• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (8): Neues Selbstbewußtsein für Leprakranke" (04.02.1987)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (8): Neues Selbstbewußtsein für Leprakranke" (04.02.1987)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Lepra ist eine chronisch verlaufende Infektions- krankheit, die primär das periphere Nervensystem be- fällt, wobei Haut, Schleim- häute und innere Organe mitbeteiligt sein können;

Gehirn und Rückenmark werden jedoch nie betrof- fen. Der Erreger der Krankheit, das Mycobacte- rium leprae, wurde im Jahre 1873 von dem norwegischen Arzt Armauer Hansen ent- deckt. — Das Foto oben zeigt Leprageschwüre unter ei- nem deformierten Fuß.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (8)

Lepra ist zwar heilbar, doch ist die Arbeit mit Leprakranken für den Arzt oft zermürbend, hängt doch der Therapieerfolg ganz entscheidend vom Mitmachen des Patienten ab. Die Verfasse- rin ist in Bombay in einem Le- prakrankenhaus, das auch aus Mitteln des Deutschen Aussätzi- gen Hilfswerks finanziert wird, tätig gewesen. Sie schreibt über die Behandlung der Patienten, deren soziale Lage und auch über den Arbeitsalltag der Ärzte.

W

eltweit gibt es etwa 15 Millionen Lepra- kranke, in Indien allein etwa 4 Millio- nen. Die Verbrei- tung der Krankheit ist abhängig von der Empfänglichkeit des einzelnen, sowie von den Möglichkeiten des Kontaktes mit dem Mycobacterium leprae. Im Gegensatz zu Erwachse- nen sind Kinder der Krankheit ge- genüber besonders empfänglich und um so mehr gefährdet, wenn ein Fa- milienmitglied an Lepra erkrankt ist. Ein Großteil der Infektionen fin- det wahrscheinlich in der Kindheit statt. Aufgrund der langen Inkuba- tionszeit von durchschnittlich drei bis sieben Jahren wird die Diagnose jedoch oft erst beim Erwachsenen gestellt.

Mangelnde Hygiene und Unterernährung

Eintrittspforte für den Erreger ist der Respirationstrakt, wobei die Infektionsgefahr unter schlechten Lebensbedingungen, das heißt bei einem Zusammenleben mit dem In- fektiösen auf engstem Raum sowie bei mangelnder Hygiene und Unter- ernährung besonders groß ist. Die Slumgebiete werden in Indien als die Brutstätten der Lepra angesehen. In Bombay zum Beispiel leben fast 50

Prozent der 8,5 Millionen Einwoh- ner in Slums. Diese Armutsviertel (Abbildung 1) sind das Zielgebiet des Wirkens der ..Vimala Sisters", indischer und italienischer Nonnen, die (zusammen mit einigen Ärzten

und „Paramedicals") fast 6000 der ca. 70 000 Leprakranken in Bombay betreuen. — In einer eigenen Haut- klinik — dem Vimala Dermatological Centre (V. D. C.) — stehen für sta- tionäre Patienten rund 100 Betten zur Verfügung. Die Behandlung (einschließlich der wiederherstellen- den Operationen) ist für die — meist mittellosen — Patienten kostenlos.

Sie werden nach ihrer Ankunft im Krankenhaus eingekleidet, verpflegt und in Krankenzimmern unterge- bracht.

Die Patienten kommen mit un- zähligen Geschwüren — besonders an Händen und Füßen —, die im Verlauf der Krankheit entstehen, wenn die Leprabakterien die Hautnerven zer- stört haben und die Patienten Ver- letzungen nicht mehr wahrnehmen.

Wenn die Wunden ausgeheilt sind, empfiehlt man den Kranken — zur Vorsorge — Schuhe aus mikrozellulä- rem Gummi zu tragen, die beson- ders billig aus alten Autoreifen her- gestellt werden und im Krankenhaus gegen ein geringes Entgelt erworben werden können. (Abbildung 2)

Da auch motorische Nerven an- gegriffen und zerstört werden, kommt es zu Muskelatrophien und typischen Lähmungen. Die Finger werden steif, es entstehen Klauen- hand-Deformierungen, die durch Wachsbäder, Ölmassagen (Abbil- dung 3) und Fingergipse vorkorri- giert und schließlich operativ besei-

Neues

Selbstbewußtsein für Leprakranke

Erfahrungen und Eindrücke

aus einem Leprakrankenhaus in Indien

A-252 (20) Dt. Ärztebl. 84, Heft 6, 4. Februar 1987

(2)

Dt. Ärztebl. 84, Heft 6, 4. Februar 1987 (21) A-253 Abbildung 1: Slums von Bombay - Zielgebiet für das Wirken der „Vimala Sisters"

tigt werden können. Bei der Nach- sorge ist die Mitarbeit des Kranken entscheidend, der auf seine meist ge- fühllosen Hände weiterhin sorgsam achtgeben muß.

Eine Operation ist auch bei der sogenannten lepromatösen Lepra (der infektiösen Form, bei etwa 20 Prozent der Kranken) angezeigt.

Durch Zerstörung des Oberkiefer- knochens und des Nasenknorpels kollabiert die Nase, und die oberen Schneidezähne gehen verloren - Fa- des leprosa.

Eine Nasenplastik stellt die äu- ßere Form der Nase wieder her und verbessert die Atmung des Patien- ten. (Abbildung 5)

Im Leprakrankenhaus der „Vimala Sisters"

Ich durfte bei den „Vimala Sis- ters" in deren Kloster im Vimala Dermatological Centre/Bombay wohnen (Abbildung 4). Dieses Krankenhaus liegt im Nordwesten der Neun-Millionen-Stadt in einem Fischerdorf direkt an der Arabi- schen See.

Bis vor wenigen Jahren wagte kaum jemand, sich in der Nähe die- ses Leprösen-Hauses niederzulassen - und auch heute noch kommt es vor, daß sich ein neuer Nachbar bei den Nonnen vorher nach der mög-

lichen Gefahr einer Ansteckung durch die Luft über die Grund- stücksmauer hinweg erkundigt, be- vor er sich zum Kauf einer Wohnung entschließt.

Zum Zwecke der besseren Kon- trolle über die fast 70 000 Lepra- kranken in Bombay hat man die Stadt in verschiedene Bezirke einge- teilt, wobei jedem „Lepraprojekt"

ein bestimmtes Einzugsgebiet zuge- ordnet worden ist. Die acht indi- schen und zwei italienischen Nonnen sowie einige Ärzte und Paramedicals

Abbildung 2 (oben): Den Patienten, bei denen die Fußgeschwüre ausgeheilt sind, wird vorsorglich das Tragen von Gummischuhen empfohlen, die beson- ders billig aus alten Autoreifen herge- stellt werden können. — Abbildung 3 (un- ten): Handdeformierungen werden durch Wachsbäder und Ölmassagen (so- wie auch durch Fingergipse) vorkorri- giert und schließlich operativ beseitigt

(3)

kontrollieren ihre Bezirke durch

re- gelmäßige Besuche der Familie ei- nes Kranken, wobei alle Familien- mitglieder auf mögliche erste Anzei- chen der Lepra untersucht werden;

es finden Schuluntersuchungen statt, und man sucht unzuverlässige Kran- ke auf und ermahnt sie, die Therapie nicht eigenmächtig zu unterbrechen.

Fast 60 Prozent der Leprapa- tienten, die das Vimala Dermatolo- gical Centre aufsuchen, kommen freiwillig, was erstaunlich ist. Auch heute noch wird nämlich ein Groß- teil der Kranken aus der Familie ver- stoßen („ausgesetzt"), wenn die Diagnose „Lepra" gestellt worden ist: Es könnte sonst zum Beispiel passieren, daß die Schwestern eines oder einer Kranken nicht verheiratet werden könnten — ein großer finan- zieller Verlust für die Familie!

Die Kranken finden in der Le- praklinik einen neuen Halt, eine Ge- meinschaft der Mitleidenden und ein neues Selbstbewußtsein sowie Trost bei den Nonnen. Besonders erwäh- nenswert ist die Einstellung der bei- den „Plastic Surgeons” (ein indi- scher und ein italienischer Arzt) zur Situation der Leprakranken: Sie ver- langen von den Nonnen keinen Geldlohn für ihre chirurgische Tätig- keit in diesem Krankenhaus, son- dern operieren für ganze zehn Ko- kosnüsse!

Nur mit Ausweis .. .

Das V. D. C. ist nicht nur den Leprakranken in Bombay, sondern in ganz Maharashtra und über die Landesgrenzen hinaus bekannt — und manch einer unternimmt eine weite Reise, um hier behandelt wer- den zu können. In Bombay (wahr- scheinlich auch anderswo) dürfen Kranke, bei denen die Lepra sicht- bare Spuren zeigt (Gesichts- entstellungen, fehlende Finger und Zehen, Geschwüre), leider nur dann mit dem Bus zum Krankenhaus an- reisen, wenn sie über eine Identitäts- karte mit Photo und eine Bescheini- gung über einen bakterienfreien Hautabstrich neueren Datums ver- fügen. Andere kommen mit der Au- to-Rikscha oder zu Fuß. — Die Ar- beit mit den Leprakranken ist für ei-

nen Arzt oft zermürbend, denn er

ist auf die uneingeschränkte Mitarbeit und Einsicht des Betroffenen ange- wiesen. Eine zu fatalistische Einstel- lung des Kranken der Lepra gegen- über

führt oft zu

unregelmäßiger Medikamenteneinnahme, so daß sich der Krankheitszustand des Pa- tienten unnötigerweise verschlim- mert.

Einer der Ärzte, — seit über sechs Jahren im V. D. C. tätig und in den „Slum-Clinics" für die Ver- sorgung der Leprakranken zuständig

—, kommentiert die „Ohnmacht"

der Helfenden mit folgenden Wor-

Abbildung 4: Die Verfasserin mit einer der Krankenschwestern vor dem Vimala Dermatological Centre im Nordwesten der Neun-Millionen-Stadt Bombay

ten:

„I

am supposed to say we are winning, but often we are not!"

Die Lepra wird oft als „Krank- heit der Armen" bezeichnet — und die meisten Leprakranken stammen auch aus Armutsgebieten, in denen neun bis zehn Menschen nur eine winzige Hütte zur Verfügung steht und Ernährung wie hygienische Ver- hältnisse inadäquat sind (Abbildung 6). Dennoch wird auch einmal — dann meist zufällig in der dermatolo- gischen Sprechstunde — bei einem relativ wohlhabenden Patienten Lepra diagnostiziert. Anamnestisch erfährt man dann, daß dieser schon

Monate bis Jahre wegen unerklär- licher Hauterscheinungen und Ge- schwüren von Arzt zu Arzt gezogen sei, wobei man wegen der sozialen Herkunft des Patienten an Lepra nie gedacht habe! Solche Kranken ak- zeptieren nur ungern (wenn es über- haupt geschieht!), daß gerade sie Lepra haben sollen.

Ein typischer Arbeitstag

Um 5.30 steht man auf. An ei- nen Gottesdienst um 6.00 Uhr schließt sich ein gemeinsames Früh- stück an. Danach fahren die Schwes- tern mit weiteren Hilfskräften in ih- re verschiedenen Einsatzgebiete in den Slums von Bombay. Dabei neh- men sie Karteikästen, Medikamente aller Art, selbstangerührte Salben in Kanistern, Verbandmaterial, Sprit- zen und einen kleinen Kocher zum Sterilisieren der Instrumente mit.

Besonders die Injektionsnadeln müssen ständig wiederverwendet werden, da ihr Vorrat knapp ist.

Jeweils in einem Gebiet mit be- sonders vielen Leprakranken haben die Schwestern eine sogenannte

„Slum-Clinic" eingerichtet — eine kleine Hütte, bestehend aus ein bis zwei Zimmern, ohne Elektrizität und Wasser, die von einem Patien- ten saubergehalten wird. An einem bestimmten Tag in der Woche, der den Patienten bekannt ist (Monday- Clinic etc.) können sich die Patien- ten hier ihre Lepramedikamente, aber zum Beispiel auch Hustensaft oder Verdauungsmittel abholen oder ihre Geschwüre behandeln las- sen. Der mitgefahrene Arzt verord- net Vitamine gegen die vielfach be- klagte Appetitlosigkeit der Patien- ten, wobei er sich vielleicht fragt, welchen Nutzen der wiedererlangte Appetit wohl hat, wenn für viele nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen! Nachmittags wer- den ambulante Patienten im Kran- kenhaus versorgt. Sie warten gedul- dig in einer langen Schlange vor dem Eingang zum Behandlungszentrum, denn Sitzgelegenheiten gibt es nur für wenige. Viele Frauen haben ihre Kinder mitgebracht. Gesunde Ehe- frauen begleiten ihre leprakranken A-254 (22) Dt. Ärztebl. 84, Heft 6, 4. Februar 1987

(4)

Fotos: J.-M. Schell Abbildung 5 (oben): Durch Zerstörung des Oberkieferknochens und des Nasenknor- pels kollabiert die Nase. Eine Nasenplastik stellt die äußere Form wieder her und verbessert die Atmung der Patientin. - Abbildung 6 (unten): Krankheit der Armen - In den winzigen Hütten der Slums müssen meist bis zu zehn Menschen leben

ses Verhalten wird nicht als anstößig empfunden, da viele von kleinauf nichts anderes gewohnt sind und die Versorgung mit öffentlichen „Toi- letten" völlig unzureichend ist. Pri- vate Toiletten gibt es kaum.

Abends treffen die Nonnen sich mit mir zur „Recreation" vor dem Hauseingang, um die Erlebnisse und Erfahrungen des Tages auszutau- schen, Karten zu spielen, zu lesen oder um Tanzdarbietungen einiger

Nonnen, die als Mädchen Tänzerin- nen waren, im Sari anzusehen. So vergessen wir, wenigstens für kurze Zeit, die unendliche Not der Le- prakranken.

Anschrift der Verfasserin:

Johanna-Maria Schell

Institut für Allgemeine Hygiene und Tropenhygiene

der Georg-August-Universität Windausweg 2, 3400 Göttingen Männer — die umgekehrte Form

sieht man kaum! Die Patienten ver-.

ehren die einzige Ärztin des Vimala Dermatological Centre, eine hell- häutige italienische Nonne, sehr — sie möchten unbedingt von ihrem

„German Doctor" behandelt wer- den. Deutschland ist durch die Ar- beit des Deutschen Aussätzigen Hilfswerks/Würzburg zumindest in Bombay für viele Leprakranke ein Begriff geworden, auch wenn nie- mand recht weiß, wo dieses Land liegt. Bis in den späten Abend sind die Behandlungsräume überfüllt, auch wenn drei Arzte in einem Zim- mer untersuchen. Manchmal kommt es vor, daß ein Patient aus Dankbar- keit für eine erfolgte Heilung einen Sack voll Nüsse oder einen selbstge- fangenen Fisch mitbringt.

Während die Schwestern und Ärzte noch mit ihren verschiedenen Aufgaben im Krankenhaus beschäf- tigt sind, versammeln sich die „In- door-Patients" vor den Kranken- zimmern, um zwischen 17.00 und 18.00 Uhr in gemeinsamen Gebets- gesängen ihren Göttern zu huldigen.

Krankheit als Band

Auch die Vielfalt der Religio- nen — hauptsächlich Hinduisten, aber auch Mohammedaner und Christen — kann die Eintracht der Patienten nicht zerstören, denn ihre Krankheit hält sie letztendlich zu- sammen. Man betet gemeinsam ein

„Vater unser" in der Landessprache Marathi. Ein Patient trägt Bibeltex- te vor, wird dabei von Bongos und Becken begleitet — und wie ein Echo klingt die Antwort der Runde.

Vor dem Abendessen bringt ein kurzer Spaziergang am nahegelege- nen Strand Abwechselung. Man kann das bunte Treiben der Fischer beobachten, die ihre Fangschiffe auf das Auslaufen zur Nacht vorberei- ten. Viele Kinder bevölkern den Strand, um gemeinsam Drachen steigen zu lassen oder Ball zu spie- len. Bei Einbruch der Dunkelheit ziehen die Hüttenbewohner aus der näheren Umgebung, Männer, Frau- en und Kinder mit Krügen in der Hand zum Wasser, um dort ihr „täg- liches Geschäft" zu verrichten. Die-

Dt. Ärztebl. 84, Heft 6, 4. Februar 1987 (23) A-255

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wenn heute die deutsche Polarforschung wieder zu größeren Unternehmungen aufbricht und mit dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven endlich auch über ein eigenes

Im Gesundheitszentrum war es auch Nur-Qechwa-Sprechenden möglich, sich verständlich zu ma- chen; wurden Angehörige mit auf- genommen (nötigenfalls auch die Hühner des Patienten,

Wir alle mußten hier neben unserem Erlernten auch noch die Verwaltungsarbeit übernehmen und das, was sonst ein Leiter oder eine Oberin tut.. So konnte man auch

In Elim Hospital wird sehr viel für die Präventivmedizin und für die Dezentralisierung der kurativen Medizin getan.. Ein Projekt ist überregional

Meine voltaischen Kollegen wissen aber wie ich, daß langfristige Hilfe not- tut, weil Obervolta noch lange nicht die Kosten für sein Gesund- heitswesen tragen können wird.. Um

Danach wurden seit 1979 309 Gesundheitsposten errichtet, vier Regionalkrankenhäuser und ein Kinderkrankenhaus gebaut sowie 13 Ausbildungseinrichtungen für medizinisches

Bedeutung für die Weltgesund- heit unverkennbar, da 80 Prozent der Weltagrarbevölkerung noch die Dienste der Heiler in Anspruch nehmen und auch davon auszuge- hen ist, daß sich

Die meisten Geburten (etwa 80 Prozent) sind auch heute noch Hausgeburten, wobei es in der Transkei nicht die sonst in vielen afrikanischen Ländern anzutref- fenden Dorfhebammen