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Archiv "Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (3): „Wirf mich nicht weg!“" (14.11.1984)

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Eberhard Ruhenstroth

„Wirf mich nicht weg!"

Gedanken zum Sinn

medizinischer Entwicklungshilfe nach vier Jahren in Peru

A

ma wikch'awaykichu!" — Wirf mich nicht einfach weg! —wie- derholten sie mir fast alle. Die sonst fast nie eine Gemütsbewe- gung zeigenden Qechwa-lndianer klopften in diesen letzten Tagen vor meiner Abreise immer wieder an die Haustüre, um uns Lebewohl zu sagen; sie kamen in das ge- tünchte Lehmziegelhäuschen, das ich mit meiner Familie in dem 1000-Einwohner-Städtchen 011a- chea bewohnte, und brachten Maiskolben, Eier, Bananen als Ab- schiedsgeschenk.

Sie umarmten mich, küßten mich mit ihren vom Coca-Kauen schwarz-grünen Mündern in zer- furchten Gesichtern, oft Tränen in den Augen; unter ihnen so manche ehemalige Patienten, aber auch et- liche, die nie ins Gesundheitszen- trum gekommen waren.

Mir wurde der Abschied nicht min- der schwer; der Abschied von fast vier Jahren vielfältigster Erlebnis- se, Begegnungen und Tätigkeiten im Rahmen eines Arbeitsvertrags, der von der Katholischen „Arbeits- gemeinschaft für Entwicklungshil- fe" (AGEH, Köln) vermittelt war:

vom preisgünstigsten Penicillin- Kauf über die eigene Herstellung von Infusionslösungen bis zur Tu- berkulosebekämpfung; vom Aus- bilden freiwilliger Gesundheitshel- fer übers Landrover-Reparieren

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BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (3)

Reichtümer sind allerdings nicht zu

erwarten.. .

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bis zur Ileus-Operation; vom Pfer- debeschlagen über die Leishma- nien-Diagnose bis zur Werbung für den Latrinenbau; und von 3000 zu Fuß zurückgelegten Kilometern auf Gebirgspfaden, die mich in die abgelegensten Siedlungen führ- ten, übers Zähneziehen bis zur

„Diplomatie" in den jeweilszustän- digen Behörden von Puno und Li- ma. Es waren 10 000 Menschen, die über 3000 Quadratkilometer ver-

Mit dem traditionellen Hut und buntem Kopfschmuck: ein ältererQechwa-Bauer aus dem peruanischen Hochland

streut zwischen 500 und 5000 Me- ter Höhe leben, in ihrer Mehrzahl an für Fahrzeuge unerreichbaren Orten; die nun zum ersten Mal Zu- gang erhielten zu einer Gesund- heitsversorgung, die über ihre tra- ditionellen Heilmethoden hinaus- ging. Es war gelungen, die kulturel- len, geographischen und ökonomi- schen Barrieren, die solchen Zu- gang erschweren, auf ein Mindest- maß herabzusetzen.

Diese Barrieren können hier nur angedeutet werden. Die kulturelle ergibt sich daraus, daß die Mehr- zahl der Bevölkerung aus der Qechwa-Tradition stammt, nur die- se Sprache spricht, ihre Krankheit im Koordinatensystem des dazu- gehörigen mythischen und animi- stischen Weltbildes erlebt und in- terpretiert (Erschrecken, Berüh- ren von Wasser, Erblicken eines Toten als zentrale Krankheitsursa- chen). Sie kann sich mit dem Kran- kenhauspersonal sprachlich kaum Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 46 vom 14. November 1984 (27) 3405

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Ärztliche Entwicklungshilfe in Peru

verständigen, und wird von diesem als Menschen zweiter Klasse be- handelt.

Die geographische und ökonomi- sche Barriere erkennt man, wenn man sich vorstellt: ein von Subsi- stenzwirtschaft lebender Tuber- kulose-Kranker soll ein bis zwei Tage zur Autostraße laufen, gegen 14 Uhr den dort zweimal pro Wo- che abfahrenden offenen Lastwa- gen besteigen, der ihn bis zum nächsten Sonnenaufgang für zwei durchschnittliche Tageslöhne auf die Hochebene zwischen 4000 und 5000 m Höhe in eine größere Stadt fährt — die Temperaturen sinken dort in der Trockenzeit nachts bis auf —15 Grad Celsius.

Dort sucht er sich einen niederge- lassenen Arzt oder geht ins Hospi- tal — in beiden Fällen wird er zur Kasse gebeten, bevor irgend et- was geschieht. Dann wird ge- wöhnlich seinem Ansinnen ent- sprochen, eine für ihn fast uner- schwingliche, aber mystifizierte Röntgenaufnahme anzufertigen, anstatt sein Sputum zu untersu- chen ...

011achea dagegen lag hinrei- chend zentral; an mehreren abge- legenen Orten arbeiteten freiwilli- ge Gesundheitshelfer, die wir aus- gebildet hatten und durch regel- mäßige Auffrischkurse, Besuche in ihren Dörfern „moralisch" und medizinisch unterstützten — sie konnten insbesondere Pneumo- nien, Tuberkulose und Durchfall- erkrankungen behandeln und, so- weit kulturell durchsetzbar, prä- ventive Maßnahmen fördern.

Im Gesundheitszentrum war es auch Nur-Qechwa-Sprechenden möglich, sich verständlich zu ma- chen; wurden Angehörige mit auf- genommen (nötigenfalls auch die Hühner des Patienten, wenn er sonst fürchten mußte, daß sie ge- stohlen würden), wurde auf die traditionelle Krankheitsinterpreta- tion, soweit vertretbar, eingegan- gen und akzeptiert, daß ein Pa- tient lieber in seinen eigenen „un- hygienischen" alten Decken schlief, als sich unter die, nach

seiner Auffassung gefährlich „kal- ten", weißen Leintücher zu legen.

Da die Überlebensfähigkeit des Zentrums von der Selbstfinanzie- rung abhing, mußte jeder Patient im Prinzip bezahlen. Um aber für jedermann erschwinglich zu blei- ben, mußten wir sparen — mit höchst fruchtbaren Auswirkungen auf die Kreativität aller Beschäf- tigten: Sterilisieren von Einmalar- tikeln, Herstellung von Injektions- wasser, Autoscheinwerfer als OP- Lampe, Anschleifen stumpfer In- jektionsnadeln ...

Alicia — der Leidensweg eines Indianderkindes

Als Alicia fünf Jahre alt war, kam ihre Mutter ins Gefängnis. In den folgenden Monaten wurde das Kind herumgeschubst und kränk- lich, dann von seiner Tante aufge- nommen. Alicia blieb schwäch- lich, hustete phasenweise; auch die Tante begann zu husten und abzumagern. Alicias Lehrer mach- te einen meiner Mitarbeiter auf sie aufmerksam. Nach Überre- dungskünsten lieferte sie ihr Spu- tum ab, das zahlreiche säurefeste Stäbchen enthielt. Es war keines- wegs erstaunlich, daß sie bereits vor der Erkrankung zwei große BCG-Narben hatte; solche entste- hen, wie ich an mir selbst probier- te, auch durch sicher inaktivierten Impfstoff. Und da die Kühlkette fast nie funktioniert, war die Tu-.

berkuloseinzidenz unter Geimpf- ten und Ungeimpften faktisch gleich. Alicia tolerierte die Be- handlung gut. Nach wenigen Wo- chen verbesserte sich ihr Allge- meinzustand so weit, daß der Wi- derstand ihrer Tante schwand und diese selbst sich ihr Sputum un- tersuchen ließ — wir konnten mit der Behandlung ihrer ebenfalls of- fenen Tb beginnen. — Doch nach sechs Wochen kam Alicia mit ei- nem mechanischen Ileus ins Ge- sundheitszentrum. Falls sie starb, galt es als sicher: Die Behandlung hatte sie umgebracht. Unser im-

provisiertes Laparatomiebesteck wurde zusammengestellt und ste- rilisiert; der „OP" von zwei Ke- rosinkochern vorgewärmt; der

„Elektriker" des Ortes bezahlt, damit er den Strom nicht wie sonst um 22 Uhr, sondern erst nach Beendigung des Eingriffs abstellte. Zitternd gelang mir mei- ne erste Dauer-Periduralanästhe- sie; der gesamte Darm war dann übersät mit verkästen Knötchen, die erwartungsgemäß an mehre- ren Stellen beim Manipulieren perforierten. Die eigentliche Ursa- che des Darmverschlusses war ei- ne Bride, wohl die Folge einer un- ter Therapie abheilenden tuber- kulösen Peritonitis — sollten unse- re traditionellen Kritiker am Schluß damit recht behalten, daß unsere Streptomycinspritzen ihr zum Verhängnis würden?

Freilich blieb ihr ein Platzbauch nicht erspart, aus dem sich mehr Eiter entleerte als aus den Dräna- gen; da sie keinerlei Reserven hatte, war ihre einzige Chance ei- ne parenterale hochkalorische Er- nährung durch einen zentralen Venenkatheter. Also machten wir uns daran, 25prozentige Gluco- seinfusionen zu „kochen". Trotz allem erschien es uns als ein mitt- leres Wunder, daß sie überlebte. — Nach drei weiteren Eingriffen zur Abzseßdränage heilte die Infek- tion aus. Der Narbenbruch aber war ungeheuer; und wann würde die nächste Bride den Darm ver- schließen?

Was alles am Gesundheitszen- trum von 011achea für peruani- sche Verhältnisse ungewöhnlich war, wurde mir wieder einmal richtig klar, als ich Alicia zur fälli- gen Korrekturoperation ins Kran- kenhaus von Puno begleitete. Sie wurde in ein Vierbettzimmer ge- legt, wo niemand Qechwa sprach, ebensowenig wie die Schwestern.

Obwohl sie enorm tapfer war, fühlte sie sich natürlich verloren.

Das kritischste Hindernis vor dem Eingriff: die Bereitstellung von Blut. Der Patient muß so viele spendenwillige Angehörige mit- 3406 (28) Heft 46 vom 14. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Entwicklungshilfe in Peru

bringen, wie der Chirurg bereitge- stellte Konserven verlangt.

Schließlich mußte ich der Labo- rantin versprechen, selbst eine Konserve zu spenden, falls dieje- nige verbraucht würde, die sie un- ter dieser Bedingung aus dem Vorrat für den nächstfolgenden Tag verfügbar machte. — Der Chir- urg lud mich ein, mit zu operieren.

Er war einer der wohl ganz weni- gen Ärzte im peruanischen Hoch- land, die die Indianer nicht diskri- minieren. Von seinen Kollegen hingegen wurde ich verständnis- los gefragt, warum ich mir denn wegen eines Indianermädchens soviel Mühe mache. Mehr noch:

Der internistische Chef eines an- deren größeren Krankenhauses erläuterte mir bei unserer ersten Begegnung nach zehn Minuten, warum er gegen das staatliche Impfprogramm sei: Dessen Hauptauswirkung sei doch, den Masern- und Keuchhustentod von Indiokindern zu verhindern. Nun sei ja aber gerade der hohe Indio- anteil an der Bevölkerung das ent- scheidende Hindernis für die Ent- wicklung seines Landes .

Nach fast vier Stunden Verwach- sungen-Lösen und Bauchwand- Rekonstruieren läßt sich das Aus- maß der Schmerzen leicht vorstel- len, die kurze Zeit nach Beendi- gung der Narkose auftraten. Die verfügbaren Notfallmedikamente der „spezialisiertesten" chirurgi- schen Station für 800 000 Men- schen beschränkten sich aber auf Dextrose, Coramin, Adrenalin und Vitamin K. So mußte ich während der „Siesta-Zeit" mit einem Noval- gin-Rezept bewaffnet eine offene Apotheke in der Stadt finden, um schließlich mit einem Ersatzprä- parat zurückzukehren — nach ein- einhalb Stunden, in denen sich Alicia vor Schmerzen krümmte. — Dies war keine „Panne", sondern Routine: Bekommt ein stationärer Patient ein Medikament verord- net, so schreibt der Arzt das ent- sprechende Rezept aus, mit dem die Angehörigen (gnade Gott dem, der nicht von jemandem um- sorgt wird!) dann zusehen kön- nen, wie sie das Präparat in einer

Sparen — mit fruchtbaren Auswirkungen auf die Kreativi- tät. Beispiel:

Infusionslösun- gen sowie In- jektionswasser (sorgsam gefil- tertes Regen- wasser) im Autoklav Fotos (2):

Ruhenstroth

Apotheke beibringen. Selbst Tup- fer, chirurgischer Faden, Osteo- syntheseplatten ünd -schrauben, Infusionsflaschen, Infusionsbe- steck müssen präoperativ in die- ser Weise besorgt werden.

Wenngleich vergessen wurde, Ali- cias TB als Grundkrankheit wei- terzubehandeln, war der postope- rative Verlauf doch günstig. Nach zwei Wochen konnte ich ihre Ent- lassungserlaubnis bekommen, in- dem ich das Geld für alle Rech- nungen vorschoß; die Summe entsprach zwei Monatslöhnen ei- nes Arbeiters. Falls nicht gezahlt werden kann, wird der Patient nicht entlassen (was die Rech- nung täglich verteuert); oder sei- ne persönlichen Dokumente wer- den einbehalten (wenn er welche hat) ...

Medikamentenversorgung — Hindernisse und „Geheimnisse"

In Peru existiert neben dem Markt einer Vielzahl von meist ausländi- schen Markenpräparaten ein staatlich verwaltetes Programm billigerer Basismedikamente — kein ideales, aber ein brauchba- res Sortiment. Für mich war der reguläre Bezugsweg dieser Prä- parate der über das Hospital in der 200 Kilometer entfernten Stadt Ayaviri. Doch fast nie gab es dort Penicillin, Corticoide, Leish- manienmedikamente, im ersten Jahr auch keine Tuberculostatika.

Die stereotype Erklärung: Die Pharma-lndustrie boykottiert das Programm; sie stellt bewußt weni-

ger her, als angefordert wird. Spä- ter lernte ich den für Medikamen- tenbestellung und -lagerhaltung des Hospitals Verantwortlichen näher kennen und bekam Zugang zur „Apotheke" und den entspre- chenden Dossiers. Man erzählte mir, er habe sechs Klassen Schule hinter sich, aber keinerlei Weiter- bildung. Seinen Posten verdanke er der Tatsache, Neffe des Chefs zu sein.

Seine Medikamentenbestellun- gen richteten sich im wesent- lichen nach den Empfehlungen der Vertreter. So gab es im Lager nun eine erkleckliche Anzahl Lin- comycin-Tabletten und Cephalo- tin; dies hatte zusammen über die Hälfte des Jahresbudgets für Ba- sismedikamente verschlungen, wurde aber kaum benützt, da die Einzelbehandlung unerschwing- lich teuer war. Außerdem fanden sich aus früheren Jahren 1000 Fla- schen Protamin-Sulfat, jedoch kein Heparin.

Schließlich erlangte ich eine Son- derberechtigung, bei den Firmen selbst Basismedikamente einzu- kaufen. Ich war überrascht, daß ich fast alles sofort erhielt. Warum die Bestellung von Ayaviri nicht beliefert wurde? Man zeigte mir große Rechnungen, die seit 15 Monaten unbezahlt waren; bei jährlich 70% Inflation bedeutet das, die Hälfte des Verkaufswer- tes zu verlieren — ob ich an ihrer Stelle etwa weiterliefern würde?

Skeptischer wurde ich dann wie- der, als ich etlichen „Geheimnis- sen" auf die Spur kam, was die In- haltsstoffe von dort gängigen, aber mir unbekannten Marken- präparaten anging. Viele Medika- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 46 vom 14. November 1984 (31) 3407

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Ärztliche Entwicklungshilfe in Peru

mente, die man kauft, sind ohne Beipackzettel („um die Patienten nicht zu verwirren"); und wenn, dann enthielt er oft nur Inhaltsan- gaben wie Phenyl-äthyl-malony- harnstoff. Hätten Sie erkannt, daß das Phenobarbital ist? — Dann gab es eine Auseinandersetzung um geplante Preissteigerungen bei Medikamenten. Gesundheitsmini- sterium und Pharmaverbände ei- nigten sich auf generelle Anhe- bungen, während die Preise von etwa 200 veröffentlichten Präpa- raten eingefroren werden sollten, hierunter ein Hustenmittel in Ta- blettenform. Während ich vorher regelmäßig dieses Medikament kaufen konnte, bekam ich in den folgenden acht Monaten viermal die Auskunft, es sei gerade nicht lieferbar . .

Und eines Tages trat der Gesund- heitsminister zurück. Weder die offiziellen Erklärungen noch die Mutmaßungen der Medien über- zeugten. Aus bestunterrichteten Kreisen seines Ministeriums er- fuhr ich: Er hatte sich einer Erhö- hung der Preise der Basismedika- mente widersetzt und war deshalb von den Pharmaverbänden „ge- gangen worden". So scheint mir nun doch, daß die zum größeren Teil in ausländischer Hand befind-

liche pharmazeutische Industrie Perus im Zuge der Verteidigung ihrer Profitinteressen zumindest einen stabilisierenden Einfluß hat auf die erheblichen Struktur- schwächen in der Medikamenten- versorgung, die die große und ar- me Mehrheit der Bevölkerung auszubaden hat.

Fast 50 Prozent der peruanischen Bevölkerung haben faktisch kei- nen Zugang zu professionellen Gesundheitsdiensten, Korruption ist weit verbreitet. Bei alledem verwundert es nicht, wenn Mutlo- sigkeit, Lebensangst, Fatalismus, Zynismus und fehlende Arbeits- moral um sich greifen. Wenn man gesehen hat, wie in einer halb- wegs integeren Umgebung ein In- dio anpacken kann und arbeitet wie ein Berserker, ist man vom Märchen der rassisch bedingten

Faulheit geheilt. Aber die Per- spektivelosigkeit zerstört in der Tat unendlich viel Aktivität. Ande-

rerseits gibt es auch die voll für ihr Land engagierten Peruaner: In der Kirche, in den Medien; oder etwa jener Buchhaltungs-Student, der aufgrund seiner Akteneinsicht während eines Praktikums trotz Androhung von Repressalien ei- nen großen Finanzbetrug des Chefs der regionalen Gesund- heitsbehörde denunzierte, so daß dieser hochprotegierte Funktio- när mindestens 18 Monate in Un- tersuchungshaft verbrachte.

Erleben und Entwicklung des Entwicklungshelfers

Oft frage ich mich nun, ob medizi- nische Arbeit, wie ich sie dort tat, auch in diesem erweiterten Pan- orama all jener Phänomene, die in ihrer Gesamtheit Unterentwick- lung ausmachen, noch die aller- geringste Relevanz besitzt. Glück- licherweise braucht die Antwort wohl nicht ganz pessimistisch auszufallen. Meinen peruani- schen Mitarbeitern konnte ich si- cherlich die für viele unter ihnen neue Erfahrung ermöglichen, in einer halbwegs funktionierenden Infrastruktur zu arbeiten. Sie sa- hen, daß der Verzicht auf Presti- ge-Objekte Verbesserung, nicht Abstieg bedeutet. Ich meine, ih- nen ein wenig gezeigt zu haben, wie sie den Umgang mit einer für sie materiell und finanziell er- reichbaren medizinischen Tech- nologie optimieren können; allge- meiner, westliche Technik zum segensreichen Diener, nicht zum Götzen zu machen. Und für noch mehr Menschen glaube ich, das Erleben ermöglicht zu haben, daß es in aussichtslos geglaubten La- gen Hilfe gibt, daß sie sich selbst helfen können. Wenn ich somit auch tieferliegende Wurzeln der Unterentwicklung berühren konn- te, so war, wie ich glaube, die Zeit für 011achea nicht verloren. Und für mich?

Das überdeutliche, manchmal ge- radezu karikaturhafte Erleben von Korruption, Setzen falscher Priori- täten, Zusammenprallen grund- verschiedener Kulturen und Welt- bilder insbesondere auf dem Ge- sundheitssektor schärft das Wahr- nehmungsvermögen für all diese Probleme beträchtlich. Ich erken- ne sie nun in versteckter Form auch in Bereichen unserer eige- nen Wirklichkeit, in denen ich sie vorher nie vermutet hätte — und kann ihnen somit eher gerecht werden: etwa in meiner Bewer- tung politischer Vorgänge oder im beruflichen Alltag (wie unüber- brückbar erscheint zum Beispiel oft der Graben zwischen dem, was eine Spritze in ihrem Wesenskern einem Patienten bedeutet, und dem, was sie für den verordnen- den Arzt darstellt!).

Beeindruckt bleibe ich auch von jener ganz anderen Haltung Krankheit und Tod gegenüber, wie ich sie dort erlebte; und es liegt auf der Hand, daß dies mich in meinen beruflichen Alltag hin- ein begleitet. Ich nehme es nicht mehr als Selbstverständlichkeit hin, sondern als höchst dankens- werten Zug unserer Gesell- schaftsordnung, daß eine notwen- dige Schockbehandlung sofort angefangen wird, ohne zu warten, bis die Kostendeckung geklärt ist.

Nachhaltig und allzuoft bestätigte sich schließlich in jenem über- schaubaren Lebensraum von 10 000 Einwohnern die Erfahrung, daß Verbesserungen ihrer prekä- ren Lage praktisch nie „automa- tisch" eintraten; sie mußten er- kämpft und verteidigt werden. Ist nun aber die Lage in unserem Be- ruf, in unserem Land nicht in man- cher Hinsicht ebenso prekär? Die Konsequenz könnte wohl eine herabgesetzte Bereitschaft sein, sich zu „arrangieren", und umge- kehrt eine vermehrte Bereitschaft, aktiv Stellung zu beziehen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Eberhard Ruhenstroth Grünthal 4

8201 Raubling 3408 (32) Heft 46 vom 14. November 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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