdeckelung der Ausgaben für die vertragsärztliche Versorgung bleibt“, heißt es in der Stellung- nahme zum GKV-VSG.

Zulasten der niedergelassenen Fachärzte könne auch ein Wettbe- werbswildwuchs zwischen Kran- kenhäusern und hochspezialisier- ten niedergelassenen Fachärzten infolge des offenen Zugangs zur ASV gehen. Darüber hinaus be- gründe er das Risiko einer Kon- zentration des spezialärztlichen Leistungsangebots in wirtschaft- lich attraktiven Ballungsgebieten.

„Dem kann nur durch die Formu- lierung stringenter Qualitätssiche- rungsmaßnahmen begegnet wer- den“, schreibt die BÄK. Diese Aufgabe sei jedoch ohne Beteili- gung der Ärztekammern, also ei- ner Beteiligung der Bundesärzte- kammer im Gemeinsamen Bun- desausschuss, nicht leistbar.

Auch die KBV sieht die Quali- tätssicherung in dem neuen Sektor nicht gewährleistet. „Es ist völlig unklar, ob die bereits in der ambu- lanten Versorgung vorhandenen Qua litätssicherungsmaßnahmen auch

für den stationären Bereich gel- ten“, sagte Köhler.

Infolge der neuen Regelungen zur ASV befürchtet der Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Münster, dass funktionierende Ko- operationen zwischen dem stationä- ren und dem ambulanten Sektor Schaden nehmen könnten: „Wenn auf der einen oder auf der anderen Seite das Gefühl entsteht, dass ei- nem jemand etwas wegnehmen will, dann wird das Klima erfah- rungsgemäß rauher“, mahnte Prof.

Dr. med. Norbert Roeder am 1. Juli bei einer Fachtagung des Bundes- verbands Managed Care in Müns- ter. Deshalb sei es so wichtig, dass die Zugangsbedingungen für beide Sektoren gleich seien. Den Ein- wand von Dr. med. Jörg Rüggeberg, Vizepräsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen, dass die Krankenhäuser im Vorteil seien, weil die Bundesländer ihre Investi- tionskosten finanzierten, wollte er aber nur bedingt akzeptieren:

„Wenn ein Krankenhaus praxisähn- liche Strukturen aufbaut, muss es das in der Regel selbst bezahlen.“

Auch die DKG lehnt den Inves- titionskostenabschlag von fünf Prozent für öffentlich geförderte Krankenhäuser ab, wie er im Ge- Die ambulante spezialärztliche Versorgung soll

die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten umfassen.

Dazu zählen neben Erkrankungen mit besonde- ren Krankheitsverläufen wie Krebs, Aids, schweres Rheuma, schwere Herzinsuffizienz oder multiple Sklerose auch seltene Erkran - kungen wie Tuberkulose, Mukoviszidose oder Hämophilie. Auch ambulant durchführbare Ope- rationen und stationsersetzende Eingriffe nach

§ 115 b SGB V und hochspezialisierte Leistun-

gen wie die Brachytherapie können in dem neuen Sektor behandelt werden. Um als Arzt oder Krankenhaus zugelassen zu werden, sind je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und be- sondere Ausstattung erforderlich. Insbesondere bei seltenen Erkrankungen müssen laut Gesetz- geber nicht alle Anforderungen erfüllt werden, da bereits eine besondere ärztliche Behand- lungskompetenz die Zugehörigkeit zur ambu- lanten spezialärztlichen Versorgung begründe.

WAS UMFASST DIE ASV?

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18. Juli 2011 A 1557 setzentwurf vorgesehen ist. Zu

Recht weise der Gesetzgeber in den Begründungen zum GKV- VSG explizit darauf hin, dass am- bulante Behandlungskapazitäten der Krankenhäuser nicht förderfä- hig seien und von den Ländern auch nicht gefördert würden. „Der unterstellte Wettbewerbsvorteil der Krankenhäuser existiert in der Pra- xis nicht“, heißt es in einer Stel- lungnahme der DKG.

Bestandsschutz für die niedergelassenen Ärzte

Kritik von den Kassenärztlichen Vereinigungen gibt es auch, weil sie sowohl bei der Vergütung als auch beim Nachweis der Qualifi- kation nicht beteiligt werden sol- len. So beklagte KVB-Vorstand Schmelz, dass den KVen die Rege- lungsbefugnisse für den Bereich der ASV vollständig aus der Hand genommen würden. Der Referen- tenentwurf sehe vor, dass die ASV- Zulassung nicht durch den Zulas- sungsausschuss oder die KV, son- dern nach behördlicher Überprü- fung der Qualifikation gemäß den Vorgaben des G-BA erfolgen solle.

Deshalb forderte Schmelz die Ein- führung einer Bedarfsprüfung für die ASV, „zumindest aber einen

wirksamen Bestandsschutz für die niedergelassenen Ärzte“. Dass die Abrechnung der neuen Leistungs- bereiche sowie die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und der Qualität künftig direkt durch die Kranken- kasse erfolgen soll, klingt für Schmelz zudem wenig vertrauen- erweckend; denn „die Kassen wer- den die Grenzen der Prüfmöglich- keiten sicher mehr als ,ausloten‘“.

Auch die KBV kritisierte in ei- ner Stellungnahme, dass „offenbar systematisch die Zulassungsmoda- litäten sowie das Leistungs-, Quali- tätssicherungs- und Abrechnungs- geschehen dem Einflussbereich der KVen entzogen werden“ sollen.

Die Gesamtkritik der KBV an der ASV scheint auf den ersten Blick überraschend. Denn Köhler wirbt seit Jahren für einen neuen Bereich der spezialisierten fach- ärztlichen Versorgung. Für be- stimmte Leistungen, beispielswei- se Herzkatheteruntersuchungen oder ambulante Operationen, habe sich vieles in den ambulanten Be- reich verlagert, betonte er unter an- derem im Sommer 2009 im Inter- view mit dem Deutschen Ärzte- blatt (Heft 30/2009). Dafür müsse man nun einen Leistungskatalog definieren. „Das gibt uns die Mög- lichkeit, spezifische Betreuungs- leistungen für Fachärzte zu veran- kern. Und über diese Differenzie- rung schaffen wir eine klarere Ord- nung der Leistungserbringung.“

Ein Jahr zuvor, als die KBV noch ein Fünf-Ebenen-Versor- gungsmodell propagierte (DÄ, Heft 14/2008), hatte Köhler darauf hingewiesen, dass eine Reform auch nottue, weil Ärzte als Folge der Optionen im Vertragsarzt- rechtsänderungsgesetz bald ambu- lant wie stationär tätig sein wür- den. Für sie müsse es eine Versor- gungsebene geben, mit der die alte Trennung ambulant-stationär über- wunden werde.

Die KBV stört sich also nicht am neuen Versorgungsbereich, sondern an dem, was bisher an Re- gelungsgrundlagen vorgesehen ist.

Die Zustimmung, so heißt es in ih- rer Stellungnahme, hänge von fol- genden Gestaltungselementen ab:

einer Einzelleistungshonorierung

ohne Mengensteuerung, dem Ver- zicht auf eine Bereinigung der ver- tragsärztlichen Vergütung, präzisen Überweisungsregelungen sowie der Übernahme ambulanter Qualitäts- anforderungen für den stationären Bereich.

„Unkalkulierbare finanzielle Risiken“

Gegenwind erhält das BMG nicht nur von den Ärzten, sondern auch vom den Kollegen aus dem Fi- nanzministerium. In einem Ver- merk an das BMG lehnte es die ASV ab, weil die finanziellen Aus- wirkungen laut Gesetzentwurf nicht quantifiziert werden könnten und „offenbar unkalkulierbare fi- nanzielle Risiken für die GKV ent- stehen“ würden. „Die Notwendig- keit eines eigenständigen Abrech- nungssystems erschließt sich nicht, da die in Rede stehenden Leistun- gen bereits derzeit grundsätzlich im Katalog enthalten sind und über den EBM für vertragsärztliche Leistungen abgerechnet werden können“, heißt es in dem Vermerk.

Die Aufhebung von Mengenbe- grenzungen für die abrechnungsfä- higen Leistungen berge zudem die Gefahr, dass es zu einer massiven Ausweitung der Leistungen kom- me. Dafür spreche insbesondere auch die Erfahrung mit den extra- budgetären Leistungen.

Diese Gefahr sehen auch die Kassen. „Um zusätzliche Kosten für die gesetzliche Krankenversi- cherung zu vermeiden, muss eine Steuerung sowohl der Angebotska- pazitäten als auch der erbrachten Leistungen erfolgen“, fordert der Vorstandsvorsitzende des Ver- bands der Ersatzkassen, Thomas Ballast. Die jetzige Ausgestaltung des Referentenentwurfes sehe die- se Mengensteuerung jedoch nicht vor. „Dies birgt die Gefahr, dass es zu einer weitgehend unregulierten Erbringung von Leistungen kommt und somit ein unkalkulierbares Fi- nanzrisiko für die GKV entsteht“, so Ballast. Auch der AOK-Bundes- verband forderte, dass die ASV in die Bedarfsplanung miteinbezogen

werden müsse. ■

Jens Flintrop, Thomas Gerst, Falk Osterloh, Sabine Rieser

Fotos:Picture Alliance

Chemotherapie in einer Praxis für Onkologie soll künftig auch im Rahmen der ambu- lanten spezialärzt - lichen Versorgung angeboten werden können.

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