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Die Rechtswissenschaft (fiqh)5 im Iran fußt überwiegend auf der Shari`a.6 Unter Shari`a ist das universelle, göttliche (islamische) Recht zu verstehen.7 Ein Moslem ist nur der Mensch, welcher nach islamischem Gesetz lebt und sein Leben danach ausrichtet. Der hohe Stellenwert der Religion kommt in einer Vielzahl von Verfassungen islamischer Staaten zum Ausdruck. In der iranischen Verfassung idgF von 1979 kommt das große Gewicht der Religion dadurch zum Vorschein, dass in Artikel 13 IRI VerfG ausdrücklich das Bekenntnis zum Islam als offizielle Staatsreligion verankert wird.8

Die Bindung des iranischen Rechtssystems an das islamisch-schiitische Recht findet sei-ne verfassungsrechtliche Grundlage in Art 4 der iranischen Verfassung idgF. von 1979, welcher bestimmt, dass „alle Gesetze und Vorschriften in Zivil- und Strafrecht, Finanzwe-sen, Wirtschaft, Verwaltung, Kultur, Militär, Politik und sonstige Bereiche sich nach islami-schen Maßstäben richten müssen. Dieser Artikel beherrscht alle Artikel der Verfassung

5 Fiqh „ist der Prozess des menschlichen Bemühens, rechtliche Bestimmungen aus den Quellen des Islam zu extrahieren.“, Amirpur in Meyer-Wilmes/Wacker, 206.

6 Vgl. Tellenbach, Zwischen religiösem und säkularem Recht in muslimischen Ländern in Krawitz/

Reitfeld (Hrsg.), Islam und Rechtsstaat, Zentrum moderner Orient, Konrad-Adenauer-Stiftung (2008) 126.

7 Vgl. Amirpur in Meyer-Wilmes/Wacker, 206. wörtlich bedeutet shari`a: „der Weg, die Gesamtheit des Willens Gottes- wie er ihn seinem Propheten Mohammad offenbart hat“

8 Vgl. Tellenbach in Krawitz/ Reitfeld, Zentrum moderner Orient, Konrad-Adenauer-Stiftung (2008) 126.

3 Iranisch-islamisches Recht

sowie die anderen Gesetze und Vorschriften […]“9. Infolgedessen darf es keinen Bereich des iranischen Rechtswesens geben, welcher nicht mit islamischen Grundsätzen verein-bar ist.10

Art 4 IRI VerfG normiert, dass das islamische Recht nicht die einzige Grundlage der Ge-setzgebung ist, doch muss jede iranische Rechtsvorschrift den islamischen Gesetzen entsprechen, ansonsten droht Nichtigkeit. Außerdem werden die islamischen Normen als ergänzende Quelle etwa im Falle von Gesetzeslücken, herangezogen. In Bezug auf die Rechtsprechung bestimmt Art 167 IRI VerfG, dass ein Richter grundsätzlich an das kodifi-zierte Gesetz gebunden ist. Für den Fall, dass das Gesetz schweigt, mangelhaft oder mehrdeutig ist, wird ein Richter ermächtigt die Prinzipien der Shari`a anzuwenden. Das iranische Recht beruht somit faktisch auf zwei Rechtssystemen. Erstens auf den kodifi-zierten Rechtsquellen, basierend auf dem römisch-germanischen Recht. Es beinhaltet daher Elemente des westlichen, v.a. französischen und belgischen Rechts. Historisch gesehen lehnten sich die ersten Kodifikationen aus der Pahlavi Ära, wie das Zivilgesetz-buch, HandelsgesetzZivilgesetz-buch, das Strafgesetzbuch und die Zivilprozessordnung an die euro-päischen Rechtssysteme an. Zweitens beruht es auf den islamischen Quellen. Diese ba-sieren auf dem Koran, der Sunna (Gewohnheiten des Propheten), dem Konsens und der Vernunft. 11

2.2. Die Zwölferschia

Aufgrund der vorherrschenden Stellung der islamischen Gesetze (Shari`a) in der irani-schen Rechtswissenschaft und der Tatsache, dass die Islamische Republik Iran ein theo-kratischer Staat ist, an dessen Spitze Gott bzw. der 12. Emam steht, ist es erforderlich einen Überblick zu der iranischen Staatsreligion zu schaffen. Im 16.Jahrhundert wurde die Zwölferschia durch die Safaviden-Dynastie als Religion des Iran eingeführt.12 Die Islami-sierung des Iran, kann zeitlich bereits mit der Schlacht von Nihawand, 642 n. Chr., in wel-cher die Königsdynastie der Sassaniden von den Arabern entscheidend geschlagen wur-de, abgesteckt werden. Die Niederlage gegen die Araber führte zur Islamisierung des Landes. Die vorherrschende Glaubensrichtung im Iran war bis zu dieser Zeit der Zoroast-rismus. Das iranische Hochland wurde durch die muslimischen bzw. sunnitischen Araber

9 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung der islamischen Republik Iran vom 15. Novem-ber 1979 (1985) 62.

10 Vgl. Siahpoosh, Das Familien- und Erbrecht im Iran (2006) 201.

11 Vgl. Abghari, Introduction to the Iranian Legal System and the Protection of Human Rights in Iran (2008) 63.

12 Vgl. Wienrich, Der politische Islam: Das politische System der islamischen Republik Iran als An-wendungsbeispiel und Totalitarismus: Der Zwiespalt zwischen Religion und Ideologie (2007), 3.

eingenommen. Das bedeutete für das damalige Persien in religiöser sowie kultureller Hin-sicht eine Verbindung mit dem arabisch-muslimischen Herrschaftsbereich.13 Die Islamisie-rung vollzog sich in einem jahrhundertelangen Prozess. Einflussfaktoren für eine rasche Konvertierung der Bevölkerung zum Islam waren etwa Steuerzahlungspflichten, welche nur Nicht-Muslime trafen und der damit einhergehende Finanzdruck, und außerdem all-gemeine und kulturelle Schlechterstellungen. Die Tatsache, dass die ehemals sozial füh-rende Schicht des Sassaniden Reiches sich aus Gründen der Besitzstandwahrung dem neuen Glauben angeschlossen hatte, führte zu einer Erhöhung der Anhängerschaft.14

Der Großteil der iranischen Bevölkerung ist Anhänger der schiitischen Richtung innerhalb des Islams. Die Ursache der Loslösung von der ursprünglichen Gemeinde der Sunniten war jene, dass sich nach Mohammads Tod 632 n. Chr. das Problem des Kalifats, d.h. der rechtmäßigen Stellvertretung stellte. Der Grund dafür war, dass Mohammad keine männ-lichen Nachkommen hinterlassen hatte und keine Nachfolgeregelung bestand.15 Die schii-tische Konfessionsgemeinschaft des Islam unterscheidet sich von der sunnischii-tischen dahin-gehend, dass sie den Glauben vertreten, Ali ibn Abi Talib sei nach Gottes Willen der erste Nachfolger des Propheten Mohammads in der Führung.16

Im Iran sind die Schiiten Anhänger der sog. Zwölferschia. Die Zwölferschia beinhaltet fünf Prinzipien des Glaubens. Zu diesen gehören die Auferstehung, das Emamat (Nachfolger Mohammads), das Prophetentum, die Einheit Gottes und das praktisch wichtigste Prinzip, die Gerechtigkeit. Bedeutung hat das Prinzip der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit Frauenrechten in jener Weise, dass Frauenrechtlerinnen hierdurch ihre Argumentationen für eine Änderung der diskriminierenden Gesetze ableiten.17

Das zentrale Element der Zwölferschia beruht auf dem Glauben, dass bis heute 12 Emame existiert haben.18 Die Stellung der Emame besteht in der spirituellen Leitung der Gemeinde.19 Der zwölfte Emam Mohammad al –Mahdi al-Muntazar ist nach dieser Auf-fassung nicht gestorben, vielmehr lebt er durch ein göttliches Wunder bis heute in der

13Vgl. Gehrke, Mensch und Gesellschaft in Gehrke/ Mehner (Hrsg.), Iran: Natur, Bevölkerung, Ge-schichte, Kultur, Staat, Wirtschaft (1975) 60.

14Vgl. Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 61.

15Vgl. Gehrke in Gehrke/ Mehner, Mensch und Gesellschaft, 60.

16Vgl. Ende, Der schiitische Islam, in Ende/ Steinbach/ Krüger (Hrsg.), Entwicklung und Ausbrei-tung, Kultur und Religion, Staat, Politik und Recht. Der Islam in der Gegenwart, 71.

17Vgl. Amirpur in Meyer-Wilmes/Wacker, 209.

18 Vgl. Naini , Die Revolution im Iran (1979) 103.

19 Vgl. Ende, Der schiitische Islam in Ende/ Steinbach/ Krüger (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart (2005) 76.

5 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Verborgenheit.20 Er soll nach schiitischer Lehre im Jahre 873 n. Chr. auf nicht geklärte Weise verschwunden sein. Am Ende der Tage soll er als Emam Mahdi zurückkehren, die Welt erlösen und ein Reich voll mit Frieden und Gerechtigkeit erschaffen.21

„Mit der Vorstellung vom zwölften Emam als den zu erwartenden Erlöser Mahdi ist in der Zwölferschia aufs engste mit der Lehre verbunden, dass bis zu seiner Rückkehr aus der Verborgenheit jegliche politische Herrschaft – auch die eines Herrschers, der sich zur Zwölferschia bekennt – nur bedingt legitim sein kann.“22

Die politische Bedeutung der Erwartung des zwölften Emam Mahdi liegt darin, dass jede iranische Staatsführung als eine Art vorübergehende Einrichtung gesehen wird, die keine letzte Verbindlichkeit impliziert. In der Pahlavi Ära wurde ebenfalls auf die überragende Stellung des Emam Mahdi in Artikel 2 des ergänzenden Verfassungsgesetzes (idF. von 1906/1907) Bezug genommen, und damit der schiitischen Geistlichkeit einen hohen Rang eingeräumt.23

Durch das Staatskonzept Ayatollah24 Khomeinis - welches von der den zwölften Emam Mahdi stellvertretenden und direkten Machtausübung des bestqualifizierten Rechtsgelehr-ten (velayat-e faqih) ausgeht, hat diese Doktrin ihren Weg in die Verfassung idgF von1979 der islamischen Republik Iran gefunden.25

3. Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung