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A1288 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1830. April 2004
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un, nehmen Sie es mal nicht so tragisch, es gibt Schlimmeres.“„Jetzt rei- ßen Sie sich mal zusammen, Kopf hoch, wird schon wie- der.“ „Das kriegen wir schon wieder hin, vielleicht finden wir ja auch keine Metasta- sen.“ Solche Redewendun- gen sind gut gemeint, helfen aber einem Patienten, der ge- rade eine Krebsdiagnose er- fahren hat, nicht weiter.Während des Behand- lungsgesprächs wird ein Pati- ent oft schon nach 18 Sekun- den das erste Mal unterbro- chen. Chronisch Kranken wird bei einer durchschnittli- chen Gesprächsdauer von 11 Minuten lediglich 7 Sekunden Redezeit eingeräumt. Teil- weise vergessen oder ver- wechseln Ärzte die Namen ihrer Patienten. Das ist für diese sehr verletzend. Auch registriert es der Patient ganz genau, wenn der Arzt wäh- rend der Gesprächs verstoh- len zur Uhr blickt. Dies sind nur einige Beispiele kommu- nikativer Kardinalfehler in der Arztpraxis, die sich nega- tiv auf die Arzt-Patienten-Be- ziehung auswirken.
Ein Mensch, der mit einem Arzt in Kontakt tritt, hat ein Leiden, das nicht separat von der Person zu betrachten ist.
Mit der Bürde dieses Leidens, mit Angstgefühlen, Voran- nahmen, der Erwartung un- geteilter Aufmerksamkeit,
der Hoffnung auf Wärme,Ak- zeptanz und Verständnis tritt der Patient in das Gespräch mit dem Arzt ein. Er will sich verstanden fühlen, erwartet Erklärungen und wünscht zu- gleich, ein Gefühl von Selbst- bestimmung vermittelt zu be- kommen. Aus dieser Erwar- tungshaltung an Kompetenz und Zuwendung sowie der
„Tagesform“ des Arztes er- öffnet sich ein anspruchsvol- les, komplexes Interaktions- feld.
Erschwerend kommt hin- zu, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte überlastet fühlen – sei es zeitlich, sei es im Um- gang zum Beispiel mit Krebs- patienten. Menschen, die in einer permanenten Anspan- nung und Reizüberflutung le- ben, die kaum Zeit finden, zur
Ruhe zu kommen, verlieren den Zugang zu sich selbst. Ei- ne Folge ist, dass sich die Wahrnehmung und das Ver- halten auf die Funktionalität reduzieren. Je weniger Zu- gang zur inneren Referenz besteht, desto weniger Kon- takt kann der Betreffende zu den Menschen in seinem Um- feld aufnehmen.Als Lösungs- muster zeigt sich ein unange- messen starkes Abgrenzungs- verhalten. Das äußere Er- scheinen wirkt unterkühlt, oberflächlich, gereizt, gehetzt und angespannt, aggressive Tendenzen werden sichtbar.
Es entsteht ein sozialer Rück- zug sowie eine emotionale Neutralität beziehungsweise Verarmung im beruflichen und privaten Umfeld.
Voraussetzung für eine gute Kommunikation ist die Fähigkeit, mit sich selbst in ei- nen Dialog gehen zu können, eigene Werte und Ziele zu hinterfragen sowie die eige- nen Fähigkeiten und Ressour- cen zu formulieren und insbe- sondere zu beobachten, mit welchen Gefühlen und Impul- sen man auf äußere Einflüsse reagiert. Der größte Schritt je- doch ist die Entscheidung für die Bereitschaft, sich in diese selbstreflexive Arbeit zu be- geben. Hieraus entwickelt sich ein authentisches Auftre- ten, eine Erhöhung der Wahr- nehmung und daraus resultie- rend eine zielorientierte Ge- sprächsführung. Sich selber besser zu kennen, bedeutet, den Gesprächspartner besser zu verstehen.
Kommunikation besteht zu 93% aus nonverbalem Anteil (55% Körpersprache, 38%
Tonalität) und lediglich zu 7% aus Sprachinhalt. Somit liegt der weitaus größere Reiz eines Gesprächs auf der un- bewussten Ebene. Auf der In- halts- oder Beziehungsebene werden emotionale Informa- tionen gesammelt, die einen großen Spielraum für Speku- lation, Attribution und Inter- pretation lassen.
Ein Mensch mit Schmerz oder Angst hat eine um ein Vielfaches erhöhte Aufmerk- samkeit, die sich auf den Be- handler richtet.Wenn dieser zum Beispiel kurz zur Uhr blickt, so verletzt dies den Pa- tienten oft mehr, als der Arzt ahnt. Durch die Art der Kör- persprache, des Gestus, der Mimik, des Augenkontaktes, der Tonalität und Sprechge- schwindigkeit nimmt der Pa- tient die innere Anspannung wahr, wertet und interpretiert diese. Ein Mensch, der seinen Zeitmangel versucht zu un- terdrücken, kann nicht au- thentisch in einen empathi- schen Kontakt zum Ge- sprächspartner gehen. Der Patient bleibt in diesem Au- genblick mit seinen Sorgen, Ängsten und Bedürfnissen al- lein. Über diesen Zustand wird ihm keine noch so ausge- feilte Medizin hinweghelfen, solange ihm menschliche Ge- sten von Zuwendung, Akzep- tanz und Verständnis vorent- halten bleiben.
Annette Adam E-Mail: anneadam@t-online. de
Das Patienten-Gespräch
Ärztliche Kardinalfehler
Foto:AOK-Mediendienst [m]
Seit dem 1. Januar müssen die Krankenkassen ihren Versi- cherten ein Hausarztmodell anbieten. So schreibt es § 73 b des Sozialgesetzbuches V vor, der mit dem GKV-Moderni- sierungsgesetz eingeführt wurde. Die Idee: Versicherte, die sich bei ihrer Krankenkasse in ein Hausarztmodell einge- schrieben haben, steuern bei ge-
sundheitlichen Beschwerden nicht gleich einen ärztlichen Spezialisten
an, sondern gehen zunächst zu ihrem Hausarzt. Dieser soll den Überblick über das Versorgungsgeschehen behalten.
So können beispielsweise Wechselwirkungen von Arznei- mitteln schneller erkannt beziehungsweise ausgeschlos- sen werden. Das Modell soll außerdem unnötige Doppel- untersuchungen vermeiden helfen. Für den Verzicht auf die freie Arztwahl gewährt die Krankenkasse dem Versicherten
einen oder mehrere Vorteile, beispielsweise reduzierte Zu- zahlungen in der Apotheke, Wegfall/Erstattung der Praxis- gebühr oder niedrigere Krankenkassenbeiträge. Teilneh- mende Patienten müssen sich für mindestens ein Jahr ein- schreiben und dürfen in der Zeit den Hausarzt nicht wech- seln. Problematisch: Die Kranken- kassen entscheiden, welcher Haus- arzt am Modell teilnehmen darf und welcher nicht. Ein Anspruch auf Vertragsabschluss be- steht nicht. Die Gesamtvertragspartner von Ärzten und Krankenkassen vereinbaren die den Hausärzten für diese besondere Versorgungsform zu zahlende Vergütung und ob diese Vergütung auf die Gesamtvergütung und ab dem 1. Januar 2006 (geplant) auf die Regelleistungsvolumina
anzuwenden ist. JF