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6. Frauen in der Verfassung idgF. von 1979

6.4. Oberste Staatsorgane und Frauenrechte

6.4.1. Der Religiöse Führer (rahbar)

In Übereinstimmung mit der Staatsführung nach islamischen Grundsätzen sieht die IRI Verfassung, eine oberste Leitung bzw. Herrschaft eines religiösen Rechtsgelehrten vor, dem sog. velayat-e faqih, dessen Aufgabe es ist, das Handeln der Regierung auf ihre Übereinstimmung mit dem göttlichen Recht (Shari`a) zu überprüfen. Auf diese Weise ist dieser für die Einhaltung des religiösen Gesetzes vor Gott und den Menschen verantwort-lich.228

Das Amt des Religiösen Führers stellt eine Eigenart der iranischen Verfassungsordnung dar. Es ist weltweit in keiner anderen Verfassung wiederzufinden.229 Der Religiöse Führer besitzt die Führungsbefugnis (Emamat) der Islamischen Gemeinschaft.230 Er ist das oberste und mächtigste Staatsoberhaupt Irans und wird durch die Expertenversammlung gewählt. Seine Amtszeit unterliegt keiner Einschränkung, er wird auf Lebenszeit gewählt.

Diese Bestimmung findet sich in Art 107 IRI VerfG.231

Abs. 1 dieser Verfassungsbestimmung besagt, dass der „Gründervater“ der islamisch-iranischen Republik, Ayatollah Khomeini, der erste Religiöse Führer des Landes war.

Khomeini wurde nach der Islamischen Revolution von der Expertenversammlung zum Religiösen Führer gewählt und ernannt. Dadurch wurde dieser mit Inkrafttreten der Ver-fassung von 1979 zum vali-e faqih (dem obersten Rechtsgelehrten). Viele seiner religiö-sen Anhänger verglichen seine Funktion mit der des verborgenen zwölften Emams Mahdi.

226 Vgl. Akhlaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden, 126.

227 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 133; Es ist zu beachten, dass sich die gesamte Staatsorganisation des Landes verständlicherweise nicht nur aus der Verfassung selbst gibt, sondern auch außerverfassungsrechtlich unterschiedliche Machtzentren bestehen, welche in der Arbeit nicht berücksichtigt werden können.

228 Vgl. Akhlaghi in Yassari, 125.

229 Vgl. Moschtaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden, 185.

230 Vgl. Parhisi, Verfassung und Recht in Übersee (VÜR) 2007, 34.

231 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 133f.

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Die Worte Khomeinis galten als unfehlbar und einzuhalten. Der Hintergrund dieser Denk-weise ist jener, dass in einem Emam ein allmächtig Wissender und Sündenfreier gesehen wird. Nach dem Tod Ayatollah Khomeinis wurde Ali Akbar Khamenei zum Religionsführer (sog. rahbar und vali-e faqih) ernannt und hat diese Stellung gegenwärtig inne.232

In Art 5233 und Art 109 IRI VerfG234 werden die Voraussetzungen genannt, welche ein Kandidat zu erfüllen hat.235 Diese Bestimmungen legen fest, dass dieser über die nötige

„Gelehrtheit“ in bestimmten Rechtsbereichen, dazu gehört u.a. die Kompetenz zum Erstel-len von Rechtsgutachten,236 und zwar in jedem Bereich des islamischen Rechts, verfügen muss.237 Des Weiteren muss er über sozio-politische Weisheit und Führungsqualität ver-fügen.238

Der Religiöse Führer besitzt eine umfassende Richtlinienkompetenz. Diese politische Richtlinienkompetenz hat jedoch nach dem Tod Khomeinis eine starke Einschränkung dahingehend erfahren, dass vor Erlassung der selbigen eine Beratung mit dem Schlich-tungsrat stattfinden muss.239 Zu den weiteren Aufgaben des Religiösen Führers zählen präsidiale Staatsaufgaben, wie beispielsweise die Ernennung und Erlassung des Präsi-denten, Begnadigungen von Gefangenen, die Ernennung und Erlassung von Mitgliedern des Wächterrates sowie Regelungen zu militärischen Fragen.240 Neben diesen zahlrei-chen Kompetenzen kommt dem Religiösen Führer eine weitere wichtige Funktion im Be-reich der Gesetzgebung zu. Er hat nämlich die Befugnis, die vom Parlament verabschie-deten und vom Wächterrat zugelassenen Gesetze für ungültig bzw. im Falle von Zweifeln

232 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen, 32.

233„In der Islamischen Republik Iran steht während der Abwesenheit des verborgenen 12. Imams - möge Gott sein Erscheinen beschleunigen - das Emamat und die Führungsbefugnis [wilayat-e-amr] in den Angelegenheiten der islamischen Gemeinschaft dem gerechten, gottesehrfürchtigen, über die Erfordernisse der Zeit informierten, tapferen, zur Führung befähigten Rechtsgelehrten zu, der die Verantwortungen dieses Amtes gemäß Artikel 107 übernimmt.“

m-Haditec (2006)http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/kapitel01.htm [12.03.2012].

234„Die Voraussetzungen und Eigenschaften für das Oberhaupt sind: Die zur Erstellung von Rechtsgutachten in verschiedenen Bereichen des islamischen Rechts notwendige Gelehrtheit, Gerechtigkeit, und Gottesehrfurcht, die für die Führung der Islamische Weltgemeinschaft [ummah]

erforderlich ist, eine vernünftige politische und gesellschaftliche Weitsicht, Besonnenheit, Tapfer-keit, administrative Fertigkeiten und adäquate Führungsfähigkeiten. 2.)Sollten mehrere Personen diese Erfordernisse erfüllen, wird der mit der größeren Weitsicht in rechtlichen und politischen An-gelegenheiten der Vorzug gegeben.“

m-Haditec (2006)http://www.eslam.de/manuskripte/verfassung_iri/kapitel08.htm [12.03.2012].

235 Vgl. Moschtaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden, 190.

236 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 34.

237 Vgl. Moschtaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden, 192.

238 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 34.

239 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 34.

240 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 34.

über die Gültigkeit für gültig zu erklären. Im Bereich der Gesetzesänderung zum Vorteil von Frauen wurde jedoch von dieser Kompetenz bislang kein Gebrauch gemacht.241

Er kann nur unter speziellen Ausnahmefällen, wie etwa dem Außerstande sein zur Ver-richtung seiner Amtstätigkeit (nach Art 111 IRI VerfG) oder der Nichterfüllung der in Art 5 und Art 9 IRI VerfG vorgeschriebenen Eigenschaften, von der Expertenversammlung ab-gesetzt werden.242

6.4.1.1. Vereinbarkeit von Frauen mit dem Amt des Religiösen Führers

Der Wortlaut der iranischen Verfassung lässt keine Erkenntnis darüber zu, ob der Religiö-se Führer eine Frau oder ein Mann Religiö-sein muss. Mit anderen Worten schließt die Verfas-sung nicht explizit aus, dass eine Frau Religiöse Führerin sein kann. De facto gab es dennoch bislang keine Religiöse Führerin.243

Art 107 IRI VerfG normiert die Stellung des Religiösen Führers. In dieser Verfassungs-norm lassen sich explizit keine spezifisch männlichen Eigenschaften finden. Aus Art 109 IRI VerfG lässt sich entnehmen, dass – wie bereits zuvor erläutert – ein religiöser Führer nur ein umfassend gebildeter Rechtsgelehrter sein darf. Ein gebildeter Rechtsgelehrter ist jemand, der Rechtsgutachten (fatwa) erteilen darf. Die herrschende Meinung der Geistli-chen sowohl im Parlament als auch im Wächterrat spricht Frauen die Berechtigung ab, diese Rechtsgutachten zu erstellen.244

Außerdem kommt nach dem Konzept der Herrschaft des Rechtsgelehrten ausdrücklich nur ein Mann als Religiöser Führer in Betracht. Khomeini beschrieb das Institut nämlich folgendermaßen: „Wenn ein fähiger Mann über diese beiden Eigenschaften (die besten Kenntnisse des islamischen Rechts und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn) verfügt und einen Staat bildet, so verfügt er über die gleiche Statthalterschaft, die auch der heilige Prophet für die Verwaltung innehatte. Das ganze Volk muss ihm gehorchen […], dem […]

wachsenden und treuen Emam zum Schutze von Gesetz, Ordnung und Religion.“245 Da das Verfassungsprinzip des velayat-e faqih gem. Art 177 IRI VerfG unabänderlich ist, kann aufgrund einer historischen Auslegung darauf geschlossen werden, dass eben nur

241 Vgl. Nowkam, Die rechtliche Situation der Frauen,32.

242 Vgl. Moschtaghi, Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden, 190.

243 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 135.

244 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassungsordnung, 136.

245 Vgl. Chomeini, Der islamische Staat in Hassan/ Itscherenska (Hrsg.), 53f.

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ein Mann als Religiöser Führer in Betracht kommt. Dieser Umstand wird bereits durch das Frauenbild, welches nach Khomeini der iranischen Frau zukommt, untermauert.246

Auf Grundlage der herrschenden Meinung der schiitischen Geistlichen und der Staatsthe-orie Khomeinis ist zu schließen, dass eine Frau im Amt des Religiösen Führers in der Ver-fassungswirklichkeit – trotz Schweigen des Verfassungstextes dazu – nicht zugelassen ist.247