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7. Die Gleichheit auf einfachgesetzlicher Ebene

7.1. Zivilrecht

Das Zivilrecht ist als Bestandteil des iranischen Rechts größtenteils vom islamisch-schiitischen Recht geprägt.321 Die iranischen Gesetze basieren auf bzw. werden beein-flusst durch den Islam bzw. die islamische Rechtswissenschaft (fiqh). Die primären Rechtsquellen stellen dabei die Summe der expliziten Regelungen des Korans und der Sunna dar. Gibt es keine Regelungen durch den Koran bzw. Sunna, d.h. aufgrund von Lücken oder Fehlen derartiger Bestimmungen, kommt es zur Anwendung der sekundären Rechtsquellen. Das ist die Summe von Normen, welche auf der Auslegung bzw. den An-sichten der islamischen Rechtsgelehrten beruhen.322 Das iranische ZGB von 1928/35 ba-siert sowohl auf Normen des islamisch-schiitischen Rechts als auch auf Normen des fran-zösischen sowie teilweise schweizerischen Rechts. Es gibt einige Bereiche des Zivil-rechts, die seit der islamischen Revolution ausschließlich auf dem islamisch-schiitischen Recht beruhen. Dazu gehören das Familien- und Erbrecht.323

In der Pahlavi Ära wurde stets versucht die iranische Gesellschaft an westlichen Ländern zu orientieren. Ein signifikantes Beispiel dafür ist das Familienschutzgesetz von 1967 bzw. 1975. Das Familienschutzgesetz von 1975 hatte überwiegend die Beseitigung der Ungleichbehandlung von Mann und Frau in einigen Bereichen des Zivilrechts, v.a. Erleich-terungen im Scheidungsrecht, zum Inhalt.324 Viele Vorschriften darin bezogen sich auf den Schutz von Ehefrauen und Kindern. Seit der islamischen Revolution, die eine

319 Vgl. Wolgast, Die Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte (2009) 319.

320 Vgl. Parhisi, Frauen in der iranischen Verfassung, 157.

321 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 201.

322 Vgl. Schid, Selected Aspects of Iranian Family Law in Yassari, The Sharia in the Constitutions of Afghanistan, Iran and Egypt: Implications for private law (2005) 141.

323 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 201.

324 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 201.

rung aller Gesetze zur Folge hatte, gab es weitläufige Änderungen bzw. Aufhebungen von Vorschriften, die nicht mit islamischen Grundsätzen vereinbar waren.325

Der Geistliche Führer Khomeini sprach damals von einer besseren Zukunft als zur Zeit des Schahs. In Hinblick auf die zahlreichen Vorschriften, die geschlechtsspezifische Diffe-renzierungen zum Inhalt haben, scheint die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht angestrebt worden zu sein.326

7.1.1. Berufstätigkeit der Ehefrau

Gemäß § 1117 des IZGB idgF. von 1991 darf der Ehemann seiner Ehefrau die Berufs-ausübung mit gerichtlicher Zustimmung dann verbieten, wenn die berufliche Tätigkeit sei-ner Familiensituation nicht entspricht. Die Beantwortung der Frage, welche Tätigkeiten konkret darunter fallen, obliegt den Gerichten unter Berücksichtigung von Einzelfällen.

Jedenfalls werden Faktoren, wie Gefährdung der Familie durch Zeitmangel, und Sitten-widrigkeit herangezogen. Die Regelungen gelten auch für Berufsverhältnisse, die vor der Eheschließung bereits bestanden haben. Alle Verbindlichkeiten (Vertragsabschlüsse), die die eine Ehefrau im Rahmen ihrer Tätigkeit eingegangen ist, werden für nichtig erklärt.

Allfällige Gläubiger können Schadenersatz verlangen. Falls sie sich weigert die Tätigkeit aufzugeben, kann der Mann Schadenersatz von ihr verlangen.327

Zurückzuführen ist dieses Gesetz auf das Familienschutzgesetz (§ 15) 1967 aus der Schah Zeit. Danach darf ein Ehemann seiner Ehefrau die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit mit gerichtlicher Zustimmung dann verbieten, wenn diese gegen „die Interessen seiner Familie verstößt“. Das Familienschutzgesetz von (§18) 1974 sieht für die Ehefrau eine ähnliche Möglichkeit dann vor, wenn die Ausübung eines Berufes durch den Ehe-mann die finanzielle Situation der Familie gefährdet.328

7.1.2. Scheidungsrecht der Frau

Das Scheidungsrecht der Ehefrau hat, wie in vielen anderen Bereichen nach 1979, Ein-schränkungen erfahren. Das IZGB vor der islamischen Revolution sah eine Vielzahl von Scheidungsgründen, wie beispielsweise Nichterfüllung ehelicher Bedürftigkeit durch den Ehemann (§ 1130 IZGB alt), Misshandlung durch den Ehemann (§1130 IZGB alt),

325 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 18.

326 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 201.

327 Vgl. Katusian, Kommentar zum bürgerlichem Gesetzbuch³ (2008) 672,

328 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 84.

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weigerung und Zahlungsunfähigkeit des Unterhaltsgeldes durch den Ehemannes (§1129 IZGB alt) vor. Die in der Schah Zeit eingeführten Gesetze zum Schutz der Familie von 1967 bzw. 1975 führten zusätzliche Gründe ein, wie etwa das Eingehen einer zweiten Ehe durch den Ehemann ohne Zustimmung der Ehefrau. Der iranische Gesetzgeber gab durch die Einführung dieser Gesetze den Frauenrechten, aufgrund des steigenden Indivi-dualismus dieser Zeit, einen höheren Stellenwert als den Familienrechten.329

Nach 1979 ist ein neues Gesetz (3 Anmerkung 2 GZSG vom Okt.1979) in Kraft getreten, welches lautet: „Das Scheidungsrecht ist das Recht, das im ZGB und in der Shari`a vor-geschrieben wurde“. Durch dieses Gesetz wurden alle „unislamischen Gesetze“ für ungül-tig erklärt und es herrschte sowohl in der iranischen Justiz als auch in der iranischen Ge-sellschaft große Rechtsunsicherheit. Die Richter, Anwälte und Juristen waren in der Schah Zeit ausgebildet worden und beherrschten daher die Shari`a-Vorschriften nicht.

Aufgrund von widersprüchlichen Auslegungen von religiösen Rechtsgelehrten, war das gesamte Zivilrecht und infolgedessen auch das Scheidungsrecht von starker Verwirrung geprägt, da nicht klar war, welche Vorschriften nun als „unislamisch“ galten. Nach und nach wurden neue Gesetze verabschiedet oder alte Gesetze, die nicht islamisch genug waren, geändert. Die neuen Scheidungsgründe für Frauen wurden in der Novelle zum (§§

1029, 1129, 1130) IZGB verankert und sehen vor, dass eine Frau (abgesehen vom Fall der einvernehmlichen Scheidung) aus drei Gründen die gerichtliche Scheidung beantra-gen kann. Erstens die Verweigerung der Unterhaltszahlung oder Zahlungsunfähigkeit des Ehemannes, zweitens eine mindestens vierjährige Verschollenheit des Mannes, oder drit-tens aufgrund des Lebens der Ehefrau unter einer „Härte- und Bedrängnislage“. Wobei das Gericht allein darüber entscheidet, ob eine derartige „Härte- und Bedrängnislage“

vorliegt.330

Die Scheidung in Art 1133 IZGB ist als Mannesrecht geregelt. Das bedeutet, dass der Ehemann ohne Vorliegen von Gründen seine Frau einseitig verstoßen darf. Das geht aber nur auf gerichtlichem Wege unter Berücksichtigung gewisser Vorschriften.331 Die gesetzli-che Besserstellung ist als Ausdruck der führenden Rolle des iranisgesetzli-chen Ehemannes in der IRI anzusehen.332

Nach der Scheidung muss die geschiedene Ehefrau eine gewisse Wartezeit (edda) ab-warten, bis sie wieder heiraten darf. Diese beträgt drei Monate. Heiratet sie trotzdem,

329 Vgl. Siahpoosh, Familien- und erbrecht, 129.

330 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 130ff.

331 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 105.

332 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 85.

stellt dies ein Ehehindernis dar. Für einen Mann gibt es allerdings keine selbige Rechts-vorschrift. Er darf sofort nach der Scheidung wieder heiraten.Hintergrund dieser Rechts-vorschrift ist, dass die Frau in Erb- und Unterhaltsrecht, wie eine verheiratete Frau behan-delt wird und eine solche hat aufgrund des hohen Stellenwertes der (Erhaltung der) Fami-lie in der IRI finanzielle Vorteile.333 Denn der nacheheliche Unterhaltanspruch besteht für eine geschiedene Frau unabhängig vom Scheidungsgrund und der finanziellen Situation sowohl nach iranischem als auch islamischem Recht nur für eine Übergangszeit von drei Monaten.334

7.1.3. Polygamie

Die Mehrfachehe ist in der IZGB zwar nicht ausdrücklich geregelt. Einige zivilgesetzliche Bestimmungen, beispielsweise betreffend den Nachlass, sprechen aber von einer oder mehrere Frauen, die den Mann beerben. Außerdem ist es gem. islamischen Rechts335 einem Mann gestattet, unter bestimmten Voraussetzungen, bis zu vier Frauen gleichzeitig zu ehelichen. Und in der Praxis wird in der IRI von dieser Möglichkeit häufig Gebrauch gemacht.336

7.1.4. Ehe auf Zeit (Genussehe) – legale Prostitution?

Das schiitisch-iranische Recht kennt, zusätzlich zur Dauerehe, die „Ehe auf Zeit“ (sique).

Geregelt wird die sique in § 1075 IZGB und legt fest, dass eine Ehe vorläufig geschlossen wird, wenn sie für eine bestimmte Zeit geschlossen wird. Der Unterschied zu einer dauer-haften Ehe ist der, dass der Ablauf der festgelegten Zeit, d.h. die Beendigung keinerlei unterhalts- oder erbrechtliche Folgen nach sich zieht – das bedeutet wiederum einen Nachteil für die Frauen.337

Die Ehe auf Zeit wird oft mit der Prostitution in Verbindung gebracht, da dieses Rechtsin-stitut sexuelle Kontakte erlaubt, ohne die harten strafrechtlichen Konsequenzen, die au-ßerehelichen geschlechtlichen Handlungen drohen. Die vereinfachte Schließung einer solchen Ehe untermauert diesen Umstand. Diese muss weder in ein öffentliches Register

333 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 46.

334 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 162.

335 Der Koranvers 3, Soure Nessaa (Frauen) bestimmt dazu „Und wenn ihr fürchtet, in Sachen der (eurer Obhut anvertrauten weiblichen) Waisen nicht recht zu tun, dann heiratet, was euch an Frau-en gut ansteht, (ein jeder) zwei, drei oder vier. Und wFrau-enn ihr fürchtet, (so viele) nicht gerecht zu behandeln, dann (nur) eine, oder was ihr (an Sklavinnen) besitzt! So könnt ihr am ehesten vermei-den, Unrecht zu tun. Aber im umgekehrten Fall darf eine Frau nur einen Ehemann haben;zitiert nach http://www.koransuren.de/koran/sure4.html [15.12.2011].

336 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 46f.

337 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 43.

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eingetragen werden, noch benötigt sie Zeugen. Diese Art von ehelicher Verbindung stellt eine Ehevariante dar, die eine Eigenheit des zwölferschiitischen Rechts ist und sich an der vorislamische Zeit orientiert.338

7.1.5. Zustimmung zur Ehe durch den männlichen Vormund

§ 1043 IZGB normiert, dass im Falle der Eheschließung einer Jungfrau (bei der ersten Eheschließung) die Genehmigung des Vaters oder Großvaters eingeholt werden muss.

Dies gilt unabhängig vom Ehemündigkeitsalter der Tochter/ Enkelin, welches bei Mäd-chen mit Vollendung des 13. Lebensjahres (§ 1041 IZGB) eintritt.339 § 1041 IZGB be-stimmt nämlich, das selbst vor Erreichen des Ehemündigkeitsalters die Eheschließung mit Zustimmung des Vormundes und des (zuständigen) Gerichts möglich ist.340

Falls der ledigen Tochter durch den männlichen Vormund die Genehmigung nicht erteilt wird, kann diese durch das Familiengericht unter Erfüllung bestimmter Bedingung einge-holt werden. Es gibt keine entsprechende gesetzliche Bestimmung für Männer. Diese sind in der Auswahl ihres Ehepartners vollkommen frei gestellt.341

Hintergrund dieser Bestimmung ist, dass der Gesetzgeber der Ansicht war, der Vater/

Großvater könne aufgrund seiner Liebe und Erfahrung darüber urteilen, welcher Partner sich als Ehemann eignet. Diese Regelung ist allerdings unter den schiitischen Rechtswis-senschaftlern umstritten.342

7.1.6. Erbrecht

Auch im Erbrecht gibt es eine unterschiedliche Regelung für Männer und Frauen. Im Ehe-gattenerbrecht steht dem Ehemann höchstens die Hälfte des Vermögens der verstorbe-nen Ehefrau zu. Wenn Kinder der Ehefrau vorhanden sind, bekommt er ein Viertel des Nachlasses der Ehefrau (§ 899 IZGB).343 Wesentlich ist außerdem, dass der Ehemann jede Art von Erbgegenstand erben kann, der Ehefrau hingegen steht nur ein Erbrecht am beweglichen Eigentum344, oder an Bäumen und Gebäuden zu. Ihr stehen jedoch nicht die Gebäude und Bäume in Natura zu, sondern lediglich dessen Wert. Die Ehegattin

338 Vgl. Zehetgruber, Islamisches Strafrecht versus europäische Wertordnung: ein Rechtsvergleich (2010) 304.

339 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 41.

340 Vgl. Yassari in Tellenbach/ Hanstein, 70.

341 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 41.

342 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 42.

343 Vgl. Siahpoosh, Familien- und Erbrecht, 198.

344 Vgl. Nadjafi, Djawaherolklam, 207.

kommt als Alleinerbin jedenfalls nur eine Quote von einem Viertel und nicht mehr. Wenn der Ehegatte Kinder hat, bekommt sie nur ein Achtel des Nachlasses.345 Diese Quote wird im Falle des Vorhandenseins von Söhnen damit begründet, dass diese gem. Koran dazu verpflichtet sind, gegebenenfalls für die Versorgung der Eltern zu sorgen. Aber in der tra-ditionellen Gesellschaft soll mit den niedrigen Erbquoten der Witwe vermieden werden, dass das Vermögen des verstorbenen Ehemannes, etwa durch eine Wiederheirat, in fremde Hände gerät.346

Im Falle des Nachlasses der Eltern wird ebenfalls zwischen Töchtern und Söhnen unter-schieden. Gibt es nur Nachkommen desselben Geschlechts, wird das Vermögen zu glei-chen Teilen unter diesen verteilt. Sind jedoch Töchter und Söhne vorhanden, dann erhält die Tochter nur halb so viel wie der Sohn. Die Ungleichbehandlung basiert wiederum auf einer religiösen Begründung. Es wird argumentiert, dass die Tochter eine Aussteuer be-kommt – vorausgesetzt sie heiratet. Außerdem obliegt es dem Mann nach islamischem Gesetz die finanzielle Versorgung seiner Familie und gegebenenfalls seiner Eltern vorzu-nehmen.347