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3. Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

3.3. Die Verfassung von 1979 und die Organisation des Staates

3.3.1. Strukturprinzipien der Verfassung

Zu den bedeutendsten Staatsstrukturprinzipien, welche unter Berücksichtigung verfas-sungsrechtlich gewährleisteter Frauenrechte von Bedeutung sind, gehören die Staatsform (Islamische Republik) und das Konzept der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten (ve-layat-e faqih).59

53Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit zwischen Utopie und Realismus: Zum Diskurs über Herr-schafts- und Staatsdenken im 20.Jahrhundert (2002) 202f.

54Vgl. Nowkam, Die rechtliche Stellung der Frauen, 25.

55Vgl. Shid, Selected Aspects of Iranian Family Law in Yassari, The Shari`a in the Constitutions of Afghanistan, Iran and Egypt: Implications for private law (2005) 141.

56 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen, 33.

57 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen, 25.

58 Vgl. Akhlaghi in Yassari, 124.

59 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 125.

3.3.1.1. Die Staatsform

Gemäß Art 1 IRI VerfG ist Iran eine Islamische Republik (jomhuri-ye islami).60 Im Zuge der islamischen Revolution fand am 30. und 31. März 1979 eine Volksabstimmung statt, bei welcher rund 98,2 Prozent der Bevölkerung für eine Islamische Republik gestimmt hat-ten.61 Als Staatsform versteht man unter Republik das Gegenmodell zur Monarchie.62 Das Staatsoberhaupt in der Islamischen Republik Iran ist der Religiöse Führer. Die Anforde-rungen, die an diesen gestellt werden, sind, dass er der gerechteste und gelehrteste aller islamischen Rechtsgelehrten ist. Außerdem muss seiner Führerposition allgemeine Aner-kennung zukommen. Die Herkunft des religiösen Führers spielt dagegen keine Rolle.63

Die iranische Verfassung enthält selbstdefinierte, gottbezogene Grundlagen, welche grundsätzlich keine Volkssouveränität, sondern eine Souveränität Gottes vorsehen.64 Art 56 IRI VerfG normiert, „das absolute Recht zur Regierung über die Welt und den Men-schen gebührt Gott, und er hat den MenMen-schen zur Regierung über sein eigenes soziales Schicksal befugt. Das Volk übet dieses volkgegebene Recht entsprechend der Artikel über die Gewaltenteilung aus.“65 Aus dieser Verfassungsnorm geht hervor, dass Gott eine unmittelbare und dem Volk eine mittelbare Souveränität zukommt.66

Die Möglichkeit der Schaffung einer Islamischen Republik kam während der iranischen Revolution erst gegen Ende 1978 auf.67 Erste Ansätze dazu entwickelte Khomeini jedoch bereits in seinem Werk „Kasf al- asrar“ (Enthüllung der Geheimnisse), welches 1943/44 erschien. Darin beschrieb er, dass die Monarchie nicht erforderlich sei und dass der Herr-scher von gläubigen Modjtaheds (religiösen Rechtsgelehrten) gewählt werden müsse, welche der göttlichen Führung mächtig seien. Zu dieser Zeit war Khomeini noch kein strik-ter Gegner der Monarchie. Seine extreme Abneigung entwickelte sich erst in Folge vehe-menter Ablehnung bzw. Feindseligkeit gegen den Schah. Seiner Ansicht nach war die erbliche Monarchie unislamisch. Dieser Gesichtspunkt findet sowohl in der Frühzeit des sunnitischen als auch des schiitischen Islam seine Ursprung. Das Emamat, die islamische Führungsbefugnis, war zwar erblich, jedoch nicht der Monarchie gleichgestellt und das Kalifat beruhte auf Wahlen.68

60 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 166.

61 Vgl. Schirazi, The Constitution of Iran: Politics and the State in the Islamic Republic of Iran (1997) 9.

62 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 168.

63 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 169.

64 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung,126.

65 Vgl. Art 56 Iranisches Verfassungsgesetz idgF. von 1979 zitiert nach: Parhisi, Verfassung und Recht in Übersee VÜR, 30.

66 Vgl. Parhisi, Verfassung und Recht in Übersee (VÜR), 30.

67 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 169.

68 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 167f.

13 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Eine Definition der Republik war in Khomeinis Schriften jedoch nicht zu finden. Viele Men-schen erhofften sich zur Zeit der IslamiMen-schen Revolution soziale Gerechtigkeit, Unabhän-gigkeit, ein republikanisches System und vieles mehr. Im Zuge der Volksabstimmung über die Islamische Republik erklärte Khomeini kurz zuvor, dass es keine demokratische oder islamisch-demokratische Republik geben würde, sondern eine Islamische Republik und darunter sei zu verstehen, dass es zwar Meinungsfreiheit gäbe, jedoch alle religiösen Richtungen, die neben dem Islam (Zwölferschia) bestünden bedeutungslos seien.69

3.3.1.2. Das Prinzip der „Herrschaft des Obersten Rechtsgelehr-ten“ (velayat-e faqih)

Das sog. velayat-e faqih als Konzept der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten und das Prinzip der schiitisch-islamischen Regierung stellen gemeinsam die Fundamental-prinzipien der iranischen Verfassung dar. Die folgende detaillierte Darstellung dieses Konzepts dient dem besseren Verständnis der Rolle der Frau in der Verfassung.70

Das Staatskonzept Ayatollah Khomeinis stellt aus ideologischer Sicht das Kernstück der islamischen Republik dar.71 Es ist Ausdruck des durch Khomeini 1971 im irakischen Exil entstandenen Werkes namens hukumat-e islam bzw. velayat-e faqih. Als Grundlage dien-ten unter anderem die zahlreichen Vorlesungen, die er an der theologischen Hochschule in Najaf (Irak) gehalten hatte. Er fordert in seinem Werk eine unmittelbare Beteiligung der Geistlichkeit an der weltlichen Macht.72 Wesentlich in Hinsicht auf den Zugang zu öffentli-chen Ämtern, auch in Bezug auf Frauen, ist dieses Prinzip deswegen, weil gewisse Staatsämter nur durch gelehrte Geistliche ausgeübt werden dürfen. Das Staatskonzept wird als Ausdruck der schiitischen Interpretation des Emamats durch Ayatollah Khomeini gesehen.73

Hervorzuheben ist, dass es im Islam prinzipiell keine höchste Instanz gibt. Khomeini hat also mit der Einführung des Prinzips des obersten Rechtsgelehrten eine Ausnahme und keine Regel geschaffen. Außerdem ist zu betonen, dass dieses Konzept unter den schiiti-schen Rechtsgelehrten umstritten ist. Das könnte den Umstand erklären, warum jegliche Kritik daran als Tabubruch geahndet wird.74

69 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 169.

70 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 128f.

71 Vgl. Tellenbach, Zwischen religiösem und säkularem Recht in muslimischen Ländern, 126.

72 Vgl. Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 160f.

73 Vgl. Moschtaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Re-publik Iran (2010) 185.

74 Vgl. Tellenbach, Zwischen religiösem und säkularem recht in muslimischen Ländern, 126.

„In der von Khomeini entwickelten religiös-politischen Konzeption des islamischen Staates sollten die bis dahin wenig erfolgreichen Entwicklungsstrategien von Staat und Gesell-schaft in der islamischen Welt nunmehr eine, an den Fundamenten des Islam orientierte Staatlichkeit erfahren. Zudem sollten die zum Zeitpunkt der Revolution vorgefundenen quasi postkolonialen Abhängigkeitsverhältnisse beseitigt werden, so der Anspruch. Kho-meini setzte die Aufgabe und Stellung der Statthalterschaft der Rechtsgelehrten über die Nation mit einer Vormundschaft über Minderjährige gleich.“75

Die Grundidee Khomeinis bei der Entwicklung seines Konzepts bestand darin, dass die bestmögliche Art zur Umsetzung der Gesetze Gottes die Schaffung eines islamischen Staates sei. Als Vorbild für seine Überzeugung diente dabei die Führung des Staates un-ter dem Propheten Mohammad.76 Das Emamat im historischen Mekka und Medina war nicht nur für religiöse Belange verantwortlich gewesen, sondern vielmehr auch für rechtli-che, politisrechtli-che, soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten.77

Khomeini war es durch seine Staatstheorie in den späten 70er Jahren gelungen, eine völlig neue Herrschaftsform, ausgeübt durch die religiöse iranische Elite, zu etablieren.

Die Geistlichkeit als staatliches Staatsoberhaupt wurde in der Verfassung von 1979 recht-lich verbindrecht-lich institutionalisiert. Bei einem verfassungsgeschichtrecht-lichen Rückblick Irans wird klar, dass dies einen bemerkenswerten Einschnitt darstellt. Es kommt die Frage auf, wie eine solche Herrschaftsstruktur zu legitimieren ist, denn die Heranziehung der Herr-schaft einer religiösen Instanz nach dem einzigartigen Vorbild der Propheten gilt als um-stritten. Khomeini hat versucht, die Herrschaft einer klerikalen Autorität als logisch vo-rauszusetzen und begründete dies mit der „Vernunft“ (aql).78 „Das Prinzip der Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten […] benötigt eigentlich keine Begründung. Es ist sozusa-gen a priori „notwendig“ und selbstverständlich, und deshalb macht er es zu den Prämis-sen seiner theologischen Beweisführung. Dass es überhaupt begründet werden müsse, liege an den historischen Problemen der islamischen Gesellschaften, für die er die Kalifendynastien, die Kreuzzüge und nicht zuletzt den westlichen Kolonialismus verant-wortlich macht. Vor allem aber habe man den Islam verfälscht und ihn als eine Religion ohne politische Zielsetzung und Lebensführung dargestellt.“79

75 Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 117.

76 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 118.

77 Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit, 202.

78 Vgl. Hajatpour, Iranische Geistlichkeit 202.

79 Hajatpour, Iranische Geistlichkeit, 203f.

15 Abriss der verfassungsrechtlichen Entwicklung

Die verfassungsrechtliche Inkorporation der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten findet sich in der Präambel80 und in Art 5 IRI VerfG der Verfassung. Art 5 IRI VerfG nor-miert, dass die Führungsbefugnis bzw. Amtsführung der islamischen Gemeinschaft dem

„gerechten, gottesfürchtigen, tapferen, über die Erfordernisse der Zeit informierten, zur Führung befähigten Rechtsgelehrten“ (faqih) zukommt. Khomeini hatte sich die Rolle als

„Religiöser Führer“ selbst zugeschnitten und das Amt des „obersten Rechtsgelehrten“

bzw. – wie es in der Verfassung heißt – Religiösen Führers bis zu seinem Tod 1988 selbst inne. In Art 1 IRI VerfG wird er als „Gründungsvater“ der Islamischen Republik und erster religiöser Führer verankert und gewürdigt.81 Khomeinis Tod führte dazu, dass „die Herr-schaft des obersten Rechtsgelehrten“ im Zuge einer Verfassungsänderung 1989 als abso-lut und unveränderlich verbrieft wurde.82

Khomeini beschreibt in seinem Werk außerdem, dass die Befolgung islamischer Gesetze auf Freiwilligkeit beruhe. Jedoch wird die Wahrung der persönlichen Freiheit der Normad-ressaten weder durch die islamische Gesetzgebung noch durch Legislative und Exekutive befolgt. Ein gutes Exempel für diesen Fall in Bezug auf Frauenrechte stellt das symbol-trächtige Kopftuchgebot für Frauen dar, welches im Falle der Nichtbefolgung mit enormer Härte geahndet wird. Eine Freiwilligkeit des Kopftuchtragens kann also keineswegs impli-ziert werden. Daher stellt der Aspekt der Freiwilligkeit in Hinblick auf die Rechtswirklichkeit einen Widerspruch dar.83

Es darf dennoch nicht von einer Unveränderlichkeit bzw. Starrheit islamischer Gesetze ausgegangen werden. Das Konzept des velayat- e faqih sieht vor, dass sog. Modjtahedin, darunter sind islamische Rechtsgelehrte zu verstehen, zur selbstständigen Koranausle-gung sowie zur Weiterführung bzw. AusleKoranausle-gung der Shari`a befugt sind. Dies bedeutet, dass eine Rechtsfortbildung durch die genannten Gelehrten möglich ist. Überdies gibt es die Möglichkeit nach Khomeinis Staatskonzept, die islamischen Vorschriften, wenn diese mit dem öffentlichen Interesse unvereinbar und somit nicht im Einklang mit der Wahrung

80 IRI VerfG Präambel, 7.Abschnitt: „Ausgehend von der allgemeinen Sachwalterschaft und dem immerwährenden Emamat stellt die Verfassung die Grundlage für die Verwirklichung der Staats-führung durch einen islamischen Rechtsgelehrten bereit, der alle Voraussetzungen erfüllt und vom Volk als islamischer Führer anerkannt wird, und Garant dafür sein soll, dass die verschiedenen Institutionen von ihren eigentlichen islamischen Pflichten nicht abweichen. Der Ablauf der Dinge liegt in den Händen derer, die Gott kennen und seinen Geboten und Verboten treu sind.“, zitiert nach: Tellenbach, Untersuchungen zur Verfassung, 54.

81 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 129.

82 Vgl. Tellenbach, Zur Änderung der Verfassung der Islamischen Republik Iran Orient, 31 (1990) 45ff.

83 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 118.

der Interessen des Volkes sind, nicht anzuwenden. Jedoch sind bezüglich des Frauen-rechts keine (derartigen) Veränderungen angestrebt worden.84

Abschließend ist das Prinzip der schiitisch-islamischen Regierung zu erwähnen, welches eng mit dem Konzept des velayat- e faqih verknüpft ist. Khomeini hatte 1979 die umfas-sende Umsetzung seiner Staatstheorie in das Verfassungsrecht verfügt. Daher erfährt das Prinzip der schiitisch-islamischen Regierung in der Präambel der Verfassung idgF. eine umfassende Verankerung. Kennzeichnend für eine islamische Regierung ist, dass sie auf den Prinzipien und Normen des Korans und der Sunna basiert. Sie ist charakteristisch für eine legitime Herrschaft, welche auf der absoluten Souveränität Gottes beruht.85