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Archiv "Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (10): Lesotho statt Supertechnik der Gebrauch der eigenen fünf Sinne" (24.11.1988)

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Lebens- und Berufserfahrung durch ärztliche Entwicklungshilfe (10)

Medizinische Entwicklungshilfe im außereuropäischen Ausland wird aufgrund der Möglich- keiten einer breit gefächerten Aus- und Weiterbildung als Al- ternative zur hochspezialisierten Ausbildung immer lukrativer.

Wie am Beispiel Lesotho im süd- lichen Afrika gezeigt wird, ste- hen diesen jedoch hohe Anfor- derungen an das theoretische Wissen und das praktische Kön- nen gegenüber, auf die man vor- bereitet sein sollte.

D

as Bergkönigreich Leso- tho, ehemals britisches Protektorat Basutoland und seit 1966 unabhängig, mit einer konstitutionellen Monar- chie, vergleichbar der von Großbri- tannien, liegt als Enklave im Süd- osten der Republik Südafrika. Etwa so groß wie Belgien, zählt Lesotho zirka 1,5 Millionen Einwohner. Re- gierungssitz von König und Parla- ment ist die Hauptstadt Maseru, das Land selbst ist in Verwaltungsdi- strikte aufgeteilt. Aufgrund des Hö- henklimas, der niedrigste Punkt des Landes liegt bei etwa 1300 Metern und der höchste bei 3482 Metern, mit Temperaturen um 35 Grad Cel- sius im Sommer und im Winter tags- über um 20 Grad Celsius, nachts al- lerdings zuweilen auch weit unter dem Gefrierpunkt, herrscht gemäßig- tes, subtropisches Höhenklima vor.

JII■111M

Das

Gesundheitssystem

Gemäß dem WHO-Slogan

„Health For All By The Year 2000"

versucht das kleine Land im Rah- men der Hilfe zur Selbsthilfe, den Ausbau eines lückenlosen Netzes von einfachen Kleinstkliniken an- stelle von großen Krankenhäusern voranzutreiben. So existieren neben dem Zentralkrankenhaus des Lan- des in der Hauptstadt und einem

zentralen Fachkrankenhaus für Le- prapatienten in jedem einzelnen der insgesamt zehn Distrikte je ein mit- telgroßes Distriktkrankenhaus, das wiederum als Mutterhaus für zwölf bis achtzehn kleine Außenstationen,

„outclinics" , fungiert und diese über täglichen Funkkontakt und mo- natliche ärztliche Visiten betreut.

Der Zuständigkeitsbereich einer outclinic erstreckt sich auf die Be- wohner von zirka zwanzig bis dreißig Dörfern.

Das Zentralkrankenhaus ver- fügt über etwa 300 Betten und durchschnittlich fünfzehn Ärzte für die Fachdisziplinen Chirurgie, Inne- re Medizin, Gynäkologie/Geburts- hilfe, Kinderheilkunde, HNO- und Augenheilkunde sowie Psychiatrie.

Seit Jahren gibt es nur einen einzi- gen Pädiater und Psychiater mit ab- geschlossener Weiterbildung für das gesamte Land, meist zwei für die Disziplinen Chirurgie und Innere Medizin, und mitunter kommt es auch vor, daß monatelang über- haupt kein Spezialist zur Verfügung steht.

Von wenigen einheimischen Ärzten abgesehen, die in der Regel als niedergelassene Ärzte arbeiten, wird die klinische Versorgung des Landes hauptsächlich durch Arzte mit Zeitverträgen aus dem Ausland gewährleistet. Bei eher zentralisti- scher Verwaltung durch das Ministry of Health und erhaltener Restauto- nomie der Distriktkrankenhäuser

wird mehr und mehr Wert auf den Langzeiteffekt der Präventivmedizin gelegt. So werden Personen aus je- dem Dorf in Schnellkursen zu Dorf- gesundheitshelfern, „Village Health Worker", in den Fächern Erste Hil- fe, Ernährung und Hygiene ausge- bildet, und ohnehin erstaunlich gut geschultes Pflegepersonal (Schwe- stern sind grundsätzlich examinierte Krankenschwestern und examinierte Hebammen) wird in häufigen Wei- terbildungskursen und Workshops immer wieder motiviert, nicht nur kurativ, sondern vermehrt präven- tivmedizinisch zu arbeiten. Hinzu kommen nationale Ernährungs- und Impfkampagnen. Der chronische Mangel an Arzten, der enorme täg- liche Patientenandrang und das häu- fige Fehlen geeigneter Transport- mittel bei schlechter Infrastruktur lassen dagegen in der Praxis häufig nur die Beschränkung auf die kurati- ve Medizin zu.

Das

Krankheitsspektrum

Bei zwar unterschiedlichen pro- zentualen Verteilungsmustern kom- men in afrikanischen Entwicklungs- ländern praktisch alle in Europa be- kannten Erkrankungen vor, auch zum Beispiel die sogenannten Zivili- sationserkrankungen wie die essen- tielle/renale Hypertonie und Diabe-

Lesotho

statt Supertechnik der Gebrauch Thomas Speich

der eigenen fünf Sinne

Krankheitsspektrum und therapeutische Möglichkeiten in einem afrikanischen Entwicklungsland auf der Basis eines nach WHO-Prinzipien ausgerichteten Gesundheitssystems

A-3328 (30) Dt. Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988

(2)

Epi-/subdurales Hämatom

Schädeltrepanation

Hämato-/

Pneumothorax

Saugdrainage Therapie

Verletzungen

des Bauchraums Erkrankungen

Laparotomie Resektion Anastomose Verletzungen der Haut

und des Bindegewebes

Wundreinigung und Naht

Abscesse/Empyeme Inzision und Drainage in der Regel konservativ, d. h. Reposition, Ruhigstellung, gelegentlich offene Reposition und Verplattung

Frakturen

Problematik der Diagnostik

überwiegend nur in der Landessprache möglich

Anamnese

Körperliche Untersuchung

ungewollt kooperationsunfähige Patienten

Laboruntersuchungen unzureichende technische Ausstattung

Apparative ergänzende Untersuchungs- methoden,

EKG, CTG, Sonogra- phie, Endoskopie

fehlen völlig

Röntgen veraltete Anlagen

Zeit der unvorstellbar hohe Patientenandrang läßt kaum Zeit zur kritischen Reflexion Ausbildungsstand den meisten jungen Ärzten fehlen oft

Erfahrung und Praxis

Disziplinen wie HNO-, Augenheil- kunde, Urologie und Dermatologie sind hierunter subsumiert. Die in Deutschland gängige Aufteilung ei- nes Krankenhauses in verschiedene Abteilungen unterschiedlicher Dis- ziplinen gibt es nicht.

Neben traumatischen Läsionen jeglicher Art, angefangen bei ge- burtshilflichen Komplikationen bis hin zu Messerstichverletzungen bei tätlichen Auseinandersetzungen oder Polytraumata bei Unfällen, ist Afrika der Kontinent der Infektions- krankheiten, allen voran die Tuber- kulose und die Geschlechtskrank- heiten. Als weitere große Gruppe sind zu nennen die der Unter- bezie- hungsweise Fehlernährung zuzuord- nenden Erkrankungen, die häufi- gen, zu letaler Dehydration führen- den Diarrhoen, und bei den Vit- aminmangelerkrankungen an erster Stelle die Pellagra.

Zwar liegen keine gesicherten und aussagekräftigen Statistiken vor, und bestimmte Erkrankungen können mangels diagnostischer Un- tersuchungsverfahren überhaupt nicht diagnostiziert werden, aber dennoch lassen sich Erkrankungen herauskristallisieren, die häufiger in Europa und seltener in Afrika und umgekehrt in Erscheinung treten.

So sind die Herzinfarkte und die ko- ronare Herzkrankheit, Thromboem- bolien, Pankreatitiden, Ulcera ven- triculi/duodeni und die Colitis ulce- rosa eher selten anzutreffen, wohin- gegen auf genetischen Schäden be- ruhende Erkrankungen, Herzvitien, Spina bifida-Erkrankungen, die Por- phyria cutanea tarda, Vitiligo, Sca- bies, hämatologische Erkrankun- gen, Rabies, Tuberkulose, Typhus, Hepatitiden und Lebermalignome zum Beispiel auffällig häufig auftre- ten.

Therapeutische Möglichkeiten

Klassische tropische Erkrankun- gen treten eher in den Hintergrund, Malaria kommt aufgrund des oft trockenen Höhenklimas in Lesotho überhaupt nicht und nur selten im südlichen Afrika vor. AIDS ist nach tes mellitus, extrem selten dagegen

sind Herzinfarkte und Cholelitiden.

Hinzu kommen die klassischen Fehl- und Mangelernährungskrank- heiten wie Kwashiorkor und Maras- mus und die durch sie besonders be- günstigten Infektionskrankheiten, wie zum Beispiel die Tuberkulose und Lepra. Zusätzlich als Spezifi- kum, je nach klimatischer Zone, un- terschiedliche tropische Infektions- krankheiten, die oft endemischen beziehungsweise epidemischen Cha- rakter haben.

In der Regel setzt sich das Pa- tientengut zusammen aus akuten Notfallpatienten wie zum Beispiel:

rupturierten Tubargraviditäten, Hä- matopneumothoraces nach Messer- stichverletzungen, Frakturen,

Schlangenbißverletzungen oder chronischen Erkrankungen im Final- stadium wie zum Beispiel: Zervix- carcinomen im Stadium IV, ausge- dehnte Miliartuberkuloseerkran- kungen, chronische Osteomyeliti- den.

Dauerlieger und Pflegefälle, sta- tionäre Bagatellerkrankungen und chronische Erkrankungen im An- fangsstadium sieht man dagegen kaum.

In stationärer Behandlung be- findliche Patienten verteilen sich in etwa auf folgende Disziplinen:

Chirurgie/Orthopädie: 30 Pro- zent, Gynäkologie/Geburtshilfe: 25 Prozent, Innere Medizin/Pädiatrie:

40 Prozent, Psychiatrie/Neurologie:

5 Prozent. Patienten aus anderen

A-3330 (32) Dt. Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988

(3)

Jeweils 20 bis 30 Dörfer in Lesotho werden von der Außenstation eines der Distriktkran-

kenhäuser versorgt Foto: Speich

Spezielle Therapie in der Gynäkologie und Geburtshilfe

Blutungen Abrasio (fraktioniert), vorher PAP-Smear Rupturierte

Tubargravidität

Laparotomie, Tubenresektion, Re-Infusion des Blutes Uterus myomatosis abdominale Hysterektomie Zervixcarcinom Radiatio (Transfer nach Südafrika)

Beschränkung auf Aufklärung, Sperma- untersuchung, Hysterosalpingographie bzw. Pertubation mit Procain-Penicillin Sterilität

Geburtshilfliche Eingriffe

Vacuumextraktion, Zangenextraktion, Veit-Smellie-Handgriff, Sectio caesarea (Dekapitation)

wie vor ein zentralafrikanisches Pro- blem, jedenfalls bis zum jetzigen Zeitpunkt.

Die Zeiten Albert Schweitzers gehören, zumindest in Lesotho, be- züglich der Ausstattung an Medika- menten und medizinischem Instru- mentarium der Vergangenheit an.

Überwindet man die Probleme, die sich bei der Diagnosefindung erge- ben, und erlangt man, auch ohne Su- pertechnik, durch intensive Schu- lung der eigenen fünf Sinne differen- tial-diagnostisches Fingerspitzenge- fühl, so bieten sich einem überra- schend viele therapeutische Mög- lichkeiten. Für die Masse der kon- servativ-medikamentös zu behan- delnden Erkrankungen steht eine rote Liste mit einer Zusammenstel- lung von über 120 verschiedenen Medikamenten zur Verfügung, die von einem landeseigenen pharma- zeutischen Institut erstellt wird, das selbst Basismedikamente herstellt und gespendete Medikamente aus Übersee aussortiert und Qualitäts- kontrollen unterzieht. Theoretisch

ist die Palette ausreichend, praktisch sind jedoch wichtigste Medikamente oft wochenlang nicht mehr vorrätig.

Während im Zentralkranken- haus in der Hauptstadt in der Regel den Ärzten mit abgeschlossener Weiterbildung ein als durchaus aus- reichend zu bewertendes Opera- tionsinstrumentarium zur Verfügung steht, bis hin zu modifizierten A.O.

Osteosyntheseverfahren, müssen sich die meist sehr jungen Ärzte in den Distrikten auf eher notfallmäßi- ge Operationen beschränken, wobei selbst Schädeltrepanationen, intesti-

nale Teilresektionen im Ileuszustand sowie rupturierte Tubargraviditäten und in hoher Frequenz Sectiones caesareae zu bewältigen sind, und zwar in Spinalanästhesie, Ketanest- oder Äthernarkose, die häufig vom Operateur selbst eingeleitet und überwacht werden muß; Anästhesi- sten gibt es nicht in Lesotho. Je nach

Ausbildungsstand und zeitlicher Auslastung werden zusätzlich in un- terschiedlichem Ausmaß auch Elek- tiveingriffe durchgeführt, wobei ein qualitativ und quantitativ mangel- haftes Instrumentarium, nicht aus- reichende Lichtquellen, defekte Ge- neratoren und pseudosterile Opera- tionsräume als weitere limitierende Faktoren zu erwähnen sind.

Während in bezug auf die Ko- sten-Nutzen-Relation in Entwick- lungsländern auf die Computer- und Kernspintomographie zweifelsfrei auch in Zukunft verzichtet werden

kann, wären technisch besser ausge- rüstete Labors sowie die Möglich- keit der EKG-Registrierung und der Ultraschall- und Endoskopiediagno- stik sicher hilfreich.

Bei bis zu 300 ambulanten Pa- tienten pro Tag in extremen Situa- tionen gilt es jedoch, durch intensive Personalschulung ärztliche Aufga- ben an Schwestern zu deligieren, die in einem Screening Bagatellfälle herausfiltern und selbständig behan- deln. Langfristig muß aber der Prä- ventivmedizin vorrangig Platz einge- räumt werden, und hier bedarf es des besonderen Ideenreichtums und Organisationstalentes eines in der Entwicklungshilfe tätigen Arztes.

Schwangerenvorsorgeuntersu- chungen, Mutter-Kind-Beratungen, Impf- und Aufklärungskampagnen in Schulen und Dörfern sowie die Kooperation mit traditionellen Hei- lern auf der einen Seite und Einrich- tung spezieller Ambulanztage für chronische Erkrankungen, wie zum Beispiel Diabetes mellitus und Hy- pertoniepatienten, sowie bei jedem Patienten das Mitführen der eigenen Krankengeschichte in Form hand- schriftlicher, stichwortartiger Epi- krisen in einem individuellen Ge- sundheitsbuch in Paßformat auf der anderen Seite, sind bereits institutio- nalisierte Schritte in die richtige Richtung.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Thomas Speich Am Rott 27

4505 Bad Iburg A-3332 (34) Dt. Ärztebl. 85, Heft 47, 24. November 1988

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