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ÄRZTEBLATT

Heft 27 vom 6. Juli 1978

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Prostaglandine zwischen Forschung und Praxis

Sigurd Domschke und Wolfram Domschke

Aus der Medizinischen Klinik mit Poliklinik (Direktor: Professor Dr. Ludwig Demling) der Universität Erlangen-Nürnberg

Vor über 40 Jahren wurde die Wirkung der Prostaglandine auf die glatte Muskulatur entdeckt. Seitdem wurde eine Vielzahl von pharma- kologischen Effekten dieser Substanzen aufgezeigt. In fast allen Geweben wurden sie nachgewiesen, wo sie als „lokale Hormone - an zahlreichen physiologischen Prozessen, wie zum Beispiel der Regula- tion der Thrombozytenaggregation, und pathophysiologischen Vor- gängen, zum Beispiel der Entzündung, beteiligt sein sollen. Das am häufigsten verwendete Medikament der modernen Medizin, Aspirin', verdankt seine Wirkung der Hemmung der Prostaglandinsynthese.

Große Hoffnung für die Zukunft wird auf den therapeutischen Einsatz spezifischer Prostaglandin-Analoga gesetzt.

Vor über 40 Jahren beschrieben die New Yorker Kurzrok und Lieb, von Euler in Schweden und Goldblatt in England voneinander unabhängig einen Wirkstoff in menschlicher Sa- menflüssigkeit, der nichtvaskuläre glatte Muskulatur kontrahierte und den Blutdruck von Versuchstieren senkte. Von Euler nahm an, daß die neue Klasse von Substanzen in der Prostata gebildet werde, und nannte sie Prostaglandine. Die Prostaglan- dinforschung wurde belebt durch die Isolierung und Strukturaufklä- rung einiger Prostaglandine Anfang der 60er Jahre durch Bergström, Sjövall und Samuelsson und ihre Mitarbeiter. Während 1960 insge- samt nur fünf Arbeiten erschienen, die sich mit Prostaglandinen befaß- ten, sind es heute jeden Tag mehr als fünf; es wurden eine Zeitschrift und eine Buchreihe gegründet, die sich ausschließlich den Prosta-

glandinen widmen. Mit hochemp- findlichen Meßmethoden konnte ge- zeigt werden, daß fast alle Säuge- tiergewebe Prostaglandine oder ähnliche Stoffe produzieren.

Chemie, Biosynthese und

Metabolismus der Prostaglandine

Die natürlichen Prostaglandine (PG) besitzen ein Grundgerüst aus 20 Kohlenstoffatomen, deren Kette wie eine Sicherheitsnadel gebogen ist (Abbildung 1). In der Mitte fixiert ein fünfgliedriger Kohlenstoffring die Struktur. Die vier größeren klassi- schen PG-Gruppen PGE, PGF, PGA und PGB unterscheiden sich durch Substituenten am beziehungsweise Lage einer Doppelbindung im Ring.

Indizes hinter den Kurzbezeichnun- gen geben die Zahl der Doppelbin- dungen in den Ketten an; am häufig-

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Prostag !andine

sten ist die 2-Serie. Am wichtigsten sind PGE2 und PGF2. Wesentlichster Vorläufer der PG ist die Arachidon- säure, eine langkettige, hochunge- sättigte essentielle Fettsäure. Sie wird durch Phospholipasen aus Membranlipiden herausgelöst. Die- ser Vorgang begrenzt die Geschwin- digkeit der PG-Biosynthese. Eine Reihe verschiedenartiger Substan- zen und Zustände (Tabelle 1) kön- nen die Phospholipase aktivieren und so die Biosynthese dieser Me- diatoren zwischen Stimulus und zel- lulärer Antwort in Gang setzen. Freie Arachidonsäure wird durch einen mikrosomalen, durch Aspirin®

hemmbaren Enzymkomplex (PG- Endoperoxydsynthetase) in zykli- sche PG-Endoperoxyde PGG2 und PGH2 transformiert. Diese labilen ln- termediärprodukte sind biologisch hochwirksame Schlüsselsubstanzen und haben möglicherweise eine grö- ßere Bedeutung als die "klassi- schen" PG, in die sie teils chemisch,

teils enzymatisch umgewandelt wer- den. Von den zyklischen Endoper- oxyden leitet sich auch das in Thrombozyten, Lunge, Gehirn und Entzündungszellen nachgewiesene Thromboxan A2 (TxA2, Samuelsson, 1975) ab, das sehr rasch zu TxB2 inaktiviert wird. Ein weiterer Ab- k.ömmling der Endoperoxyde, das Prostazyk/in (Vane, 1976), wird im Gefäßendothel gebildet und rasch spontan entschärft. Die PG selbst werden zunächst durch das wichtig- ste PG-inaktivierende Enzym, die 15-Hydroxy-Dehydrogenase, in ihrer Wirkung abgeschwächt.

Prostaglandineffekte

PG und verwandte Substanzen sind sogenannte "lokale Hormone", "Ge- webshormone" oder "parakrine Substanzen". Sie wirken auf be- nachbarte Zellen, Gewebe und viel- leicht auch Organe. PG werden

Tabelle 1: Einige Stimuli für die Prostaglandin-Biosynthese

~ Substanzen: z. B. Katecholamine, Acetylcholin;

Angiotensin, Vasopressin;

Bradykinin, Serotonin, Histamin;

Thrombin, ATP, ADP.

~ Zustände: z. B. anaphylaktische Reaktionen;

Ischämie, erniedrigter Perfusionsdruck (z. B. Niere); nervöse, chemische oder mechanische Irritation der Zellmembran

Tabelle

2:

Einige Hemmstoffe der Prostaglandin-Biosynthese Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin®, Colfarit®, Godamed®, Aspisol®) Phenylbutazon (z. B. Butazolidin®, Elmedal®)

Oxyphenbutazon (z. B. Tanderil®, Realin®) Flutenaminsäure (z. B. Arlef®)

Metenaminsäure (z. B. Parkemed®) Indemetaein (z. B. Amuno®) Naproxen (z. B. Proxen®)

Phenacetin (in div. Mischpräparaten) Paracetamol (z. B. Ben-u-ron®)

nicht gespeichert, sondern als Ant- wort auf einen Reiz neu gebildet, sofort sezerniert und dann innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten inaktiviert, so daß Blutspiegel akti- ver Wirkstoffe praktisch nicht zu messen sind. Der Organismus wird so vor den katastrophalen Folgen einer Überschwemmung mit den Substanzen geschützt. Auch beim PGA handelt es sich nicht, wie bis vor kurzem geglaubt, um ein im Blut zirkulierendes Hormon. Die höchste Konzentration metabolisierender Enzyme findet sich in der Lunge, die alle aktiven PG während einer einzi- gen Passage praktisch eliminiert.

Die Metaboliten werden im Urin aus- geschieden. Die Spezifität der PG- Wirkung wird erklärt durch organei- gentümliche Reizrezeptoren und or- ganspezifische Antworten auf die je- weiligen PG. Die physiologische Be- deutung der lokal wirksamen PG ist nur sehr schwer und meist nur indi- rekt zu erfassen. Da die verschiede- nen, in vivo gleichzeitig vorhande- nen PG zum Teil gegensätzliche Wirkungen entfalten und ihre Wir- kungsweise mit Substanzart, Kon- zentration, Tierart und experimen- tellem Modell wechseln kann, sind Schlüsse zur physiologischen Be- deutung von PG trotzeiner Überfülle von Einzelinformationen nur mit Vorbehalt möglich.

Der molekulare Wirkungsmechanis- mus der PG ist noch nicht geklärt.

PG sollen so verschiedenartige Pro- zesse beeinflussen, wie zum Bei- spiel Zellwachstum, die Stereidpro- duktion in den Nebennieren, die Hy- pothalamus-Hypophysen-"Achse", die Schilddrüsenreaktion auf TSH, Hyperkalzämie und Knochenmets- stasenbildung bei einigen Mamma- karzinomen. ln allen Teilen des ZNS und des peripheren Nervensystems wurden PG gefunden; sie sollen die Neurotransmission modulieren. Es mangelt auch nicht an kühnen Hy- pothesen: sogar die Schizophrenie wurde als PG-Mangelkrankheit, die metabolische Fettsucht als PG- Überschußkrankheit apostrophiert.

Im folgenden werden einige Vorgän- ge dargestellt, bei denen PG wahr- scheinlich beteiligt sind.

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veresterte Arachidonsäure (Lipide)

Phospholipase4—

Arachidonsäure

N.{1 PG-Endoperoxyd- synthetase

zyklische ENDOPEROXY Gefäß-

(PGG 2 und PGH2) endothel

Stimuli

of-1 ÖH

PROSTAZYKLIN (PGX, PGI 2)

COOH

1-1,0\

1 6-keto- PG F, a

(inaktiv)

Isomerase Reduktase

PGD 2 HHT

(inaktiv)

Hydroxyheptadecatricarboxylsäure / 20

TxB 2 (inaktiv)

PROSTAGLANDINE_/PGE 2 (O

PGA2 PGC2 PGB 2

PGF2a)

COOH 15-Hydroxy-Dehydrogenase Inaktivierung

C 16-Dicarboxylsäuren

(Urin) 01H

Thromboxan A2 (TXA2)

Thrombo- zyten

Abbildung: „Stammbaum" der Prostaglandine

Entzündung

Daß PG und PG-Verwandte im Ver- ein mit anderen Mediatoren wie Histamin, Serotonin oder Bradykinin an der Pathogenese entzündlicher Reaktionen wesentlich mitwirken, gilt nahezu als gesichert. Eine Reihe von PG werden in entzündlichen Ex- sudaten gefunden, zum Beispiel in Synovialflüssigkeit von Patienten mit rheumatischer Arthritis. Die PG- Synthese im Gewebe wird durch die verschiedensten Noxen angeregt.

Erster Schritt ist vermutlich die Frei- setzung von Phospholipase-A aus Lysosomen und Plasmamembranen.

Enzymatisch werden dann die PG- Vorläufer bereitgestellt. E-PG sind entzündungsfördernd, sie stellen die Gefäße weit und machen Kapillaren durchlässiger, begünstigen die Bil- dung von Ödem und die Einwande- rung von polymorphkernigen Leu- kozyten, die dann zusätzlich PG pro- duzieren. E-PG erniedrigen die Schmerzschwelle der Schmerzre- zeptoren. Neben- und Zwischenpro- dukte der PG-Synthese, wie Hydro- xy-PGE 2 , können selbst Schmerz auslösen. Alle diese PG-bedingten Entzündungsäußerungen werden

gebremst von einer Gruppe nicht narkotisch wirkender Analgetika be- ziehungsweise von Antirheumatika und Antiphlogistika, die nicht vom Steroid-Typ sind (Tabelle 2).

Vane und Mitarbeiter wiesen 1971 darauf hin, daß sehr wahrscheinlich die Effekte dieser vielgebrauchten Pharmaka (vom Aspirin® zum Bei- spiel, dem seit über 70 Jahren welt- weit meist verwendeten Medikament der modernen Medizin, werden täg- lich in den USA etwa 100 Millionen Tabletten konsumiert) auf ihrer Fä- higkeit beruhen, die enzymatische PG-Synthese zu hemmen, wobei In- dometacin am stärksten wirkt. Nicht ausgeschlossen ist, daß sogar die Glukokortikoide ihre antiinflamma- torische Wirkung zum Teil über eine PG-Synthesehemmung realisieren.

Die PG-Synthetasen verschiedener Organe werden von den einzelnen Präparaten unterschiedlich betrof- fen. So hat Phenacetin zwar eine gute analgetische Wirksamkeit, je- doch kaum eine antiphlogistische oder antirheumatische. Die meisten der Mittel wirken auch antipyretisch.

Paracetamol (Ben-u-ron®) ist ein be- sonders wirkungsvolles Antipyreti-

kum. Wiederum ist eine Hemmung der PG-Synthese dafür verantwort- lich, diesmal im vorderen Hypothala- mus, wo das Wärmezentrum vor Rei- zung durch endogene E-PG, den Mediatoren der Pyrogene, geschützt wird. Nur die pathologisch erhöhte PG-bedingte Körpertemperatur wird durch diese Antipyretika gesenkt.

Dazu gehören die Fieberzustände bei zahlreichen Infektionskrankhei- ten, aber vermutlich auch die Tem- peraturerhöhungen zum Beispiel bei einigen neoplastischen Erkrankun- gen oder beim akuten Myokardin- farkt. Die Regulation der Normal- temperatur von Gesunden ist PG- unabhängig.

Intravasale Gerinnung

Unter dem Einfluß von Thrombin, Adenosindiphosphat (ADP), suben- dothelialen Kollagenfasern und Plättchenkontakt untereinander werden in den Thrombozyten PG- Endoperoxyde und Thromboxan A2 gebildet und freigesetzt. Diese lösen die Sekretion von thrombozytärem ADP, Thrombozytenaggregation und Vasokonstriktion aus: Blutge-

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Prostaglandine

rinnung und Thrombusbildung wer- den eingeleitet. Normalerweise be- grenzt sich dieser Prozeß selbst, in- dem im Gefäßendothel nach Throm- bozytenkontakt aus dem thrombozy- tären und auch gefäßeigenen PG- Endoperoxyden Prostazyklin gebil- det wird. Dieses hemmt die weitere Aggregation und stellt die Gefäße weit.

Normalerweise sind TxA2 und Pro- stazyklin als entscheidende Gegen- spieler bei der Thrombozytenaggre- gation offenbar im Gleichgewicht.

Bei vorgeschädigter Gefäßintima, zum Beispiel bei Koronararterien mit atherosklerotischen Veränderun- gen, unterbleibt der intravaskuläre Transfer von Endoperoxyden zu Prostazyklin mangels Prostazyklin- synthetase und das körpereigene Thrombotikum TxA 2 überwiegt: es kommt zur umschriebenen Throm- bose im geschädigten Intimabe- reich. Wenn langwirkende Prostazy- klinanaloga oder Hemmstoffe der TxA2-Synthese entwickelt würden, könnten diese als Antithrombotika eingesetzt werden. Schon heute ist es möglich, durch tolerable PGE,- Zusätze die Haltbarkeit von Throm- bozyten in Blutkonserven zu verlän- gern. Das synthetische 8-iso PGE, soll noch vorteilhafter sein. Aspirin®

hemmt zwar die Plättchenaggrega- tion durch Inhibierung der TxA 2-Bil- dung, gleichzeitig wird aber auch die Prostazyklinsynthese beein- trächtigt. Von einer derzeit in USA

laufenden Studie — AMIS (Aspirin Myocardial lnfarction Study) — zur Prophylaxe der Koronarthrombose werden deshalb sensationelle Er- gebnisse nicht erwartet.

Gastrointestinaltrakt

ösophagus

PGE 2 ist möglicherweise an der Re- gulation des Druckes des unteren Ösophagussphinkters (UÖS) betei- ligt. Es wirkt erschlaffend. Vermehr- te Freisetzung PGE-ähnlicher Sub- stanzen während einer ösophagitis könnte den gastroösophagealen Re- flux begünstigen und die Erkran- kung weiter verschlimmern. Hilf-

reich wären dann Hemmstoffe der PGE-Biosynthese wie Indometacin oder PGF2,-Analoga, die den UÖS- Druck ansteigen lassen.

Magen

In der Magenschleimhaut findet sich vorwiegend PGE 2 . Exogene E-PG in- hibieren die gastrale Säuresekre- tion, vermutlich durch direkten An- griff an der Belegzelle. Nicht sicher ist allerdings, ob E-PG physiologi- scherweise an einem negativen

„feed-back"-Mechanismus bei der Regulation der Säuresekretion be- teiligt sind. Jedenfalls wird die Säu- reproduktion beim Menschen durch Aspirin® nicht gesteigert. Für die Hy- pothese, die Ulkuskrankheit sei eine Prostaglandinmangelkrankheit, feh- len bisher ausreichende Beweise.

Zumindest ist es aber gelungen, mit PG-Derivaten, die oral und lang an- haltend wirksam sind, in einem ne- benwirkungsarmen Dosisbereich die Magensekretion zu hemmen und die Magenschleimhautdurchblutung zu fördern.

Durch diese Substanzen, besonders 15-(R oderS-)15-Methyl-PGE 2 , 16, 16- Dimethyl-PGE 2 und ihren Methyl- estern, heilten in kontrollierten Stu- dien Magen- und Duodenalge- schwüre schneller ab. Ein Handels- präparat ist noch nicht auf dem Markt. Vielleicht wäre eine Mischta- blette mit Aspirin® sinnvoll, um des- sen magenschädigende Wirkung zu mildern. PG-Synthesehemmer wie Aspirin® vermindern die basale Schleimhautdurchblutung im Ma- gen, hemmen die Schleimbildung und führen zu vermehrter Zellab- schilferung.

Eine andere Möglichkeit, dies zu vermeiden, wäre Aspirin® in alkali- scher Lösung (zum Beispiel Alka Seltzer®) zu verabfolgen, da es dann nicht im Magen resorbiert wird.

Pankreas

Wie bei entzündlichen Prozessen überhaupt, tragen PG auch zu Sym- ptomen und klinischem Bild der akuten hämorrhagischen Pankreati- tis bei.

Dünndarm

Im Gegensatz zur gastralen Sekre- tion wird die intestinale Sekretion von Wasser und Elektrolyten durch exogenes PGE 2 und PGF2c, angeregt.

Und zwar — ähnlich wie durch das Choleratoxin — über eine Stimulie- rung des cyclo-AMP-Systems. Da Prostaglandine auch zu einer ver- stärkten Kontraktibilität der glatten Dünndarmmuskulatur führen, sind die Durchfälle und die Spastik zum Beispiel beim medullären Schilddrü- senkarzinom als Folge übermäßiger Prostaglandinproduktion verständ- lich.

Auch beim Morbus Crohn sollen ne- ben anderen bekannten Faktoren PG zu einer solchen Symptomatik beitragen.

Einzelne Fälle von PG-induzierter Diarrhöe ließen sich durch thera- peutischen Einsatz von Muskatnuß, ebenfalls einem PG-Synthesehem- mer, bremsen. Die antidiarrhöischen Eigenschaften der Muskatnuß sind in der südamerikanischen Volksme- dizin seit langem bekannt. Es ist wahrscheinlich, daß auch die Durch- fälle bei Strahlenenteritis oder aus- gelöst durch manche Bakterienen- dotoxine durch PG vermittelt wer- den, ebenso Erbrechen und Durch- fälle nach Gabe von gewissen Medi- kamenten, welche die PG-Synthese steigern, wie zum Beispiel Colchi- cin. PG-Synthesehemmstoffe, wie Aspirin® oder Quinolin-Antimalaria- mittel, könnten die Nebenwirkungen solcher Drogen beheben. PG sind zur Behandlung des postoperativen paralytischen Ileus gegeben worden und zeigten Effekte, selbst wenn Va- sopressin oder indirekte Parasym- pathomimetika (Prostigmin®, Mesti- non®) ohne Erfolg waren.

Kolon

Wie beim Dünndarm auch, scheinen PG im Wechselspiel mit dem auto- nomen Nervensystem zur Regula- tion der Kolonmotilität beizutragen.

Auf die absorptive Funktion des Ko- lons haben sie kaum Einfluß. Bei Pa- tienten mit Colitis ulcerosa werden PGF-Metaboliten vermehrt im Urin ausgeschieden. Es ist denkbar, daß

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PG einen Faktor in der Pathogenese der Colitis ulcerosa darstellen und daß der günstige therapeutische Ef- fekt von Sulphasalazin (Azulfidine®) auf einer Hemmung der PG-Synthe- se beruht. Durch die Kolonbakterien wird Sulphasalazin zu 5-Aminosali- zylsäure, dem eigentlichen Wirk- stoff, aufgespalten.

Herz — Kreislauf — Niere

Exogene E-PG senken den arteriel- len Blutdruck durch Verminderung des peripheren Gefäßwiderstandes mit reflektorischem Anstieg des Herzschlagvolumens und der Herz- frequenz. Die Kontraktionskraft der Herzmuskulatur wird gestärkt, die Koronarien werden geweitet. Der Einsatz von E-PG ist bei sonst schwer beherrschbaren Blutdruck- krisen erprobt worden. Gegenüber den meisten anderen Antihyperten- siva unterscheiden sich die E-PG positiv dadurch, daß die Blutdruck- senkung nicht mit einer Abnahme der Nierendurchblutung einhergeht.

Intraarterielle PGE-Applikation bei peripheren arteriellen Durchblu- tungsstörungen war bisher ohne be- friedigenden Erfolg. Lediglich in der Nasenschleimhaut verengt PGE die Arteriolen; hier wirkt es bei lokaler Anwendung nachhaltiger abschwel- lend als Adrenalin. Im Gegensatz zu E-PG steigern exogene F-PG den Blutdruck. Die Kapazität der venö- sen Gefäße wird vermindert, der ve- nöse Rückfluß zum Herzen nimmt zu, und das Herzminutenvolumen steigt an. Die Verwendung PGF 2a

-ähnlicher Substanzen bei Schock- zuständen wird erwogen.

Physiologischerweise zirkulieren PG nicht im Kreislauf des Erwachsenen.

Nur beim Feten können sie über Ge- fäßkurzschlüsse der Inaktivierung in der Lunge entgehen. Es wird ange- nommen, daß beim Feten E-PG die Gefäße weiten, insbesondere den Ductus arteriosus offenhalten hel- fen. Bei Säuglingen mit angebore- nem Herzfehler mit Zyanose ließ sich mit PGE-Infusion ein Verschließen des Ductus arteriosus über einige Wochen verhindern. Andererseits schloß sich bei sonst gesunden Kin- dern mit lediglich noch offenem

Ductus dieser unter der Behandlung mit Chloroquin (Resochin®), einem bekannten Antimalariamittel und PG-Antagonisten.

Beim gesunden Erwachsenen sind die Gefäßeffekte der endogenen PG lokal begrenzt und das Resultat aus dem jeweiligen PG-Muster und der Interaktion mit anderen Stimulan- tien, vor allem adrenergen und cho- linergen Überträgerstoffen, deren Wirkung durch PG moduliert wird.

Prostazyklin ist möglicherweise an der Autoregulation der Koronar- durchblutung beteiligt: wird tierex- perimentell die Sauerstoffversor- gung des Herzens gedrosselt, pro- duzieren die Koronargefäße Prosta- zyklin, welches die Gefäße weitstellt.

Ob PG bei der Autoregulation der Nierendurchblutung und intrarena- len Blutverteilung wesentlich invol- viert sind, ist nicht endgültig geklärt.

Nicht sicher bekannt ist, ob eine kontinuierliche Synthese von rena- len PG ein wichtiger Faktor für den Erhalt des normalen Blutdruckes ist und ob die essentielle Hypertonie möglicherweise auf einen absoluten oder relativen Mangel endogener vasodepressorisch wirkender PG beruht. Es ist denkbar, daß PG Teil eines intrarenalen „feed-back"-Me- chanismus für die Volumen- und Salzhomöostase des Körpers sind und daß dieser Mechanismus der Wirkung des Renin-Angiotensin-Sy- stems entgegengesetzt ist und die Natrium- und Wasserausscheidung fördert.

Danach hätten die PG in der Niere eine defensive Rolle, in der sie die Niere vor übermäßiger Aktivität der Pressorhormone schützen können.

So wird die renale E-PG-Synthese — vorwiegend im Nierenmark — auch durch Norepinephrin, Angiotensin und vermutlich ADH und erhöhten Nierenperfusionsdruck stimuliert.

Über die Henlesche Schleife gelan- gen die E-PG zur Nierenrinde, wo sie den Pressoreffekten entgegenwir- ken bzw. diese modulieren, die rena- le Durchblutung steigern und offen- bar so die Natrium- und Wasseraus- scheidung fördern. Als Gegenspieler des Renin-Angiotensin-Systems

werden neben den PG weitere rena- le Faktoren wie die Kinine diskutiert.

Das renale vasoaktive Kallikrein-Ki- nin-System wirkt vermutlich zusam- men mit den und über die PG, deren Synthese es verstärkt.

Hemmung der PG-Synthese durch Dauergabe von Acetylsalicylsäure, Indometacin oder ähnlichem er- zeugt allerdings keine Hypertonie, möglicherweise infolge einer nur partiellen Synthesehemmung. Im- merhin vermindern Aspirin® und an- dere PG-Synthesehemmer die me- dulläre und innerkortikale Durchblu- tung, so daß nicht ausgeschlossen ist, daß chronischer übermäßiger Gebrauch der oben genannten Me- dikamente die Entstehung einer Ne- phropathie mit Papillennekrose be- günstigen kann. Vorteilhaft wirkt Aspirin® dagegen beim seltenen Bartter-Syndrom, bei dem eine Überproduktion von PG wahr- scheinlich eine pathogenetische Rolle spielt. PG wurden auch zur Therapie des hepatorenalen Syn- droms versucht, allerdings ohne we- sentlichen Erfolg.

Lunge

In der Lunge kommen PGE, und PGF2a vor. Im allgemeinen sind E- PG Dilatatoren und F-PG Konstrikto- ren der Bronchien und Lungengefä- ße. Ob sie an der lokalen Autoregu- lation des Bronchial- oder Gefäßto- nus als „Autakoide" mitwirken, ist nicht gesichert. An verschiedenen pathophysiologischen Geschehen scheinen sie jedoch beteiligt zu sein.

PG werden in der Lunge zum Bei- spiel bei Hypoxie, Lungenödem und Lungenembolie verstärkt freige- setzt. Ihre Wirkungen stehen im Wechselspiel mit dem autonomen Nervensystem. Patienten mit Asthma bronchiale reagieren besonders empfindlich mit Bronchokonstrik- tion auf PGF-Inhalation.

Während Asthma-Anfällen wird of- fenbar vermehrt PGF2c, freigesetzt, allerdings erst nach dem Histamin.

Obgleich es sich also um ein sekun- däres Phänomen handelt, könnten F-PG dennoch in gewisser Hinsicht für Ausmaß und Dauer der Broncho-

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Prostaglandine

konstriktion mitverantwortlich sein.

Das Versagen von Indometacin, Pa- tienten mit Asthma vor Anfällen zu schützen, spricht gegen eine primä- re Rolle von PGF2a bei der allergi- schen Reaktion. PGE-Aerosole ha- ben bisher nicht Eingang in die The- rapie des Asthmaanfalls gefunden, obgleich sie etwa zehnmal stärker bronchodilatatorisch als Isoprotere- nol (zum Beispiel Aludrin®) wirken.

Ihre bei Asthmatikern gelegentlich paradoxe Wirkung und die Schleim- hautreizung durch die Aerosole ha- ben dies verhindert. Besser verträg- liche PGE-Analoga sind bisher nicht entwickelt worden.

Reproduktive Organe

An jeder Phase des Fortpflanzungs- prozesses sind PG beteiligt: im Hy- pothalamus-Hypophysensystem bei der LHRH-Freisetzung, im Ovar bei der Steroidgenese, bei der Ovulation und bei der Luteolyse. Beim nicht- schwangeren Uterus wirken PG, be- sonders PGF2a , durch Kontraktion des Myometriums bei der Menstrua- tionsauslösung mit. Überschießende PG-Bildung kann manche dysme- norrhoischen Beschwerden erklä- ren; diese werden durch Aspirin®

oder ähnliche Präparate gemildert.

Während der Ovulation ist der Ute- rus resistent gegen PG, oder diese vermindern sogar die Spontanaktivi- tät, die Aszension der Spermien wird erleichtert, das Ei wird durch die PG-bedingte Kontraktion der Tube im uterusnahen Viertel fixiert. Mög- licherweise trägt die an PG, auch PGA und PGB, extrem reiche Sa- menflüssigkeit im Sinne einer Fremd- oder Fernwirkung zu diesen Effekten bei. Während der Schwan- gerschaft soll die Durchblutung in Plazenta, Nabelschnur und Fötus unter anderem durch PG reguliert werden.

Den PG wird eine wehenauslösende Funktion beim Abort und bei der Ge- burt am Termin zugeschrieben. Un- mittelbar vor der Spontangeburt tre- ten im Fruchtwasser und im mütter- lichen Blut hohe PG-Konzentratio- nen auf. Der gravide Uterus läßt sich erwartungsgemäß durch exogenes

PGF2a und PGE 2 kontrahieren. Dies hat zur Anwendung dieser Substan- zen zur Weheneinleitung geführt. Al- lerdings sind sie dem Oxytocin in dieser Hinsicht nicht überlegen.

Zwar sprechen manche Oxytocin-re- sistente Fälle noch auf PG an, je- doch ist die intravenöse PG-Applika- tion wegen der Möglichkeit erhebli- cher systemischer Nebenwirkungen nicht ungefährlich. Außerdem kann bei Überdosierung ein „Tetanus ute- ri" auftreten. Als Abortivum hat sich PGF2a , besonders im zweiten Trime- non, bewährt. Es wird intra- oder extraamnial appliziert.

Als erstes Präparat steht Minpro- stin® F2,,, (Dinoprost, Fa. Upjohn) zur Verfügung. Es sollte allerdings vor- erst nur in Kliniken unter fachgynä- kologischer Aufsicht verwendet wer- den. Vorsicht ist angebracht bei Pa- tientinnen mit Asthma- oder Epilep- sievorgeschichte, erhöhtem Intra- okulardruck und Glaukom. Dosisab- hängig können Übelkeit, Erbrechen und Diarrhöen auftreten. Dosisredu- zierung, Antiemetika, Analgetika

und Anticholinergika können die Beschwerden mildern. Auch Hitze- wellen, thorakales Beklemmungsge- fühl, Kopfschmerzen und Schwin- delgefühl sind beobachtet worden.

In Zukunft werden vermutlich besser verträgliche PGF 2a -Abkömmlinge, wie der 2a,2b-Dihomo-15(S)-15-me- thyl-PGF 2,-Methylester, ZUM

Schwangerschaftsabbruch — mög- licherweise bereits im ersten Trime- ster auch mit intramuskulärer oder vaginaler Applikation — eingesetzt werden. Seit Jahren sind Untersu- chungen zur Entwicklung eines Ein- mal-i m-Monat-Frü habortivums auf PG-Basis im Gange. Auch die Wir- kung der Intrauterinspirale soll zum Teil auf einer verstärkten PGE-Bil- dung im Endometrium beruhen.

Agonisten und Antagonisten Die angeführten, keineswegs voll- ständigen Beispiele verdeutlichen bereits, wie viele komplexe Wirkun- gen die natürlichen PG gleichzeitig ausüben. Ein spezifischer therapeu- tischer Einsatz war daher bisher bei systemischer Anwendung nicht

möglich. Es wird daher seit einigen Jahren versucht, durch Abwandlung der Grundstruktur der PG oder durch Substitution die Wirkungs- und Organspezifität zu verstärken und „Nebenwirkungen" abzuschwä- chen; zum Beispiel sollte ein Mittel zur Hemmung der Magensäure nicht gleichzeitig Durchfälle erzeugen oder einen Abort auslösen. Die Prä- parate sollten in der Regel auch oral anwendbar sein und länger wirken als die natürlichen PG. Im Jahre 1969 gelang Corey und Mitarbeitern die erste chemische Totalsynthese eines Prostaglandins. Seitdem sind dank hochentwickelter organisch- chemischer Methoden viele tausend Analogpräparate der natürlichen PG synthetisiert worden, teils mit PG- ähnlicher, teils mit antagonistischer Wirkung. Daneben wird untersucht, ob sich die Wirkungen einiger be- reits verwendeter Pharmaka da- durch erklären lassen, daß sie mit PG interferieren; zum Beispiel sollen die trizyklischen Psychopharmaka (zum Beispiel Tofranil®, Mega- phen®) kompetitiv an den PG-Re- zeptoren im Gehirn angreifen. Für die Zukunft bleibt die berechtigte Hoffnung, daß neuentwickelte PG- Derivate und PG-beeinflussende Medikamente unsere therapeuti- schen Möglichkeiten erweitern wer- den.

Literatur

(1) Berti, F., Samuelsson, B., Velo, G. P.: Pros- taglandins and Thromboxanes, Plenum Press, New York (1977) - (2) Marx, J. Blood clot- ting: the rote of prostaglandins, Science 196 (1977) 1072-1075 - (3) Kadnowitz, P. J., Chap- nick, B. M., Hyman, A. L., Brody, M. J., Green- berg, S.: Influence of prostaglandins an the cardiovascular system. In: Cardiovascular Pharmacology, ed. M. J. Antonaccio, Raven Press, New York (1977) - (4) Mathe, A. A., Hedqvist, P., Strandberg, K., Leslie, C. A.:

Aspects of prostaglandin function in the lung, New Engl. J. Med. 296 (1977) 850-855 und 910-914 - (5) Lippert, T. H.: Die Prostaglandine in der reproduktiven Physiologie, Klin. Wo- chenschr. 55 (1977) 515-524

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Sigurd Domschke Privatdozent

Dr. med. Wolfram Domschke Medizinische Klinik mit Poliklinik der Universität 852 Erlangen

Krankenhausstraße 12

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