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Die Rechtsstellung der Frau im Islam. Eine rechtshistorische Darstellung am Beispiel Persien/Iran. Diplomarbeit

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Academic year: 2022

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Die Rechtsstellung der Frau im Islam.

Eine rechtshistorische Darstellung am Beispiel Persien/Iran

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra

der Studienrichtung Rechtswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz

Eingereicht bei:

Ao.Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Anita Prettenthaler-Ziegerhofer

Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung der Karl-Franzens-Universität Graz

von

Mandana Rezaeian Graz, Juni 2012

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Ich versichere, dass ich die eingereichte Diplomarbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaub- ten Hilfsmittel bedient habe. Ich versichere ferner, dass ich diese Diplomarbeit bisher we- der im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als wissenschaftliche Arbeit vorgelegt habe.

Graz, Juni 2012

Unterschrift

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Danksagung

Ich möchte mich herzlich bei all den lieben Menschen, die mich während meines Studi- ums unterstützt haben, bedanken. Im Besonderen gilt dies meinen Eltern, Schahin und Hossein, die mich stets ermutigt haben weiterzumachen. Des Weiteren danke ich meinem Lebensgefährten, Florian Seeleitner für dessen unermüdliche Unterstützung, die mir viel Kraft gegeben hat.

Außerdem möchte ich mich noch bei Frau Prof. Prettenthaler-Ziegerhofer für die fachliche und organisatorische Unterstützung bzw. Betreuung dieser Diplomarbeit recht herzlich bedanken.

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis... iii

1. Einleitung ... 1

2. Iranisch-islamisches Recht ... 2

2.1. Rechtsquellen ... 2

2.2. Die Zwölferschia ... 3

3. Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung ... 5

3.1. Allgemeines ... 5

3.2. Die Einführung der ersten Verfassung (1906/1907) ... 7

3.3. Die Verfassung von 1979 und die Organisation des Staates ... 10

3.3.1. Strukturprinzipien der Verfassung ... 11

4. Die Frauenbewegung bis zur Islamischen Revolution ... 16

4.1. Die Stellung der iranischen Frau Anfang des 20. Jahrhunderts ... 16

4.2. Die Anfänge der Frauenbewegung ... 17

4.3. Der Aufbruch der Frauenbewegung, 1910 bis 1932 ... 19

4.4. Der Rückgang der Frauenbewegung und die Reformen der Pahlavi Ära (1925- 1979) ... 21

5. Die Stellung der Frau in der Islamischen Republik ... 25

5.1. Die Unterschriftenkampagne für Gleichberechtigung ... 27

5.2. Die Darstellung des iranischen Frauenbild anhand Ayatollah Khomeinis Sichtweise ... 28

5.2.1. Allgemeines ... 28

5.2.2. Ayatollah Khomeini (1902-1989) ... 29

6. Frauen in der Verfassung idgF. von 1979 ... 32

6.1. Frauen in der Präambel ... 32

6.2. Gleichheit auf verfassungsrechtlicher Ebene ... 33

6.3. Die politischen Rechte am Beispiel des Wahlrechts ... 38

6.3.1. Das Wahlrecht ... 39

6.4. Oberste Staatsorgane und Frauenrechte ... 40

(5)

ii

6.4.1. Der Religiöse Führer (rahbar) ... 40

6.4.2. Wächterrat (soura-je negahban) ... 43

6.4.3. Die Exekutive - Das Amt des Staatspräsidenten (raisjomhur) Art 113-132 IRI VerfG ... 46

6.4.4. Die Legislative – Das Parlament (majles-e shura-ye eslami) Art 62-99 IRI VerfG ... 49

6.4.5. Schlichtungsrat (majles-e taschkisemaslahat-e nezam-e eslami) und Expertenversammlung (majles-e khobregan) ... 52

7. Die Gleichheit auf einfachgesetzlicher Ebene... 54

7.1. Zivilrecht... 55

7.1.1. Berufstätigkeit der Ehefrau ... 56

7.1.2. Scheidungsrecht der Frau ... 56

7.1.3. Polygamie ... 58

7.1.4. Ehe auf Zeit (Genussehe) – legale Prostitution? ... 58

7.1.5. Zustimmung zur Ehe durch den männlichen Vormund ... 59

7.1.6. Erbrecht ... 59

7.2. Strafrecht ... 60

7.3. Arbeitsrecht (idgF. von 1991) ... 62

7.4. Ausgewählte einfachgesetzliche Normen ... 64

7.4.1. Das Richteramt ... 64

7.4.2. Frauen im Militär und Sicherheitsdienst ... 68

7.4.3. Reisepassgesetz ... 68

7.4.4. Kleidervorschrift ... 69

7.4.5. Staatsangehörigkeitsrecht ... 69

7.4.6. Geschlechtsspezifische Religionshindernisse ... 70

8. Zusammenfassung ... 72

Literaturverzeichnis ... 74

(6)

Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

ArbeitsG Arbeitsgesetz

Art Artikel

B-VG Bundesverfassungsgesetz

bzw. beziehungsweise

gem. gemäß

idF. in der Fassung

idgF. in der geltenden Fassung

IRI Islamische Republik Iran

IStGB iranisches Strafgesetzbuch

IZGB iranisches Zivilgesetzbuch

StGG Staatsgrundgesetz

u.a. unter anderem

v.a. vor allem

Verf. Verfassung

VerfG Verfassungsgesetz

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1 Einleitung

1. Einleitung

Die islamische Welt umfasst beinahe eine Milliarde Menschen und 48 Staaten in Asien und Afrika. Daher ist bei einer Vereinheitlichung der Stellung der Frau im Islam aufgrund ungleicher Gesellschaftsstrukturen und Rechtsnormen Vorsicht geboten. So ist die Stel- lung der Frau in Libyen nicht vergleichbar mit ihrer Stellung im Iran. Es ist aber Usus, dass sich alle Ausprägungen der islamischen Gesetzgebung auf den Koran, seine Ausle- gung durch Rechtsgelehrte und auf Jahrhunderte alte Traditionen beziehen.1 Hierzulande wird der Islam von Kritikern mit massiven Menschenrechtsverletzungen gleichgesetzt, Feminismus und Islam gelten als miteinander nicht vereinbar.2

Der Iran gilt im Hinblick auf die Diskussion um Frauenrechte als das Musterland innerhalb der islamischen Rechtsordnung, in dem die Diskriminierung von Frauen Programm ist.

Die westliche Welt assoziiert mit iranischen Frauen sofort das Bild von Frauen im schwar- zen Ganzkörperumhang. Diese eingeschränkte Sichtweise wird der Komplexität des Themas jedoch nicht gerecht. Auf diese Weise wird einerseits die große Bandbreite an geschlechtsspezifischen Diskriminierungen nicht sichtbar. Andererseits wird die Frau als unmündige Kopftuchträgerin degradiert und dadurch die seit Jahrzehnten stattfindende gesellschaftliche Entwicklung ausgeblendet.3

Die vorliegende Diplomarbeit gewährt einen Einblick in die hochbrisante und viel diskutier- te Thematik der rechtlichen Stellung von Frauen in der islamischen Republik Iran. Um den Einstieg in das iranische Rechtssystem zu erleichtern, kommt es in Abschnitt zwei zu ei- ner Erörterung der iranischen Rechtsquellen sowie der Zwölferschia4, welche die dortige Staatsreligion darstellt.

Abschnitt drei widmet sich den historischen verfassungsrechtlichen Geschehnissen von der Einführung der ersten iranischen Verfassung idF. von 1906/1907 über die Einführung der Verfassung von 1979 bis zur Gegenwart.

Der vierte Abschnitt diskutiert die Frauenbewegung in der Islamischen Republik Iran.

Hierbei wird dezidiert auf Forderungen, Erfolge sowie Misserfolge in Bezug auf Frauen- zeitschriften sowie Frauenvereine bzw. Organisationen eingegangen.

1 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit: Weibliche Sexualität im Iran ( 2007) 137.

2 Vgl. Amirpur, Islamischer Feminismus: Kritik und Inhalt eines Konzepts, in Meyer-Wilmes/Wacker (Hrsg.), Theologische Frauenforschung in Europa (2011) 195.

3 Vgl. Parhisi, Frauenrechte im Iran, Aus Politik und Zeitgeschichte, 49/2009, 21.

4 Die Zwölferschia ist eine Rechtsschule des Islam

(8)

Zu Beginn von Abschnitt fünf wird ein Einblick in die rechtliche und gesellschaftspolitische Stellung der Frau in der Islamischen Republik Iran gegeben, um im weiteren Verlauf eine Darstellung von feministischen Aktivitäten sowie des Frauenbildes von Ayatollah Khomei- ni zu ermöglichen.

In Abschnitt sechs liegt der Schwerpunkt auf der iranischen Verfassung idgF. von 1979, unter Berücksichtigung der Frauenrechte. Im Vordergrund steht dabei die politische Parti- zipation der Frau bzw. ihre Stellung in den obersten Staatsorganen.

Schlussendlich wird im letzten Abschnitt auf den Status der iranischen Frau in den ein- fachgesetzlichen Normen (Zivilrecht, Arbeitsrecht und Strafrecht und ausgewählten Rechtsbereichen) eingegangen, um die rechtliche Benachteiligung bzw. Diskriminierung von Frauen aufzuzeigen.

2. Iranisch-islamisches Recht 2.1. Rechtsquellen

Die Rechtswissenschaft (fiqh)5 im Iran fußt überwiegend auf der Shari`a.6 Unter Shari`a ist das universelle, göttliche (islamische) Recht zu verstehen.7 Ein Moslem ist nur der Mensch, welcher nach islamischem Gesetz lebt und sein Leben danach ausrichtet. Der hohe Stellenwert der Religion kommt in einer Vielzahl von Verfassungen islamischer Staaten zum Ausdruck. In der iranischen Verfassung idgF von 1979 kommt das große Gewicht der Religion dadurch zum Vorschein, dass in Artikel 13 IRI VerfG ausdrücklich das Bekenntnis zum Islam als offizielle Staatsreligion verankert wird.8

Die Bindung des iranischen Rechtssystems an das islamisch-schiitische Recht findet sei- ne verfassungsrechtliche Grundlage in Art 4 der iranischen Verfassung idgF. von 1979, welcher bestimmt, dass „alle Gesetze und Vorschriften in Zivil- und Strafrecht, Finanzwe- sen, Wirtschaft, Verwaltung, Kultur, Militär, Politik und sonstige Bereiche sich nach islami- schen Maßstäben richten müssen. Dieser Artikel beherrscht alle Artikel der Verfassung

5 Fiqh „ist der Prozess des menschlichen Bemühens, rechtliche Bestimmungen aus den Quellen des Islam zu extrahieren.“, Amirpur in Meyer-Wilmes/Wacker, 206.

6 Vgl. Tellenbach, Zwischen religiösem und säkularem Recht in muslimischen Ländern in Krawitz/

Reitfeld (Hrsg.), Islam und Rechtsstaat, Zentrum moderner Orient, Konrad-Adenauer-Stiftung (2008) 126.

7 Vgl. Amirpur in Meyer-Wilmes/Wacker, 206. wörtlich bedeutet shari`a: „der Weg, die Gesamtheit des Willens Gottes- wie er ihn seinem Propheten Mohammad offenbart hat“

8 Vgl. Tellenbach in Krawitz/ Reitfeld, Zentrum moderner Orient, Konrad-Adenauer-Stiftung (2008) 126.

(9)

3 Iranisch-islamisches Recht

sowie die anderen Gesetze und Vorschriften […]“9. Infolgedessen darf es keinen Bereich des iranischen Rechtswesens geben, welcher nicht mit islamischen Grundsätzen verein- bar ist.10

Art 4 IRI VerfG normiert, dass das islamische Recht nicht die einzige Grundlage der Ge- setzgebung ist, doch muss jede iranische Rechtsvorschrift den islamischen Gesetzen entsprechen, ansonsten droht Nichtigkeit. Außerdem werden die islamischen Normen als ergänzende Quelle etwa im Falle von Gesetzeslücken, herangezogen. In Bezug auf die Rechtsprechung bestimmt Art 167 IRI VerfG, dass ein Richter grundsätzlich an das kodifi- zierte Gesetz gebunden ist. Für den Fall, dass das Gesetz schweigt, mangelhaft oder mehrdeutig ist, wird ein Richter ermächtigt die Prinzipien der Shari`a anzuwenden. Das iranische Recht beruht somit faktisch auf zwei Rechtssystemen. Erstens auf den kodifi- zierten Rechtsquellen, basierend auf dem römisch-germanischen Recht. Es beinhaltet daher Elemente des westlichen, v.a. französischen und belgischen Rechts. Historisch gesehen lehnten sich die ersten Kodifikationen aus der Pahlavi Ära, wie das Zivilgesetz- buch, Handelsgesetzbuch, das Strafgesetzbuch und die Zivilprozessordnung an die euro- päischen Rechtssysteme an. Zweitens beruht es auf den islamischen Quellen. Diese ba- sieren auf dem Koran, der Sunna (Gewohnheiten des Propheten), dem Konsens und der Vernunft. 11

2.2. Die Zwölferschia

Aufgrund der vorherrschenden Stellung der islamischen Gesetze (Shari`a) in der irani- schen Rechtswissenschaft und der Tatsache, dass die Islamische Republik Iran ein theo- kratischer Staat ist, an dessen Spitze Gott bzw. der 12. Emam steht, ist es erforderlich einen Überblick zu der iranischen Staatsreligion zu schaffen. Im 16.Jahrhundert wurde die Zwölferschia durch die Safaviden-Dynastie als Religion des Iran eingeführt.12 Die Islami- sierung des Iran, kann zeitlich bereits mit der Schlacht von Nihawand, 642 n. Chr., in wel- cher die Königsdynastie der Sassaniden von den Arabern entscheidend geschlagen wur- de, abgesteckt werden. Die Niederlage gegen die Araber führte zur Islamisierung des Landes. Die vorherrschende Glaubensrichtung im Iran war bis zu dieser Zeit der Zoroast- rismus. Das iranische Hochland wurde durch die muslimischen bzw. sunnitischen Araber

9 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung der islamischen Republik Iran vom 15. Novem- ber 1979 (1985) 62.

10 Vgl. Siahpoosh, Das Familien- und Erbrecht im Iran (2006) 201.

11 Vgl. Abghari, Introduction to the Iranian Legal System and the Protection of Human Rights in Iran (2008) 63.

12 Vgl. Wienrich, Der politische Islam: Das politische System der islamischen Republik Iran als An- wendungsbeispiel und Totalitarismus: Der Zwiespalt zwischen Religion und Ideologie (2007), 3.

(10)

eingenommen. Das bedeutete für das damalige Persien in religiöser sowie kultureller Hin- sicht eine Verbindung mit dem arabisch-muslimischen Herrschaftsbereich.13 Die Islamisie- rung vollzog sich in einem jahrhundertelangen Prozess. Einflussfaktoren für eine rasche Konvertierung der Bevölkerung zum Islam waren etwa Steuerzahlungspflichten, welche nur Nicht-Muslime trafen und der damit einhergehende Finanzdruck, und außerdem all- gemeine und kulturelle Schlechterstellungen. Die Tatsache, dass die ehemals sozial füh- rende Schicht des Sassaniden Reiches sich aus Gründen der Besitzstandwahrung dem neuen Glauben angeschlossen hatte, führte zu einer Erhöhung der Anhängerschaft.14

Der Großteil der iranischen Bevölkerung ist Anhänger der schiitischen Richtung innerhalb des Islams. Die Ursache der Loslösung von der ursprünglichen Gemeinde der Sunniten war jene, dass sich nach Mohammads Tod 632 n. Chr. das Problem des Kalifats, d.h. der rechtmäßigen Stellvertretung stellte. Der Grund dafür war, dass Mohammad keine männ- lichen Nachkommen hinterlassen hatte und keine Nachfolgeregelung bestand.15 Die schii- tische Konfessionsgemeinschaft des Islam unterscheidet sich von der sunnitischen dahin- gehend, dass sie den Glauben vertreten, Ali ibn Abi Talib sei nach Gottes Willen der erste Nachfolger des Propheten Mohammads in der Führung.16

Im Iran sind die Schiiten Anhänger der sog. Zwölferschia. Die Zwölferschia beinhaltet fünf Prinzipien des Glaubens. Zu diesen gehören die Auferstehung, das Emamat (Nachfolger Mohammads), das Prophetentum, die Einheit Gottes und das praktisch wichtigste Prinzip, die Gerechtigkeit. Bedeutung hat das Prinzip der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Frauenrechten in jener Weise, dass Frauenrechtlerinnen hierdurch ihre Argumentationen für eine Änderung der diskriminierenden Gesetze ableiten.17

Das zentrale Element der Zwölferschia beruht auf dem Glauben, dass bis heute 12 Emame existiert haben.18 Die Stellung der Emame besteht in der spirituellen Leitung der Gemeinde.19 Der zwölfte Emam Mohammad al –Mahdi al-Muntazar ist nach dieser Auf- fassung nicht gestorben, vielmehr lebt er durch ein göttliches Wunder bis heute in der

13Vgl. Gehrke, Mensch und Gesellschaft in Gehrke/ Mehner (Hrsg.), Iran: Natur, Bevölkerung, Ge- schichte, Kultur, Staat, Wirtschaft (1975) 60.

14Vgl. Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 61.

15Vgl. Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 60.

16Vgl. Ende, Der schiitische Islam, in Ende/ Steinbach/ Krüger (Hrsg.), Entwicklung und Ausbrei- tung, Kultur und Religion, Staat, Politik und Recht. Der Islam in der Gegenwart, 71.

17Vgl. Amirpur in Meyer-Wilmes/Wacker, 209.

18 Vgl. Naini , Die Revolution im Iran (1979) 103.

19 Vgl. Ende, Der schiitische Islam in Ende/ Steinbach/ Krüger (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart (2005) 76.

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5 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Verborgenheit.20 Er soll nach schiitischer Lehre im Jahre 873 n. Chr. auf nicht geklärte Weise verschwunden sein. Am Ende der Tage soll er als Emam Mahdi zurückkehren, die Welt erlösen und ein Reich voll mit Frieden und Gerechtigkeit erschaffen.21

„Mit der Vorstellung vom zwölften Emam als den zu erwartenden Erlöser Mahdi ist in der Zwölferschia aufs engste mit der Lehre verbunden, dass bis zu seiner Rückkehr aus der Verborgenheit jegliche politische Herrschaft – auch die eines Herrschers, der sich zur Zwölferschia bekennt – nur bedingt legitim sein kann.“22

Die politische Bedeutung der Erwartung des zwölften Emam Mahdi liegt darin, dass jede iranische Staatsführung als eine Art vorübergehende Einrichtung gesehen wird, die keine letzte Verbindlichkeit impliziert. In der Pahlavi Ära wurde ebenfalls auf die überragende Stellung des Emam Mahdi in Artikel 2 des ergänzenden Verfassungsgesetzes (idF. von 1906/1907) Bezug genommen, und damit der schiitischen Geistlichkeit einen hohen Rang eingeräumt.23

Durch das Staatskonzept Ayatollah24 Khomeinis - welches von der den zwölften Emam Mahdi stellvertretenden und direkten Machtausübung des bestqualifizierten Rechtsgelehr- ten (velayat-e faqih) ausgeht, hat diese Doktrin ihren Weg in die Verfassung idgF von1979 der islamischen Republik Iran gefunden.25

3. Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung 3.1. Allgemeines

Um die gegenwärtigen politischen bzw. verfassungsrechtlichen Entwicklungen der IRI unter Berücksichtigung der Frauenrechte besser verstehen zu können, ist es erforderlich die historischen Geschehnisse näher zu beleuchten. Die arabische Invasion in Persien im Jahre 637 n. Chr. führte nicht nur zur Einführung der islamischen Religion sondern auch zur Verwurzelung der persischen Kultur mit arabischen Bräuchen und Sitten. Dennoch konnte die persische Identität weiter aufrecht erhalten werden. Das kommt beispielsweise

20 Vgl. Ende in Ende/ Steinbach/ Krüger, 75.

21 Vgl. Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 62.

22 Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 84.

23 Vgl. Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 62.

24 Ayatollah ist ein hoher religiöser schiitischer Titel einer kleinen Gruppe der angesehensten Reli- gionsgelehrten des Irans. Als Groß-Ayatollah wird der oberste von ihnen bezeichnet; vgl Tellen- bach, Untersuchungen zur Verfassung, 155.

25 Vgl. Wienrich, Der politische Islam, 85.

(12)

in der Beibehaltung der Nationalsprache, welche weiterhin persisch war und ist sowie einiger Bräuche (Neujahrsfest zu Frühlingsbeginn) zum Ausdruck. Dieses Verständnis ist wesentlich für die unterschiedliche Entwicklung des Iran im Verhältnis zu anderen islami- schen Staaten, vor allem zur arabischen Welt.26

Das iranische Rechtssystem kann aus historischer Sicht in zwei Zeitabschnitte geteilt werden, nämlich jene vor Gründung der Islamischen Republik (1979, 1980) und jene da- nach. Seit der konstitutionellen Revolution (1906/1907) zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine Vielzahl von Kodifikationen im Iran. Obwohl sich das islamische Recht zu dieser Zeit gewissen Entwicklungen unterzogen hatte, waren die islamischen Vorschriften dennoch nicht ausreichend, um alle Bedürfnisse und Fragen der Neuzeit zu bewältigen.

Daher wurde das unkodifizierte Recht, welches charakteristisch war für das traditionelle Rechtssystem, in der Pahlavi Dynastie (1925-1979) in den 20er und 30er Jahren des 20.

Jahrhunderts durch modernes gesatztes Recht in den Bereichen des Zivil-, Handels-, Straf-, und Verfahrensrecht ersetzt.27

Die islamische Revolution brachte fundamentalste Veränderungen in allen Lebensberei- chen und Rechtsgebieten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft mit sich. Auf diese Weise änderte sich der Charakter des iranischen Rechtssystems. Die drastischsten Modi- fikationen jener Zeit betrafen vor allem die Einführung einer neuen Verfassung und die Novellierung des Zivil- und Strafrechts, welche zur Schah Zeit noch eine Gleichstellung zwischen Männern und Frauen vorsahen.28

Die Zeit nach der Islamischen Revolution war von sehr großer Rechtsunsicherheit im ganzen Staat geprägt. Es bestand vor allem Unklarheit über die Geltung von vorrevolutio- nären Gesetzen. Die mit Gründung der Islamischen Republik 1979 eingeführte Verfas- sung legte im Art 4 IRI VerfG – wie bereits erwähnt – den Grundsatz fest, dass jegliche Gesetze und Verordnungen auf allen Rechtsgebieten mit den Grundsätzen des Islam kompatibel sein müssen. Daher wurden alle Rechtsvorschriften der Schah Zeit einer Normenkontrolle unterzogen. Zahlreiche Vorschriften wurden außer Kraft gesetzt. Die Richter wurden aufgefordert keine Gesetze anzuwenden, welche nicht dem Islam ent-

26 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung (2010) 103.

27 Vgl. Akhlaghi, Iranian Commercial law and the new Investment Law Fippa in Yassari (Hrsg.), The Shari`a in the Constitutions of Afghanistan, Iran and Egypt-Implications for Private Law (2005), 123.

28 Vgl. Akhlaghi in Yassari, 123.

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7 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

sprachen. Um die Islamkonformität künftig erlassener Gesetze sicherzustellen, ist der Wächterrat zur Überprüfung der Einhaltung dieser geschaffen worden.29

Die Trennung der Geschlechter nahm eine wesentliche Rolle in der Staatspolitik ein. Im Zuge dessen wurden zahlreiche neue „Islam-konforme“ Gesetze in Bezug auf Frauen erlassen.30 Abgesehen vom islamischen Kleidungscode (hegab) wurde ein Anstellungs- verbot von Frauen in zahlreichen Bereichen der staatlichen Verwaltung und Privatwirt- schaft eingeführt. Ein islamisches Strafgesetzbuch wurde verabschiedet, welches das Recht der Frau auf Leben nicht als menschliches Grundrecht schützt.31

3.2. Die Einführung der ersten Verfassung (1906/1907)

Die Grundform von Verfassungen entwickelte sich im 18.Jahrhundert. Seine Anfänge rei- chen in den USA bis 1787 und in Frankreich bis 1791 zurück.32 Die iranische Verfassung idgF. von 1979 basiert ihrem Aufbau und ihrer Regelungsmaterie nach auf diesem Grund- typus. Vor allem die belgische Verfassung von 1831 hatte großen Einfluss auf die irani- sche Verfassung. Da islamische Staaten äußerst bedacht darauf sind ihren islamischen Charakter zu wahren und als logische Konsequenz das europäisch beeinflusste Recht möglichst zu vermeiden, scheint es verwunderlich, dass die Grundform europäischer Ver- fassungen als Vorbild für die iranische Verfassung gedient hat.33

Um dieses Phänomen zu durchblicken ist es erforderlich einen verfassungsgeschichtli- chen Rückblick zu geben.34 Bereits im späten Mittelalter, bestanden Beziehungen zwi- schen dem Iran und dem römischen Reich. Die iranische Safaviden Dynastie (1501-1736) verzeichnete wirtschaftliche Beziehungen, wie beispielsweise gegenseitige Handelsbe- ziehungen mit dem Abendland. Es wurden Verträge bzw. politische Allianzen geschlos- sen. Zu diesem Zweck kamen verschiedene Delegationen in das Land, welche sich sogar die persische Sprache aneigneten. Es sind Aufzeichnungen von iranischen Botschaftern vorhanden, welche die Begeisterung für den Fortschritt und das Geistesleben der Euro- päer, etwa für die Industrialisierung und die parlamentarische Demokratie belegen. Diese Botschafter versuchten auch öffentlich iranischen Frauen jene Emanzipation zu teil wer-

29 Vgl. Yassari, Das islamische Familienrecht und seine Anwendung im Teheraner Familiengericht in Tellenbach/ Hanstein (Hrsg.), Leipziger Beiträge zur Orientforschung: Beiträge zum islamischen Recht 4 (2004), 67.

30 Vgl. Kar, Zum rechtlichen Status iranischer Frauen in Pusch, Die neue muslimische Frau (2001) 254f.

31 Vgl. Kar in Pusch, Die neue muslimische Frau, 254f.

32 Vgl.Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 108.

33 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 108.

34 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 109f.

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den zu lassen, welche sie bei europäischen Frauen vorfanden. Das alles stieß auf gewal- tigen Widerspruch bei der traditionellen islamischen Geistlichkeit, welche einen Autoritäts- verlust fürchtete. Diese ablehnende Haltung der Geistlichkeit gegenüber jeglichen Errun- genschaften aus der westlichen Welt zeichnete sich schon sehr früh ab. Sie zieht sich durch die gesamte iranische Verfassungsgeschichte und spielte daher eine wesentliche Rolle, sowohl während der konstitutionellen Revolution im Jahre 1906 bis 1911 als auch in der islamischen Revolution bis in die heutige Zeit hinein.35

In Persien des 19. Jahrhunderts herrschte eine streng absolutistische Monarchie mit des- potischen Zügen. Da der Verwaltungsaufbau im Land sehr rückständig war, gab es keine Kompetenzverteilung. Ein großes Problem stellte hierbei das Nomadentum in Persien dar.

Das Volk besaß weder Rechte noch Macht, da es nicht an der staatlichen Willensbildung beteiligt war. Grund dafür war das Verbot der Parteienbildung und politischer Vereinigun- gen. Es bestand weder Meinungsbildungs- noch Meinungsäußerungsfreiheit. Einzig der Hochadel verfügte über gewissen Einfluss. Der Schah allein erließ alles Recht als Königs- recht. Dieses Recht musste den islamischen Glaubenssätzen entsprechen und war sei- nem Inhalt nach an diesen religiösen Rechtssätzen des Korans gebunden. 36

Das vernunftrechtliche europäische Gedankengut des 18. Jahrhunderts verbreitete sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts, da zuvor die Königsdynastien eine Isolation des Lan- des zur Verhinderung von ausländischen Einflüssen anstrebte. Die ökonomische Notlage und Verarmung vieler Volksschichten, die völlige Entrechtung und Bevormundung des Volkes, welches sich seiner Lage durch eine Aufklärung junger, fortschrittlicher persischer Intellektueller immer mehr bewusst wurde, waren einige der Gründe dafür. Es machten sich außerdem religiöse Missstände sowie eine ungeschickte Innen- und Außenpolitik des Königs, welche zu einer starken Verschuldung an England und Russland und einer dem- entsprechenden Abhängigkeit dieser Länder führte, breit. Die vorbildliche westliche Ent- wicklung am Ende des 19. Jahrhunderts, welche den Gedanken einer konstitutionellen Monarchie mit politischer Beteiligung aufkommen ließ, führten schließlich zur konstitutio- nellen Revolution von 1906-1911. Sie war Ausdruck einer lang aufgestauten Unzufrieden- heit des Volkes, welchem eine einheitliche Leitung fehlte.37 Es war die erste demokrati- sche Revolution des Nahen und Mittleren Ostens.38

Eine Koalition aus religiösen Führern und liberalen Kräften hatte schon 20 Jahre lang mit Demonstrationen und Streiks um eine Verfassung gekämpft. Persien sollte nach ihren

35 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung (2010) 104.

36 Vgl. Kaviani, Das Problem demokratischer Wahlen im Iran (1963) 4ff.

37 Vgl. Kaviani, Das Problem demokratischer Wahlen im Iran, 4ff.

38 Vgl. Kermani, Iran: Die Revolution der Kinder (2001), 15.

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9 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Vorstellungen eine konstitutionelle Monarchie werden. Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage und wachsender Auslandsverschuldung unterschreibt der schwer kranke damalige Schah Mozaffar al-Din am 5. August 1906 die Verfassung, die eine konstitutio- nelle Monarchie nach europäischem Muster beinhaltete. Hervorzuheben ist die Einfüh- rung des ersten persischen Wahlrechtgesetzes. Es sah ein Sechs-Klassen-Wahlrecht vor, wobei Frauen aufgrund ihrer untergeordneten Stellung in der Gesellschaft sowohl vom aktiven als auch vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen waren.39

Gesetzlich geregelt war das absolute Wahlverbot für Frauen in Art 10 des Gesetzes zur Wahl des iranischen Parlaments, welches bestimmte, dass „ Personen, die nicht wählen dürfen sind: Frauen, Unmündige, die unter religiöser Vormundschaft stehen, diejenigen, die einen betrügerischen Bankrott verursachten, Bettler und solche, die auf unehrlichem Wege ihr Brot verdienen, ferner Mörder, Diebe und Kriminelle, die auf Grund islamischer Religionsgesetze verurteilt wurden.“40 Mit diesem Gesetz wurden Frauen mit Geistesge- störten und Verbrechern auf eine Ebene gestellt.41

Die Verfassung nahm sich zum Ziel, die Macht des despotischen Schahs eindämmen zu wollen. Das Ergebnis war eine konstitutionelle Monarchie.42 Hierdurch wurde das Volk erstmals zum Subjekt der politischen Macht und es kam zur Einführung eines Parlaments sowie der Gewaltenteilung. Die endgültige Verfassung trat am 8.10.1907 in Kraft.43 Es gelang mit dieser jedoch nicht, den Einfluss der Geistlichen einzuschränken. Die Verfas- sung enthielt zudem zahlreiche Vorschriften, die von Geistlichen durchgesetzt wurden, deren Hauptanliegen darin bestand, die ausländischen Einflüsse soweit wie möglich ein- zudämmen.44

Zwischen den Geistlichen und den säkularen Revolutionären bestand demnach seit jeher eine Rivalität. Die Geistlichkeit forderte eine Verfassung, die den islamischen Gesetzen entsprach. Dieses Verlangen spiegelte sich in einem Kontrollorgan, dem sog.

Modjtahedinrat, welches in der Verfassung idF. von 1906/1907 verankert wurde, wider.

Der Modjtahedinrat war mit hohen Geistlichen besetzt und diente dazu, jedes Gesetz auf seine Vereinbarkeit mit der Shari`a bzw. der islamischen Moral zu überprüfen.45

39http://www.stern.de/politik/ausland/2-die-geschichte-des-iran-teil-3-sehnsucht-nach-alter-groesse- 706277.html [16.02.2012].

40 Art 10 des Gesetzes zur Wahl des iranischen Parlaments (1963 außer Kraft getreten), zitiert nach: Mohamad Reza Schah Pahlawi, Die soziale Revolution Irans (1967) 102.

41 Vgl. Pahlavi, Die soziale Revolution Irans, 103.

42 Vgl. Schweizer, Iran: Drehscheibe zwischen Ost und West (1996) 251.

43 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 105.

44 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 10.

45 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 106.

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Die Säkularisten setzten sich hingegen für eine verstärkte Trennung von Verfassung und Religion ein. Des Weiteren strebten sie es an, eine Gleichberechtigung von Mann und Frauen in jedem gesellschaftlichen Bereich zu erzielen. Dieser Konflikt zwischen Klerus und den säkularen Revolutionären war damals wie heute der Hauptgrund für das zögerli- che Vorankommen der Frauenrechte.46

3.3. Die Verfassung von 1979 und die Organisation des Staates

Die Verfassung der islamischen Republik Iran wurde durch eine Expertenversammlung ausgearbeitet und ist idgF am 9. August 1979 in Kraft getreten.47 Sie spiegelt im wesentli- chen Elemente des schiitischen Staats- und Herrschaftsverständnisses wider.48 Den irani- schen Staatsapparat prägt eine komplexe bürokratische Struktur. Diese zieht sich von den Ministerien bis zum Parlament hindurch. Die heutige Islamische Republik Iran ist das Re- sultat von zahlreichen politischen Kompromissen der Revolutionäre. Iran kann nach der Revolution als stark ideologisch bezeichnet werden. Die Verfassung idgF. ist das Ergeb- nis der Anschauung des Führers der Islamischen Revolution (1977-1979), Ayatollah Khomeinis.49

Ayatollah Seyyed Ruhallah Ebn Mostafa Musawi Khomeini wird als bedeutendster und einflussreichster geistlicher Gelehrte in der Geschichte Irans der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts bezeichnet.50 Khomeini wurde 1902 in Chomein (Iran) als Sohn eines religi- ösen Rechtsgelehrten (Mustafa Musawi Khomeini) geboren und starb 1989 in Teheran (Iran). Er studierte an angesehenen theologischen Hochschulen und erlangte den Grad eines religiösen Rechtsgelehrten.51

Die Verfassung idgF. von 1979 basiert auf Ayatollah Khomeinis Konzept der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten (velayat–e faqih).52 Auf seiner Staatstheorie baut der isla- mische Staat bzw. die islamische Regierung auf. Khomeini war bis zu seinem Tod das

46 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 106.

47 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen in der islamischen Republik Iran seit dem Machtantritt Khatamis: Die Morgengabe und die Scheidung von Seiten der Frau (2003) 25

48 Vgl. Parhisi, Vom Wesen der iranischen Verfassung, Verfassung und Recht in Übersee (VÜR), 40.Jahrgang, 2007, 24.

49Vgl. Ehteshami, Machtstrukturen im Iran, Politik und Zeitgeschichte 49/2009, 9.

50Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit zwischen Utopie und Realismus: Zum Diskurs über Herr- schafts- und Staatsdenken im 20.Jahrhundert (2002) 202f.

51Vgl. Schweizer, Iran: Drehscheibe zwischen Ost und West, 269ff.

52Vgl. Sanasarian, The Women`s Right Movement in Iran (1982) 131.

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11 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Staatsoberhaupt der Islamischen Republik.53 Sie verkörpert einerseits eine stark abge- schwächte Form von Volkssouveränität, welche durch die direkte Wahl des Staatspräsi- denten (ra`is gomhur), des Parlaments (soura-je magles-e eslami), und der Expertenver- sammlung (soura-je xebregan) charakterisiert wird. Andererseits kann von einer Art religi- ösen Souveränität gesprochen werden. Dieser religiösen Souveränität kommt eine bei Weitem größere Bedeutung als der Volkssouveränität zu. Sie basiert auf dem Prinzip der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten (velayat-e faqih). Kennzeichnend für dieses Prinzip ist in erster Linie, dass wichtige politische Organe größtenteils von der Geistlich- keit bekleidet werden.54 Konkret geht es um 4 staatliche Kontrollorgane, deren Funktion darin besteht, die gesamte Gesetzgebung auf ihre Konformität mit den islamischen Prin- zipien (islamische Normen), deren primäre Rechtsquellen der Koran und die Sunna bil- den55, zu überprüfen.56 Zu diesen Organen zählen neben dem Religiösen Führer (rahbar), die Expertenversammlung (soura-je xebregan), der Schlichtungsrat (magma`e tasxis-e maslahat`e nezam) sowie der Wächterrat (soura-je negahban).57 Die Verfassung weist eine Dualität von islamischen und republikanischen Elementen auf.58

3.3.1. Strukturprinzipien der Verfassung

Zu den bedeutendsten Staatsstrukturprinzipien, welche unter Berücksichtigung verfas- sungsrechtlich gewährleisteter Frauenrechte von Bedeutung sind, gehören die Staatsform (Islamische Republik) und das Konzept der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten (ve- layat-e faqih).59

53Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit zwischen Utopie und Realismus: Zum Diskurs über Herr- schafts- und Staatsdenken im 20.Jahrhundert (2002) 202f.

54Vgl. Nowkam, Die rechtliche Stellung der Frauen, 25.

55Vgl. Shid, Selected Aspects of Iranian Family Law in Yassari, The Shari`a in the Constitutions of Afghanistan, Iran and Egypt: Implications for private law (2005) 141.

56 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen, 33.

57 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen, 25.

58 Vgl. Akhlaghi in Yassari, 124.

59 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 125.

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3.3.1.1. Die Staatsform

Gemäß Art 1 IRI VerfG ist Iran eine Islamische Republik (jomhuri-ye islami).60 Im Zuge der islamischen Revolution fand am 30. und 31. März 1979 eine Volksabstimmung statt, bei welcher rund 98,2 Prozent der Bevölkerung für eine Islamische Republik gestimmt hat- ten.61 Als Staatsform versteht man unter Republik das Gegenmodell zur Monarchie.62 Das Staatsoberhaupt in der Islamischen Republik Iran ist der Religiöse Führer. Die Anforde- rungen, die an diesen gestellt werden, sind, dass er der gerechteste und gelehrteste aller islamischen Rechtsgelehrten ist. Außerdem muss seiner Führerposition allgemeine Aner- kennung zukommen. Die Herkunft des religiösen Führers spielt dagegen keine Rolle.63

Die iranische Verfassung enthält selbstdefinierte, gottbezogene Grundlagen, welche grundsätzlich keine Volkssouveränität, sondern eine Souveränität Gottes vorsehen.64 Art 56 IRI VerfG normiert, „das absolute Recht zur Regierung über die Welt und den Men- schen gebührt Gott, und er hat den Menschen zur Regierung über sein eigenes soziales Schicksal befugt. Das Volk übet dieses volkgegebene Recht entsprechend der Artikel über die Gewaltenteilung aus.“65 Aus dieser Verfassungsnorm geht hervor, dass Gott eine unmittelbare und dem Volk eine mittelbare Souveränität zukommt.66

Die Möglichkeit der Schaffung einer Islamischen Republik kam während der iranischen Revolution erst gegen Ende 1978 auf.67 Erste Ansätze dazu entwickelte Khomeini jedoch bereits in seinem Werk „Kasf al- asrar“ (Enthüllung der Geheimnisse), welches 1943/44 erschien. Darin beschrieb er, dass die Monarchie nicht erforderlich sei und dass der Herr- scher von gläubigen Modjtaheds (religiösen Rechtsgelehrten) gewählt werden müsse, welche der göttlichen Führung mächtig seien. Zu dieser Zeit war Khomeini noch kein strik- ter Gegner der Monarchie. Seine extreme Abneigung entwickelte sich erst in Folge vehe- menter Ablehnung bzw. Feindseligkeit gegen den Schah. Seiner Ansicht nach war die erbliche Monarchie unislamisch. Dieser Gesichtspunkt findet sowohl in der Frühzeit des sunnitischen als auch des schiitischen Islam seine Ursprung. Das Emamat, die islamische Führungsbefugnis, war zwar erblich, jedoch nicht der Monarchie gleichgestellt und das Kalifat beruhte auf Wahlen.68

60 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 166.

61 Vgl. Schirazi, The Constitution of Iran: Politics and the State in the Islamic Republic of Iran (1997) 9.

62 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 168.

63 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 169.

64 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung,126.

65 Vgl. Art 56 Iranisches Verfassungsgesetz idgF. von 1979 zitiert nach: Parhisi, Verfassung und Recht in Übersee VÜR, 30.

66 Vgl. Parhisi, Verfassung und Recht in Übersee (VÜR), 30.

67 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 169.

68 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 167f.

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13 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Eine Definition der Republik war in Khomeinis Schriften jedoch nicht zu finden. Viele Men- schen erhofften sich zur Zeit der Islamischen Revolution soziale Gerechtigkeit, Unabhän- gigkeit, ein republikanisches System und vieles mehr. Im Zuge der Volksabstimmung über die Islamische Republik erklärte Khomeini kurz zuvor, dass es keine demokratische oder islamisch-demokratische Republik geben würde, sondern eine Islamische Republik und darunter sei zu verstehen, dass es zwar Meinungsfreiheit gäbe, jedoch alle religiösen Richtungen, die neben dem Islam (Zwölferschia) bestünden bedeutungslos seien.69

3.3.1.2. Das Prinzip der „Herrschaft des Obersten Rechtsgelehr- ten“ (velayat-e faqih)

Das sog. velayat-e faqih als Konzept der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten und das Prinzip der schiitisch-islamischen Regierung stellen gemeinsam die Fundamental- prinzipien der iranischen Verfassung dar. Die folgende detaillierte Darstellung dieses Konzepts dient dem besseren Verständnis der Rolle der Frau in der Verfassung.70

Das Staatskonzept Ayatollah Khomeinis stellt aus ideologischer Sicht das Kernstück der islamischen Republik dar.71 Es ist Ausdruck des durch Khomeini 1971 im irakischen Exil entstandenen Werkes namens hukumat-e islam bzw. velayat-e faqih. Als Grundlage dien- ten unter anderem die zahlreichen Vorlesungen, die er an der theologischen Hochschule in Najaf (Irak) gehalten hatte. Er fordert in seinem Werk eine unmittelbare Beteiligung der Geistlichkeit an der weltlichen Macht.72 Wesentlich in Hinsicht auf den Zugang zu öffentli- chen Ämtern, auch in Bezug auf Frauen, ist dieses Prinzip deswegen, weil gewisse Staatsämter nur durch gelehrte Geistliche ausgeübt werden dürfen. Das Staatskonzept wird als Ausdruck der schiitischen Interpretation des Emamats durch Ayatollah Khomeini gesehen.73

Hervorzuheben ist, dass es im Islam prinzipiell keine höchste Instanz gibt. Khomeini hat also mit der Einführung des Prinzips des obersten Rechtsgelehrten eine Ausnahme und keine Regel geschaffen. Außerdem ist zu betonen, dass dieses Konzept unter den schiiti- schen Rechtsgelehrten umstritten ist. Das könnte den Umstand erklären, warum jegliche Kritik daran als Tabubruch geahndet wird.74

69 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 169.

70 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 128f.

71 Vgl. Tellenbach, Zwischen religiösem und säkularem Recht in muslimischen Ländern, 126.

72 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 160f.

73 Vgl. Moschtaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Re- publik Iran (2010) 185.

74 Vgl. Tellenbach, Zwischen religiösem und säkularem recht in muslimischen Ländern, 126.

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„In der von Khomeini entwickelten religiös-politischen Konzeption des islamischen Staates sollten die bis dahin wenig erfolgreichen Entwicklungsstrategien von Staat und Gesell- schaft in der islamischen Welt nunmehr eine, an den Fundamenten des Islam orientierte Staatlichkeit erfahren. Zudem sollten die zum Zeitpunkt der Revolution vorgefundenen quasi postkolonialen Abhängigkeitsverhältnisse beseitigt werden, so der Anspruch. Kho- meini setzte die Aufgabe und Stellung der Statthalterschaft der Rechtsgelehrten über die Nation mit einer Vormundschaft über Minderjährige gleich.“75

Die Grundidee Khomeinis bei der Entwicklung seines Konzepts bestand darin, dass die bestmögliche Art zur Umsetzung der Gesetze Gottes die Schaffung eines islamischen Staates sei. Als Vorbild für seine Überzeugung diente dabei die Führung des Staates un- ter dem Propheten Mohammad.76 Das Emamat im historischen Mekka und Medina war nicht nur für religiöse Belange verantwortlich gewesen, sondern vielmehr auch für rechtli- che, politische, soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten.77

Khomeini war es durch seine Staatstheorie in den späten 70er Jahren gelungen, eine völlig neue Herrschaftsform, ausgeübt durch die religiöse iranische Elite, zu etablieren.

Die Geistlichkeit als staatliches Staatsoberhaupt wurde in der Verfassung von 1979 recht- lich verbindlich institutionalisiert. Bei einem verfassungsgeschichtlichen Rückblick Irans wird klar, dass dies einen bemerkenswerten Einschnitt darstellt. Es kommt die Frage auf, wie eine solche Herrschaftsstruktur zu legitimieren ist, denn die Heranziehung der Herr- schaft einer religiösen Instanz nach dem einzigartigen Vorbild der Propheten gilt als um- stritten. Khomeini hat versucht, die Herrschaft einer klerikalen Autorität als logisch vo- rauszusetzen und begründete dies mit der „Vernunft“ (aql).78 „Das Prinzip der Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten […] benötigt eigentlich keine Begründung. Es ist sozusa- gen a priori „notwendig“ und selbstverständlich, und deshalb macht er es zu den Prämis- sen seiner theologischen Beweisführung. Dass es überhaupt begründet werden müsse, liege an den historischen Problemen der islamischen Gesellschaften, für die er die Kalifendynastien, die Kreuzzüge und nicht zuletzt den westlichen Kolonialismus verant- wortlich macht. Vor allem aber habe man den Islam verfälscht und ihn als eine Religion ohne politische Zielsetzung und Lebensführung dargestellt.“79

75 Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 117.

76 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 118.

77 Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit, 202.

78 Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit 202.

79 Hajatpour, Iranische Geistlichkeit, 203f.

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15 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Die verfassungsrechtliche Inkorporation der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten findet sich in der Präambel80 und in Art 5 IRI VerfG der Verfassung. Art 5 IRI VerfG nor- miert, dass die Führungsbefugnis bzw. Amtsführung der islamischen Gemeinschaft dem

„gerechten, gottesfürchtigen, tapferen, über die Erfordernisse der Zeit informierten, zur Führung befähigten Rechtsgelehrten“ (faqih) zukommt. Khomeini hatte sich die Rolle als

„Religiöser Führer“ selbst zugeschnitten und das Amt des „obersten Rechtsgelehrten“

bzw. – wie es in der Verfassung heißt – Religiösen Führers bis zu seinem Tod 1988 selbst inne. In Art 1 IRI VerfG wird er als „Gründungsvater“ der Islamischen Republik und erster religiöser Führer verankert und gewürdigt.81 Khomeinis Tod führte dazu, dass „die Herr- schaft des obersten Rechtsgelehrten“ im Zuge einer Verfassungsänderung 1989 als abso- lut und unveränderlich verbrieft wurde.82

Khomeini beschreibt in seinem Werk außerdem, dass die Befolgung islamischer Gesetze auf Freiwilligkeit beruhe. Jedoch wird die Wahrung der persönlichen Freiheit der Normad- ressaten weder durch die islamische Gesetzgebung noch durch Legislative und Exekutive befolgt. Ein gutes Exempel für diesen Fall in Bezug auf Frauenrechte stellt das symbol- trächtige Kopftuchgebot für Frauen dar, welches im Falle der Nichtbefolgung mit enormer Härte geahndet wird. Eine Freiwilligkeit des Kopftuchtragens kann also keineswegs impli- ziert werden. Daher stellt der Aspekt der Freiwilligkeit in Hinblick auf die Rechtswirklichkeit einen Widerspruch dar.83

Es darf dennoch nicht von einer Unveränderlichkeit bzw. Starrheit islamischer Gesetze ausgegangen werden. Das Konzept des velayat- e faqih sieht vor, dass sog. Modjtahedin, darunter sind islamische Rechtsgelehrte zu verstehen, zur selbstständigen Koranausle- gung sowie zur Weiterführung bzw. Auslegung der Shari`a befugt sind. Dies bedeutet, dass eine Rechtsfortbildung durch die genannten Gelehrten möglich ist. Überdies gibt es die Möglichkeit nach Khomeinis Staatskonzept, die islamischen Vorschriften, wenn diese mit dem öffentlichen Interesse unvereinbar und somit nicht im Einklang mit der Wahrung

80 IRI VerfG Präambel, 7.Abschnitt: „Ausgehend von der allgemeinen Sachwalterschaft und dem immerwährenden Emamat stellt die Verfassung die Grundlage für die Verwirklichung der Staats- führung durch einen islamischen Rechtsgelehrten bereit, der alle Voraussetzungen erfüllt und vom Volk als islamischer Führer anerkannt wird, und Garant dafür sein soll, dass die verschiedenen Institutionen von ihren eigentlichen islamischen Pflichten nicht abweichen. Der Ablauf der Dinge liegt in den Händen derer, die Gott kennen und seinen Geboten und Verboten treu sind.“, zitiert nach: Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 54.

81 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 129.

82 Vgl. Tellenbach, Zur Änderung der Verfassung der Islamischen Republik Iran Orient, 31 (1990) 45ff.

83 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 118.

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der Interessen des Volkes sind, nicht anzuwenden. Jedoch sind bezüglich des Frauen- rechts keine (derartigen) Veränderungen angestrebt worden.84

Abschließend ist das Prinzip der schiitisch-islamischen Regierung zu erwähnen, welches eng mit dem Konzept des velayat- e faqih verknüpft ist. Khomeini hatte 1979 die umfas- sende Umsetzung seiner Staatstheorie in das Verfassungsrecht verfügt. Daher erfährt das Prinzip der schiitisch-islamischen Regierung in der Präambel der Verfassung idgF. eine umfassende Verankerung. Kennzeichnend für eine islamische Regierung ist, dass sie auf den Prinzipien und Normen des Korans und der Sunna basiert. Sie ist charakteristisch für eine legitime Herrschaft, welche auf der absoluten Souveränität Gottes beruht.85

4. Die Frauenbewegung bis zur Islamischen Revolution

4.1. Die Stellung der iranischen Frau Anfang des 20. Jahrhun- derts

Wie auch in Europa wurden iranische Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Qadjaren Dynastie (1779-1925) in fast jedem Aspekt des Lebens degradiert und hatten ausschließlich eine minderwertige Stellung in der Gesellschaft inne. Die Bildungschancen für Frauen waren kaum vorhanden und es gab so gut wie keine Publikationen von Wer- ken, die von Frauen geschaffen wurden. 1925 waren knapp 3 Prozent der gesamten Be- völkerung gebildet. Die führenden Geistlichen proklamierten, dass Bildung bzw. politische Partizipation von Frauen gegen den Islam verstoßen würde und eine gefährliche Bedro- hung für die ganze Gesellschaft darstelle. Außerdem wurde die Ansicht vertreten, dass das weibliche Gehirn nur halb so viel Aufnahmefähigkeit für Wissen besaß wie das Männ- liche. Diese Faktoren waren der Anlass dafür, dass Frauen dazu gezwungen waren, ihre Bildung geheim zu halten.86 Diejenigen Familien, die ihren Mädchen erlaubten sich zu bilden, gestatteten nur das Erlernen des Lesens und nicht des Schreibens, da befürchtet wurde, die Mädchen würden Liebesbriefe an Männer verfassen und damit ihre Familien entehren.87

84 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 118.

85 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 128f.

86 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran: Mutiny, Appeasement, and Repression from 1900 to Khomeini (1982), 13f.

87 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 30.

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17 Die Frauenbewegung bis zur Islamischen Revolution

Im gesellschaftlichen Leben wurden Frauen und Männer in jedem Bereich voneinander getrennt. Auf den Straßen der iranischen Hauptstadt Teheran durften Frauen und Männer sich aufgrund einer Regelung ab 16.00 Uhr nicht auf derselben Straßenseite aufhalten.88

Es herrschte ein rückständiges und frauenfeindliches Gesellschaftsbild. Frauen waren rechtlich schlechter gestellt als Männer, Kinder-Ehen genauso wie Zwangsehen alltäglich.

Der Ehemann konnte seine Ehefrau jederzeit ohne Angabe von Gründen verstoßen und insgesamt vier Frauen ehelichen. Frauen war es weder gestattet zu wählen, noch irgend- welche politischen Positionen zu bekleiden.89

Der religiöse und gesellschaftliche Druck in der damaligen Gesellschaft verlangte eine äußerst strenge Mädchenerziehung. Es gab gesellschaftliche Benimmregeln, welche Mädchen von klein auf indoktriniert wurden. Sie wurden dazu erzogen, demütig, schwach und unterwürfig zu sein. Es herrschten patriarchalische Verhältnisse, in denen Frauen sogar den eigenen jüngeren Brüdern untergeordnet waren.90 Die strenge Ausbildung, die Mädchen zuteil gekommen ist, bezieht sich nicht bloß auf die Anfänge des 20. Jahrhun- derts, sondern zieht sich von der Pahlavi Dynastie bis hin zur Khomeini Ära (seit 1979).91

4.2. Die Anfänge der Frauenbewegung

Die Anfänge der politischen Partizipation von Frauen im Iran können im späten 19. Jahr- hundert - in der Qadjaren Dynastie – mit der sog. Tabak-Bewegung (1890/1891)92 ver- zeichnet werden.93 An den Protestbewegungen und den Boykotts nahmen Frauen aktiv an der Seite der Männer teil.94 Es gab schon zu dieser Zeit weibliche Persönlichkeiten, welche sich für ihre Befreiung einsetzten indem sie geheime Frauenvereine gründeten und heimlich Schriften verfassten. Dazu gehörten Frauen aus dem königlichen Harem, wie etwa Mahd Oliya Gahan und Anis ad-Doule.95

88 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 14.

89 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 14.

90 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 14f.

91 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 14.

92 In der Tabak- Bewegung ging es um Massenproteste der aufgebrachten iranischen Bevölkerung aufgrund einer Konzession, die an England übertragen wurde, mit dem Inhalt, dass England auf iranischem Territorium Tabak anbauen, verkaufen und exportieren darf; Doch schon 1872 zogen die ersten sog. Reuterkonzession Frauen als Demonstrantinnen auf die Straße, jedoch nicht in so großer Zahl, wie in der Tabak- Bewegung; vgl. dazu: Abid, Journalistinnen im Tschador, 15.

93 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 126.

94 Vgl. Vakil, Women and Politics in the Islamic Republic of Iran (2011) 13.

95 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 126f.

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Im Laufe der konstitutionellen Revolution (1906-1911) etablierte sich die politische Partizi- pation von religiösen sowie säkularen Frauen immer mehr. Infolgedessen entstanden wei- tere Frauenorganisationen und Vereine (anjomans). Zur Unterstützung der Einführung einer Verfassung initiierten die Organisationen und Vereine sowohl gewalttätige als auch nicht gewalttätige politische Aktionen, um koloniale Einflüsse seitens England und Russ- land zu bekämpfen.96

1906 entstanden die ersten nicht geheimen Frauenorganisationen, welche in ihrer Tätig- keit immer unabhängiger wurden. Es waren in erster Linie Organisationen mit nationalisti- schen Ideologien.97 Schließlich wurde die Umgestaltung der absoluten Monarchie in eine konstitutionelle bewirkt und die erste iranische Verfassung 1906/1907 eingeführt. Im Jahre 1908 kam es zur Verabschiedung des ersten Pressegesetzes.98 Jenes Gesetz legte den Grundstein für die Veröffentlichung von Frauenzeitschriften und kann somit in weiter Fol- ge mit dem Beginn der Frauenbewegung im Iran in Zusammenhang gebracht werden.99

Die Teilnahme an der konstitutionellen Revolution durch weibliche Mitstreiterinnen hatte zur Folge, dass Frauen aus gebildeten sowie ungebildeten Schichten ihre gewohnte häus- liche Umgebung verließen und im öffentlichen Bereich tätig wurden. Jedoch war das Ende der Revolution lediglich für eine kleine Gruppe bürgerlicher, gebildeter Frauen der Beginn weiterer politischer Aktivitäten. Die konstitutionelle Revolution kann daher als Auslöser für die Anfänge einer Frauenbewegung im Iran gesehen werden. Die ungebildete Mehrheit der Frauen kehrte in ihre gewohnte Rolle als Hausfrau und Mutter zurück.100

Die Einführung der Verfassung idF von 1906/1907 wurde von Frauen, allen Widerständen zum Trotz, zum Anlass genommen, sich erstmals für Frauenrechte und Bildung einzuset- zen und sowohl politische als auch rechtliche Mitwirkungsrechte einzufordern.101 Intellek- tuelle Männer und Frauen setzten sich für die Gründung von iranischen Mädchenschulen ein und machten auf die enorme Bedeutung von Bildung für Frauen in der Gesellschaft aufmerksam.102

96 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 20.

97 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 21.

98 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador:Frauen und gesellschaftlicher Aufbruch im Iran (2001) 16.

99 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador, 16.

100 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 23.

101 Vgl. Vakil, Women and Politics in the Islamic Republic of Iran, 13.

102 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 128.

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19 Die Frauenbewegung bis zur Islamischen Revolution

1907 gelang es einer Frau namens Toubi Azmoudeh die erste Mädchenschule103 „na- mous“ („Ehre“) zu gründen und trotz heftiger Widerstände seitens der Geistlichen zu er- halten. Die meist weiblichen Gründerinnen von Mädchenschulen mussten wegen der mangelnden Akzeptanz in der Gesellschaft sowohl das Personal als auch das Budget für diese Schulen zur Verfügung stellen.104 1911 wurde eine weitere Mädchenschule gegrün- det und 1913 gab es bereits 63 Mädchenschulen mit 2500 Schülerinnen. Dennoch stie- ßen diese Schulen immer wieder auf heftigen Widerstand der traditionell-patriarchalischen Gesellschaft dieser Zeit, woraufhin einige wieder geschlossen werden mussten.105

Da der Einfluss der Geistlichen stärker war als die staatliche Macht, wurde die Entwick- lung der Schulreform verlangsamt. Um die Ausbildung von Mädchen zu verhindern, ver- suchten die Geistlichen den Eltern einzureden, die Bildung ihrer Mädchen hätte Ungehor- sam gegenüber potenziellen Ehemännern zur Folge. Jedoch konnte der voranschreitende Säkularisierungsprozess seitens der konservativen Geistlichen nicht mehr aufgehalten werden und es kam im Jahre 1918 schließlich zur Gründung der ersten staatlichen Mäd- chenschule.106

4.3. Der Aufbruch der Frauenbewegung, 1910 bis 1932

Wie bereits erwähnt wurden die ersten konkreten Forderungen nach Frauenrechten mit der Gründung der ersten Frauenzeitschriften 1910 gestellt. Einen „Aufschwung“ erfuhren diese Forderungen in den 20er Jahren bis sie schließlich in den 30er Jahren zunehmend unterdrückt wurden und schließlich mit der gesetzlichen Auflösung der letzten unabhängi- gen Frauenorganisation das Ende der Frauenbewegung markiert wurde.107

Mit Gründung der ersten Frauenzeitschrift Danesh (Wissen) (1910) – durch eine Frauen- organisation108 – entwickelte sich langsam ein Gleichheitsdenken.109 Konkrete Inhalte des achtseitigen Wochenblattes Danesh waren Gesundheit, Hygiene, aber auch Frauenrech- te.110

103Die ersten Mädchenschulen wurden zwar schon 1835 gegründet, dabei handelte es sich jedoch um Schulen, die von französischen und amerikanischen christlichen Missionaren gegründet wur- den und daher für muslimische Mädchen nicht zugänglich waren, Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 128.

104 Vgl. Vakil, Women and Politics in the Islamic Republic of Iran, 30.

105 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador, 16.

106 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 143f.

107 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 28.

108 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 32.

109 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 28.

110 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador, 16.

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Bis zum Fall der Qadjaren Dynastie 1925 erschienen neun teils kurzlebige Frauenzeit- schriften.111 Zu den bedeutendsten gehörte Nameje-banu`am (Frauenblatt), dessen Artikel ausschließlich von Frauen geschrieben wurden, oder etwa Zaban- e Zanan (Stimme der Frauen; 1919 gegründet). Zaban- e Zanan war die erste Frauenzeitschrift, die tatsächlich unter dem Namen der weiblichen Herausgeberin Sedigqeh Dovlatabady registriert wurde.

Fortan war es Frauen nicht mehr möglich sich als Herausgeberinnen einer Zeitschrift re- gistrieren zu lassen. Die behandelten Themenkreise waren anfangs reine Frauenthemen, wie etwa die Kritik am niedrigen Heiratsalter von neun Jahren.112 Mit der Zeit wurden überwiegend politische Themen erörtert, wie beispielsweise die nationale und politische Unabhängigkeit.113

Die Zahl der Frauenorganisationen und Vereine nahm stetig zu. Eine bedeutende Frau- enorganisation namens „Freiheitsverein von Frauen“, welche 1906 gegründet wurde, hat- te zahlreiche Treffen und Aktionen durch intellektuelle Männer und Frauen zur Folge.

Prinzipiell lag der Hauptzweck aller Frauenvereine in der Befreiung der unterdrückten Stellung von Frauen, obwohl einige die Gründe dafür in den ausländischen Einflüssen sahen. Es existierte eine Vielzahl weiterer Organisationen, die allesamt geheim gegründet wurden. Die nationale Frauenvereinigung Anjoman Mokhadarat Vatan beschäftigte sich mit der Befreiung des Iran von ausländischen Einflüssen.114

Nach der russischen Revolution 1918 verbesserte sich die politische Situation zwischen Iran und Russland, und eine Vielzahl iranischer Frauen wurde von der proletarischen Ideologie stark beeinflusst. Diese gründeten Organisationen unter Führung der Linken, um jene rechtlichen und sozialen Befreiungen zu erreichen, die ihnen in der Verfassungs- bewegung von 1906-1911 verwehrt blieben. Daraufhin bildeten sich Frauenorganisationen nach kommunistischen Vorbildern, wie etwa der „Verein der glücklichen Boten“ oder der

„Verein der Wirksamkeit der Frauen“. Allesamt forderten sie eine verbesserte Mädchen- bildung, die Einführung des Wahlrechts für Frauen, die Abschaffung der Polygamie, das Sorgerecht der Mutter über ihre Kinder im Scheidungsfall und die Entschleierung.115

Festzuhalten bleibt, dass die Indikatoren der Frauenbewegung dieser Zeit in der Grün- dung von Organisationen und Vereinen, der Publikation von Frauenzeitschriften und der Gründung der Mädchenschulen erblickt werden können, obwohl deren Forderungen größ-

111 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador, 16.

112 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 32f.

113 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador, 17.

114 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 35.

115 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 131f.

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21 Die Frauenbewegung bis zur Islamischen Revolution

tenteils unerfüllt blieben.116 Die meisten Aktionen dieser Organisationen und Vereine bzw.

publizierter Frauenzeitschriften wurden vom Staat bzw. durch die Geistlichen brutal unter- drückt und die weiblichen Aktivistinnen wurden mit dem Tode bedroht.117

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4.4. Der Rückgang der Frauenbewegung und die Reformen der Pahlavi Ära (1925-1979)

Die Situation der Frauen verbesserte sich unter dem Gründer der Pahlavi Dynastie (1925- 1979) und neu gekrönten Schah Reza Pahlavi (1925- 1941) nur oberflächlich. Die Frau- enzeitschriften beschäftigten sich zunehmend mit Themen, wie dem Schleierverbot, das durch Reza Schah eingeführt wurde, unterlagen dabei aber den strengen Zensurmaß- nahmen.118

Reza Schah war ein Vertreter westlich imperialistischer Politik und Modernisierer. Er for- cierte einen säkularen, modernen Nationalstaat unter absoluter Herrschaft und stieß dabei auf heftigsten Widerstand der islamischen Rechtsgelehrten, die er zu unterdrücken wuss- te. Er schränkte die politischen Mitspracherechte des Volkes stark ein und eliminierte sämtliche (Frauen-)vereine.119

Trotz erheblicher Einbußen der Meinungsäußerungsfreiheit und des damit einhergehen- den Verbotes zur Gründung von unabhängigen Frauenvereinen und eines traditionell- patriarchalischen Rollenverständnisses, setzte sich Reza Schah besonders für die Bil- dung der Frauen ein.120 Es gab zahlreiche Reformen und Förderungsmaßnahmen in die- sem Bereich. 1936 wurde eine Gruppe von Frauen erstmals an einer Universität (Tehera- ner Universität) zugelassen und es wurde eine Vielzahl an Mädchenschulen gegründet.121 Außerdem gab es Reformen im Bereich des Arbeits- und Familienrechts (v.a. Erleichte- rungen im Scheidungsrecht) für Frauen. An die Stelle der Shari`a traten kodifizierte Ge- setzestexte nach europäischem Vorbild. Eine der wichtigsten Reformen war die Ent- schleierung der Frauen (1936).122 Das Schleierverbot stieß bei säkularen Frauen in den Städten und der Oberschicht auf Zuspruch. Die große Masse der Frauen im ländlichen Bereich vertrat eine ablehnende Haltung.123

116 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 40.

117 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 36.

118 Vgl. Abid, Journalistinnen im Tschador, 18.

119 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 134.

120 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 134.

121 Vgl. Sanasarian, The Women`s Rights Movement in Iran, 61.

122 Vgl. Taherifard, Sittlichkeit und Sinnlichkeit, 134f.

123 Vgl. Vakil, Women and Politics in the Islamic Republic of Iran, 32.

Referenzen

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