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I Mazii nalcli Zum Gebrauch der -mis-Vergangenheit

im Osmanisch-Türkischen

Von Hans Joachim Kissling, München

Seit vor einigen Jahren H. W. Duda gelegenthch seiner scharfen, aber

treffenden Ausführungen zum Thema Altaistik und Türkologie u. a. die

Sprache auf die -mi§- Vergangenheit im Osmanisch-Türkischen gebracht

und mit Recht gegen die allzusehr vereinfachenden Auffassungen

J. Benzings auch in dieser Frage angegangen ist^, ist wieder etwas Be¬

wegung in die linguistische Osmanistik gekommen. Wir möchten nun in

den folgenden Zeilen der Anregung H. W. Dudas, sich etwas mehr mit

der türkischen Syntax zu befassen«, nachkommen und dem Leser Ge¬

danken unterbreiten, die sich uns im Zusammenhang mit den Vorarbei¬

ten zu unserer ira Rahmen der neu aufgelegten Porta Linguarum Orien¬

talium erscheinenden Osmanisch-Türkischen Grammatik aufgedrängt

haben. Es geht um den Gebrauch der -mij-Vergangenheit, der bis zum

heutigen Tage noch nicht bis ins letzte geklärt zu sein scheint.

Ohne auf die in der Türkologie noch recht uneinheitliche Terminologie

einzugehen — diese ist letztlich eine Frage der Konvention — sei ein¬

leitend festgestellt, daß sich, aufs Ganze gesehen, hinsichthch der Auffas¬

sung der Vergangenheit zwei große Gruppen unterscheiden lassen :

die eine Gruppe folgt der türkischen Schulgrammatik und faßt — in, wie

wir sehen werden, offenbar nicht ganz zutreffender Deutung des Termi¬

nus mazii nakli, mit dem die türkische Schulgrammatik die -mi§-Ver¬

gangenheit bezeichnet, — unsere Vergangenheit als „erzählende Ver¬

gangenheit", „Hören-Sagen-Vergangenlieit" u. ä. auf, die andere Gruppe sieht in der -niij-Vergangenheit einen „Dubitativ", eine „unbestimmte

Vergangenheit" u. drgl. Mit letzterer Gruppe haben wir uns in unseren

Ausführungen auseinanderzusetzen. Wir bemerken dabei schon jetzt,

daß wir uns für die Deutung der -wij-Vergangenheit als mazii nakli ent-

1 H. W. Duda, Altaistik und Türkologie in Wiener Zeitschrift für die

Kunde des Morgenlandes LII (1955) 326—345, besonders 339fF. Wir ver¬

mögen zwar den Ansichten des Wiener Gelehrten über die -mif-Vorgangen-

heit nicht in allen Punkten zu folgen, stimmen aber den grundsätzlichen

Ausführungen seines Aufsatzes durchaus zu.

2 H. W. Duda, a.a.O. S. 342.

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scheiden, wohei allerdings betont werden muß, daß wir diesen Terminus nicht als „erzählend", „Hören-Sagen-Vergangenheit", „Narrativ" usw.

nehmen, sondern in einem anderen Sinne, und hoffen dartun zu können,

daß in unsere Auffassung sich zwanglos alle Anwendungsweisen der

-wiij-Vergangenheit einfügen, während die Dubitativ-Theorie doch eine

Reihe von schweren Widersprüchen und Unerklärhchkeiten in Kauf neh¬

men muß, die nun aber wegfallen würden. Man wird letztlich derjenigen

Auffassung beistimmen müssen, die die geringste Gezwungenheit aufweist

und unter der sich die meisten Anwendungsweisen widerspruchslos ver¬

einigen lassen.

Was im Folgenden gegen die Dubitativ-Theorie angeführt wird, gilt

für alle Theorien dieser Richtung schlechthin, denn w glauben, daß die

Dubitativ-Theorie in allen ihren Abschattungen unhaltbar ist. Da sich

der bulgarische Tmkologe G. D. Gulubov bisher am eingehendsten mit

der -mij-Vergangenheit befaßt hat, folgen wü- bei unserer Beweisführung

dessen Aufstellungen^. G. D. Gulubov stellt folgende sechs Punkte auf,

bei denen die -mij-Vergangenheit anzuwenden ist: 1) Bei Erörterungen

und auf andere Fakten gestützten Annahmen, 2) beim Ergebnis von

Handlungen, die der Sprecher nicht selbst beobachtet hat, 3) bei nicht

Tatsächlichem, 4) bei nur zur Erheiterung oder zur Ironisierung als ge¬

schehen angenommenen Handlungen, 5) bei der Darstellung persönlicher

Erlebnisse, die dem Hörer gegenüber aus Höfhchkeit in unbestimmter

Form dargebracht werden, 6) bei Handlungen, deren Durchführung der

Sprecher persönhch weder gesehen noch verspürt hat. Hält man zu die¬

sen sechs Punicten noch die Äußerung H. W. Dudas«, wonach die -mij-

Vergangenheit in gewissen Fällen sogar den Vergangenheits-Charakter

zugunsten des Dubitativ-Charakters aufgibt und bei Hinzufügung der

Kopula -dir an die -mij-Vergangenheit alles wieder auf den Kopf gestellt

wird, indem dadurch jegUcher Dubitativ-Charakter beseitigt wird, so

muß es dem nicht Voreingenommenen doch einigermaßen bänglich wer¬

den ob der vielfältigen und überdies höchst widersprüchlichen Verwen¬

dung der -mij-Vergangenheit und sich die schüchterne Frage erheben, ob

es denn gänzlich aussichtslos sei, all diese Verwendungsweisen auf einen

einzigen Nenner zu bringen imd ob denn diejenigen, die die -mij-Vergan¬

genheit als nakli bezeichnen, tatsächlich es unternommen haben, eine

Vergangenheitsform nur nach 6mer unter so vielen Möglichkeiten zu be¬

nennen, also gegen den gesunden Grundsatz, bei summarischen Zusam-

1 G. D. Gulubov, Turska Gramatika (Sofia 1949) S. 247f. (zitiert nach

H. W. Duda, a. a. O. S. 341). Die von H. W. Duda a. a. O. des weiteren zur

-mi^-Frage herangezogenen türkischen Arbeiten von A. C. Embe und

M. Mansuboglu bringen für unsere Fragestellung nichts von Bedeutung

bei imd bleiben daher außer Betracht. " H. W. Duda, a. a. O. S. 341 f.

(3)

288 Hans Joachim Kissling

menfassungen von Verschiedenartigem die Benennung a potiori vorzu¬

nehmen, derart folgenschwer zu verstoßen.

Es ist eine kleine ,, Ironie des Geschickes", daß es ausgerechnet die Verfechter der wajfcit-Theorie sind, die die Dubitativ-Theorie in den Sattel

gehoben haben. Zum mindesten haben sie für die Ausbreitung der Dubi¬

tativ-Theorie durch ihre Sucht, die -mij-Vergangenheit vom Perfekt

(-dim, -dm, -di) dadurch zu unterscheiden, daß sie sie in jener berühmten Weise wiedergeben, der im Deutschen der Tjqjus „er soll getan haben",

„er hat angeblich getan", „er dürfte getan haben" usw. entspricht, den

Boden, wenn man so sagen darf, psychologisch vorbereitet.

Überblickt man die erwähnte G. D. GuLUBOv'sche Aufstellung der

Verwendungsweisen der -mij-Vergangenheit — wir anerkennen diese

Aufstellung für Unterrichtszwecke durchaus —- so muß man allerdings

den Eindruck bekommen, als handle es sich um eine geradezu ,, unwirk¬

liche" Form. Manches wird dem Leser auch nicht ohne weiteres ein¬

leuchten, so z. B. der Punlit 5, in welchem es heißt, die -mij-Form werde

bei der Darstellung persönhcher Erlebnisse verwendet, wenn diese aus

Höfhchkeit dem Hörer gegenüber in die unbestimmte Form gekleidet

werden. Den Sinn einer solchen ,, Höf lichkeit" kann man schwerhch ein¬

sehen. Als gemeinsam geht aus den G. D. GuLUBOv'schen Aufstellungen

nur hervor, daß offenbar in allen Fällen der Sprecher (— von Punlct 5

abgesehen —) keine unmittelbaren Eigenerkenntnisse von sich gibt. Aus

diesem Umstand, der zur Bezeichnung nakli geführt hat, wird nun ge¬

schlossen, daß die -mij-Form grundsätzhch das Unsichere, ja Nicht-für¬

möglich-Gehaltene zum Ausdruck bringe, also den Zweifel an bzw. die

Unsicherheit über den ausgedrückten Tatbestand. Aber gerade dies ist

in dieser Form nicht haltbar.

Beginnen wir beim einfachsten Fall. Es ist eine jedem Türkisch¬

beflissenen bekarmte Tatsache, daß B einen von A erstatteten Bericht

über geschehene Dinge an C nur in der -mij-Form weitergeben karm.

Wenn B den A zum Essen einlädt und dieser mit dem Hinweis ablehnt,

er habe bereits gegessen, so kann B auf die Frage des C, warum denn A

nicht zum Essen komme, nur antworten: yemi§ ,,er hat (bereits) geges¬

sen", wobei diese Antwort selbst in Gegenwart des A erfolgen

kann. Will man nun ernsthaft behaupten, B sage yemi§ statt yedi, weil

üim die Behauptung des A unsicher vorkomme oder er gar sie nicht für

möghch halte ? Dann wäre ja die Verwendung der -mij-Form wohl eine

grobe Unhöflichkeit, denn sie würde den A der Lüge zeihen. Immerhin

gestehen wir hier noch theoretisch die Möglichkeit zu, daß B vielleicht

Grund haben kann, die Aussage des A anzuweifeln oder für unsicher zu

halten, indem etwa stUlschweigend vorausgesetzt wird, daß A ein Lügner

sei, eine Ausrede vorbringe usw. Wie dem auch sei, man wird bei der

(4)

Auffassung der -mij-Form als Zweifelsäußerung fordern müssen, daß der

Sprecher einen Grund für seinen Zweifel und damit für den Gebrauch

der -mij-Form hat oder mindestens, daß irgendwelche Voraussetzungen

für eine Unsicherheitsäußerung gegeben sind. Nun ist aber Tatsache,

daß die -mij-Form auch da angewendet wird, wo der Sprecher weder

einen objektiven noch einen subjektiven Grund zum Zweifel hat, ja ihm

etwaige Voraussetzungen für einen solchen aufgrund der Lage nicht

einmal theoretisch zugänglich sein können. Es sei gestattet, ein vor

kurzem selbst erlebtes Beispiel anzuführen^. Ich ging mit meiner Famihe,

sowie einer mir bekannten türkischen Dame und deren kleinem Sohn

im Isartal spazieren. Die Kinder eilten voraus. Plötzlich blieb der Sohn

unserer türkischen Freundin stehen und fragte zu seiner Mutter zurück,

welchen Weg er gehen müsse, da hier eine Weggabelung sei. Auf die

Frage der türkischen Dame an mich, welcher Weg der richtige sei, ant¬

wortete ich, das sei „egal" (müsavidir), denn die beiden Wege würden

sich wenig später wieder vereinigen. Worauf die türkische Dame ihrem

Sohn zurief: müsaviymi§\ Niemand wird behaupten wollen, daß hier

ein Zweifel oder eine Unsicherheit obgewaltet hätte, denn der besagten

Türkin war gar keine Voraussetzung für einen Zweifel zugänglich. Sie

befand sich zum ersten Mal an dem betreffenden Ort und hatte auch

subjektiv keinen Grund zum Zweifel an meiner Aussage, denn sie wußte,

daß ich als Einheimischer die Gregend kannte. Auf meine Frage, warum

sie statt müsavidir die Form müsaviymi§ gebraucht habe, erhielt ich die

Antwort: „Weil Sie es sagen, nicht ich selbst". Meine weitere Frage,

ob sie meine Angabe damit bezweifeln wolle, wurde mit scherzhafter

Entrüstung entschieden verneint. Es ist also klar, daß die Dame ihrem

Sohne lediglich eine sachliche Inhaltsangabe meiner Äußerung geben

wollte. Ein folgerichtiges Weiterdenken im Sinne der Dubitativ-Theorie

würde hier zum Ergebnis haben, daß der Türke jede Erkenntms, die

ihm nicht durch unmittelbare eigene Beobachtung zufließe, grundsätz¬

lich bezweifle, was in sehr vielen Situationen geradezu dem Zweck jeg¬

licher Auskunftseinholung widerspräche. Ein besonders eingängiges Bei¬

spiel ist folgendes aus dem ,, Brief kästen" einer Zeitung. Der ,,Brief-

kastenonkel" schreibt: Bayan hize yeisli bir mektup yazdi. Bundan

ÜQ sene evvel evlenmi§, fakat aci bir hayal kmkh^ina u^rami^. Kocasv

kendisini kötü muamele etmi§ ve zina bile yapmi§. Bütün bunlan evvelce

bilseymi§ evlenmiyecekmi§ ... = ,,Frau hat uns einen verzweifelten

Brief geschrieben. Sie habe vor 3 Jahren geheiratet, aber eine bittere

^ Alle von uns angeführten Beispiele sind von gebildeten türkischen

Muttersprachlern nachgeprüft worden. Besonders zu Dank verpflichtet bin

icb in diesem Zusammenhang Frau Bedriye Atsiz und Herrn Gültekin

Oransay.

m

(5)

290 Hans Joachim Kisslino

Enttäuschung erlebt. Ihr Gatte habe sie schlecht behandelt und sogar

Ehebruch begangen. Wenn sie all dies vorher gewußt hätte, hätte sie

nicht geheiratet" usw. Der „Briefkastenonkel" hat kekien Grund zum

Zweifel, weder subjektiv noch objektiv. Er kennt die Briefschreiberin

gar nicht und alle mit dem Brief zusammenhängenden Umstände sind

ihm unbekannt. Er könnte einen allenfallsigen Zweifel auf nichts stützen.

Er gibt vielmehr ausschheßheh eine Inhaltsangabe des Briefes mit

seinen Worten wieder. Eine Weitergabe des Briefinhalts an dritte Per¬

sonen (hier: die Zeitungsleser) in Zweifels- oder Unsicherheitsform würde

den Sinn seines ganzen Unternehmens, des „Briefkastens", zwangsläufig

ülusorisch machen. Oder man stelle sich eine Situation wie diese vor:

eine mihtärische Truppe läßt durch einen Kundschafter einen Ein¬

heimischen nach Geschehnissen oder Geländeformationen ausfragen. Der

Kundschafter würde hier nach ausgeführtem Befehl etwa melden müssen :

Bu da^m arkasinda büyük bir köprü varmi§. Dun ak§am iki tabur filan

köyünden ge^mi§ = „Hinter diesem Berg liegt eine große Brücke.

Gestern abend haben zwei Bataülone das Dorf N. N. passiert". Es

ist schlechterdings unvorstellbar, daß ein müitärischer Führer auf¬

grund in solcher Form wiedergegebener Auskünfte seine Maßnahmen

einrichtete, wenn er diese Auskünfte für unsicher oder unglaublich

hielte. In Wirkhchkeit gibt eben der Kundschafter die Auskunft eines

Einheimischen sachhch, d. h. ohne jeghche subjektive Stellungnahme

wieder und die -mij-Form kann hier nur besagen, daß er eine Inhalts¬

angabe bietet.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sei hier bemerkt,

daß wir wohl wissen, daß die Fälle 1 und 3 {müsaviymi§ und die müitä-

rische Erkundung) im Deutschen durchaus passend mit „soll" oder

„angebhch" wiedergegeben werden könnten. Beim zweiten Beispiel

aber ginge dies schon schlechter. Dennoch liegen alle drei Beispiele,

türkisch gesehen, auf der gleichen Linie. Sie entsprechen etwa der

Nummer 6 der AufsteUungen G. D. Gulubovs.

Betrachten wir nun die Fähe, in denen die -mij-Vergangenheit in der

ersten Person vorkommt, und zwar im Sinne unserer ersten drei Beispiele.

Auch hier hegt klar auf der Hand, daß die Form zunächst nichts andere»

bedeutet als eine in Gestalt einer Inhaltsangabe wiederholte Äußerung

eines anderen, des Erst-Berichters. Nehmen wir an, A hat, ohne es

selbst zu bemerken, etwas Ungeschicktes getan, z. B. aus Versehen

ein Tischtuch beschmutzt. Er wird von B darauf aufmerksam gemacht

(etwa mit den Worten: sofra örtüsünü kirlettin „Du hast das Tischtuch

beschmutzt") und A muß nun an den sich nach dem Vorgang erkundi¬

genden C die Äußerung B's in der -mij-Form weitergeben, also: sofra

örtüsünü kirletmi§im ,,ich habe das Tischtuch beschmutzt". Natürlich

(6)

kann uns entgegengehalten werden, daß gerade hier eine Ubersetzung

wie „ich soll das Tischtuch beschmutzt haben" besonders gut am Platze

sei. Nun wird aber durch dieses „soll" ein Zweifels-, ja hier sogar ein

Entrüstungskoeffizient eingeführt, der in der -mj-Form tatsächhch

nicht enthalten ist. Denn A müßte dem C die Bemerkung des B {sofra

örtüsünü kirlettin ,,du hast das Tischtuch beschmutzt") auch dann in

der -mij-Form weitergeben, wenn ihm der unwiderlegliche Beweis für

die Richtigkeit der Behauptung geliefert würde, ja selbst dann, wenn

er sich nachträglich selbst seines Tuns bewußt würde.

Wir würden diesen letzteren Fall nicht so sehr betont haben — er

unterscheidet sich ja wesenmäßig überhaupt nicht von den ersten drei

Beispielen — wenn wir uns nicht hier bereits auf der Grenzlinie zu einem

anderen Gebrauchsfeld der -mi§-Form bewegen würden, nämlich dem

durch die Punkte 1 und 2 der G. D. GuLtrBOv'schen Aufstellungen an¬

gedeuteten. Würde nämlich, um beim Beispiel des beschmutzten Tisch¬

tuches zu bleiben, dem A statt der Äußerung des B (sofra örtüsünü kir¬

lettin) einfach wortlos das beschmutzte Tischtuch vor Augen gehalten,

so müßte A ebenfalls dazu sagen: sofra örtüsünü kirletmi§im. Um zu

zeigen, daß es sich hier nicht etwa um ein im gewählten Beispiel be¬

gründetes zufälhges Zusammentreffen handelt, sei noch ein weiterer Fall

angeführt: A bittet B, sich zu erkundigen, warum Fräulein Meserret

ihn (A) „schneide". B kommt mit dem Bescheid zurück: Meserret sana

dargm. Kendisine yazmaliymi§sin ,, Meserret ist böse auf dich. Du hättest

ihr schreiben sollen". Die Form yazmahymi§sin kann gedeutet werden

als Inhaltsangabe der Äußerung Fräulem Meserret's. Ihre originale Aus¬

kunft an B hätte dann etwa gelautet : Kendisine darginim,. Barm yaznia-

liydi „Ich bin böse auf ihn. Er hätte mir schreiben sollen", und B mußte

diese Aussage nach dem Muster unserer ersten drei Beispiele in der an¬

geführten -m«\s-Form dem A berichten. Die Form yazmaliyrm§sin kann

aber auch gedeutet werden als Stellungnahme des B aufgrund des Verhal¬

tens Fräulein Meserret's, indem die ,, stumme Sprache der Umstände

oder Tatsachen" ihm diese Schlußfolgerung aufdrängte. Das Beispiel mit

dem beschmutzten Tischtuch und das mit dem zürnenden Fräulein

Meserret zeigen deutlich, v,ie sich aus dem reinen waifc^i-Gedanken der

Gebrauch der -mij-Form bei der logischen Schlußfolgerung entwickelt.

Der Pfadfinder, der die Fährte des Feindes verfolgt, muß aufgrund der

Spuren auf dem Boden etwa sagen: §uralardan ge^mi§ „dort ist er

vorbeigekommen". Ja selbst das einen Originalvorgang unwiderleghch

und sogar ad oculos dartuende Lichtbild kann dem Betrachter nur eine

-mij-Form entlocken. Er wird in Bezug auf die Photographie eines

abgestürzten Flugzeuges nur sagen: u<^k dü§mü§ ,,Das Flugzeug ist

abgestürzt" und der Anblick eines gestürzten Baumes kann trotz aller

(7)

292 Hans Joachim Kissling

offensichtlichen Gewißheit darüber, daß er umgefallen sein muß, nur die

Wendung 0^09 devrilmi§ „der Baum ist umgefallen" zur Folge haben.

Mit anderen Worten : In dem durch die ersten drei Beispiele veranschau¬

lichten Verwendungstyp ist für den Gebrauch der -mij-Vergangenheit

die Existenz eines Erst-Berichte(r)s unumgänglich notwendig und aus

den weiteren Beispielen ergibt sich, daß an die Stelle des vorauszusetzen¬

den Erst-Berichte(r)s auch die stumme Sprache der Indizien treten kann,

d. h. daß sich die Verwendung der -mij-Vergangenheit zum Ausdruck

logischer Folgerungen^ als Variante des wa^;?i- Gedankens auffassen läßt.

Gerade hier muß die Unhaltbarkeit der Dubitativ-Theorie besonders in

die Augen springen. Denn es ist ja der Zweck jeder logischen Polgerung,

sich über einen anderweitig nicht zugänglichen Tatbestand Gewißheit

zu verschaffen, d. h. die Verwendung der -mij-Vergangenheit kann hier

keinen Zweifel oder auch nur Unsicherheit bezwecken, sondern im

Gegenteil höchstmögliche Gewißheit (im Deutschen meist mit ,, müssen"

wiedergegeben).

Verhältnismäßig einfach gestaltet sich die Frage in den Punkten 3 und

4 der G. D. GuLUBOv'schen Aufstellungen. Der Punkt hat Anekdoten

usw. im Auge, die tatsächlich durchwegs in der -mij-Vergangenheit

erzählt zu werden pflegen. Der Punkt 4 bedeutet nur die „parodistische

Nachahmung" anekdotischer Erzählweise, die zwangsläufig an die -mij-

Vergangenheit gebunden ist und daher wesenmäßig selbig mit dem

Inhalt des Punktes 3 ist. Wir können infolgedessen von der Anekdoten-

erzählweise ausgehen und den Punkt 4 getrost unbeachtet lassen, da er

sich zu Punkt 3 nur verhält wie die Parodie zum Original, d. h. in der

Form diesem durchaus gleich ist. Hier beruht die Anwendung der -mij-

Form nun keineswegs darauf, daß das erzählte Geschehen nicht tat¬

sächlich ist — wäre das der Fall, könnte auch kein Roman in der Per¬

fekt-Form geschrieben werden — sondern darauf, daß der Erzählcharak¬

ter der Anekdote stillschweigend einen (wenn auch imaginären oder

besser virtuellen) Erst-Bericht(er) voraussetzt, der bezw. dessen Bericht

nun entsprechend unseren ersten drei Beispielen ira Stil der Inhalts¬

angabe weitergeleitet wird. Wera nicht einleuchten will, daß ein virtuel¬

ler Erst-Bericht(er) stillschweigend vorausgesetzt werden kann, der sei

zunächst an die Tatsache erinnert, daß gerade das Türldsche eine starke

1 Wir brauchen nicht zu betonen, daß wir den Begriff der „logischen

Schlußfolgerung" selbstverständlich nur in dem Süine verstanden wissen

wollen, daß jemand durch Erschließung aus außerhalb der unmittelbaren

Beobachtung gelegenen Umständen zur Gewißheit über einen ansonsten

unzugänglichen Tatbestand zu gelangen versucht. Es ist dabei gleichgültig, ob die Folgerung tatsächlich und objektiv richtig ist oder den Erfordernissen der logischen Wissenschaft entspricht oder nicht.

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Vorliebe für stillschweigende Bezüge hafi. Vor allem aber sei auf fol¬

gendes Beispiel hingewiesen. Wer einen Türken nach seinem Geburtsort

fragt, ivird z. B. die Antwort erhalten: Izmir' de. do^mu§um „ich bin in

Izmir geboren". Da dieser Satz normalerweise schwerlich als anekdotisch

im Sinn des Punktes 3 oder gar Punktes 4 der G. D. GuLUBOv'schen

Aufstellungen zu deuten ist, kein sichtbarer Erst-Bericht vorhergeht

mid auch keine Schlußfolgerung angestellt wird, bleibt mchts anderes

übrig, als einen virtuellen Erst-Bericht oder auch virtuelle Indizien für

diese Behauptung vorauszusetzen. In der Tat sind solche unschwer zu

finden. Der Sprecher wird zwar kaum an der Tatsache seiner Geburt

zweifeln, er muß aber die -mi>Vergangenheit gebrauchen, weü er seine

Geburt nicht mit Bewußtsein erlebt hat. Vielmehr muß er sich auf

Indizien verlassen, als da sind : sein jetziges Dasein, sem Geburtsschein,

die Aussagen seiner Eltern usw. Diese Indizien allein können es sein,

deren stillschweigende Voraussetzung den Sprecher nötigt, sich der

-mij-Vergangenheit zu bedienen. Völhg ausfallen muß hier die Heran¬

ziehung etwa des Punktes 5 bei G. D. Gulübov, denn der Sprecher wird

bei der Schilderung seines bewußten Lebens sofort mit der Perfekt-

Form operieren, so daß nicht einzusehen wäre, warum er gerade bei der

Erwähnung seiner Geburt sich aus Höfhchkeit der -mij-Form bedienen

sollte. Mit anderen Worten : auch die Punkte 3 und 4 in G. D. Gulubovs

Aufstellung lassen sich ohne Gewaltsamkeit aus dem mfcZi-Gedanken

erklären und bedürfen der Dubitativ-Theorie keineswegs.

Es verbleibt uns nun noch fürs erste darzutun, daß auch der Punkt 5

der G. D. GuLUBOv'schen Aufstellungen der waÄ;/i-Theorie nicht länger

standhalten kann. G. D. Gulubov erklärt dort gewisse Verwendungs¬

weisen, für die hier der Typus hilsen hiz neler ge^irmi§iz „wenn du wüßtest,

was wir alles durchgemacht haben!" stellvertretend stehen möge. Es

besteht keinerlei Zweifel, daß es diese Verwendungsweise der -mij-Form

tatsächhch gibt, ebenso wenig kann in Frage gestellt werden, daß diese

Verwendungsweise nicht unter emem der übrigen Punkte G. D. Gulu¬

bovs aufgeführt werden kann. In unserem Beispiel ist klar, daß weder

anekdotische Auffassung nach Punkt 3 noch parodistische Auffassung

nach Punkt 4 in Frage kommen kann. Hingegen muß die Erklärung, daß

^ Das Tiukische liebt es, Bezüge zum Ausdruck zu bringen, deren Voraus¬

setzimg unsichtbar bleibt, nur stillschweigend vorausgesetzt wird oder

manchmal überhaupt nicht erkennbar ist. Wir denken an die häufige Ver¬

wendung des Possessivsuffixes der 3. Person, dessen Bezug oft nicht recht

einzusehen ist, z. B. in Wendungen wie mümkün oldugu kadar ,, soweit es

möglich ist", bir ha§kasi ,,ein anderer" usw. Vgl. dazu H. J. Kissling in

Der Islam XXIX (1948) S. 87—96, msbesondere § 31. Auch die Verwendung

der Fragepartikel mi in Sätzen mit Fragepronomen wäre hier zu erwähnen.

Vgl. H. J. KISSLING, a. a. 0. § 121.

(9)

294 Hans Joachim Kissling

hier aus Höfhchkeit gegenüber dem Angeredeten ein persönhches Er¬

leben in die „unbestimmte Form" gekleidet wird, doch recht gequält

klingen. Dagegen spricht zunächst, daß nicht ersichtlich ist, worin hier —

wenn man von der G. D. GüLUBOv'schen Erklärung ausgeht — denn

die Höfhchkeit bestehen soll und warum sie in solchen Fällen nicht

immer angewendet wird. Die Widersprüche würden sich sofort klären,

wenn man diese Verwendungsweise der -mij-Form als spiegelbüdhafte

Umkehrung des wafcZi-Gedankens aufzufassen sich entschheßen könnte.

Die Höfhchkeit des Sprechers, wenn man diesen Begriff schon mit an¬

führen will, bestünde dann daria, daß er seinen Erst-Bericht dem Ange¬

redeten bereits für dessen weiteren Gebrauch zurechtgemacht, d. h. in

die -mij-Form geldeidet (mit der der Angeredete, also der künftige

Zweit-Berichter, den Bericht notwendigerweise weitergeben müßte) dar¬

bietet, wodurch zweifellos die Anschauhchkeit des Berichtes erhöht wird.

Es spricht also auch beim Punkt 5 G. D. Gulubovs nichts Ernsthaftes

gegen eine Ableitung aus dem mH»-Gedanken, zumal auch hier von

Zweifel oder Unsicherheit der Aussage nicht die Rede sein kann. Kein

normaler Mensch wird ein Erleben, auf dessen Weitergabe an einen ande¬

ren er sichthch Wert legt, so darstellen woUen, daß der Angeredete dieses

Erleben als unsicher oder zweifelhaft auffassen muß. Dagegen ist durch¬

aus denkbar, daß ein Erleben statt in Erst-Berichts-Form aus Wirkungs¬

gründen in Zweit-Berichts-Form dargeboten wird, ebenso wie etwa ein

Berichterstatter statt aller Worte mit stummer Geste eine Photographie

des Geschehens vorzeigen könnte. Es ist aus diesem Gesichtspunkt sogar

möghch, daß ein Sprecher als sein eigener Zweit-Berichter fungiert,

womit sich Formuherungen wie burada do^mu§um, büyüinü§üm, ihtiyar-

lami^im „hier bin ich geboren, groß geworden und alt geworden"! z-vpang-

los erklären. Der Sprecher sieht gewissermaßen sich selbst wie ein Bild

und berichtet daher dementsprechend dem Leser, übrigens ein Stilmittel,

das auch andere Sprachen kennen, wenn sie auch keine eigene Form

besitzen, die hier auftreten könnte, sondern sich ersatzweise anderwei¬

tiger Ausdrucksweisen bedienen müssen. Wir zitieren aus einer will¬

kürlich ausgewählten deutschen Novelle«: „Max zuckte die Achseln. Für

welchen Tölpel mußte sie ihn halten, ihn, der sonst durch seine Unter¬

haltung allen Damen die Köpfe verdrehte ! Was für ein trauriger Geselle

war er geworden!" Eine genauere Betrachtung dieses Passus zeigt, daß

nur der erste Satz Erst-Bericht des Schriftstellers ist. Die weiteren Sätze

sind vom Schriftsteller zweitberichthch {nakli) wiedergegebene Äuße¬

rungen des Helden Max, der über sich selbst reflektiert. Statt des „Max"

1 H. W. Duda, a. a. O. S. 34L

« A. Dessauee, Jochwind. Ernste und launige Erzählungen aus luffger

Höhe (München 1902) S. 108.

(10)

und der ihn vertretenden Pronomina köimte ohne Sch-wierigkeit der Dichter sein „ich" einsetzen und es ergäbe sich mutatis mutandis prompt

der Typus do^mu^um, büyümü§üm, ihtiyarlami§tm.

Aus dem Gesagten folgert, daß sich alle bisher besprochenen Verwen¬

dungsweisen der -mij-Vergangenheit zwanglos und ohne inneren Wider¬

spruch aus dem naklt-Gedauken ableiten lassen, während die Dubitativ-

Theorie in vielen Fällen in Widersprüche sich verwickeln muß.

Zusammenfassend wäre also zu sagen :

1. Die -JTOJ-Vergangenheit wird verwendet zur wiederholenden Inhalts¬

wiedergabe von Erst-Berichten über vergangenes Geschehen durch den

als Zweit-Berichter fungierenden Sprecher, wobei der Erst-Bericht

auch stillschweigend vorausgesetzt werden bzw. nur virtuell vorhan¬

den sein kann. An die Stelle des Erst-Berichtes körmen auch Indizien,

aus denen das zu schildernde Geschehen sich erschließt, treten^.

2. Der Begriff mazii nakli der türkischen Grammatik, der, in unserer

hier dargetanen Weise gedeutet, für alle Verwendungen der -mi§-

Vergangenheit paßt, ist weder als „erzählende Vergangenheit" oder

„unbestimmte Vergangenheit" noch als „Dubitativ" zu deuten, son¬

dern als Zweit-Berichts-Form, welche Bezeichnung wir für die

-mif-Vergangenheit nunmehr vorschlagen möchten.

Unsere hier vorgetragene Deutung der -mij-Vergangenheit wäre unvoll¬

ständig, wollten wir lücht versuchen, die Stellung der Zweit-Berichts-Form

zur Erst-Berichts-Form — so müßte in unserem Sinne die türkische Be¬

zeichnung mazii §uhvdi (eigenthch : Augenschein-Vergangenheit) interpre¬

tiert werden — auf eine Formel zu bringen. Das Bestehen einer eigenen

Zweit-Berichts-Form ist sprachpsychologisch keineswegs ungewöhnhch,

wenn auch, soweit unsere Sprachenkenntnis reicht, eine Zweit-Berichts-

! Wesentlich ist, daß die Indizien tätsächlich einen Erst-Bericht ver¬

treten, d. h. daß ihre ,, stumme Aussage" von außen her an den Sprecher

herangetragen und von diesem weitergegeben wird. Nicht hierher gehören

selbstverständlich Indizien, aus denen der Sprecher selbst Folgerungen

zieht, die also einer Eigenerkenntnis entspringen und daher den Charakter

eines Erst-Berichtes haben. In diesen Fällen tritt der Typus -mi§ olacak

ein. Ein Beispiel: ioh sehe im Walde einen umgestürzten Baum und sage

daher zu meinem Begleiter: agap devrilmi^ ,,der Baum ist umgefallen". Ich war während des Ereignisses nicht dabei, doch ,,sagt" es mir der Zustand

des Baumes und ich gebe diese Erkenntnis gewissermaßen ,,als Zweit-

Berichter" weiter. Anders liegt aber der Fall bei folgender Situation: ich gehe durch einen Wald und höre plötzlich ein Prasseln. Mein Begleiter fragt

mieh, was das Prasseln bedeute. Darauf antworte ich : hir agac devrilmi^

olacak „ein Baum wird umgefallen sein". Meine Schlußfolgerung aus dem

Prasseln ist kein echter Zweit-Bericht, sondern die Grundlage eines von mir

zu verfassenden Erst-Berichtes, den ich in die Form einer sicheren Ver¬

mutung kleide.

(11)

296 Hans Joachim Kisslino

Form nach Art der türkischen uns ansonsten nicht bekannt ist. Tatsache

ist jedoch, daß überall sich das Bedürfnis fühlbar macht, den Unterschied

zwischen Erst-Bericht und Zweit-Bericht kenntlich zu machen, und daß

zu diesem Zwecke die verschiedensten Mittel eingesetzt werden^. Das

durch den Erst-Bericht zum Ausdruck gebrachte Geschehen ist seiner

Natur nach unwiederholbar und daher ist auch der Erst-Bericht in der

ihm eigenen Form unwiederholbar. Sein Inhalt, eben das geschilderte

Geschehen, kann nur als sekundäre Schilderung weitergegeben werden.

Der Erst-Bericht verhält sich, wenn das Bild erlaubt ist, zum Zweit-

Bericht wie ein originales Geschehen zu der Photographie, auf der es

festgehalten ist. Die -mij-Vergangenheit projiziert gewissermaßen ein

Erst-Berichts-Geschehen, nachdem dieses selbst „in der vierten Dimen¬

sion" verschwunden ist, auf eine festhaltbare Fläche, also in einen zeit¬

mäßig ungebundenen Raum, wo es nach Belieben jeweils besichtigt

! Das Bulgarische verwendet, soweit unsere Kenntnis reicht, seine beiden

Vergangenheiten ähnlich tiu-kischer Weise, indem der Typus -ah dem tür¬

kischen -dim, der Typus -al säm türkischem -mi§im entspricht. Ob und in¬

wieweit hier tiukisoher Einfluß wirksam ist, bedürfte ekier näheren Unter¬

suchung. Andere Sprachen müssen zu rein stilistischen Mitteln greifen. Wir

erwähnen einen Fall unserer bayerischen Muttersprache, der wohl in der

genannten Richtung zu deuten ist. Hier wird die Wiederholung einer fremden

Aussage einem anderen gegenüber durch Voranstellung des Supins (das

Bayerische kennt nur das Perfekt als Vergangenheit, während das Imperfekt

nur noch im Hilfszeitwort sein erhalten ist) bzw. — in entsprechenden

Sätzen — des Prädikatsnomens ausgedrückt. Allerdings ist diese Ausdrucks -

weise nur bei pronominalem Subjekt und pronominalem Objekt gebräuchlich.

Auf den ersten Blick sieht die Wondung nur nach einer Hervorhebung aus,

doch ist diese Art der Hervorhebmig eben notwendig beim Zweit-Bericht.

Ein Bayer, der einen weinenden Buben nach dem Grunde seines Schmerzes

fragt und von diesem die Auskunft erhält, seine Kameraden hätten ihn ver¬

prügelt, wird die Aussage des Buben an seinen Begleiter nur als g'haut

ham's'n = „geschlagen haben sie ihn" weitergeben, niemals aber in Aussage¬

form, die hier völlig unbayerisch wäre. Wir erinnern uns noch deutlich eines Witzes einer illustrierten satirischen Zeitschrift anläßlich der Einführung

der aUgemeüien Wehrpflicht 1936. Das Bild zeigte zwei bayerische Bauem-

burschen, die soeben das Musterungslokal verlassen und nun folgendes Zwie¬

gespräch führen : A : Taugli samma, Hias, was werd dei Resl dazua sag'n ?

B : O mei, die woaß des ja scho lang ! (= A : Wir sind tauglich, Matthias, was

wird deine Therese dazu sagen? B: Ach mein Gott, die weiß es ja schon

lange!). Es wäre irrig, anzunehmen, die Wortstellung taugli samma (statt

mir san taugli der Aussageform) sei erfolgt, um dem folgenden obszönen

Doppelsmn des Wortes tauglich (im militärischen und sexuellen Sinne)

Nachdruck zu verleihen. Vielmehr ist die Umstellung geboten durch die

Zweit-Berichts-Natur der Aussage des A, der nämlich den stillschweigend

vorausgesetzten bzw. durch das Bild des Musterungslokales veranschau¬

lichten Bescheid der Musterungsbehörde wiederholt. Anders wäre die er¬

wähnte Wortstellung nach den Regeln der bayerischen Syntax völlig sümlos,

ja geradezu falsch.

(12)

werden kann. Eine unbewußte Ahnung von diesem Umstand mag

J. Benzing seinerzeit zu der Behauptung veranlaßt haben, die -mi§-

Vergangenheit bezeichne einen „fertigen Zustand"^. In der Tat drängt

sich dieser Eindruck auf, vor allem wenn man die -mij-Vergangenheit

mit der Kopula versieht und die Bedeutung dieser Kombination sich

vergegenwärtigt .

Daß die Kombination -mi§ + Kopula -dir — und mutatis mutandis gilt

das Gleiche für die Kombination -mi§ -|- idim, idin, idi usw. — sowohl

von der Dubitativ-Theorie wie auch von der Hören-Sagen-Theorie aus

gesehen die Dinge auf den Kopf stellt, ist eine bekannte Tatsache, die

für die Verfechter beider Theorien ausgesprochen unbequem ist. Das

Ergebnis ist, daß die „Dubitativisten" sich zu der gequälten Erklärung

zu versteigen gezwungen sind, die Kopula -dir (bzw. die Formen idim

usw.) hebe eben den Dubitativsinn der -mij-Vergangenheit auf, während

die „Narrativisten" gestehen müssen, daß die Kopula -dir (bzw. die

Formen idim usw.) den „Hören-Sagen-Sinn" der -mij-Vergangenheit in

absolute GcHÖßheit verwandle. Das alles soll nun die inhaltlich doch

recht belanglose Kopula bewirken können. Wir hingegen brauchen von

unserem oben erarbeiteten Standpunkt keineswegs abweichen, denn

auch die Kombination -mij -f Kopula (bez. idim usw.) fügt sich wider¬

standslos in unsere nukli-Dentung ein: die Kopula spielt bei unserer

Auffassung der Zweit-Berichts-Form dieselbe Rolle, die das Fixiermittel

beim Photographen spielt, d. h. das Projektionsbild, um bei unserem

oben gewählten Ausdruck zu bleiben, wird durch die Kopula nicht im

Wesen verändert, sondern sozusagen „haltbar" gemacht. Daß der so

erzielte Nachdruck eine kategorische Nuance erhält, liegt fast in der

Natur der Sache. Wie das einfache Futurum -acak durch die Anfügung

der Kopula -tir einen Stich ins Imperativische erhält (auch im Deutschen

und anderswo ist eine Beziehung zwischen Futur und Imperativ zu

beobachten), so erhält die Zweit-Berichts-Form ebenfalls einen Stich

ins Imperativische, zum mindesten in den ersten und zweiten Personen,

bzw. ins Kategorische schlechthin, wie in den dritten Personen. Wenn

also der Sprecher unter Zugrundelegung einer tatsächhchen oder vir¬

tuellen Indizienauswertung sagt: duymu§sun = du hast gehört", so ist

dies eine einfache, durch Indizienauswertung erarbeitete FeststeUung,

die er ins Imperativisch-Kategorische abfärben kann, indem er sagt:

duymu§sundur „das hast du totsicher gehört, das mußt du gehört haben".

Wesenthch dabei ist, daß das Zustandekommen der Form duymu§sun

wie auch der Form duymu§sundur, also gerade ihre Verwendung, den

gleichen Umständen zu verdanken ist (hier der vorhergegangenen In¬

dizienauswertung), so daß ein Widerspruch zu unserer Zweit-Berichts-

1 H. W. Duda, a. a. O. S. 339.

(13)

298 Hans Joachim Kissling

Theorie nicht auftreten kann. Für die „Dubitativisten" und „Narra¬

tivisten" hingegen muß sich angesichts unserer Form ein Abgrund

auftun, umso mehr als, wie man sehr richtig bemerkt hat, insbesondere

der Typus -mi§ltr geradezu die Standardform jeghcher Nachrichtenüber¬

mittlung darstellt, also weder eine Zweifelerregung noch die Verbreitung

eines Hören-Sagen-Gerüchtes bezwecken kann^.

Noch aber können die ,, Dubitativisten" eine letzte Waffe ins Feld

führen, nämlich die -mij-Form vom Stamme die neben Direr unseren

obigen Ausführungen entsprechenden Verwendung auch in präsentischer

Bedeutung auftritt oder, wie H. W. Duda sich ausdrückt, bei welcher

die Vergangenheitsbedeutung zugunsten des Dubitativsinnes zurücktritt.

Daß der Typus imi§, sowohl für sich allein als auch in der Kombination

mit den Themen -lyor, -ar, -acak, -mali und selbst -mi§ d. h. mit den

partizipial abgewandelten Verbalformen, nicht nur Vergangenheits-

bedeutung hat — dieser Punkt kann hier außer Betracht bleiben

sondern auch präsentisch gedeutet wird, hat schon Altmeister J. Deny

bemerkt und gerade diesen Typus ausdrücklich als ,, Dubitativ" be¬

zeichnet«. Wir bedauern, dem Altmeister hier widersprechen zu müssen,

! Besonders deutlich wird die Nachdrucksnatur (nicht aber Wesens¬

verschiedenheit) des Typus gelmi§tir gegenüber dem Typus gelmi§, wenn man

von der verneinten Seite her an die Dinge herangeht. Normalerweise lautet

die Verneinung beider Typen natürlich gelmemi^ bzw. gelmemi^tir. Es gibt

aber auch eine kategorischere Art der Verneinung (allerdings nur bei parti-

zipal abgewandelten Formen bildbar), in der nicht der Verbstamra, sondem

allein die Kopula verneint wird. Dies ergibt den Typus kendisini sevmi^

degilim = „ieh habe ihn keineswegs geliebt", der aueh bei den anderen

partizipial abgewandelten Zeiten möglich ist, also kendisini seviyor degilim =

„ich liebe ihn keineswegs", kendisini sevecek degilim = ,,ich bin keiner, der ihn lieben würde", kendisini sevmeli degilim = ,,ich muß ihn durchaus nicht heben" usw. Der Sinn dieser Typen ist nämlich: ,,ich bin keiner, von dem eui anderer sagen könnte, er hat ihn geliebt (liebt ihn, wird ihn lieben, muß ihn lieben usw.)" Dreht man diesen Typus sinngemäß ins Positive, so ent¬

spricht einem kendisini sevmi§ degildir = „er hat üin durchaus nicht geliebt"

ein — kendisini sevmi^tir = ,,er hat ihn durchaus geliebt" = „er ist einer, von dem man (also ein anderer) sagen würde, er hat ihn geliebt". Diese Auf¬

fassung stünmt für alle Formen. Das erwähnte duymussundur ,,du hast das

totsicher gehört, du mußt das gehört haben" würde negativ (neben duyma-

mi§sindtr — ein seltener Typus —) heißen können duymu§ degilsin ,,du bist

keiner, von dem ein anderer sagen wiude, er hat es gehört" = ,,das kannst du unmöglich gehört haben". So gesehen, erklären sich auch gut Formen des Typus bilsen biz neler gecirmi§iz. Der Typus bedeutet : ,,Wir sind jemand, von

dem ein anderer sagen würde (oder die Logik zu sagen erfordern würde) :

Was hat er alles durchgemacht!" Die Verfechter der Dubitativ-Theorie müssen hier eine ISO^-Schwenkung machen, während unsere Zweit-Berichts-

Theorie auoh hier ohne Widersprüche anwendbar ist.

* J. Deny, Orammaire de la langue turque (Paris 1921) S. 556 u. ö.

(14)

nachdem wir der Überzeugung sind, daß auch diese Verwendungsweise

als sich widerspruchslos m unsere Zweit-Berichts-Theorie einfügend

dargetan werden kann.

Wenn es auch unbestreitbar ist, daß die genannten präsentischen

Verwendungsweisen von imi§ und seinen Kombinationen übhch sind,

so wären uns die Verfechter der Dubitativ-Theorie doch eine Erklärung

darüber schuldig, was sie berechtigt, aus der Aufgabe der Vergangen¬

heitsbedeutung und der Annahme der Gegenwartsbedeutung auf ein

Übergewicht der Dubitativ-Bedeutung zu schheßen. Uns scheint eine

Petitio prüicipü vorzuliegen, wenn versucht wird, mit dem Verschwinden

der Vergangenheitsbedeutung einen Dubitativsinn zu begründen, da hier

emdeutig eine Dubitativbedeutung der -mij-Form schon vorausgesetzt

wird.

Die Pragwürdigkeit der Dubitativ-Theorie in dem hier in Rede ste¬

henden Fall springt besonders in die Augen, wenn man etwa die bekannte

Fragewendung ne imi§'>: „Was ist los?" betrachtet. Der folgerichtige

„Dubitativist" würde uns hier zu glauben zumuten müssen, daß jemand

von vorneherein erwartet, eine Antwort zu erhalten, die er bezweifeln

muß. Hier würde der ganze Sinn jegUcher Auskunftseinholung illuso¬

risch werden. Auch vom ,, Narrativisten"-Standpunkt aus erscheint uns

die Frage ne imi§'i absurd, denn hier würde einerseits nach einem be¬

stimmten Ereignis gefragt und andererseits eine ledighch auf Gerüchte

gestützte Antwort gefordert. Unsere Zweit-Berichts-Theorie erlaubt indes

die Frage ne inii§ ? ohne weiteres, ohne daß der Logik Gewalt angetan

wird. Da wir den Zweit-Bericht grundsätzlich nicht als zweifelhaft oder

unsicher usw. ansehen, sondern als Inhaltsangabe ohne subjektive

Stellungnahme des Zweit-Berichters, kann bei unserer Auffassung

jemand in der Erwartung, einen Zweit-Bericht vorgesetzt zu bekommen,

jederzeit danach mit ne imi§ ? fragen, ohne sich dem Verdacht auszu¬

setzen, nach etwas von vorneherein zu Bezweifelndem oder Unsicherem

zu forschen.

Im Grunde liegen die Verhältnisse bei den verschiedenen Aussage-

formen mit -mi§ nicht anders. Die präsentische Bedeutung in den T3rpen

?iastaynit§, yatiyormu§, müezzinlik edermi§, gelecekmi§, yazmahymi§

erklärt sich u. E. keineswegs aus einer plötzlich auftretenden Dubitativ¬

bedeutung — warum tritt übrigens die Präsensbedeutung des

-mij-Suffixes just bei den Formen vom Stamme *i- auf, nicht

aber beim Typus gelmi§} — sondern zwanglos aus dem Umstand,

daß hier der Zweit-Bericht, also die -mij-Form, gegenüber dem Erst-

Bericht de facto zeitlich um eine Stufe verschoben ist. Wenn der Erst-

Berichter am Krankenbett Ali's steht, dort konstatiert: Ali hastadtr

„Ali ist krank" und dies nun weitergibt, so ist für den Zweit-Berichter 20 ZDMG 109/2

(15)

300 Hans Joachim Kissling

die Konstatierung der Krankheit Ah's durch den Erst-Berichter bereits

in der Vergangenheit gelegen. Der Zweit-Berichter kann also kaum

anders weiter berichten als: Ali hastaymi§. Entsprechend liegt der Fall

bei den anderen Typen. Der Erst-Berichts-FeststeUung Bedriye yatiyor

„Bedriye hegt (ist bettlägrig)" muß zweit-berichthch ein yatiyormu§, einem erst-berichthchem müezzinlik eder „er ist als Gebetsrufer tätig"

zweit-berichtlich ein müezzinlik edermi§, einem erst-berichtlichen gelecek

„er wird kommen" zweit-berichthch ein gelecekmi§, einem erst-bericht- Uchen yazmalid.ir „er muß schreiben" zweit-berichtlich ein yazmahymi§

entsprechen. Wie man sich den Übergang von der vergangenheitlichen

zur präsentischen Bedeutung des Typus imi§ zu denken hat, zeigt

besonders schön unser oben erwähntes Beispiel von der zürnenden

Meserret. Kendisine yazmaliymi§sin könnte sowohl vergangenheitlich

mit „du hättest ihr schreiben sollen" als auch präsentisch mit „du solltest ihr schreiben" wiedergegeben werden^.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß auch bei den zuletzt geschilderten

Typen von einem Dubitativ-Sinn keine Rede sein kann und daß hin¬

sichtlich der „Narrativisten" genau das Gleiche gilt Mie für die anderen

Verwendungsweisen der -mj-Form. Es ist nun noch die letzte Bastion

der „Dubitativisten" zu nehmen, der Typus gelmi§mi§, der in der Tat

! Daß ein gegenwärtiges Geschehen vom Gesprächspartner als bereits in

der Vergangenheit liegend angesehen wird, ist keineswegs dem Türkisehen

allein eigentümlich. Es darf etwa an den „Admirativus" des Albanischen erinnert werden, der seine Analoga auch in anderen südosteuropäisohen

Sprachen, z. B. dem Mazedonischen hat. Auch der Schwede beantwortet

eine Mitteilung über ein ihn bewegendes gegenwärtiges Geschehen ver¬

gangenheitlieh mit einem det var vackertl (gegen deutsches Das ist schönl).

Die Erscheinung des Koinzidenzfalles (vgl. dazu E. Koschmiedeb, Zur Be¬

stimmung der Funktionen grammatischer Kategorien (München 1945) =

Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch -

historische Abteilung, Neue Folge, Heft 25, 1945 S. 22ff.) kann vielleicht

hier insofern herangezogen werden, als er in einer Reihe von Spraohen ver-

gangenheitlich ausgedrückt wird, obwohl er doch gewissermaßen ein Voll¬

ziehen einer Handlung durch das Aussprechen der betreffenden Formel

(Typus: „Hiemit übergebe ich das Präsidium Herrn Huber") bedeutet, also

eine auf einen unendlich kleinen (,, unendlich klein" im mathematischen

Sinne) Zeitraum reduzierte Gegenwart darstellt. Für die betreffenden

Sprachen ist eben diese unendlich reduzierte Gegenwart sofort Vergangenheit

geworden. Das Türkisohe hat hier zwar seine praktische zeitlose Form

(„Aorist") und gebraucht diese auch für den Koinzidenzfall (Typus: te§ekkür ederim), benutzt gelegentlich aber auch das Perfekt (z. B. Urkundenformel

buyurdum ki „ioh befehle hiemit, daß ..."), das Griechische drückt sich

vergangenheitlich aus (Typus: ävc-yvcipiaa ,,ich gebe es (hiemit) zu"), des¬

gleichen das Arabische (Typus: c—ij = „ich bin einverstanden", ,,iob er¬

kläre hiemit mein Eüiverständnis"), das Kiswahili (vielleicht unter ara¬

bischem Einfluß) (Typus: nimestaqbazi „ich quittiere hiemit") usw.

(16)

Gerüchte bezeichnet. Hier deuten die Verfechter der Dubitativ-Theorie

das erste -mtj als Vergangenlieits- und das zweite -mi§ als Dubitativ-

kennzeichen. Sieht man jedoch genauer zu, so zeigt sich deutlich, daß

auch der Typus gelmi§mi§ keinerlei Widerspruch zu unserer Zweit-

Berichts-Theorie aufweist. Zunächst sei bemerkt, daß der Typus gelmi§-

mi§ überlegend volkssprachhch ist und, wie sich zeigen wird, ausge¬

sprochen „parodistischen Charakter" aufweist, also eigentlich unter

Punkt 4 der G. D. GuLUBOv'schen Aufstellungen einzureilien wäre. Die

Schwierigkeit — che in Wirklichkeit gerade bei Anwendung unserer

Zweit-Berichts-Theorie keine mehr ist — besteht darin, daß zweifellos

durch Anfügung an das Vergangenheitssuffix -mij das zweite -mi§ not¬

wendigerweise eine andere Bedeutung als die der Vergangenheit haben

muß, weil ansonsten diese Anfügung sinnlos erschiene. Hält man dazu,

daß der ganze Typus gelmi§mi§ tatsächhch Gerüchte bezeichnet, dann —

so glauben die Verfechter der Dubitativ-Theorie schließen zu soUen —

kann das zweite -mi§ wohl lüchts anderes als den Dubitativ bezeichnen.

Trotz dieser scheinbar ganz klaren Sachlage sind wix anderer Meinimg.

Die „Gerücht-Bedeutung" unseres Typus beruht nämhch keineswegs

auf der behaupteten Dubitativ-Bedeutung der vom Stamme *i- abge¬

leiteten -mij-Form (präsentisch), sondern auf der durch deren Anfügung

an eüie -mij-Vergangenheit bewirkten Anhäufung von Zweit-Berichts-

Formen. Daß das zweite -mij des T5^us gelmi§mi§ dem präsentisch ver¬

wendeten -mij des Typus hastaymi§, gelmeliymi§, yazmahymi§, gelecekmi§

usw. entspricht, wird wohl auch von den Verfechtern der Dubitativ-

Theorie nicht bestritten. Der „parodistische Witz" des Typus gelmi§mi§

aber beruht gerade darauf, daß eine Zweit-Berichts-Form die Rolle des

Erst-Berichts übernehmen muß. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht,

daß — um bei den Standardgestalten A, B und C zu bleiben — A (der

Erst-Berichter) dem B (dem Zweit-Berichter) nur mit seinerseits schon

zweit-berichthch erfahrenen Tatbeständen dienen kann, die an C weiter¬

zugeben dem B nur durch den Typus gelmi§mi§ ermöghcht wird. Mit

anderen Worten: gelmi§mi§ ist im Prinzip nicht anders zu bewerten als

der Typus hastaymi§ usw. und die Gerüchte-Bedeutung ist nicht durch

die Bedeutung des -m»j-Suffixes an sich verursacht, sondern durch die

Verlängerung der Überhefererkette. Ein Beispiel mag die Lage veran¬

schaulichen: A war in einer Gesellschaft und hat dort gehört, daß laut

eines anderen, früher gelegenen Erst-Berichtes Ali gestorben sei. Der von

A gehörte Originalbericht lautete also bereits Ali ölmü§ oder sogar —

siehe oben S. 297 f. — nachdrücklich Ali ölmü§tür. Tritt nun A dem bei der

GeseUschaft nicht anwesend gewesenen B gegenüber als Erst-Berichter

auf, so muß er das von ihm (A) vernommene ölmü§ und auch ein von ihm

vernommenes ölmü§tür als nunmehrigen Originalbericht verwenden. Wie

20*

(17)

302 Hans Joachim Kissling, Mazii nakli

soll nun B diese Sachlage dem C weitergeben ? Wohl kaum anders denn

als Ali ölmü§mü,% das korrekt nicht als „Ali soll, wie gerüchtweise ver¬

lautet, gestorben sein" zu deuten wäre, sondern etwa als ,,der Inhalt der Angabe des A ist, daß der Tod des Ali Inhalt eines von A weitergegebenen

Gespräches war". Über Zweifel oder Nicht-Zweifel am Tatbestand selbst

sagt auch der Tjrpus Ali ölinü§mü§ primär nichts aus, dieser Punkt

wird sekundär durch die Länge der Überliefererkette erst hinein¬

getragen. Es widerspricht also auch der Typus gelmi^m,i§ keineswegs

unserer Zweit-Berichts-Theorie, denn er sagt lediglich aus, daß der von

A erstattete Erst-Bericht schon aus Zweit-Berichten bestanden hatte.

Darauf weist insbesondere ein Satz wie yok, Ahmet gelmi§mi§, yok, Qok

i^mi§mi§ mi§ te mi§ler = ,, Ahmet ist gekommen und hat viel getrunken

usw." (d. h. ,,und viele andere -mij-Berichte hat es gegeben!")i.

Wir hoffen dargetan zu haben, daß bei allen uns bekannten Ver¬

wendungsweisen der -mij-Vergangenheit von einem Dubitativ-Sinn

keine Rede sein kann, und daß auch die Theorie von der ,, erzählenden"

oder „unbestimmten" Vergangenheit in der bisherigen Form nicht

haltbar ist. Sowohl die Dubitativ-Theorie als auch die ,,Narrativ-

Theorie" müssen sich angesichts der verschiedenen sich ihnen nicht ein¬

fügenden Verwendungsweisen der -mij-Vergangenheit in unlösbare

Widersprüche verwickeln, Widersprüche, die bei Anwendung unserer

Zweit-Berichts-Theorie nicht auftreten. Damit soll nicht geleugnet

werden, daß es Fälle geben kami, in denen die -mij-Vergangenheit auf¬

tritt und tatsächhch ein Zweifel oder eine Unbestimmtheit den Inhalt

des betreffenden Satzes bildet. Wir bestreiten aber, daß in solchen

Fällen Zweifel oder Unbestimmtheit durch die Bedeutung der -mij-Porm

bedingt smd, sondern sind der Ansicht, daß Zweifel und Unbestimmt¬

heit da, wo sie im Zusammenhang mit der -mij-Vergangenheit auf¬

treten, durch den Tatbestand als solchen bedingt werden.

! Der angeführte Klatschbasenbericht zeigt deutlich den parodierenden

Charakter des Typus gelmi^miq. Es wird fast lautmalend dargetan, daß in

der betreffenden Gesellschaft mit lauter -mif-Formen, also Zweit-Berichten

operiert wurde. Es wird also lediglich die Sprechweise der Be¬

richter nachgeahmt, aber nieht zum Inhalt der Aussagen Stel¬

lung genommen. Der Deutsche muß u.U. zum Mittel der Stimm-Nach-

ahmung, die schriftlich nicht ausdrückbar ist, greifen, um dem Typus

gelmi§mi§ gerecht zu werden.

(18)

Eine Dämonengestalt der türkischen Völker

Von Ulla Johansen, Hamburg

Ernest Jones nannte die drei wichtigsten Kennzeichen des typischen

Alptraumes quälende Angst, ein erstickendes Beklemmungsgefühl auf

der Brust und die Überzeugung hilflos gelähmt zu sein.^

Alle Völker haben diese schrecklichen Traumerlebnisse in einem frühen

Stadium ihrer Entwicklung Dämonen zugeschrieben. Auch nach dem

Aberglauben der Türken Anatoliens geht das Alpdrücken von emem

Geisterwesen aus, einer älteren oder jüngeren Frau, die sich im Schlaf

ihren Opfern auf die Brust setzt und ihnen das Atmen schwer macht. Man

sagt, sie trage oft ein rotes Gewand« und habe einen langen Körper,

schwarze, zerzauste Haare, kleine Füße und Hände mit dünnen, krallen¬

artigen Fingern und Brüste, die so lang seien, daß sie sie über die

Schulter werfen köime.^

Obwohl erzählt wird, daß sie eigenthch im Wasser zu Hause sei, trifft

man diese al kyzy, al kary oder al arm, auch albasty genannt, an einsamen

und nicht ganz geheuren Oi'ten an, wo sie Wanderer bedrängt und manch¬

mal mit einer häßlichen Stimme schreit.* Auch soll sie sich gern in großen

Pferdeställen einrüsten, um nachts die Pferde zu Schanden zu jagen.

Morgens sind die Tiere schaumbedeckt und abgemattet, obwohl sie doch

die ganze Nacht im Stall verbracht zu haben scheinen. Dabei flicht sie

aus der Mähne der Tiere Zöpfe, an denen sie sich festhält.*

Am schhmmsten aber wütet die Alpfrau bei den Wöchneriimen. Sie

verursacht das Kindbettfieber, indem sie sich den schlafenden Frauen auf

die Brust setzt, ihnen schwere Träume bringt, sie würgt und ihnen

schheßhch die Lunge aus dem Körper reißt, um sie zu verzehren* oder

nach anderen Berichten ins Wasser zu werfen.' Nach dem Aberglauben

! Der Alptraum. Schriften zur angewandten Seelenkunde, H. 14. Berl.

Lp. 1912. S. 13.

2 Ö. A. Aksoy; Qaziantep a^zi, Bd. III, Istanbul 1946. S. 37.

3 M. §. Ülküta§ir: Logusali fagi I. Halk bilgisi haberleri, YII 3, sayi 29.

Istanbul 1933. S. 159.

* A. Inan, Samanizm. Türk Tarüi Kurumu Yaylnlarmdan, VII Seri,

Nr. 24. Ankara' 1954. S. 171. ^ Ülkuta^ik a. a. O. S. 159.

" A. B. Yalgin, Cenupta Türkmen oymaklari, Bd. II. Ankara 1933. S. 87.

' H. Z. K09AY und I. Refet, Anadilden derlemeler, Bd. I. Ankara 1932.

S. 8; Inan a. a. O. S. 171.

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